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Kultur trotz Corona: „Traumtagebuch“ und „Die Geigen“. Von Augusta Laar

Augusta Laar (*1955 in Eggenfelden) studierte Klavier und Musikwissenschaften in München sowie Lyrik an der Schule für Dichtung Wien. Sie lebt als Künstlerin, Lyrikerin und Musikerin in Krailling bei München und Wien. Gemeinsam mit Karl Wallowsky initiierte sie 2006 die „Lyrik Plattform“, 2009 begann sie mit Gabriele Trinckler das internationale Netzwerk für Autorinnen „Schamrock – Salon der Dichterinnen“ aufzubauen, deren (Festival-)Leiterin sie auch ist. Seit 2014 leitet sie das dazugehörende Filmfestival female presence. Laar ist Mitglied freier AutorInnengruppen, wie Reimfrei, der Grazer Autorinnen Autorenversammlung (GAV) und des World Poetry Movements. Zusammen mit ihrem Mann, dem Musiker und Performance-Künstler Kalle Aldis Laar, bildet sie das Electro-acoustic Poetry Duo „Kunst oder Unfall“. Für ihr Werk wurde Augusta Laar u.a. mit der Atelierförderung der Stadt München (2014-19) sowie Projektstipendien für Literatur des Bundeskanzleramts Österreich (2017, 2020), dem Anita Augspurg Preis der Stadt München (2021) sowie einem Projektstipendium der VG Wort (2022) ausgezeichnet. Zuletzt erschienen ihre Gedichtbände Avec Beat. Kurzformen, Mischungen, Loops (2020) und Mitteilungen gegen den Schlaf. Träume, Lieder, Skizzen (2021).

Mit dem folgenden Zyklus von sieben Gedichten aus 2021 und einem längeren Gedicht beteiligt sich Augusta Laar an Kultur trotz Corona“, einem Projekt des Literaturportals Bayern zur Unterstützung bayerischer Literaturschaffender. Alle bisherigen Beiträge der Reihe finden Sie HIER.

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TRAUMTAGEBUCH

(7 Gedichte 2021)


 
heute nacht

kommen die mondleute in dein zimmer
reissen die luft auf und die musik

seither ist das zimmer mondrissig
weil es die luft für dich für die musik

deshalb fühlt sich dein zimmer nicht
wie es vorher deinetwegen

dein zimmer oder die musik

steht offen dein zimmer vor dir
weil die luft für dich
wie gerissen
deshalb
und die musik

dein zimmer ist nicht mehr dein zimmer
deinetwegen

 

traumtagebuch

giocoso
gräser und nerven als sinuswellen
wer mir nichts zu bieten hat – ja
für mich hats gereicht

con brio
ich bin genau so
bockig ignorant geldgierig
wie ich immer war

andantino
der fliegende koffer reist
dir hinterher nach Beirut Chicago
Prag Wien London Bratislava
Meaford NY Rom ewiges Rom

più mosso
die schafe leuchten auf den weiden
die wolle das fleisch die wollpullover
und sprechblasen platzen im heu

cantabile
zum geburtstag die schmelzenden
kappen statt tanzen erinnere dich als
du aus dem McDonalds kommend
(am Mondsee) sagtest: ich mag mich

animato
betrifft halt! also fahrt! nicht tag
nicht lamento nur darauf kommt es an
die gänge die telefoneschnüre hörner
klarinetten fanfaren – der zirkus rollt

 

windflüssig
feat. steel guitar in my soul

und brrrrrr mit
den steckenpferden den
sprung über die wollfädenhürden

loopen die handgelenke
mit der stoppuhr blut im maschen
gewirk die zaunkönigin trillt

einen tick lauter die
quinten dzirren nach schräg oben
traumfinger atmen

backlash im schuh
mit fehlstellen der arm brennt
nach innen freewheeling

verwischen die dinge
windflüssig between feldselektion
senkrecht tek-tek übereck

 

wach auf youtube
feat. adrienne rich

du loggst dich ein
auf der brust die fontäne
aus gischt und flutwellen
des letzten jahrhunderts

dein bildschirm flackert
noch dort punktuell
weh tun ist eine sache
wach sein die andere

die geister austreiben
in chinesischer übersetzung
fisch fisch peng

glitschige fäden flirren
im zwischenbereich
darauf machen wir musik

 

verliebte autos im wald

wie sie quietschen
wie sie gurren wie sie mit ihren
scheinwerfern blinzeln

wie sie aufeinanderprallen
wie sie mit ihren plastiksitzen schwänzeln
mit ihren plastikantennen tänzeln
wie sie seufzen wie sie stoßen
wie sie ineinanderfallen sich überallhin folgen

wie sie pirouetten drehen wie sie
girlanden aus ihren rücksitzen stülpen
wie sie herzen aus ihren auspuffen blasen

wie sie kichern
wie sie stäuben schweifen pfeifen
wie sie zwitschern

wie sie die hasen die rehe und tafelaufsätze
die ketten aus rehen die goldhirsche

wie sie staksen heulen jaulen juchzen
stöhnen blitzen fauchen feuern

wie sie die pilze das moos
wie sie das gras die kröten das wasser
wie sie das wasser

 

orphea

da war doch was
so ein schimmerdings
geht spazieren im regen das
war aber so nicht gemeint
ein halbmondgott will uns bezirzen

in der u-bahn
das zornige mädchen in schwarz
schreit uns an wegen der hölle
dass wir alle da reinkommn
vielleicht nicht so schlimm sagst du
das geschrei hat gereicht

die saiten fliessen rückwärts
blinken mit ihren tentakeln
und die glücklichen pferde an der wand
haben uns verhext für fremde gezeiten
verlangsamen wir uns

zischen in zeitlupe durch den Hades
ohne uns ist Orphea nicht gefragt
ein ausgedienter musenkuss
und keiner da der ihn spürt
auf den exoplaneten

wir rufen hinauf hinunter
mit unseren fühlfelderfingern
verteil uns verteil uns doch
kunterbunter plunder

 

der weg in die luft
adagio sostenuto

schwebst

am sofa
auf dem stuhl
auf dem teppich

in verschiedenen zimmern

hebst ab

auf sturmböen
im wolkenmeer
am mondrand

so we get lost lost lost

die erde bewegt sich
mit 107.000 std/km

fällst

aufs garagen
dach

 

das allerletzte bild

warten im jenseits
in der hotellobby an der bar
au cœur de la nuit.

ein kurzschlaf spielt
sich innen ab nichts kippt
nach draußen so rutscht
die zeit ganz nahe

der vorhang hebt sich
schattenfinger tasten nach
dir im nachtwald ist es still
es gibt nichts zu tun im schlaf

nur die geometrie verfolgt
dich ein tornado von dreiecken
und die lateinlehrerin als alte frau
du hast immer noch angst
aber die hoffnung

dass sie dich retten
im jenseits dass sie kommen
als freunde und mit dir tanzen
in der hotellobby
an der bar

 

 

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DIE GEIGEN
 

wie sie kommen wie sie vom
halten for the use of those who
see die torten die betörten die
passagiere (wie sie) en passant
die jetzt oder nie tanzkapelle die
wurfstationen die zwischen die
kammerjäger die (ashes to ashes)

die humanoiden die flüchtigen
prière de toucher die luft das luftig
die ohne das leading the way die
schwarzwälderkirsch dandys
baisez moi oder wankelmotor
die geschlossene gesellschaft (im
himmelsdickicht) heute mal wie du

viel mehr die blinden die maul
trommeln die tauben die einzigen
das himmelsfuhrwerk VOLARE
(vom wunschbaum) das wunder
klavier von Tick Trick & Track die
pappeln die bildschirmschoner die
aux cheveux noirs wenn du dich
erinnerst (due volte) im kammer
konzert so happy lamento (sagst
du am Philosophenweg die bäume

entfesseln wie südlich ...) ins freie
gestellt das blätterrauschen das
lippenverblühen die fahrt ins
ungewisse das auffahren (cemetery
of splendor) hinübergefahren die
geigen sind es die geigen sind es
die geigen die