Lyrik-Kolumne zu Alma Larsen

Die 143. Ausgabe der Zeitschrift Literatur in Bayern widmet sich dem Schwerpunkt Avantgarde. Darin schreibt Pia-Elisabeth Leuschner in ihrer Lyrik-Kolumne über ein Gedicht von Alma Larsen.

 

ein kommen&gehen:
ein traum kommt zu mir
schiebt sich unter die decke
so gegen halbsieben
geht fremd mit dem wecker

später gehe ich zur kunst
wen treffe ich ganz zufällig?
ein bild von meinem traum
so war ich nicht seine erste:
ein kommen&gehen

Alma Larsen, aus: Nase Stimme Haut, Spielberg Verlag 2016, S. 87.

 

»Alma kann alles«, hatte ein enger Freund mir gesagt (spaßeshalber nenne ich ihn T. v. d. K.*) – und hat recht: Alma Larsen kann Avantgarde und bestechende Alltagsbeobachtung, Anagramm, Sprachzertrümmrung und Satire, alle Farben der Stilpalette, sinnliche Authentizität und bewegendes menschliches Mitfühlen. Und vor allem kann sie München, Erotik und Humor. Etwa in der obigen Miniatur: einer Kunstreflexion im Modus ›Monaco Franze‹.

Gleichsam als Rahmen des Gedichts fungiert ein neu geprägtes Wort, das Kommen und Gehen (die letztlich unter­schiedliche Perspektiven auf dieselbe Bewegung bedeuten) zu einer Art Brandungswelle zusammendenkt. Ab hier ist klar: Jedes Kommen ist zugleich ein Weggehen von anderem. Woher kommt also der Traum, der morgens um halb sieben unter der Decke der Sprecherin so zur Sache geht, dass alle Fantasien in Fluss geraten (wem kommt da was und was geht ab)? Jedenfalls flieht der Galan, wie Träume oder Traumpartner in lyrischen Morgenliedern das halt so tun, bei Tagesanbruch – und wird dabei unmittelbar untreu, denn er geht fremd mit dem Wecker (vom grammatischen Geschlecht her: homoerotisch).

Als das Ich später »zur Kunst« geht bzw. die Künstlerin Alma Larsen an die Arbeit, spielt das Gedicht die angesponnene Personifikation weiter, vor allem mit dem Fragepronomen »wen treffe ich« (statt: »auf was«). Dadurch haben wir hier unwillkürlich Personen vor Augen, vielleicht bei einer Vernissage. Dass die Sprecherin dort ein ›Bild von ihrem Traum‹ sieht – der Drastik halber darf es durchaus eine Aktstudie sein – und dass sie dadurch er­ kennt, dass entweder der Traum die Kunst oder die Kunst den Traum offenbar schon vor der eingangs geschilderten Morgenintimität gekannt und gemalt hat, könnte oder würde lebensweltlich eine verheerende Enttäuschung bedeuten: ›Also war ich nicht die erste, mit der er ... !! In seinem Leben gibt es offenbar ein kommen&gehen.‹

Zugleich nützt das Gedicht diese Pointe, um virtuos erheiternd eine Grunderfahrung von Kunst zu umschreiben. Denn welchen Rezipienten hätte es noch nicht beglückt und welchen Künstler noch nicht deprimiert, dass etwas, womit man sich allein glaubte und was man für etwas ganz Eigenes hielt, schon lange vorher von einem anderen gekannt, gefühlt und zur Form gestaltet wurde?

So ist die letztlich spannendste Frage, die mich am Ende des Gedichts umtrieb: Wer geht aus dieser Situation wie hervor – und vor allem mit wem? Schleicht sich die Sprecherin gebrochenen Herzens fort, während Traum und Kunst sich miteinander vergnügen? Oder versöhnt sie sich nach dem ersten Eifersuchtsanfall mit dem Traum und beide lassen die Kunst in ihrer verdämmernden Galerie hinter sich? Am plausibelsten scheint mir: Kunst und Künstlerin vertiefen sich in intime Frauengespräche, wie man Gedanken und Farben auf Papier oder Leinwand fließen lassen kann, während der Traum, der ewige Stenz, längst wieder unterwegs ist – zu einem Tete-a-tete mit dem nächsten Wecker.

*Traum von der Kunst

Alma Larsen, geboren 1945 in Brandenburg, ist Lyrikerin, Prosaautorin, Essayistin, Fotografin und Literaturvermittlerin (u. o. für die GEDOK oder das Schamrock-Festival), für ihre Publikationen arbeitet sie immer wieder eng mit bildenden Künstlern zusammen.