Kultur trotz Corona: Schullektüre und Junges Lesen (3). Von Leander Steinkopf
Die Corona-Krise hat das Sozialleben gerade junger Menschen stark beeinträchtigt. Darüber hinaus wurde ihre Schulbildung ins Digitale verlagert, wo manches auf der Strecke blieb. Gerade in sozialer Isolation kann Literatur eine Stütze sein, die einem hilft mit den Problemen des Lebens klarzukommen. Somit ist es ein guter Zeitpunkt, um sich mit der Frage zu befassen, welche Literatur in der Jugend gebraucht wird – und was Schullektüre leisten könnte. Dazu soll diese Interviewreihe einen Beitrag leisten.
Im Interview: Reinhard Kaiser-Mühlecker (*1982) studierte in Wien und lebt in Eberstalzell in Oberösterreich. Er veröffentlichte viele Romane und Erzählungen, zuletzt Enteignung (2019), und erhielt dafür zahlreiche Preise, etwa den Anton-Wildgans-Preis und das New-York-Stipendium des Deutschen Literaturfonds. Im Frühjahr 2021 erscheint sein neuer Roman Wilderer bei S. Fischer. Zur kürzlich bei Claassen erschienenen Anthologie Neue Schule: Prosa für die nächste Generation hat er die Erzählung „Die Tankstelle“ beigesteuert.
Interviewer: Leander Steinkopf (*1985) lebt nach Stationen in Mannheim, Berlin, Sarajevo und Plovdiv seit einigen Jahren in München. Von ihm erschienen verschiedene Bücher, u.a. der Roman Stadt der Feen und Wünsche bei Hanser Berlin. Er ist Herausgeber der Anthologie Neue Schule: Prosa für die nächste Generation bei Claassen.
Mit der folgenden zehnteiligen Interviewreihe beteiligt sich Leander Steinkopf an der Fortsetzung von „Kultur trotz Corona“, einem Projekt des Literaturportals Bayern zur Unterstützung bayerischer Literaturschaffender. Alle bisherigen Beiträge der Reihe finden Sie HIER.
*
Wie kamst Du zum Schreiben?
Nach der Schulzeit habe ich, anstatt zum Militär zu gehen, Sozialdienst im bolivianischen Tiefland geleistet. Es gab damals noch kein Internet dort, und in der Kleinstadt gab es außer einem „Kino“ – einem Videoverleih mit einem kleinen Fernseher im versifften Hinterzimmer –, ein paar Wirtshäusern und einem See zum Fischen nicht viel, wo oder womit man seine freie Zeit verbringen konnte. Ich habe damals zu lesen begonnen, das Schreiben war eine Folge davon.
Was kann Literatur, was Serien und Filme nicht können?
Ich schaue keine Serien, auch Filme nur selten, unter anderem weil ich dabei das Tempo nicht bestimmen kann. Beim Lesen ist das anders, ich kann innehalten, abschweifen, einen Satz, eine Seite noch einmal lesen usw. Beim Lesen kann ich phantasieren, beim Filmschauen nicht.
Hast Du als Schüler gern gelesen?
Als Kind, ja, später, als man musste, nicht mehr. Ich habe immer verstanden, dass man in der Schule gewisse Dinge tun muss, aber als es ums Lesen ging, hatte ich kein Verständnis dafür. Wenn gesagt wurde, man müsse bis zum nächsten Tag irgendetwas rechnen, war das in Ordnung, eine Aufgabe, aber Lesen, das war doch etwas Höchstpersönliches, Intimes, das keinen etwas anging, ob ich es tat oder nicht? Das konnte, durfte einem doch nicht aufgetragen werden? Da verging mir die Lust am Lesen.
Wenn Du Deutschlehrer wärst, welches Buch würdest Du Deine Schüler lesen lassen? Und warum?
Ich würde sie in eine Bibliothek gehen und selbst etwas finden lassen. Und wenn sie nichts finden würden: auch in Ordnung.
Wurde in Deiner Familie viel gelesen?
Nein. Das Lesen von Romanen galt auch als Zeitvergeudung, würde ich sagen. Es lagen eigentlich immer nur nur die Bezirkszeitung und einige landwirtschaftliche Zeitschriften herum.
Was war die frustrierendste Unterrichtslektüre Deiner Schulzeit?
Von all den frustrierenden (in allen Sprachen, Ausnahme: Latein, mein liebstes Fach) die frustrierendste: Goethes Faust. Sinnlos, das Fünfzehnjährigen zu lesen zu geben.
Was war die schönste Unterrichtslektüre Deiner Schulzeit?
Das Lesen (Übersetzen) der römischen Schriftsteller Ovid, Vergil und Horaz.
Hat Dir Literatur im Leben weitergeholfen?
Ja, und das tut sie immer noch. Sie schenkt mir Zeit und die Weite der Sprache und zeigt mir die anderen Welten und Zeiten.
Reinhard, danke Dir für das Interview!
Kultur trotz Corona: Schullektüre und Junges Lesen (3). Von Leander Steinkopf>
Die Corona-Krise hat das Sozialleben gerade junger Menschen stark beeinträchtigt. Darüber hinaus wurde ihre Schulbildung ins Digitale verlagert, wo manches auf der Strecke blieb. Gerade in sozialer Isolation kann Literatur eine Stütze sein, die einem hilft mit den Problemen des Lebens klarzukommen. Somit ist es ein guter Zeitpunkt, um sich mit der Frage zu befassen, welche Literatur in der Jugend gebraucht wird – und was Schullektüre leisten könnte. Dazu soll diese Interviewreihe einen Beitrag leisten.
Im Interview: Reinhard Kaiser-Mühlecker (*1982) studierte in Wien und lebt in Eberstalzell in Oberösterreich. Er veröffentlichte viele Romane und Erzählungen, zuletzt Enteignung (2019), und erhielt dafür zahlreiche Preise, etwa den Anton-Wildgans-Preis und das New-York-Stipendium des Deutschen Literaturfonds. Im Frühjahr 2021 erscheint sein neuer Roman Wilderer bei S. Fischer. Zur kürzlich bei Claassen erschienenen Anthologie Neue Schule: Prosa für die nächste Generation hat er die Erzählung „Die Tankstelle“ beigesteuert.
Interviewer: Leander Steinkopf (*1985) lebt nach Stationen in Mannheim, Berlin, Sarajevo und Plovdiv seit einigen Jahren in München. Von ihm erschienen verschiedene Bücher, u.a. der Roman Stadt der Feen und Wünsche bei Hanser Berlin. Er ist Herausgeber der Anthologie Neue Schule: Prosa für die nächste Generation bei Claassen.
Mit der folgenden zehnteiligen Interviewreihe beteiligt sich Leander Steinkopf an der Fortsetzung von „Kultur trotz Corona“, einem Projekt des Literaturportals Bayern zur Unterstützung bayerischer Literaturschaffender. Alle bisherigen Beiträge der Reihe finden Sie HIER.
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Wie kamst Du zum Schreiben?
Nach der Schulzeit habe ich, anstatt zum Militär zu gehen, Sozialdienst im bolivianischen Tiefland geleistet. Es gab damals noch kein Internet dort, und in der Kleinstadt gab es außer einem „Kino“ – einem Videoverleih mit einem kleinen Fernseher im versifften Hinterzimmer –, ein paar Wirtshäusern und einem See zum Fischen nicht viel, wo oder womit man seine freie Zeit verbringen konnte. Ich habe damals zu lesen begonnen, das Schreiben war eine Folge davon.
Was kann Literatur, was Serien und Filme nicht können?
Ich schaue keine Serien, auch Filme nur selten, unter anderem weil ich dabei das Tempo nicht bestimmen kann. Beim Lesen ist das anders, ich kann innehalten, abschweifen, einen Satz, eine Seite noch einmal lesen usw. Beim Lesen kann ich phantasieren, beim Filmschauen nicht.
Hast Du als Schüler gern gelesen?
Als Kind, ja, später, als man musste, nicht mehr. Ich habe immer verstanden, dass man in der Schule gewisse Dinge tun muss, aber als es ums Lesen ging, hatte ich kein Verständnis dafür. Wenn gesagt wurde, man müsse bis zum nächsten Tag irgendetwas rechnen, war das in Ordnung, eine Aufgabe, aber Lesen, das war doch etwas Höchstpersönliches, Intimes, das keinen etwas anging, ob ich es tat oder nicht? Das konnte, durfte einem doch nicht aufgetragen werden? Da verging mir die Lust am Lesen.
Wenn Du Deutschlehrer wärst, welches Buch würdest Du Deine Schüler lesen lassen? Und warum?
Ich würde sie in eine Bibliothek gehen und selbst etwas finden lassen. Und wenn sie nichts finden würden: auch in Ordnung.
Wurde in Deiner Familie viel gelesen?
Nein. Das Lesen von Romanen galt auch als Zeitvergeudung, würde ich sagen. Es lagen eigentlich immer nur nur die Bezirkszeitung und einige landwirtschaftliche Zeitschriften herum.
Was war die frustrierendste Unterrichtslektüre Deiner Schulzeit?
Von all den frustrierenden (in allen Sprachen, Ausnahme: Latein, mein liebstes Fach) die frustrierendste: Goethes Faust. Sinnlos, das Fünfzehnjährigen zu lesen zu geben.
Was war die schönste Unterrichtslektüre Deiner Schulzeit?
Das Lesen (Übersetzen) der römischen Schriftsteller Ovid, Vergil und Horaz.
Hat Dir Literatur im Leben weitergeholfen?
Ja, und das tut sie immer noch. Sie schenkt mir Zeit und die Weite der Sprache und zeigt mir die anderen Welten und Zeiten.
Reinhard, danke Dir für das Interview!