Kultur trotz Corona: „Der Blick“. Von Fabian Lenthe
Fabian Lenthe (*1985 in Nürnberg) lebt und arbeitet als Dichter und Schriftsteller in Nürnberg. Seit 2016 veröffentlicht er in diversen Literaturmagazinen und Anthologien. Zu seinen eigenen Gedichtbänden zählen: In den Pfützen der Stadt wächst ein Stück Himmel (2018), Da draußen (2018, mit Ill. von Michael Blümel), a'pnoe (2020, mit Ill. von Michael Blümel) und acedia (2021, mit Bildcollagen von Urs Böke und Cut-ups von Fabian Lenthe). Alle Gedichtbände sind im Verlag Rodneys Underground Press erschienen.
Mit dem folgenden unveröffentlichten Gedichtzyklus beteiligt sich Fabian Lenthe an der Fortsetzung von „Kultur trotz Corona“, einem Projekt des Literaturportals Bayern zur Unterstützung bayerischer Literaturschaffender. Alle bisherigen Beiträge der Reihe finden Sie HIER.
*
Der Blick
1.
Der Blick
Reicht kaum noch zur Decke
Mit etwas Glück
Ein geöffnetes Fenster
Mit etwas Glück
Hört es nie wieder auf zu regnen
2.
Ich stelle alles an seinen Platz zurück
Den Kopf auf die Schultern
Das Glas auf den Tisch
Die Flasche daneben
Ich werde nie da gewesen sein
3.
Gerade als ein Staubkorn
Durch einen Lichtstrahl fiel
Dachte ich an nichts
Und dann daran
Ob ich es jemals wieder sehen würde
4.
Als eine Wolke
Den Ausschnitt meines Sichtfeldes durchquerte
Und die Sonne gerade so stand
Dass sie mich in wenigen Minuten blenden würde
Hatte ich den Tod
Beinahe vergessen
5.
Im Juli zwischen vier und fünf
Bevor der Verkehr das Zwitschern
Und die Sonne durch die Jalousie
Ist auch nichts in Ordnung
6.
Später vergesse ich die Menschen
Die Farbe der Sitzplätze
Ob ich saß oder stand
Wie viel ich für den Fahrschein bezahlt habe
Nur dass ich zurückgekommen bin
Wieder da bin
Wo ich immer bin
Daran werde ich mich erinnern
7.
Die Leuchtkraft der Glühbirne
Hat sich inzwischen halbiert
Außerdem nur Staub
Und spärlich geöffnete Fenster
Umstände
Die sich tatsächlich
Verändern ließen
8.
Das mit den Tulpen
Hatte ich mir noch einmal überlegt
Ihnen die Köpfe abzuschneiden
Wäre für niemanden von Vorteil gewesen
Stattdessen
Biss ich mir auf die Zunge
9.
Das Lächeln der Kassiererin
Bewahrt mich vor Schlimmerem
Zuhause stelle ich Dinge in den Kühlschrank
Die mich am Leben erhalten
Selbstverständlich gibt es Schlimmeres
10.
Der Kirschbaum vor meinem Fenster
Existiert nicht
Selbst die Vögel auf seinen Ästen
Singen keines seiner Lieder
Und auch seine saftigen Früchte
Schmecken nach nichts
Kultur trotz Corona: „Der Blick“. Von Fabian Lenthe>
Fabian Lenthe (*1985 in Nürnberg) lebt und arbeitet als Dichter und Schriftsteller in Nürnberg. Seit 2016 veröffentlicht er in diversen Literaturmagazinen und Anthologien. Zu seinen eigenen Gedichtbänden zählen: In den Pfützen der Stadt wächst ein Stück Himmel (2018), Da draußen (2018, mit Ill. von Michael Blümel), a'pnoe (2020, mit Ill. von Michael Blümel) und acedia (2021, mit Bildcollagen von Urs Böke und Cut-ups von Fabian Lenthe). Alle Gedichtbände sind im Verlag Rodneys Underground Press erschienen.
Mit dem folgenden unveröffentlichten Gedichtzyklus beteiligt sich Fabian Lenthe an der Fortsetzung von „Kultur trotz Corona“, einem Projekt des Literaturportals Bayern zur Unterstützung bayerischer Literaturschaffender. Alle bisherigen Beiträge der Reihe finden Sie HIER.
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Der Blick
1.
Der Blick
Reicht kaum noch zur Decke
Mit etwas Glück
Ein geöffnetes Fenster
Mit etwas Glück
Hört es nie wieder auf zu regnen
2.
Ich stelle alles an seinen Platz zurück
Den Kopf auf die Schultern
Das Glas auf den Tisch
Die Flasche daneben
Ich werde nie da gewesen sein
3.
Gerade als ein Staubkorn
Durch einen Lichtstrahl fiel
Dachte ich an nichts
Und dann daran
Ob ich es jemals wieder sehen würde
4.
Als eine Wolke
Den Ausschnitt meines Sichtfeldes durchquerte
Und die Sonne gerade so stand
Dass sie mich in wenigen Minuten blenden würde
Hatte ich den Tod
Beinahe vergessen
5.
Im Juli zwischen vier und fünf
Bevor der Verkehr das Zwitschern
Und die Sonne durch die Jalousie
Ist auch nichts in Ordnung
6.
Später vergesse ich die Menschen
Die Farbe der Sitzplätze
Ob ich saß oder stand
Wie viel ich für den Fahrschein bezahlt habe
Nur dass ich zurückgekommen bin
Wieder da bin
Wo ich immer bin
Daran werde ich mich erinnern
7.
Die Leuchtkraft der Glühbirne
Hat sich inzwischen halbiert
Außerdem nur Staub
Und spärlich geöffnete Fenster
Umstände
Die sich tatsächlich
Verändern ließen
8.
Das mit den Tulpen
Hatte ich mir noch einmal überlegt
Ihnen die Köpfe abzuschneiden
Wäre für niemanden von Vorteil gewesen
Stattdessen
Biss ich mir auf die Zunge
9.
Das Lächeln der Kassiererin
Bewahrt mich vor Schlimmerem
Zuhause stelle ich Dinge in den Kühlschrank
Die mich am Leben erhalten
Selbstverständlich gibt es Schlimmeres
10.
Der Kirschbaum vor meinem Fenster
Existiert nicht
Selbst die Vögel auf seinen Ästen
Singen keines seiner Lieder
Und auch seine saftigen Früchte
Schmecken nach nichts