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12.05.2021, 01:40 Uhr
Bernhard M. Baron
Text & Debatte
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Foto: Reinhold Willfurth

Joseph Beuys und Weiden. Anmerkungen zum 100. Geburtstag des Aktionskünstlers

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Joseph Beuys beim Signieren des Blattes "Wandernde Kiste Nr. 3". Foto: Ende 1980 von Herlt (c) Kunstverein Weiden (Wolfgang Herzer)

Heute, am 12. Mai 2021, wäre Joseph Beuys 100 Jahre alt geworden. Der in Krefeld geborene und in Düsseldorf verstorbene Aktionskünstler, Bildhauer, Zeichner und Professor an der Kunstakademie Düsseldorf gilt bis heute als Revolutionär der Kunst und Figur der Popkultur mit Hut und Weste, der gleichermaßen polarisiert wie fasziniert. Der ehemalige Kulturamtsleiter von Weiden Bernhard M. Baron hat sich anlässlich des Jubiläums Gedanken über Beuys’ Nachhall in Bayern gemacht.

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Joseph Beuys (1921-1986) war nicht nur für seine gesellschaftspolitischen Objekte, Aktionen, Zeichnungen und Traktate berühmt. Man kennt den von ihm gebildeten Merksatz „Jeder Mensch ist ein Künstler“ – entlehnt dem Satz „Jeder Mensch kann ein Künstler sein“ aus Novalis' Fragment Glauben und Liebe von 1798 (39. Kapitel „Der Fürst als Künstler der Künstler“, 2. Satz). Joseph Beuys schuf ein Bewusstsein für die eigene schöpferische Kraft, welche im eigenen Denken begründet liegt. Seiner Vorstellung nach ist jeder Mensch zur Kreativität befähigt, denn jeder Mensch besitzt ihm gemäße schöpferische, die Welt bestimmende Fähigkeiten: „Das Schöpferische erkläre ich als das Künstlerische, und das ist mein Kunstbegriff“, so der Aktionskünstler.  

Anlässlich der Wiederkehr des 100. Geburtstags von Joseph Beuys am 12. Mai geht mein Blick in die bayerische Stadt Weiden i.d. OPf.

Es war wohl in erster Linie seine Künstlerfreundschaft mit dem seit 1950 dort ansässigen und als HNO-Arzt wirkenden Dr. Friedrich Herlt (1914-2010), die ihn mit Weiden in Verbindung brachte. Der aus Nordmähren stammende, selbst malende Medicus und Kunstsammler, verheiratet mit der Katalanin Maria Pilar und eigenem Atelierhaus in Spanien, hatte seine erste Begegnung mit Joseph Beuys 1968 bei der Eröffnung der Künstlerbund-Ausstellung in Nürnberg. Weitere persönliche Begegnungen erfolgten bei den documenta-Ausstellungen in Kassel, wo beide – der Professor und der Mediziner – intensive Gespräche führten. Dr. Friedrich Herlt war gleichzeitig künstlerischer Leiter des „Ärzte-Sammlerkreises“. Er, der bereits mehrere Zeichnungen von Joseph Beuys erworben hatte, erhielt eine persönliche Einladung zu einer Besprechung in dessen Atelier nach Düsseldorf, wo der Künstler dem Arzt die Mitarbeit an der Druckfertigung von Grafiken anbot. Diese Entwicklung der Beuys’schen Wünsche und Anforderungen zog sich über Jahre hinweg. Das Ergebnis ist eine stimmige Synthese seines Werkes mit der Drucktechnik.

Zahlreiche Werke schenkte Joseph Beuys seinem Anreger und Gesprächspartner Dr. Friedrich Herlt, zum Teil mit persönlichen Widmungen für seine anhaltend idealistische und vertrauensvolle Mitarbeit. Selbst Mitglied in der „Münchner Künstlergenossenschaft“, beteiligte dieser sich mit eigenen künstlerischen Arbeiten unter dem Pseudonym „Medina“ erfolgreich an internationalen Ausstellungen. Die beiden ehemaligen Kriegsteilnehmer führten ebenso intensive Gespräche über die Gräuel des Zweiten Weltkriegs, die beide an der Ostfront erlebt hatten. Darüber hinaus berichtete der kriegsfreiwillige Luftwaffen-Stuka-Flieger Joseph Beuys von seinem technischen Flugaufenthalt, vermutlich Sommer 1942, auf dem seit 1936/37 errichteten „Feldflugplatz Maierhof“ bei Ullersricht, seit 1978 auch Stadtteil von Weiden. Der Deutschen Luftwaffe diente der militärische Feldflugplatz in der sog. „Bayerischen Ostmark“ als Etappenstützpunkt und Ausbildungsstätte, als „Flugzeugführerschule A/B 121 und Blindflugschule“ bis 17. Januar 1945.

Dr. Friedrich Herlt mit dem Eisenguß-Dreifuß. Foto: Dr. Gertrud Kretzschmar 2006 (c) Kunstverein Weiden (Wolfgang Herzer)

Joseph Beuys war nach eigenen Aussagen von der Weidener Umgebung inspiriert: Eine geheimnisvoll anmutende Beobachtung vom Hang des nahen Fichtenbühls, eine alle paar Stunden über der unweit gelegenen Porzellanfabrik Gebr. Bauscher aufsteigende weiße Wolke faszinierten ihn ungemein. Angeblich hat er seinen Aussichtspunkt immer zu festen Zeiten aufgesucht, um dieser mystischen Wolke nachzuschauen. Leider ist uns nicht bekannt, was der spätere FLUXUS- und documenta-Aktionist hier am Ortsrand von Weiden gezeichnet hat – und er zeichnete in jenen Jahren viel –, da bei etlichen seiner damaligen „Flugplatz“-Zeichnungen Orts- und Zeitangaben fehlen.

Der Doyen der Gegenwartskunst nutzte aber auch die Gelegenheit, den Doktor in den 1980er-Jahren persönlich in Weiden zu treffen, wohl auch, um seine Wirkungsstätte der 1940er-Jahre weitere Male aufzusuchen. So vermittelte Dr. Herlt, der mittlerweile zum wichtigen Kunst-Impulsgeber im Weidener Kulturleben geworden war, im Jahre 1985 eine von Beuys skizzierte Objektidee – vermutlich dem keltischen Kultkreis entstammend, mitsamt vier Notenblättern, einem bronzenen hirschfüßigen Dreifuß (90 cm hoch) und einem Tischgefäß (30 cm hoch) – an den aus Böhmen stammenden, mehrfach ausgezeichneten Weidener Bildhauer Günter Mauermann (Jg. 1938). Die Fertigstellung des geschaffenen Gussmodells bei der Glocken- und Kunstgießerei GmbH Straubing erlebte Joseph Beuys allerdings nicht mehr, so dass das gegossene Objekt vom Ideengeber nicht per Signatur autorisiert werden konnte.

Zwischen Herlt und Beuys entspannen sich zudem medizinische Fachgespräche ob den erlittenen Kriegsverletzungen, unter denen Beuys litt. Herlt blieb ihm bis zuletzt ein medizinischer Berater. Beuys’ Röntgenbilder lagen eines Tages bereit. Herlts mehrfach wiederholte Hinweise, einen Lungenspezialisten und -chirurgen der Oberpfälzer Lungenheilstätte Wöllershof zu konsultieren, kamen jedoch zu spät. „Beuys“, so dessen Ehefrau Eva, sei „sein Leben lang gestorben.“ Für den Weidener Arzt, Künstler und Kunstsammler war er entsprechend „ein großer Mann“.

Brief, Autograph, Skizzen des Dreifußes und Tischgefäßes sowie Zeichnung von Beuys (c) Kunstverein Weiden (Wolfgang Herzer)

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An Joseph Beuys erinnern zahlreiche mit Weiden i.d. OPf. verbundene bzw. in Bayern stattfindende Gedenkveranstaltungen, Aktionen und Werke. Sie werden hier im Einzelnen vorgestellt:

Der progressive Kunstverein Weiden unter der Leitung des Kunsterziehers Wolfgang Herzer (Jg. 1948, Kulturpreis der Bayernwerk AG 2011) veranstaltete in Erinnerung an die gemeinsame Künstlerfreundschaft vom 8. Juni bis 6. Juli 2008 im Neuen Rathaus zu Weiden die vom Kunstmuseum Erlangen konzipierte Ausstellung „Joseph Beuys und Friedrich Herlt. Begegnungen 1975-1985“. Der anwesende Dr. Herlt, ansonsten eher familiäre Zurückgezogenheit schätzend, erklärte bereitwillig dem kunstinteressierten Weidener Auditorium seine private Verbindung zu dem berühmten Künstler.

Ebenfalls arrangierte und organisierte Wolfgang Herzer  – im Rahmen des Projekts „Kunsträume Bayern 2008“ des Arbeitskreises für gemeinsame Kulturarbeit bayerischer Städte mit der „Kulturkooperative KoOPf“ – die Objekt-Aktion „STANDPUNKTE LANDEPLÄTZE 07/08“ auf dem Gelände des ehemaligen Feldflugplatzes Maierhof bei Ullersricht mit Studierenden der Kunstakademien Prag und Nürnberg: einen markanten Erdhügel als zeitlich begrenztes Boden-Kultur-Denkmal. Idee, Konzeption und Umsetzung des „Begegnungshügels“ realisierte die Forchheimerin Aenne Bittner (Jg. 1984) von der Akademie der Bildenden Künste Nürnberg. Der begehbare Erdhügel – eine Art Kurgan für den „Schamanen“ Joseph Beuys – sollte die Besucher mit der Form des „erhöhten Standpunktes“ auf einem Landeplatz konfrontieren, was Beuys’ Vision von der Notwendigkeit einer Erneuerung der Kunst entspricht. Der knapp zwei Meter hohe und vier Meter im Durchmesser große Erdhügel stand in der Mitte des heutigen Maisfeldes. Der Hügel war durch Treppenstufen begehbar und schuf gewissermaßen einen „erzwungenen“ Blickwinkel. Man genoss dabei den schönen Ausblick über die umliegende flache Landschaft. Die schlichte Struktur des Hügels fügte sich dezent in die Natur ein und war mit Gras bepflanzt.                      

Begegnungshügel Maierhof bei Ullersricht. Foto: Dr. Gertrud Kretzschmar 2008 (c) Kunstverein Weiden (Wolfgang Herzer)

Chriska Wagner (Jg. 1976), in Weiden geborene und in Nürnberg und Fürth wirkende Theaterpädagogin, Autorin, Schauspielerin und Regisseurin, schuf 2005 zum 20. Todestag des dokumenta-Künstlers die Eigenproduktion HutMemoiren – Hommage an Joseph Beuys als „Fluxus-Solo-Duell für einen Schauspieler mit Hut“. Das Ein-Personen-Stück, uraufgeführt am 23. Januar 2006 in der kunst-galerie-fürth, eignet sich als Einstieg in die Auseinandersetzung mit Person und Werk Joseph Beuys’ – aus der Sicht seines Hutes.

Anlässlich des 100. Geburtstags von Joseph Beuys 2021 findet auf Initiative der STADTKULTUR Netzwerk bayerischer Städte e.V. in verschiedenen bayerischen Städten eine ganzjährige „Eichenpflanzung zu Ehren von Joseph Beuys“ statt. (Dies erinnert nicht zuletzt an das Kasseler Kunstwerk von 1982 „7000 Eichen – Stadtverwaldung statt Stadtverwaltung“, das die gesamte Stadt zum Gestaltungsfeld und zur sozialen Plastik werden ließ.) Die erste Eichenpflanzung erfolgte so am 19. März 2021 in Ingolstadt vor dem Stadtmuseum. Ziel ist „die Eiche über Generationen als öffentlichen sozialen Treffpunkt zu erhalten und so die ursprüngliche Idee von Joseph Beuys, Zukunft gemeinsam gestalten, weiterzutragen“ (Gabriel Engert). Und die Leiterin des Netzwerks STADTKULTUR, Dr. Christine Fuchs, sieht in dem Jubiläumsprojekt für Joseph Beuys ein „Zeichen der Ermutigung – und ein Hinweis auf die künftige Relevanz der Künste.“

Sekundärliteratur:

Bojescul, Wilhelm (1985): Zum Kunstbegriff des Joseph Beuys. Essen.

Dill, Harald G.; Hetz, Karlheinz (2011): Der Luftkrieg in Nordostbayern. Weißenstadt.

Krämer, Christine (2001): Beuys entdeckt das Geheimnis. Der Kunststar pflegte Verbindungen nach Weiden. In: Der neue Tag (Weiden i.d. OPf.), Osterfeuilleton, 14. April.

Kunstverein Weiden; Galerie 4 Cheb/Eger (2008) (Hg.): STANDPUNKTE LANDEPLÄTZE. Dokumentation der Kulturkooperative KoOpf [Red.: Wolfgang Herzer; Thomas May]. Weiden i.d. OPf.

Kunstverein Weiden & Kunstmuseum Erlangen (2008) (Hg.): Joseph Beuys und Friedrich Herlt. Begegnungen 1975-1985: 8.6. – 6.7.2008 [Begleitheft, Red.: Wolfgang Herzer, Gertrud Kretzschmar, Jürgen Sandweg]. Weiden i.d. OPf./Erlangen.

Kunstverein Weiden (2009): Wolfgang Herzer. Die Reden und Texte 2008 [Broschur]. Weiden i.d. OPf.

Mikula, Valentin (1965): Stuka. Tatsachenbericht (Roman). Klagenfurt.

Scheiner, Michael (2022): Weiden pflanzt eine Eiche für Beuys. In: Mittelbayerische Zeitung (Regensburg), Kunst, 7. Oktober.

Ursprung, Philip (2021): Joseph Beuys. Kunst Kapital Revolution. München.

Voit, Stefan (2008): Begegnungen in existenziellen Räumen. Kunstverein Weiden zeigt bis 6. Juli „Joseph Beuys und Friedrich Herlt“ im Neuen Rathaus. In: Der neue Tag (Weiden i.d. OPf.), Kultur, 9. Juni.

Externe Links:

Standpunkte – Landeplätze im Kunstverein Weiden

Kunstmuseum Erlangen

STADTKULTUR Netzwerk bayerischer Städte e.V.

KoOPF

Joseph Beuys im Grafos Verlag

Beuys-Ausstellung 2021 des Museums Schloss Moyland

Beuys-Ausstellung 2021 der Nationalgalerie der Staatlichen Museen zu Berlin

Joseph Beuys in der Wikipedia

Wolfgang Herzer in der Wikipedia

Rede von Wolfgang Herzer Beuys in Weiden (Kunstverein Weiden, 7.10.22)

Schloss Moyland in der Wikipedia

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