Grabrede auf den Dichter SAID (1947-2021)
Am 15. Mai 2021 starb in München der aus Teheran stammende Schriftsteller SAID. SAID kam 1965 als Student in die bayerische Landeshauptstadt. Nach dem Sturz des Schah 1979 kehrte er wieder zurück in seine iranische Heimat, sah aber unter dem Regime der Mullahs keine Möglichkeit zu bleiben. Seither lebte er in München – als deutschsprachiger und mehrfach ausgezeichneter Dichter aus dem Iran. Gestern war SAIDs Beisetzung auf dem Ostfriedhof. Eine der Grabreden hielt der Journalist Carl Wilhelm Macke, der für die erkrankte Gunna Wendt einsprang und ihren Text in der Aussegnungshalle vortrug. Wir drucken sie hier mit freundlicher Genehmigung der Autorin ab.
*
Lieber SAID,
es ist noch nicht lange her, dass Du mir in einer Mail geschrieben hast: „ich habe mit franz ausgemacht, daß wir zu dritt essen gehen, sobald madame corona es zuläßt.“ Eine schöne Zukunftsperspektive – wir brauchten nur noch etwas Geduld – dachten wir.
Wie so oft hattest Du Deiner Mail einen Text beigefügt, diesmal
der blinde geiger von teheran, in dem es heißt:
ein blinder geiger erschien und spielte für die liebenden.
– ich bin nicht die wirklichkeit, aber meine musik.
er verstaute seine geige in den kasten und fügte hinzu.
– vielleicht.
Ich möchte Deinen Satz ich bin nicht die wirklichkeit, aber meine musik etwas abändern: „Ich bin nicht die Wirklichkeit, aber meine Lyrik.“ Sie war Deine Reaktion auf die Wirklichkeit, mit der Du konfrontiert wurdest, als Du vor vielen vielen Jahren aus dem Iran nach Deutschland kamst. Deine poetische Stimme war von Anfang an deutsch. „Die Sprache, die ich atme, ist Deutsch“ – so hast Du Dein Verhältnis zur deutschen Sprache charakterisiert. Atem ist Wirklichkeit, Atem ist Leben.
Deine Literatur verbindet Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Du selbst hast sie als Erinnerung, Vorausblick und Kommentar betrachtet. Das beinhaltete für Dich zwangsläufig auch politisches Engagement.
Meine Begegnung mit Deinem Werk fand in den 1980er-Jahren statt: 1981 war Dein erstes Buch erschienen: liebesgedichte. Deine Lyrik hat mich von Anfang an stark berührt – der Ton und die Themen: die besondere Verbindung Deiner großen Lebensthemen Liebe, Flucht, Exil, Sprache. Eine solche Direktheit, Klarheit und gleichzeitige schwärmerische Anrufung kannte ich eigentlich nur von Rilke und Joseph Brodsky.
Rilke war eins unserer Themen – irgendwann kamen wir immer auf ihn. Sogar als wir zusammen mit Konstantin Wecker Euren 70. Geburtstag bei Franz Klug in der Buchhandlung feierten. Nur fünf Tage lagen Eure Geburtstage auseinander, Du bestandst darauf, der Ältere zu sein. Doch es war nicht nur die Liebe zu Rilke, die Euch miteinander verband, wie Ihr mir beide erzählt habt.
Als ich Dir begeistert mitteilte, dass mein Buch über Lou Andreas-Salomé und Rilke eine weitere Auflage erhielt, beantwortetest Du meine Mail mit einem einzigen Wort: Hurrrrrrraaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaa!
Ich hab nachgezählt: 28 mal a!
Und Du hattest der Mail Deine pilgerfahrt zu rilke beigefügt. Darin schilderst Du, wie Du im Zug nach Triest, Schloss Duino in der Nähe wissend, im Halbschlaf Rilkes Duineser Elegien aufsagst:
ich habe die duineser elegien in mir; ich brauche nur die augen zu schließen und sie einzeln aus dem gedächtnis abzurufen.
ich öffne die augen und bin beglückt über diese fähigkeit:
endlich, ich brauche keine bücher.
Darum habe ich Dich beneidet: Welche Freiheit, so mit Literatur zu leben! Und immer war der Tod in der Nähe, so auch im Garten von Schloss Duino, als Du vergeblich versuchtest, das Schloss zu betreten.
ich frage mich, mit welchem paß ist rilke gestorben?
in münchen dann schlage ich nach und erfahre, daß rilke sich zufällig in deutschland befand, als der krieg ausbrach. der gebürtige prager wurde über nacht staatenlos. fortan hatte er schwierigkeiten, für das ausland ein visum zu bekommen; dann kam der tschechische paß. doch rilke betrat nie das land, dessen staatsbürgerschaft er erlangt hatte; bis zu seinem tod in der schweiz.
„rose, oh reiner widerspruch, lust
niemandes schlaf zu sein unter soviel lidern“.
dorthin gehe ich eines tages; dann kann er meinen besuch nicht mehr verweigern.
Das wird er bestimmt nicht tun, lieber SAID, sondern seinen Bruder herzlich willkommen heißen.
Gunna Wendt, 26. Juli 2021
Grabrede auf den Dichter SAID (1947-2021)>
Am 15. Mai 2021 starb in München der aus Teheran stammende Schriftsteller SAID. SAID kam 1965 als Student in die bayerische Landeshauptstadt. Nach dem Sturz des Schah 1979 kehrte er wieder zurück in seine iranische Heimat, sah aber unter dem Regime der Mullahs keine Möglichkeit zu bleiben. Seither lebte er in München – als deutschsprachiger und mehrfach ausgezeichneter Dichter aus dem Iran. Gestern war SAIDs Beisetzung auf dem Ostfriedhof. Eine der Grabreden hielt der Journalist Carl Wilhelm Macke, der für die erkrankte Gunna Wendt einsprang und ihren Text in der Aussegnungshalle vortrug. Wir drucken sie hier mit freundlicher Genehmigung der Autorin ab.
*
Lieber SAID,
es ist noch nicht lange her, dass Du mir in einer Mail geschrieben hast: „ich habe mit franz ausgemacht, daß wir zu dritt essen gehen, sobald madame corona es zuläßt.“ Eine schöne Zukunftsperspektive – wir brauchten nur noch etwas Geduld – dachten wir.
Wie so oft hattest Du Deiner Mail einen Text beigefügt, diesmal
der blinde geiger von teheran, in dem es heißt:
ein blinder geiger erschien und spielte für die liebenden.
– ich bin nicht die wirklichkeit, aber meine musik.
er verstaute seine geige in den kasten und fügte hinzu.
– vielleicht.
Ich möchte Deinen Satz ich bin nicht die wirklichkeit, aber meine musik etwas abändern: „Ich bin nicht die Wirklichkeit, aber meine Lyrik.“ Sie war Deine Reaktion auf die Wirklichkeit, mit der Du konfrontiert wurdest, als Du vor vielen vielen Jahren aus dem Iran nach Deutschland kamst. Deine poetische Stimme war von Anfang an deutsch. „Die Sprache, die ich atme, ist Deutsch“ – so hast Du Dein Verhältnis zur deutschen Sprache charakterisiert. Atem ist Wirklichkeit, Atem ist Leben.
Deine Literatur verbindet Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Du selbst hast sie als Erinnerung, Vorausblick und Kommentar betrachtet. Das beinhaltete für Dich zwangsläufig auch politisches Engagement.
Meine Begegnung mit Deinem Werk fand in den 1980er-Jahren statt: 1981 war Dein erstes Buch erschienen: liebesgedichte. Deine Lyrik hat mich von Anfang an stark berührt – der Ton und die Themen: die besondere Verbindung Deiner großen Lebensthemen Liebe, Flucht, Exil, Sprache. Eine solche Direktheit, Klarheit und gleichzeitige schwärmerische Anrufung kannte ich eigentlich nur von Rilke und Joseph Brodsky.
Rilke war eins unserer Themen – irgendwann kamen wir immer auf ihn. Sogar als wir zusammen mit Konstantin Wecker Euren 70. Geburtstag bei Franz Klug in der Buchhandlung feierten. Nur fünf Tage lagen Eure Geburtstage auseinander, Du bestandst darauf, der Ältere zu sein. Doch es war nicht nur die Liebe zu Rilke, die Euch miteinander verband, wie Ihr mir beide erzählt habt.
Als ich Dir begeistert mitteilte, dass mein Buch über Lou Andreas-Salomé und Rilke eine weitere Auflage erhielt, beantwortetest Du meine Mail mit einem einzigen Wort: Hurrrrrrraaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaa!
Ich hab nachgezählt: 28 mal a!
Und Du hattest der Mail Deine pilgerfahrt zu rilke beigefügt. Darin schilderst Du, wie Du im Zug nach Triest, Schloss Duino in der Nähe wissend, im Halbschlaf Rilkes Duineser Elegien aufsagst:
ich habe die duineser elegien in mir; ich brauche nur die augen zu schließen und sie einzeln aus dem gedächtnis abzurufen.
ich öffne die augen und bin beglückt über diese fähigkeit:
endlich, ich brauche keine bücher.
Darum habe ich Dich beneidet: Welche Freiheit, so mit Literatur zu leben! Und immer war der Tod in der Nähe, so auch im Garten von Schloss Duino, als Du vergeblich versuchtest, das Schloss zu betreten.
ich frage mich, mit welchem paß ist rilke gestorben?
in münchen dann schlage ich nach und erfahre, daß rilke sich zufällig in deutschland befand, als der krieg ausbrach. der gebürtige prager wurde über nacht staatenlos. fortan hatte er schwierigkeiten, für das ausland ein visum zu bekommen; dann kam der tschechische paß. doch rilke betrat nie das land, dessen staatsbürgerschaft er erlangt hatte; bis zu seinem tod in der schweiz.
„rose, oh reiner widerspruch, lust
niemandes schlaf zu sein unter soviel lidern“.
dorthin gehe ich eines tages; dann kann er meinen besuch nicht mehr verweigern.
Das wird er bestimmt nicht tun, lieber SAID, sondern seinen Bruder herzlich willkommen heißen.
Gunna Wendt, 26. Juli 2021