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09.05.2022, 13:31 Uhr
Christopher Bertusch
Text & Debatte
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(c) Alfred Kröner Verlag

„Yank Zone“ – ein Roman von Michael Basse zu Zeiten des Kalten Krieges

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Richard Nixon (USA) und Leonid Breschnew (UDSSR) unterzeichnen den ABM-Vertrag (Anti-Ballistic Missile Treaty) und das Interimsabkommen über die Begrenzung strategischer Waffen (SALT) im St. Wladimir-Saal des Großen Kremlpalastes, Moskau, 26. Mai 1972

Der Münchner Autor Michael Basse (*1957 in Bad Salzuflen) ist seit 1993 freier Mitarbeiter der Abteilung Kulturkritik des Bayerischen Rundfunks und Verfasser zahlreicher Radioessays sowie Autorenporträts. Daneben übersetzt er Gedichte von Blaga Dimitrova, Ljubomir Nikolov, Boiko Lambovski, Anise Koltz, Jean Portante und John F. Deane ins Deutsche. 2016 erschien sein Roman Amerikanische Zone. 2022 ist dieser in einer überarbeiteten Fassung u.d.T. Yank Zone im Alfred Kröner Verlag neu aufgelegt worden. Christopher Bertusch hat den Roman für uns gelesen.

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Wie der Name schon vermuten lässt, taucht Michael Basse mit seinem zweiten Roman mitten in die amerikanische Besatzungszeit Westdeutschlands ein und erzählt eine Coming-of-Age-Geschichte, die 30 Jahre Handlung und 60 Jahre Geschichte miteinander vereint. Anfang der 1970er-Jahre treffen sich im 6.000-Seelen Ort Maulbronn zwei Jugendliche, die unterschiedlicher kaum sein könnten. Mani stammt aus einem streng-protestantischen Pfarrhaushalt und besucht die Klosterschule des Ortes. Er ist ein einstudierter Besserwisser und scheut sich nicht davor anzugeben. Jack auf der anderen Seite ergreift nur selten das Wort, er lässt die Dinge erst einmal auf sich zukommen und weiß auch später als Erwachsener noch nicht, was genau nun er aus seinem Leben machen wird. Nur dass er etwas machen wird liegt auf der Hand. Immerhin ist er der Sohn eines hochdekorierten Lieutenant Colonel der US-Armee. Seine Mutter, eine Schwäbin, verstirbt bereits in seiner Kindheit an einem Hirntumor. Gegensätze ziehen sich bekanntlich an und so entsteht zwischen Mani und Jack eine einzigartige und eigenartige Blutsbrüderschaft, die sich über 20 Jahre ihres Lebens erstreckt.

Den Beginn findet diese Freundschaft in einem Zwei-Familien-Haus, das von allen nur „hard man’s guesthouse“ (S. 8) genannt wird, benannt nach dem Hausherren und Jacks Vater Lt. Colonel Ross Raymond Hartman. Sein Gasthaus ist ein wahrer Männerhaushalt voller Pall Mall-Zigaretten und Longdrinks. Er selbst ist ein richtiger „hard man“ (S. 15), einer, der Befehle gibt und Autorität versprüht. Bis zu seinem Tod bleibt er eine Größe im Ort, eine Größe, an der sich die zwei Jugendlichen Mani und Jack versuchen zu messen. Der eine als blutsverwandter Sohn und der andere als inoffiziell adoptierter. Somit beginnt eine Art Wettstreit um die Anerkennung dieses charmanten und doch so distanzierten, harten Mannes.

Neben den beiden Blutsbrüdern ergreifen zwei weitere Figuren das Wort. Margarete, von den anderen meist Maggie oder Magret genannt, ist die dritte Ehefrau von Lt. Colonel Hartman. Als eine alte Freundin seiner früheren Ehefrau begegnet sie ihm bereits in jungen Jahren. Damals will das Glück bei ihr aber nicht einhalten und der Lt. Colonel macht sich mit einer anderen Dame aus dem Staub. Zwanzig Jahre später kehrt sie triumphierend zurück und reißt sich den Alten unter den Nagel. So empfindet das zumindest Sohn Jack, der seine neue Stiefmutter von Anfang an kritisch beäugelt. Daneben hält die Liebe auch in Jacks eigenem Leben Einzug, in Form der aus Bulgarien stammenden Lydia. Als Kind des Ostblocks sieht sie sich in „hard man’s guesthouse“ einer schwierigen Prüfung unterzogen. Das Verhältnis zwischen ihr und dem amerikanischen Lt. Colonel bleibt kalt, ohne Aussicht auf Besserung.

Michael Basses Auseinandersetzung mit der amerikanischen Besetzung ist mehr als nur das. Sein Narrativ setzt 1972 ein und endet in der Jahrtausendwende, doch die Erzählung behandelt ebenso Maggies Erfahrungen als deutsches Kind während des Zweiten Weltkriegs, ihr Leben als „swing girl“ (S. 223) oder „Amiflittchen“ (S. 226) in der direkten Nachkriegszeit und ihre ersten Begegnungen mit dem Lt. Colonel. In den Erinnerungen von Jack, Mani, Maggi und Lydia vermischen sich dutzende Momente und Motive. Jacks Leben zwischen den Fronten als Deutsch-Amerikaner während der Besatzungszeit trifft auf Manis Leben als angehender Schriftsteller und Klosterschüler aus einem kleinen deutschen Ort, trifft auf Maggies Erfahrungen des Aufbaus einer neuen Existenz in einer zertrümmerten Welt, trifft auf Lydias Desillusionierung mit einem post-sowjetischen Land, dessen beste Talente ihr Glück im Ausland suchen.

Dem Roman gelingt es, den Leser trotz seiner epischen Breite niemals zu überfordern. Michael Basse vereint jahrzehntelange Geschichte und historische Fakten mit persönlichen Momenten. In einer Mischung aus Humor und Selbstreflektion berichten die vier Erzähler des Romans von ihren Leben. Sie beschweren sich über ihre Umstände und ihre Familien und Freunde, machen Witze, bemerken Details und schütten ihr Herz aus. Nichts wirkt hier gekünstelt, und alles lässt den Leser einen tiefen Einblick in die Lebenswelt dieser Figuren erkennen. Auch wenn die Figuren auf dem Papier so unterschiedlich wirken, verbindet sie doch die gemeinsame Erfahrung der Besatzungszeit, der Nachkriegszeit und das Verhältnis zwischen Amerika und Deutschland, zwischen Ost und West. Nicht umsonst fragt der Lt. Colonel sicherheitshalber: „Mani, are you a communist?“ (S. 13)

„In jedem steckt ein Amerikaner, der herauskommen will“ (S. 140), verlautet es auf mehreren Seiten, und dieser angebliche Wunsch nach Freiheit wird von den Amerikanern des Romans wie Lt. Colonel Hartman in allen anderen Mitmenschen gesucht. Er kennzeichnet einen verbreiteten amerikanischen Imperialismus für die damalige Zeit. Einige Rezensenten bewerten Yank Zone als einen Roman, der sich mit der Thematik ‚Vorherrschaft‘ beschäftigt – Vorherrschaft zwischen Amerika und Deutschland, aber auch innerhalb des Familienrahmens, zwischen Vater und Sohn (bzw. Söhnen). Dabei stellt der Roman auch die zentrale Frage, was es schlussendlich bedeutet, ein Mann, genauer gesagt ein „hard man“ (S. 15) zu sein. Die Beziehung zwischen Mani und seinem Quasi-Adoptivvater Lt. Colonel Hartman zerbricht aufgrund ihrer unterschiedlichen Ansichten zum Militärdienst und auch Jack erhält bis zum Tod des Vaters nie die Antworten, die er sich erhofft. Ist es das, was es bedeutet, ein Mann zu sein? Einer, der seinen Gram mit ins Grab nimmt (S. 294), der immer charmant und kulant wirkt, der seine wahren Gefühle hinter dem Longdrink und der Pall Mall-Zigarette zurückhält? Ein Machomann, ein Westernheld à la John Wanye, ein harter Mann à la ‚Männer weinen nicht‘?

Am Ende des Romans sind dreißig Jahre vergangen und die einstigen Freunde und Familien zerbrochen, der Tod hat mehrere von ihnen bereits heimgesucht. Vielleicht hätte man vieles anders machen können, vielleicht hätte man wenigstens einmal wirklich miteinander reden sollen. Vielleicht hätte man realisieren können, dass die böse Stiefmutter nur ein Mensch ist und der um Aufmerksamkeit buhlende Sohn diese auch verdient hat. Michael Basse schafft mit Yank Zone nicht nur ein eindrückliches Porträt einer Zeitperiode, die für manche schon ferne Geschichte und für andere noch eingebrannte Erinnerung ist, sondern auch die Geschichte einer Familie aus (inoffiziellen) Söhnen, Schwiegertöchtern und Stiefmüttern, deren Leben langsam voneinander wegbrechen. Ein jeder sucht seine (amerikanische) Freiheit woanders, für manche endet das im Unglück. Yank Zone ist auf 320 Seiten ein bewegender, persönlicher Kommentar und eine wahre Meisterleistung.

 

Michael Basse: Yank Zone. Roman. Alfred Kröner Verlag (Edition Klöpfer), Stuttgart 2022, 320 Seiten, Halbleinen mit Lesebändchen, ISBN 978-3-520-76201-6, € 25.