Literarische Schätze der Bayerischen Staatsbibliothek (10): Der Nachlass von Emerenz Meier
Regelmäßig stellt die Redaktion des Literaturportals Bayern literarische Schätze aus den Archiven der Bayerischen Staatsbibliothek und ihrer Partnerinstitutionen vor: ausgewählte Höhepunkte, die in ihrer Entstehung, Überlieferung und Wirkung einen Bezug zu Bayern haben und in die Literaturgeschichte eingegangen sind. Spannweite und Vielfalt dieser Literatur aus zwölf Jahrhunderten lassen sich aus digitalisierten Handschriften, Drucken, Manuskripten und Briefen exemplarisch ablesen, die in bavarikon versammelt sind. Wir präsentieren daraus eine Auswahl.
Sehenswürdige Gebäude
Der Nachlass der bayerischen Volksdichterin Emerenz Meier (1874-1928) aus der Staatlichen Bibliothek Passau enthält sowohl eine Sammlung ihrer literarischen Werke und persönlichen Korrespondenzen als auch Urteile ihrer Zeitgenossen. Besonders hervorstechend sind 13 Postkarten, die die Schriftstellerin nach ihrer Auswanderung nach Amerika ihrer Freundin Auguste Unertl schrieb. Die farbigen Motive der Karten zeigen verschiedene Sehenswürdigkeiten und Gebäude in Chicago und wurden teilweise in Kurzschrift verfasst. Zudem finden sich dazu 43 Briefe, die sie von 1919 bis 1927 an ihre Freundin im Bayerischen Wald schrieb. In ihren Zusendungen schilderte Meier ihre politische wie mentale Verfasstheit. Aus der Zeit vor ihrer Auswanderung um 1900/01 sind weitere zehn Briefe an Auguste Unertl überliefert.
Eine der Postkarten vom 14. Februar (Poststempel 22.2.) 1922 lautet wie folgt: „Liebe Gusti, nachdem das Geld, das wir für [die] Armen gesandt, gestohlen wurde, werden wir von jetzt an kein Geld mehr durch [die] Post, oder in einem Brief schicken. Das nächste kommt durch [die] Bank. Schreibe gleich, wenn es eingetroffen. Herzliche Grüße Emerenz. (10 Dollar [für] Euch.)“
Lyrik und Kochrezepte, Erzählungen und Kritiken
Die im Nachlass vorhandene Lyrik stammt aus den Jahren 1896 bis (nach) 1906. Die darin zu findenden Lieder und Gedichte sind z.T. ihrer Freundin Auguste Unertl gewidmet und mit Zusätzen von ihr und dem Schriftsteller und Heimatforscher Max Peinkofer versehen. Das Buch Gedichte und Notizen füllt über 170 Seiten und beinhaltet überwiegend Abschriften fremder Lyrik, Kochrezepte, zwei Federzeichnungen sowie Münchner Adressen. Darüber hinaus finden sich in der Sammlung ihre Zeitungsgedichte Der Säumer, Mir hat geträumt und Liedchen [= Abschied], vermutlich aus dem Neuen Passauer Schreibkalender.
In den überlieferten Erzählungen der Schriftstellerin sind sowohl Abdrucke als auch eigenhändige Manuskriptarbeiten zusammengefasst. Aus der Zeit vor ihrer Auswanderung stammt die Erzählung Der G’schlößlbauer, die in der Passauer Donau-Zeitung von 1900 abgedruckt wurde. Weitere sieben Erzählungen sind Kopien von Abdrucken aus dem Neuen Passauer Schreibkalender (1898-1905). Aus der Zeit nach 1906 in Amerika sind die Manuskripte Der Bua und Die Brautschau erhalten, die durch die Nachdichtung eines finnischen Volkssangs abgerundet wurden. Das Fragment Herkunft bildet den Schlussteil eines mehrteiligen Beitrags mit einem Porträt von Emerenz Meier aus dem Jahr 1907, der in einer deutsch-amerikanischen Zeitschrift erschien. Außerdem sind noch weitere Erzählungen vorhanden, die teilweise Gedichte enthalten (z.B. Bella) oder in einer Erst- und Zweitfassung erhalten sind (Ein Besuch).
Erzählung Herkunft, [früher Itta]. Schlussteil eines mehrteiligen Beitrags. Druck aus einer deutsch-amerikanischen Zeitschrift mit Porträt von Emerenz Meier - Staatliche Bibliothek Passau EM 1/22
Neben den Schriftstücken aus der eigenen Feder von Emerenz Meier beinhaltet der Nachlass unterschiedliche Kritiken der zeitgenössischen Presse über Aus dem bayrischen Wald (1897), das einzige zu Lebzeiten Emerenz Meiers erschienene Buch. Obwohl sich das Werk nur schlecht verkaufte, wurde es von naturalistischen Kritikern sehr gelobt. Von ihrer Freundin Auguste Unertl sind zwei Tagebuchfragmente aus den Jahren 1906-1907 erhalten. Ein Großteil der Sammlung machen 26 Briefe und Karten aus den Jahren 1894-1934 aus, die von verschiedenen Absendern, u.a. von den Dichtern Maximilian Schmidt und Martin Greif, dem Komponisten Simon Breu (1858-1933), dem Journalisten Heinrich Leher (1848-1909), dem Theologen Franz Seraph Scharrer (1810-1903) und dem oben erwähnten Max Peinkofer stammen oder an Auguste Unertl und ihren Mann gerichtet sind. Weitere sechs Briefe und Karten wurden von Emerenz Meiers Würzburger Seminarlehrer Albert Miller um 1900 verfasst, den sie ebendort während eines Bildungsaufenthalts kennenlernte.
Vom „Verslschreibn“ zur Auswanderung
Emerenz Meier wurde 1874 im Unteren Bayerischen Wald geboren und zählt heute neben Lena Christ (1881-1920) zu den bedeutendsten bayerischen Volksdichterinnen. Ihre Leidenschaft für Literatur entwickelte sich bereits zu Schulzeiten, da sie dort Zuflucht vor ihrem strengen Alltag fand. Im Alter von 19 Jahren veröffentlichte sie – trotz der Abneigung ihrer Eltern gegen das „Verslschreibn“ – ihre erste Erzählung Der Juhschroa in der Passauer Donau-Zeitung. Ihrer einflussreichen Freundin Auguste Unertl, die u.a. einen literarischen Salon unterhielt, hatte Meier es zu verdanken, dass sie auch außerhalb Bayerns als Schriftstellerin weitreichend bekannt wurde. Es folgten weitere Veröffentlichungen, darunter ihr einziges Buch Aus dem bayrischen Wald und Bühnenfassungen einiger Erzählungen, sowie Aufenthalte in München, Würzburg und Passau.
Im Frühjahr 1906 wanderte Emerenz Meier mit ihrer Familie aufgrund der anhaltend schlechten wirtschaftlichen Lage nach Amerika aus. Dort heiratete sie bereits kurz nach ihrer Ankunft den Auswanderer Franz Schmöller, der 1910 an Schwindsucht verstarb. Ihre zweite Ehe ging sie mit dem schwedischen, im Versand tätigen Fabrikexpedienten John Lindgren ein.
Aus: 26 Briefe und Karten verschiedener Absender u.a. von Max Peinkofer, Maximilan Schmidt, Simon Breu, Martin Greif, Heinrich Leher und Franz Seraph Scharrer an Auguste und Georg Unertl - Staatliche Bibliothek Passau EM 2/32
Die erhoffte Verbesserung ihrer Lebensumstände in Amerika trat allerdings nicht ein. Die Schriftstellerin war als Lohnarbeiterin schwerer Arbeit ausgesetzt und musste in den Fabriken sexuelle Diskriminierungen über sich ergehen lassen. Meiers Kritik an Amerika, aber auch an den politischen, wirtschaftlichen und sozialen Bedingungen in Europa, vor denen sie geflohen war, wuchs zusehends während des Ersten Weltkriegs. Sie orientierte sich immer stärker am Kommunismus und wandte sich von der Kirche, nicht aber vom Glauben, ab.
Am 28. Februar 1928 starb sie im Alter von nur 53 Jahren in Chicago, nachdem sie die letzten Jahre mit der Wassersucht und verschiedenen organischen Leiden zu kämpfen hatte.
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Regelmäßig stellt die Redaktion des Literaturportals Bayern literarische Schätze aus den Archiven der Bayerischen Staatsbibliothek und ihrer Partnerinstitutionen vor: ausgewählte Höhepunkte, die in ihrer Entstehung, Überlieferung und Wirkung einen Bezug zu Bayern haben und in die Literaturgeschichte eingegangen sind. Spannweite und Vielfalt dieser Literatur aus zwölf Jahrhunderten lassen sich aus digitalisierten Handschriften, Drucken, Manuskripten und Briefen exemplarisch ablesen, die in bavarikon versammelt sind. Wir präsentieren daraus eine Auswahl.
Sehenswürdige Gebäude
Der Nachlass der bayerischen Volksdichterin Emerenz Meier (1874-1928) aus der Staatlichen Bibliothek Passau enthält sowohl eine Sammlung ihrer literarischen Werke und persönlichen Korrespondenzen als auch Urteile ihrer Zeitgenossen. Besonders hervorstechend sind 13 Postkarten, die die Schriftstellerin nach ihrer Auswanderung nach Amerika ihrer Freundin Auguste Unertl schrieb. Die farbigen Motive der Karten zeigen verschiedene Sehenswürdigkeiten und Gebäude in Chicago und wurden teilweise in Kurzschrift verfasst. Zudem finden sich dazu 43 Briefe, die sie von 1919 bis 1927 an ihre Freundin im Bayerischen Wald schrieb. In ihren Zusendungen schilderte Meier ihre politische wie mentale Verfasstheit. Aus der Zeit vor ihrer Auswanderung um 1900/01 sind weitere zehn Briefe an Auguste Unertl überliefert.
Eine der Postkarten vom 14. Februar (Poststempel 22.2.) 1922 lautet wie folgt: „Liebe Gusti, nachdem das Geld, das wir für [die] Armen gesandt, gestohlen wurde, werden wir von jetzt an kein Geld mehr durch [die] Post, oder in einem Brief schicken. Das nächste kommt durch [die] Bank. Schreibe gleich, wenn es eingetroffen. Herzliche Grüße Emerenz. (10 Dollar [für] Euch.)“
Lyrik und Kochrezepte, Erzählungen und Kritiken
Die im Nachlass vorhandene Lyrik stammt aus den Jahren 1896 bis (nach) 1906. Die darin zu findenden Lieder und Gedichte sind z.T. ihrer Freundin Auguste Unertl gewidmet und mit Zusätzen von ihr und dem Schriftsteller und Heimatforscher Max Peinkofer versehen. Das Buch Gedichte und Notizen füllt über 170 Seiten und beinhaltet überwiegend Abschriften fremder Lyrik, Kochrezepte, zwei Federzeichnungen sowie Münchner Adressen. Darüber hinaus finden sich in der Sammlung ihre Zeitungsgedichte Der Säumer, Mir hat geträumt und Liedchen [= Abschied], vermutlich aus dem Neuen Passauer Schreibkalender.
In den überlieferten Erzählungen der Schriftstellerin sind sowohl Abdrucke als auch eigenhändige Manuskriptarbeiten zusammengefasst. Aus der Zeit vor ihrer Auswanderung stammt die Erzählung Der G’schlößlbauer, die in der Passauer Donau-Zeitung von 1900 abgedruckt wurde. Weitere sieben Erzählungen sind Kopien von Abdrucken aus dem Neuen Passauer Schreibkalender (1898-1905). Aus der Zeit nach 1906 in Amerika sind die Manuskripte Der Bua und Die Brautschau erhalten, die durch die Nachdichtung eines finnischen Volkssangs abgerundet wurden. Das Fragment Herkunft bildet den Schlussteil eines mehrteiligen Beitrags mit einem Porträt von Emerenz Meier aus dem Jahr 1907, der in einer deutsch-amerikanischen Zeitschrift erschien. Außerdem sind noch weitere Erzählungen vorhanden, die teilweise Gedichte enthalten (z.B. Bella) oder in einer Erst- und Zweitfassung erhalten sind (Ein Besuch).
Erzählung Herkunft, [früher Itta]. Schlussteil eines mehrteiligen Beitrags. Druck aus einer deutsch-amerikanischen Zeitschrift mit Porträt von Emerenz Meier - Staatliche Bibliothek Passau EM 1/22
Neben den Schriftstücken aus der eigenen Feder von Emerenz Meier beinhaltet der Nachlass unterschiedliche Kritiken der zeitgenössischen Presse über Aus dem bayrischen Wald (1897), das einzige zu Lebzeiten Emerenz Meiers erschienene Buch. Obwohl sich das Werk nur schlecht verkaufte, wurde es von naturalistischen Kritikern sehr gelobt. Von ihrer Freundin Auguste Unertl sind zwei Tagebuchfragmente aus den Jahren 1906-1907 erhalten. Ein Großteil der Sammlung machen 26 Briefe und Karten aus den Jahren 1894-1934 aus, die von verschiedenen Absendern, u.a. von den Dichtern Maximilian Schmidt und Martin Greif, dem Komponisten Simon Breu (1858-1933), dem Journalisten Heinrich Leher (1848-1909), dem Theologen Franz Seraph Scharrer (1810-1903) und dem oben erwähnten Max Peinkofer stammen oder an Auguste Unertl und ihren Mann gerichtet sind. Weitere sechs Briefe und Karten wurden von Emerenz Meiers Würzburger Seminarlehrer Albert Miller um 1900 verfasst, den sie ebendort während eines Bildungsaufenthalts kennenlernte.
Vom „Verslschreibn“ zur Auswanderung
Emerenz Meier wurde 1874 im Unteren Bayerischen Wald geboren und zählt heute neben Lena Christ (1881-1920) zu den bedeutendsten bayerischen Volksdichterinnen. Ihre Leidenschaft für Literatur entwickelte sich bereits zu Schulzeiten, da sie dort Zuflucht vor ihrem strengen Alltag fand. Im Alter von 19 Jahren veröffentlichte sie – trotz der Abneigung ihrer Eltern gegen das „Verslschreibn“ – ihre erste Erzählung Der Juhschroa in der Passauer Donau-Zeitung. Ihrer einflussreichen Freundin Auguste Unertl, die u.a. einen literarischen Salon unterhielt, hatte Meier es zu verdanken, dass sie auch außerhalb Bayerns als Schriftstellerin weitreichend bekannt wurde. Es folgten weitere Veröffentlichungen, darunter ihr einziges Buch Aus dem bayrischen Wald und Bühnenfassungen einiger Erzählungen, sowie Aufenthalte in München, Würzburg und Passau.
Im Frühjahr 1906 wanderte Emerenz Meier mit ihrer Familie aufgrund der anhaltend schlechten wirtschaftlichen Lage nach Amerika aus. Dort heiratete sie bereits kurz nach ihrer Ankunft den Auswanderer Franz Schmöller, der 1910 an Schwindsucht verstarb. Ihre zweite Ehe ging sie mit dem schwedischen, im Versand tätigen Fabrikexpedienten John Lindgren ein.
Aus: 26 Briefe und Karten verschiedener Absender u.a. von Max Peinkofer, Maximilan Schmidt, Simon Breu, Martin Greif, Heinrich Leher und Franz Seraph Scharrer an Auguste und Georg Unertl - Staatliche Bibliothek Passau EM 2/32
Die erhoffte Verbesserung ihrer Lebensumstände in Amerika trat allerdings nicht ein. Die Schriftstellerin war als Lohnarbeiterin schwerer Arbeit ausgesetzt und musste in den Fabriken sexuelle Diskriminierungen über sich ergehen lassen. Meiers Kritik an Amerika, aber auch an den politischen, wirtschaftlichen und sozialen Bedingungen in Europa, vor denen sie geflohen war, wuchs zusehends während des Ersten Weltkriegs. Sie orientierte sich immer stärker am Kommunismus und wandte sich von der Kirche, nicht aber vom Glauben, ab.
Am 28. Februar 1928 starb sie im Alter von nur 53 Jahren in Chicago, nachdem sie die letzten Jahre mit der Wassersucht und verschiedenen organischen Leiden zu kämpfen hatte.