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13.07.2021, 14:09 Uhr
Klaus Hübner
Text & Debatte
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Großes Romankino aus Bayern

Die 142. Ausgabe der Zeitschrift Literatur in Bayern widmet sich dem Schwerpunktthema kostbarKlaus Hübner rezensiert darin Christoph Nußbaumeders ersten Roman Die Unverhofften.

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Der 1978 in Eggenfelden geborene Berliner Christoph Nußbaumeder ist ein auch international ziemlich erfolgreicher Dramatiker. Eines seiner Stücke heißt Eisenstein, und diesen Theatertext darf man als eine Art Skizze für seinen ersten Roman betrachten. Die Unverhofften erzählt die Geschichte eines bayerischen Familienclans über 120 Jahre hinweg, von 1899 bis 2019. Die bis nach Berlin, ja nach Amerika ausgreifende Romanhandlung beginnt in der damals noch recht armseligen Glashütten- und Holzbauernwelt von Bayerisch Eisenstein, spielt größtenteils in Südbayern, oft mitten in München, führt hinauf in die Höhen des christsozial abgesicherten Immobilien-Topmanagements des 21. Jahrhunderts und kommt doch immer wieder zurück in die schönherben Wälder rund um Arber und Rachel. Ein stattlicher Familien- und Gesellschaftsroman in Cinemascope, abwechslungsreich und mit genau so viel Personal, dass die Lesenden jederzeit den Überblick behalten. Im Mittelpunkt des gewaltigen Geschichtenpanoramas steht die »Hufnagel-Dynastie«, ein im wahrsten Sinne des Wortes starker Stamm, der trotz aller Krisen, Kriege und dramatischen Schicksalsschläge den eisernen Willen zum Überleben und Aufsteigen niemals verliert und sich immer wieder erfolgreich durchsetzt. Oft allerdings um einen hohen Preis, einen sehr hohen sogar. Um seinem Romangemälde tragende Fundamente einzuziehen, hat der Autor fleißig recherchiert und dabei auch, was man manchen Textpassagen anmerkt, soziologische Klassiker gelesen und Sozial- und Wirtschaftsgeschichte studiert. Bestimmt eine Riesenarbeit. Sie hat sich gelohnt. Faction und Fiction finden zueinander, und gerade die im Freistaat Bayern aufgewachsene Leserschaft wird sich in den Unverhofften bald zu Hause fühlen.

Christoph Nußbaumeder erzählt packend, flott und süffig, und so folgt man seiner geschickt zwischen ruhigem Erzählfluss und oft heftigen Gesprächspartien changierenden Geschichte gern. An bestürzenden Höhepunkten fehlt es nicht, etwa bei der Schilderung der extrem wechselhaften Beziehung zwischen Georg Schatzschneider, einer der wichtigsten Figuren des Textes, und seiner Jugendliebe Gerlinde. »Ja«, sagt sie einmal, »ich hab jemanden kennengelernt, einen feinen Mann mit Manieren und Klasse, nicht so einen grindigen Holzbauern, wie du einer bist«. Nächster Satz: »Mit voller Wucht schlug Georg zu«. Direktgemütlich wird es in den Unverhofften selten. Was körperliche und andere Arbeit wirklich bedeutet, wie Interessenpolitik konkret funktioniert, welch vitalisierende Faszination Geld und Macht innewohnt, wie Diskriminierung real aussehen kann und wie Lügen oder Verschweigen ein ganzes Leben zerstören können – das alles und noch viel mehr weiß der Autor plausibel und wohldosiert zu erzählen. Respekt! Da stört es nur wenig, wenn es im 1964 bis 1966 spielenden dritten Großkapitel plötzlich heißt »Mit der U-Bahn fuhren sie zur Münchner Freiheit« – Guten Morgen, Suhrkamp­ Lektorat! – oder wenn das Romangeschehen der Jahre 1982 bis 1984 fast ausschließlich die 1970er-Jahre in Szene setzt. Was allerdings wirklich stört und dem epischen Mega-Panorama ein Stück seiner Glaubwürdigkeit raubt, sind ausgerechnet die Redeweisen mancher Protagonisten. Hat man jemals vernommen, dass ein Anderl anno 1899 einer Theres geantwortet hätte: »Das seh ich auch so«? Oder dass, im Jahr 1900, einer wie der Dillinger auf Marias Wunsch »Wenn es irgendwie möglich ist, Gerhard, würde ich gern den nächsten Zug nehmen« mit »Kein Problem« reagiert? Schiefe Figurenrede, wie sie dem Autor leider immer wieder unterläuft. Auch der Erzähler trifft gelegentlich nicht das rechte Wort – ob sich ein Holzknecht im Frühjahr 1945 »erst einmal sortieren« musste? Genug der Beispiele – der angestrebten Authentizität des Romans fügen solche Passagen unnötigerweise Schaden zu. Fundamental in Frage stellen sie Christoph Nußbaumeders großen Wurf nicht. Sein beeindruckender Roman ist und bleibt ein gewaltiges und erstaunliches Prosawerk. Unverhofft kommt oft.

Christoph Nußbaumeder: Die Unverhofften. Roman. Suhrkamp Verlag, Berlin 2020, 671 S., € 25,-

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