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15.09.2021, 11:28 Uhr
Tamara Bach
Text & Debatte
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© Internationale Jugendbibliothek

Dankesrede von Tamara Bach zur Verleihung des James Krüss Preises 2021

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V.l.n.r.: Torben Liebau (Vertreter der James Krüss Erbengemeinschaft), Tamara Bach (Preisträgerin) und Dr. Christiane Raabe (Direktorin der Internationalen Jugendbibliothek) © Internationale Jugendbibliothek

Am 2. September wurde der James Krüss Preis an die Kinder- und Jugendbuchautorin Tamara Bach für ihr literarisches Werk verliehen. Die Verleihung - pandemiebedingt von Juni auf September verschoben - fand auf Schloss Blutenburg als Open Air-Veranstaltung statt. Tamara Bachs Dankesrede veröffentlichen wir mit freundlicher Genehmigung der Autorin hier.

*

Liebeslied

Ich will dir singen. Ich will dich singen. Du dir dich deiner. Ein Lied, das ich erst erfinden muss.

Und ich kann keine Lieder schreiben, aber ich will von dir erzählen.

Du dir dein. Mein. Sprachschatz du. Meine weiten Wortfelder. Mein Reichtum an Begrifflichkeiten, Umschreibungen und Übertreibungen, du du, nur du allein.

Meine Wortschätzchen, die ich gesucht, gefunden.

Das Kind, wie es im Wagen gesessen hat damals, vorne die Eltern, die sich unterhielten, auf Verkehr achteten. Und hinten schaute es aus dem Fenster, ohne Gurt, es war vielleicht Winter und im Radio kam ein Lied, und das Kind hatte ein Gefühl. Das Lied im Radio wusste das. Wie ist das, wenn es sich wie Heimweh anfühlt, und es ist aber kein Heimweh, wollte es fragen, aber die Eltern mussten an einer Ampel halten und weiter am Straßenverkehr teilnehmen.

Wollte fragen, wie nennt man das, wenn es sich so anfühlt, das ist wie traurig, aber nicht Traurigkeit?

Nicht jetzt, Mara, hat vielleicht Mama, vielleicht Papa gesagt, und das Kind war da auf der Rückbank mit dem Blick aus dem Fenster und einem Gefühl, das keinen Namen hatte.

Aber es gibt doch für alles ein Wort, einen Namen. Und Kleinode gibt es.

Das Küchenmesser, das kleine scharfe, das Äpfel zerteilt, die Enden von Karotten abknippt, das heißt bei uns Kneipchen. Mein Vater Hesse, meine Mutter Ostwestfälin, das Wort war einfach nur da und gehörte uns. Zur Wolldecke, die man sich auf dem Sofa über die Beine legt, unter der meine Großmutter nachmittags nur kurz die Augen ausruhte und nicht schlief, die Decke nannte sie Colder. Als wir weiter nach Süden zogen, hieß sie plötzlich Kult. Die Weinberge waren Wingert, Kartoffeln Grumbeeren und Stechmücken Bothemmel.

Mein anderer Großvater sprach Ostwestfälisches Platt ohne Zähne, die zog er nur zum Essen an, und als er fragte „wat is de Clock“ antwortete ich „kurz vor 12“. Meine Mutter wunderte sich.

Ich sitze hier, und an der Tür in das fremde Haus, in das wir uns eingemietet haben, steht unten dran „Ja, oder Nein, oder Kartoffeln“.

Wir lachen darüber. Wir wundern uns. Wir versuchen es zu verstehen. Als wir mittags Pellkartoffeln kochen, der Topf ist voll und groß, wir sind zu fünft, der Herd ist alt und langsam, und jedes Mal wenn eine ins Haus geht, soll sie mal in die Kartoffeln pieken. Wir sagen, dass das, was da an der Tür steht, für diesen Moment geschrieben wurde. Als Warnung. Als Erinnerung. Vielleicht sind wir in der Zeit zurück gereist und haben uns diese Nachricht hinterlassen. Vielleicht ging es auch um was ganz anderes. Ja, oder nein, oder Kartoffeln.

Dich.

Du

dein

Wie sagt ihr daheim denn zum Endstück des Brotes, hab ich meine Student*innen gefragt, und jede hatte eine andere Antwort.

Bei jedem neuen Wort gehen Augenbrauen nach oben, wird gekichert, „echt, so sagt ihr dazu?“ und wir versuchen zu verstehen.

Das ist nicht die Appel Apfel Grenze. Hier sagt man Knerzje, da sagt man das nicht mehr sondern Knust, Kanten, Ranfterl.

Du.

Gibt es ein Ding, wenn es kein Wort dafür gibt?

Wenn es in einem Land kein Wort für Unkraut gibt, dann sagt es mir was über das Land und die Menschen in ihm. Nicht über die Pflanze selbst.

Wenn es im Deutschen so viele Fragewörter gibt, die genau das selbe bedeuten, die fragen Wieso weshalb warum. Sind wir nicht das Land der Dichter und Denker, sondern das Land der der-Sache-auf-den-Grund-Gehenden.

Oder was.

Wie jetzt.

 

Ich will verstehen können. Verstehst du? Use your words. Sag mir nicht, dass es dafür keine Wörter gibt, dass etwas unbeschreiblich ist, dann erfinde neue Wörter, dann umschreibe es. Und sag mir, wie fühlt es sich an, und dann sag mir, wenn das Gefühl ein Land wäre, wenn es eine Farbe wäre, wenn man es auf der Zunge schmecken würde, wäre es süß, salzig, würde es bitzeln oder bleibt es lange, im Mund, im Rachen, hinter den Zähnen.

Mach dich verständlich.

Ich will den Menschen gratulieren, die sich bei Sprache bedienen wie im Gewürzregal und nicht nach Rezept kochen. Ich feiere das, ich feiere dich! Dass ich sagen kann „das geht sich nicht aus“ aber auch auf Danke „da nich für“ antworte, dabei komme ich weder aus Hamburg, noch aus Österreich. Aber schön ist das und mich versteht ja auch jeder. Ich will Sprachgrenzen verwischen, dass alles hübsch pastellig aquarell wird, als wär’s ein großer Sonnenuntergangshimmel in Öl, da weiß man nicht mehr wo was anfängt, und wo es aufhört. Das ist dann eine Melodie, und die klingt gut und alle verstehen sie.

Etymologie. Philologie. Die Liebe zur Sprache. Philologin sein. Sprachliebhaberin. Sprache liebhaben, so lieb hab ich dich.

Aber es geht doch um die Wissenschaft. Und nicht um Liebe. Als würden Herz und Kopf sich gegenseitig ausschließen, ausmerzen. Du.

Du bist in Kopf und Bauch und Mund und Ohr und Herz, zwischen ihr und ihm und mir. Du bist doch mehr als nur eine Ansammlung von Worten und das, nicht nur Vokabular in Grammatik, bist Syntax und Semantik und Morphologie. Du, weißt du, dass man mit dir Musik machen kann, dass du nicht nur Text bist aus Sätzen und Absätzen. Du bist Klang und Bilder, du bist das zwischen den Zeilen. Du Subtext du.

Ich will der Sprache einen Liebesbrief schreiben. Ich will dir Lieder singen und spielen. Ich will dich tanzen. Das ist ein Liebesbrief, ein Lied, eine Feierlichkeit. Eine reine Freude ist das.

Ich feiere die, die mir neue Worte beibringen, die mit mir Sprachmusik machen. Die verstehen, dass Sprache Liebe ist und Politik, und Herz und Kopf und was man so Brücke nennt. Und die verstehen, dass Sprache sich bewegt, verändert, dass wir manchmal neue Wörter brauchen und alte aussortieren können und müssen. Weil es sie nicht mehr braucht. Dass sie sich immer wieder neu schöpft und neu erfindet und Altes auskramt und neu auflegt und alten Begriffen neue Bedeutung beifügt und Neues sucht um immer wieder das alles hier zu begreifen. Sinn zu stiften.

Ich will dich verstehen.

Ich sitze zwischen brummenden Insekten und Vögeln auf Bäumen, Sommergeräusch, aber keine Sprache und doch Sprache, aber nicht meine, aber doch meine Lieblingssprache, weil es Sommersprache ist, weil es das Zurücklehnen und lauschen ist, das Augenschließen und Brummen der Hummeln, das Zirpen der Grillen. Wie die Gräser rauschen, der Wind, wie sich sonnenwarmer Beton anhört, und da wird aus Geräusch Musik und ich höre es und leg es in die Worte, damit man hört wie leis’ das ganz ferne Auto auf der brandenburgischen Dorfstraße im Vergleich zum Piepen des Vogels, den ich nicht am Gesang erkenne, ist.

Und ich frage mich, ob es etwas zwischen Dur und Moll gibt. Dur dich dein.

Du bist das Lied, das ich dir singe. Ich feier dich.

 

Copyright: Tamara Bach