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20.03.2013, 18:05 Uhr
Frank Piontek
Jean-Paul-Reihe
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Jean Paul selbst nannte seinen Debütroman eine „geborne Ruine“: Frank Piontek liest „Die unsichtbare Loge“ von Jean Paul, Tag für Tag, von der ersten bis zur letzten Seite, und bloggt darüber.

Logen-Blog [110]: Der Geist weht wieder, wo er will

Jean Paul geleitet mich, sozusagen, in die Stadt, in der er weniger studierte als viel schrieb. Bereits auf dem Lichtenfelser Bahnhof hat eine gütige Hand im Bahnhofscafé einen Spruch des Meisters notiert, freilich in jener abgekürzten Form, wie man sie in den Sprüchesammlungen der alten und neuen Bücher wie der neueren Homepages findet: einen Spruch aus der Levana, in der soviel und so gut von Heiterkeit die Rede ist. Hier aber hat man (genauer: frau, nämlich die Chefin des Etablissements) ihm ein erstes Zitat vorangestellt, das ersichtlich nicht von Jean Paul stammt.

Ich bin gesund in Leipzig angelangt. Jedenfalls fast – Jean Paul selbst wurde in Leipzig nicht krank, jedenfalls nicht geistig. Er durchlitt einige Hungerjahre und schrieb und schrieb und schrieb (an den Grönländischen Prozessen). Er konnte in dieser Zeit bereits den ersten Band der Satirensammlung publizieren – aber nicht verkaufen. Sinnigerweise befindet sich heute dort, wo er Unverkäufliche schrieb, ein Kaufhaus. An die Stelle des Gasthofs Zu den Drei Rosen ist ein Konzern gerückt, dessen Gebäude die ursprüngliche Höhe des Jean-Paul-Domizils weit überragt.

Der Geist weht wieder, wo er will – diesmal weht er mich unter die Arkaden des Alten Rathauses (der buchsuchende Blogger wäre sowieso wieder hingegangen), zum Sächsischen Auktionshaus & Antiquariat, in dem er immer etwas findet. Jean Paul fällt ihm gleich zweimal ins Auge; das Jean Paul Bildbuch von Georg Schneider und Richard Sattelmair, gedruckt im Jahre 1963 und lange schon bekannt, muss und darf in dieser Wagner- und Jean-Paul-Stadt gekauft werden. Die Unsichtbare Loge wird kurz gestreift: „Die unsichtbare Loge und das Leben des vergnügten Schulmeisterleins Wutz im Auenthal entstanden daneben [neben dem Schulunterricht], Parabeln, Preislieder des Armenpädagogen Jean Paul. Pestalozzi im Auenthal! Und die Elementarschule seines Lebens.“ Und später: „In seiner Unsichtbaren Loge ging es chaotisch zu, und ein Drang war in ihm, alles einzubringen, alles anzubringen, die 'abgerissenen Einfälle' wie die Splitter des Steinschleifers, den leuchtenden Staub wie die Sternbilder seiner Träume.“

Würde ein Germanist heute so emphatisch-poetisch über einen „Text“ schreiben, wäre er in der Zunft erledigt – aber man könnte tatsächlich Lust bekommen, den leuchtenden Staub und die Traumsternbilder aufzulesen und zu entschlüsseln. Man könnte tatsächlich, so etwas lesend, Lust bekommen, den „Text“ zu lesen...

In Leipzig sammelte Jean Paul noch, indem er Satire um Satire schrieb. Hanns-Josef Ortheil hat in seiner nicht genug zu lobenden Jean-Paul-Biographie, die er von der Warte eines die Literatur liebenden Kollegen schrieb, nicht zu Unrecht das Gezwungene des Witzes mancher dieser in Leipzig entstandenen Werkchen kritisiert, aber sie mussten geschrieben werden. So wie der junge Richard Wagner in Leipzig erst einmal seine immer viel zu langen Klaviersonaten und Ouvertüren schreiben musste, musste Jean Paul, um zum überragenden Meister zu werden, sich abarbeiten an dem, was hinter sich gebracht werden muss, bevor eine taugliche Reife erlangt werden kann. Es berührt merkwürdig, wenn man bemerkt, dass schon in diesen Werken die Keime des späteren Meistertums liegen; wenn manch unverwechselbare, große Melodie durch das Gewebe fliegt und ein Witz trifft wie kaum ein zweiter. Absolut geniale Frühwerke (wie die Ouvertüre zum Sommernachtstraum, die vom späteren Wahlleipziger Mendelssohn geschrieben wurde) sprechen nicht gegen diese These. Dass Jean Paul sich von den sozialen Äußerlichkeiten (vor allem in Leipzig und Hof) niemals beirren ließ: auch dies verbindet ihn, nebenbei, mit Wagner, der so unbedingt vorging wie manch jeanpaulscher Held.

Mein Logis ist in dem Gasthof zu den drei Rosen in der Petersstrasse, zwei Treppen, No. 6.

Die Stadt ist schön, wenn man eine Stadt schön nennet, die große Häuser und lange Gassen hat – für mich ist sie noch einförmig.

Weiß man in Jean Pauls Studienstadt, in die er später zurückkehrte, dass der Dichter am nächsten Tag seinen 250. Geburtstag feiern wird? Es ist nicht wichtig, solange man ihn in die Ausstellung nimmt, und solange man Bücher über ihn in der Grabbelkiste des hochlöblichen Sächsischen Auktionshauses und Antiquariats entdeckt.

Jean Paul sollte wiederkommen; er sollte wieder Quartier nehmen in der Stadt mit den langen Gassen. 1797 – da war er schon und noch ein umschwärmter Mann von 34 und kurzfristig verlobt mit Emilie von Berlepsch – zieht er im Herbst an die Pleisse: zunächst wieder in die Petersstraße, zum Kunsthändler Pfarr, in das Hohenthalsche Haus, auch Hohmanns Hof genannt. Auch die Petersstraße 15 hat ihre Gestalt völlig gewandelt: an die Stelle des schönen Bürgerhauses hat man den Messehof gesetzt, gleich hinter dem Kaufhaus, das sich an der Ecke hochwuchtet, von der aus man zur Thomaskirche hinüber schauen kann.

Jean Paul hatte es von hier aus nicht weit zum Markt. Dann zog er, im April 1798, zum Nikolaikirchhof, zum Buchhändler Rüger. Er hat sich inzwischen von der Berlepsch getrennt; es gab üble Szenen, er ist froh, dem Chaos entflohen zu sein. Hier, am Nikolaikirchhof, trifft ihn der Theologe Johann Friedrich Abegg – war er verwandt mit Meta Abegg, der der Jean-Paul-Liebhaber und Wahlleipziger später sein Opus 1, die Abegg-Variationen widmet?

 

Blumenstück á la Schumann

Dass Robert Schumann soviel mit Jean Paul zu tun hat: man weiß es nicht erst seit den Erkundungen Manfred Egers, des ersten Leiters des Bayreuther Jean-Paul-Museums. Schumann ist ohne den Dichter nicht zu haben. Er hat es selbst bestätigt; kein Wunder, dass er eigens nach Bayreuth reiste, um zwischen Grab und Gaststätte auf den Spuren des verehrten Dichters zu wandeln. Es gab hier eine tiefe, die Gründe seiner eigenen Kunst berührende Beziehung zum Bayreuther Dichter, dessen Doppelgängerproblematik in Schumanns Kunstfiguren Eusebius und Florestan wiederauferstand. „Ich ahnte ihn früher“, schreibt er, der sich in Jean Pauls „dunklen Geistertönen“ auskannte, bevor er ihnen selbst erlag.

Mein Logis, mit seinen hohen Stuben, hohen Fenstern, herrlichem Ofen und mit seinem neuen Ammeublement (die Kommode ist besser als alles was ich hineinlege) und mit seiner Hausherrschaft und mit der gefälligsten Köchin (die immer neben mir in der Küche ist und die für 2 Reichstaler vierteljährlich alles besorgt).

„Nun gingen wir zu Jean Paul, er wohnt im dritten Stock, und sein Arbeitszimmer sieht sehr einfach aus. Gegen das eine Fenster ist ein langer Tisch gestellt; zur Rechten hat er ein Gestell mit Brettern, auf welchen von oben bis unten Mappen, als wäre er ein Advokat, liegen. Seine Bibliothek ist sehr schwach, diese steht gleich an der Türe und ist nicht gehörig geordnet“, schrieb Abegg am 6. Mai 1798.

„Die Eumeniden kenn' ich, 2 Studenten haben sie gemacht: Selber die Schlegel missbilligen sie“, schrieb Jean Paul im Jahre 1801. Einer der Studenten hieß Adolf Wagner, war der Onkel Richards, war ein hochbegabter Philologe und Erzieher seines höchstbegabten Schützlings. Jean Paul, der Wagner schon deshalb kannte, weil die Schwester seiner Frau mit ihm verbandelt war, wird gewusst haben, dass Wagner in diesem Haus, dem Thomäischen oder Königshaus, am Markt No. 17 in Leipzig wohnte. (Fotos: Frank Piontek, 20.3. 2013)