Sandra Hoffmann ist: DRAUSSEN (27). Und lässt sich für den köstlichsten Apfel der Welt täglich verzaubern

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Alle Bilder (c) Sandra Hoffmann

Sandra Hoffmann schreibt Romane, Erzählungen und heimlich Gedichte. Sie unterrichtet kreatives und literarisches Schreiben u.a. am Literaturhaus München und an Universitäten. Außerdem schreibt sie für das Radio und für Zeitungen. Sie lebt in München und Niederbayern, wo sie derzeit viel Zeit in der Natur verbringt. Für ihr literarisches Werk wurde sie vielfach ausgezeichnet; zuletzt erhielt sie für den Roman Paula das Literaturstipendium des Freistaats Bayern und den Hans-Fallada-Preis. 2019 erschien mit Das Leben spielt hier ihr erstes Jugendbuch. Für ein derzeit entstehendes Romanprojekt bekam sie 2020 das Münchner Arbeitsstipendium.

Über einen längeren Zeitraum schreibt Sandra Hoffmann für das Literaturportal Bayern eine Kolumne: DRAUSSEN. Ein Album. Darin schildert sie, was sie auf dem Land und seiner Natur erlebt, ob sie nun Rehe und Fasane beobachtet oder zum Essen aufsammelt, was sie vor sich auf dem Boden findet. Vor allem aber geht es um das Gehen selbst und die Gedankengänge dabei, um ein Flanieren zwischen Bäumen, das Blaue vom Himmel über den Wipfeln.

Die Corona-Zeit ist eine Zeit der Einschränkungen, oft der Einsamkeit. Aber an ihr können sich auch die Sinne schärfen. Der besondere Geschmack schrundigen Gemüses, die bangende Pflege eines Quittenbaums. Das ist nichts Geringes. In einer Gegenwart, die uns die Folgen des langen menschlichen Raubbaus an der Natur immer drastischer vor Augen führt, sind darin wesentliche gesellschaftspolitische Fragen angelegt. Die Literatur verfolgt sie seit einiger Zeit mit einer auffallenden Renaissance des Nature Writing, bei Sandra Hoffmann in Form einer Schule der Wahrnehmung: Da DRAUSSEN gibt es etwas zu sehen, zu spüren, zu holen und zu schützen.

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27

Ich liebe Äpfel. Schon immer. In meiner Kindheit fand ich die Äpfel am besten, die ich auf Streuobstwiesen selbst von Bäumen geerntet habe und gegessen, ungewaschen. Es waren meist welche der Sorte Jakob Fischer. Oder die, die ich bei meiner Großmutter väterlicherseits selbst vom Baum pflücken durfte, es war eine frühe Sorte, hellgrün, fast lind, wie der Frühling.

Und oft in vielen letzten Jahren habe ich mich gefragt, wo bekomme ich Äpfel her, die mir sehr gut schmecken, so eben, wie ich finde, dass Äpfel schmecken sollten: süß und säuerlich zugleich, und in der Konsistenz müssen sie fest und dicht sein, saftig und gerne mit etwas rauer Schale.

Letztes Jahr schließlich habe ich so einen Apfel gefunden. Ich darf ihn selbst ernten. Draußen auf dem Land, in Niederbayern, unweit von Straubing, unweit des Hauses, in dem ich viel Zeit zum Arbeiten verbringe, gibt es Frau W., die zusammen mit ihrem Mann, Herrn W., einen Gemüse-Obst-Biohof betreibt. Ihr Mann hat vor einigen Jahren eine kleine Apfelplantage angelegt. Viele verschiedene Apfelsorten hat er angepflanzt. Viele rote, sehr rote, solche, die auch im Märchen vorkommen, solche, die man dem Pferd vom Nikolaus vor die Haustüre legt, solche, die der Nikolaus dann wieder ins Säckchen steckt. Herr W. ist leider inzwischen gestorben. Von den meisten Äpfeln sind Frau W. die Namen bekannt. Nicht von meinem Apfel.

Ich finde das auch nicht so wichtig. Und es ist ein bisschen egal aus dem guten Grund: Niemand will ihn gerne haben.

Denn dieser Apfel, den ich so sehr gerne esse, sammelt auf seiner etwas rauen Schale alle, bestimmt gar alle Schmutzpartikel, die in der Luft herumschwirren. Und also ist er im Herbst der scheinbar unansehnlichste Apfel der ganzen Plantage.

Neulich als ich da war, waren fast alle Äpfel abgeerntet, das wusste ich auch schon, nur nicht jener, den ich so besonders liebe.

Sie schauen nicht gut aus, sagte mir Frau W., als wir zu den Bäumen stapften.

Und tatsächlich trugen meine Lieblingsäpfel – vermutlich vom vielen Regen in diesem Jahr – einen besonders dicken grauen Schmutzfilm. Oder Schutzfilm?

Macht nichts, sagte ich. Und ich ernte alle ab: Zwei Kisten waren es.

Sie bekommen sie günstiger, sagte Frau W. –

Ich fand das eigentlich nicht nötig, aber klar, ich nahm sie auch günstiger.

Zuhause begann ich mit der Gemüsebürste den Apfel abzureiben. Und heraus kam natürlich: Schönheit. Und der köstlichste Apfel der Welt.

Das ist nun jeden Morgen so, wenn ich mein Müsli mache. Und eigentlich gefällt mir alleine schon dieser Vorgang der täglichen Verzauberung.

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