Der Schriftsteller Gert Hofmann liest „Der Kinoerzähler“
Das literarische Werk Gert Hofmanns (1931-1993) ist vielfältig, umfangreich und einzigartig: Mit Kafka verbindet ihn das Grundgefühl des Absurden, mit Canetti die klaustrophobische Enge zwischen Mann und Frau, mit Fellini der kindliche Blick auf die Welt. Wie kaum ein anderer Schriftsteller hat Hofmann in seinen Werken die Auswirkungen unserer nationalsozialistischen Vergangenheit auf die Gegenwart sichtbar werden lassen. Oft sind Außenseiter und Loser seine Protagonisten. Mit einer schriftstellerischen Virtuosität, die an die Grenzen des Erträglichen reicht, lässt er sie das von der jüngsten Geschichte pervertierte Bewusstsein vorführen.
2021 hätte Gert Hofmann seinen 90. Geburtstag gefeiert. Zu diesem Anlass präsentiert das Literaturportal Bayern einen Themen-Essay der Hofmann-Kennerin Gunna Wendt. Im Folgenden stellen wir eine Original-Tonaufnahme von Gert Hofmann am Literaturtelefon des Kulturreferats München vor. Gert Hofmann liest aus seinem Roman Der Kinoerzähler.
*
„Mein Großvater Karl Hofmann (1873-1944) arbeitete lange im Apollo-Kino in der Helenenstraße in Limbach/Sachsen. Ich kannte ihn gegen sein Lebensende, mit seinem Künstlerhut, dem Spazierstock, dem breiten Ehering aus Gold, der dann und wann nach Chemnitz ins Pfandhaus ging, doch immer wiederkam. Auf die Idee, mit einem Stock zu laufen, hat er mich gebracht, lange nach seinem Tode. Er hatte Probleme mit den Zähnen und sagte: Wenn überhaupt, werde ich mal vom Gebiß aus sterben. Schließlich brachte ihn etwas ganz anderes um. Mein Großvater war der Kinoerzähler und -klavierspieler von Limbach.“
So beginnt Gert Hofmanns Roman Der Kinoerzähler, der im Jahre 1990 erschien und aus dem heraus drei Hörspiele entstanden sind: Das allmählich Verstummen des Kinoerzählers in der Tonfilmzeit (1990), Der große Stunk (1990) und Letzte Liebe (1991). Im Roman und in allen drei Hörspielen erfahren wir, wie es dem Kinoerzähler, dem Künstler, dem Schöpfer eigener Phantasiewelten ergeht, wenn er auf die Alltäglichkeit trifft.
Der Enkel Gert Hofmann geht als Kind jeden Tag mit dem Großvater ins Kino (23 Sitzplätze, viele Stehplätze), wenn dieser zum Stummfilm erzählt und Klavier spielt. „Aufpassen und nicht schlafen jetzt, wir kommen an eine sehr schöne Stelle!“ ruft der Großvater in den Zuschauerraum und bringt, sein Bambusstöckchen in der Hand, den Leuten die Romanze auf der „Hintertreppe“ zwischen den damaligen Stummfilmgrößen Fritz Kortner (1892-1970) und Henny Porten (1890-1960) nahe.
Dabei fühlt er sich durchaus als Künstler und zu Höherem berufen. Mit dem ersten Tonfilm jedoch hofft der Besitzer des Apollo-Kinos, Herr Teilhaber, mehr Publikum ins Kino locken zu können. Der Film und der Kinoerzähler sind von nun an Feinde: Je lauter der eine tönt, desto weniger darf der andere sagen.
Gert Hofmanns Roman wurde von Bernhard Sinkel mit Armin Mueller-Stahl als Großvater und Martin Benrath als Kinobesitzer 1993 verfilmt.
© Literaturtelefon / Kulturreferat München
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Das literarische Werk Gert Hofmanns (1931-1993) ist vielfältig, umfangreich und einzigartig: Mit Kafka verbindet ihn das Grundgefühl des Absurden, mit Canetti die klaustrophobische Enge zwischen Mann und Frau, mit Fellini der kindliche Blick auf die Welt. Wie kaum ein anderer Schriftsteller hat Hofmann in seinen Werken die Auswirkungen unserer nationalsozialistischen Vergangenheit auf die Gegenwart sichtbar werden lassen. Oft sind Außenseiter und Loser seine Protagonisten. Mit einer schriftstellerischen Virtuosität, die an die Grenzen des Erträglichen reicht, lässt er sie das von der jüngsten Geschichte pervertierte Bewusstsein vorführen.
2021 hätte Gert Hofmann seinen 90. Geburtstag gefeiert. Zu diesem Anlass präsentiert das Literaturportal Bayern einen Themen-Essay der Hofmann-Kennerin Gunna Wendt. Im Folgenden stellen wir eine Original-Tonaufnahme von Gert Hofmann am Literaturtelefon des Kulturreferats München vor. Gert Hofmann liest aus seinem Roman Der Kinoerzähler.
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„Mein Großvater Karl Hofmann (1873-1944) arbeitete lange im Apollo-Kino in der Helenenstraße in Limbach/Sachsen. Ich kannte ihn gegen sein Lebensende, mit seinem Künstlerhut, dem Spazierstock, dem breiten Ehering aus Gold, der dann und wann nach Chemnitz ins Pfandhaus ging, doch immer wiederkam. Auf die Idee, mit einem Stock zu laufen, hat er mich gebracht, lange nach seinem Tode. Er hatte Probleme mit den Zähnen und sagte: Wenn überhaupt, werde ich mal vom Gebiß aus sterben. Schließlich brachte ihn etwas ganz anderes um. Mein Großvater war der Kinoerzähler und -klavierspieler von Limbach.“
So beginnt Gert Hofmanns Roman Der Kinoerzähler, der im Jahre 1990 erschien und aus dem heraus drei Hörspiele entstanden sind: Das allmählich Verstummen des Kinoerzählers in der Tonfilmzeit (1990), Der große Stunk (1990) und Letzte Liebe (1991). Im Roman und in allen drei Hörspielen erfahren wir, wie es dem Kinoerzähler, dem Künstler, dem Schöpfer eigener Phantasiewelten ergeht, wenn er auf die Alltäglichkeit trifft.
Der Enkel Gert Hofmann geht als Kind jeden Tag mit dem Großvater ins Kino (23 Sitzplätze, viele Stehplätze), wenn dieser zum Stummfilm erzählt und Klavier spielt. „Aufpassen und nicht schlafen jetzt, wir kommen an eine sehr schöne Stelle!“ ruft der Großvater in den Zuschauerraum und bringt, sein Bambusstöckchen in der Hand, den Leuten die Romanze auf der „Hintertreppe“ zwischen den damaligen Stummfilmgrößen Fritz Kortner (1892-1970) und Henny Porten (1890-1960) nahe.
Dabei fühlt er sich durchaus als Künstler und zu Höherem berufen. Mit dem ersten Tonfilm jedoch hofft der Besitzer des Apollo-Kinos, Herr Teilhaber, mehr Publikum ins Kino locken zu können. Der Film und der Kinoerzähler sind von nun an Feinde: Je lauter der eine tönt, desto weniger darf der andere sagen.
Gert Hofmanns Roman wurde von Bernhard Sinkel mit Armin Mueller-Stahl als Großvater und Martin Benrath als Kinobesitzer 1993 verfilmt.
© Literaturtelefon / Kulturreferat München