„Die Gräfin Reventlow. Zu ihrem 60. Geburtstag“. Von Korfiz Holm
Avantgardistin, Bohemienne, Verfechterin der freien Liebe, Freidenkerin – das war Franziska zu Reventlow (1871-1918). Letztes Jahr wurde mehrfach an das 150. Jubiläumsjahr der Schriftstellerin erinnert. Pünktlich zu ihrem heutigen Geburtstag druckt das Literaturportal Bayern eine ältere Gedenkschrift des Schriftstellers und Verlegers Korfiz Holm aus den Münchner Neuesten Nachrichten (Nr. 134, 19. Mai 1931) ab.
*
Die Gräfin Franziska zu Reventlow kann ihren sechzigsten Geburtstag selbst nicht mit uns feiern, weil sie schon achtundvierzigjährig aus dem Leben schied. Wir aber sollen in diesen Tagen feiernd dieser Frau gedenken, deren starke und eigenwillige Persönlichkeit wohl jedem unverwischbar im Gedächtnis lebt, der ihr nur einmal Aug um Auge gegenüberstand, und die zudem einer der echtesten, ehrlichsten und dabei geistreichsten Schriftstellerinnen unserer Zeit gewesen ist.
Von ihrem Lebenslaufe zu berichten, tut nicht not. Das hat sie selbst getan. Wer alles Äußerliche darüber erfahren und zugleich den tiefsten Einblick in das Innere einer modernen Frauenseele tun will, den man überhaupt gewinnen kann, der lese den stattlichen Dünndruckband ihrer Gesammelten Werke, die neben den erzählenden Schriften ihre Tagebücher enthalten, sowie die als Ergänzung erschienenen Briefe der Gräfin Reventlow. Denn alles, was sie schrieb, auch die Romane und Novellen, schildert nur treue, die von ihr selbst erlebte Wirklichkeit. Blühendes Phantasieren und Erfinden – sonst oft die Stärke weiblicher Autoren – lag ihr nicht. Umso bewundernswerter ist es, wie wenig das Erdengewicht der Tatsachen ihre Erzählungen belastet, wie leicht und frei sich ihre Schilderungen in das Reich der reinen Kunst erheben.
Die gleiche geistige Überlegenheit, der dies zu danken ist, spricht stärker noch aus ihren Tagebüchern. Hier haben wir die wahrste, klarste, kühnste Frauenbeichte, die es in allen Literaturen gibt. Und auch an männlichen Selbsterforschungen kann sich in dieser Hinsicht nur ganz wenig damit messen. Natürlich hat die Gräfin, wenn sie fiebernd vor Glück oder ob ihrer Nöte schier verzagend, sich mit hastiger Feder Rechenschaft über ihre Tage gab, niemals daran gedacht, daß andere Augen das je lesen würden. Wer aber die Menschen kennt, der weiß, daß unbarmherzige Aufrichtigkeit gegen sich selbst eine noch seltenere Tugend ist als Offenheit nach außen hin. Franziska Reventlow kennt sich genau und hängt den Tatsachen, vor deren Nacktheit ängstliche Gemüter sich entsetzen mögen, kein beschönigendes Mäntelchen um.
Auch soll man nicht vergessen, daß ihre gewiß nicht zu bestreitende Unbürgerlichkeit nicht nur in ihrem Bohemetum, sondern auch in ihrem Aristokratentum die Wurzeln hat. Ich habe sie gekannt, und besser als gar viele, die ihr näherstanden, weil ich als ihr Verleger durch Jahrzehnte, wo es ihr meistens elend ging, über Geldsachen mit ihr zu verhandeln hatte. Wer sich da immer vornehm zeigt, dem ist der Adel wirklich eingeboren.
Ihr Werk ist wenig umfangreich, und mancher mag bedauern, daß sie nicht länger lebte und noch eine Menge schrieb. Ich aber glaube, daß der Tod gewußt hat, was er tat, als er sie in voller Lebenslust und Kraft von dieser Erde nahm. Denn sie gehörte nicht zu denen, die geboren sind, um alt zu werden. Und als sie starb, da waren wohl nicht ihre Jahre, aber ihre Zeit erfüllt. Heute verbietet sich ein Leben, wie es ihr entsprach und sie es führte, schon durch die allgemeine Not; und der Humor, mit dem sie sich sieghaft durch alle Bitternisse schlug, wäre ihr dabei sicherlich bald ausgegangen und hätte der schwersten Lebensangst die Herrschaft lassen müssen.
Gönnen wir ihr die Ruhe! Und freuen wir uns an dem, was sie uns hinterlassen hat: an ihren köstlichen Geschichten, in denen das uns allen, die wir damals jung gewesen, unvergessene München und Schwabing aus der Zeit um die Jahrhundertwende so echt und stark, so bunt und lustig weiterlebt!
Transkription: Harald Beck
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Avantgardistin, Bohemienne, Verfechterin der freien Liebe, Freidenkerin – das war Franziska zu Reventlow (1871-1918). Letztes Jahr wurde mehrfach an das 150. Jubiläumsjahr der Schriftstellerin erinnert. Pünktlich zu ihrem heutigen Geburtstag druckt das Literaturportal Bayern eine ältere Gedenkschrift des Schriftstellers und Verlegers Korfiz Holm aus den Münchner Neuesten Nachrichten (Nr. 134, 19. Mai 1931) ab.
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Die Gräfin Franziska zu Reventlow kann ihren sechzigsten Geburtstag selbst nicht mit uns feiern, weil sie schon achtundvierzigjährig aus dem Leben schied. Wir aber sollen in diesen Tagen feiernd dieser Frau gedenken, deren starke und eigenwillige Persönlichkeit wohl jedem unverwischbar im Gedächtnis lebt, der ihr nur einmal Aug um Auge gegenüberstand, und die zudem einer der echtesten, ehrlichsten und dabei geistreichsten Schriftstellerinnen unserer Zeit gewesen ist.
Von ihrem Lebenslaufe zu berichten, tut nicht not. Das hat sie selbst getan. Wer alles Äußerliche darüber erfahren und zugleich den tiefsten Einblick in das Innere einer modernen Frauenseele tun will, den man überhaupt gewinnen kann, der lese den stattlichen Dünndruckband ihrer Gesammelten Werke, die neben den erzählenden Schriften ihre Tagebücher enthalten, sowie die als Ergänzung erschienenen Briefe der Gräfin Reventlow. Denn alles, was sie schrieb, auch die Romane und Novellen, schildert nur treue, die von ihr selbst erlebte Wirklichkeit. Blühendes Phantasieren und Erfinden – sonst oft die Stärke weiblicher Autoren – lag ihr nicht. Umso bewundernswerter ist es, wie wenig das Erdengewicht der Tatsachen ihre Erzählungen belastet, wie leicht und frei sich ihre Schilderungen in das Reich der reinen Kunst erheben.
Die gleiche geistige Überlegenheit, der dies zu danken ist, spricht stärker noch aus ihren Tagebüchern. Hier haben wir die wahrste, klarste, kühnste Frauenbeichte, die es in allen Literaturen gibt. Und auch an männlichen Selbsterforschungen kann sich in dieser Hinsicht nur ganz wenig damit messen. Natürlich hat die Gräfin, wenn sie fiebernd vor Glück oder ob ihrer Nöte schier verzagend, sich mit hastiger Feder Rechenschaft über ihre Tage gab, niemals daran gedacht, daß andere Augen das je lesen würden. Wer aber die Menschen kennt, der weiß, daß unbarmherzige Aufrichtigkeit gegen sich selbst eine noch seltenere Tugend ist als Offenheit nach außen hin. Franziska Reventlow kennt sich genau und hängt den Tatsachen, vor deren Nacktheit ängstliche Gemüter sich entsetzen mögen, kein beschönigendes Mäntelchen um.
Auch soll man nicht vergessen, daß ihre gewiß nicht zu bestreitende Unbürgerlichkeit nicht nur in ihrem Bohemetum, sondern auch in ihrem Aristokratentum die Wurzeln hat. Ich habe sie gekannt, und besser als gar viele, die ihr näherstanden, weil ich als ihr Verleger durch Jahrzehnte, wo es ihr meistens elend ging, über Geldsachen mit ihr zu verhandeln hatte. Wer sich da immer vornehm zeigt, dem ist der Adel wirklich eingeboren.
Ihr Werk ist wenig umfangreich, und mancher mag bedauern, daß sie nicht länger lebte und noch eine Menge schrieb. Ich aber glaube, daß der Tod gewußt hat, was er tat, als er sie in voller Lebenslust und Kraft von dieser Erde nahm. Denn sie gehörte nicht zu denen, die geboren sind, um alt zu werden. Und als sie starb, da waren wohl nicht ihre Jahre, aber ihre Zeit erfüllt. Heute verbietet sich ein Leben, wie es ihr entsprach und sie es führte, schon durch die allgemeine Not; und der Humor, mit dem sie sich sieghaft durch alle Bitternisse schlug, wäre ihr dabei sicherlich bald ausgegangen und hätte der schwersten Lebensangst die Herrschaft lassen müssen.
Gönnen wir ihr die Ruhe! Und freuen wir uns an dem, was sie uns hinterlassen hat: an ihren köstlichen Geschichten, in denen das uns allen, die wir damals jung gewesen, unvergessene München und Schwabing aus der Zeit um die Jahrhundertwende so echt und stark, so bunt und lustig weiterlebt!
Transkription: Harald Beck