Dichterhäuser – Faszinierende Orte der Erinnerung
Die 141. Ausgabe der Zeitschrift Literatur in Bayern widmet sich dem Schwerpunkt Schuld und... Renee Rauchalles rezensiert darin den neuen Band des Germanisten Bodo Plachta, der zusammen mit Achim Bednorz Häuser und Wohnungen von SchriftstellerInnen besucht hat.
*
Mit der Feststellung »nichts Lieberes als hier« im Brief an die engste Freundin Elise Rüdiger, meinte Annette von Droste Hülshoff das Rüschhaus bei Münster, in das sie 1826 nach dem Tod ihres Vaters, der es kurz zuvor gekauft hatte, mit Mutter und Schwester Jenny gezogen war. Geboren ist sie auf der fünf Kilometer entfernten Wasserburg Hülshoff. Dort verbrachte sie ihre Kindheit, schrieb sie erste Gedichte, musizierte, komponierte und zeichnete sie. Zahlreiche ihrer Gedichte und Balladen entstanden später auch auf der Meersburg am Bodensee, wo sie ihre Schwester, die dort mit ihrem Mann lebte, einige Male für längere Zeit besuchte, wo sie auch starb und ihre letzte Ruhe fand.
Diese Orte und noch ca. 50 weitere haben der Germanist und Autor Bodo Plachta und der international tätige Fotograf Achim Bednorz in Deutschland, Österreich und in der Schweiz aufgesucht und in ihrem hinreißend-poetischen Prachtband Dichterhäuser vorgestellt. Die Bandbreite reicht von den Skriptorien und Dichtern des Mittelalters sowie den Wohnstätten von Autoren des 18./19. Jahrhunderts bis in unsere heutige Zeit – Walter Kempowskis Haus Kreienhoop etwa, nahe bei Bremen, wo zahlreiche Fernsehinterviews stattfanden, wo er Kollegen und Literaturinteressierte um sich versammelte und die meisten seiner literarischen Werke entstanden. Schon das Cover des 1,5 kg schweren Buches hat suggestive Kraft. Es zeigt Schillers auf Hochglanz polierten Schreibtisch in seinem Weimarer Wohn- und Sterbehaus, in dem er ab 1802 seine letzten drei Lebensjahre mit Ehefrau und drei, seit 1804 mit vier Kindern verbrachte, das Drama Die Braut von Messina sowie Wilhelm Tell vollendete, und das 1847 zum ersten deutschen Dichtermuseum wurde.
Über 200 Häuser und Wohnungen von Schriftstellern sind im deutschen Sprachraum durch private und öffentliche Initiativen als Gedenkstätten und Museen eingerichtet, wie zum Beispiel Klopstocks Geburtshaus in Quedlinburg, das Nietzsche-Archiv in Weimar, ganz nah bei Goethes Grab, das 2020 anlässlich des 120. Todestags in neuem Licht erstrahlt und das es ohne den Einsatz seiner Schwester, die ihn zuletzt auch pflegte, nicht gäbe. In diesem Haus, in dem er nie eine Zeile schrieb, verbrachte er seine von geistiger Umnachtung gezeichneten drei letzten Lebensjahre. Die Frühjahr 2020 geplante Neueröffnung der Dauerausstellung »Kampf um Nietzsche « musste wegen Corona ausfallen, stattdessen wird ein digitaler Parcours angeboten unter https://www.klassik-stiftung.de/ihr-besuch/ausstellungen/nietzsche-superstar-digital/, zudem kann die Ausstellung selbst bis 25. Oktober von Einzelpersonen und ab 26. Oktober von bis zu zehn Personen besucht werden.
Im Renaissance-Schlösschen von Oberwiederstedt gibt es das Novalis-Museum, Geburtsstätte des Dichters, der mit knapp 29 Jahren in dem vom Vater 1786 in Weißenfels für seine Familie erworbenen repräsentativen Haus verstarb, ebenfalls eine Novalis-Gedenkstätte.
Der Sohn des Arztes und Dichters Justinus Kerner sorgte dafür, dass die Einrichtung und große Kunstsammlung im einst überaus gastfreundlichen, in der Kleinstadt Weinsberg bei Heilbronn gelegenen Kernerhaus erhalten blieben, das der Dichter, eine schwäbische Kultfigur, 1822 errichten ließ. Nach dessen Tod wurde es 1908 als Museum eröffnet. Im StifterHaus in Linz – der Dichter bewohnte mit seiner Frau von 1848 bis zu seinem Tod 1868 den zweiten Stock, nannte seine Wohnung die schönste in ganz Linz – befindet sich das Stifter-Institut.
Das in Goddelau bei Darmstadt gelegene Geburtshaus des 1837 in Zürich mit 23 Jahren verstorbenen Georg Büchner wurde erst 1997 als einzige Gedenkstätte geöffnet. Noch 100 Jahre nach seiner Geburt galt der politische und literarische Außenseiter als steckbrieflich gesuchter Krimineller.
Seit 1993 gibt es in Lübeck im Giebelhaus in der Mengstraße, im sogenannten Buddenbrookhaus, einst Familiensitz der Manns, 1942 ausgebombt, 1991 von der Stadt Lübeck erworben, ein Literaturmuseum. Abgebildet sind das rekonstruierte Musik- und das elegante Esszimmer, die sich im Roman zum Landschafts-, beziehungsweise zum Götterzimmer wandelten.
28 Jahre, bis zu ihrem Tod, lebte Anna Seghers nach Flucht und Heimatlosigkeit im obersten Stock eines Mietshauses in Berlin-Adlershof (DDR), wo sie im Literaturbetrieb schnell wieder Fuß fasste, obwohl sie eine politisch unbequeme Funktionärin war. Die mit zahlreichen Preisen und Ehrungen ausgezeichnete, äußerst produktive Autorin führte ein offenes Haus. Ihre im 1950er-Jahre-Stil eingerichtete Wohnung ist bis heute im Originalzustand erhalten.
Goethes Haus am Frauenplan in Weimar mit dem fast vollständig vorhandenen Mobiliar (im Band abgebildet ist unter anderem sein schlichtes Schlafzimmer mit dem Sessel, in dem er 1832 starb), gehört wohl zu den größten Publikumsmagneten. 1794 hatte Herzog Carl August das Haus als Geschenk für Goethe erworben, das er 1789 wegen seiner Beziehung zu Christiane Vulpius auf Anweisung des Hofes für drei Jahre verlassen musste, in das er dann aber wieder zurückkehren durfte.
Hölderlins Erinnerungsstätte in Tübingen wurde ab 2017 renoviert und im Februar 2020 wiedereröffnet. Das Turmzimmer, in dem der geistig verwirrte Dichter von 1807 bis 1843 lebte – ein Schreinermeister hatte den Kranken nach der erfolglosen Behandlung in der Tübinger Klinik Autenrieth in sein Haus, das direkt am Neckar liegt, fürsorglich aufgenommen –, präsentiert sich nun etwas anders als im Buch. Auf dem neuen Fußboden steht statt der beiden Stühle jetzt ein schwarzes Stehpult mit einem kleinen Tisch, an dem Hölderlin seine letzten Gedichte schrieb. 2020 feiert man seinen 250. Geburtstag. Leider mussten viele Veranstaltungen wegen Corona ausfallen. Unter https://www.swr.de/swr2/literatur kann man in Fortsetzungsfolgen den Hyperion hören.
2020 ist auch Jubiläumsjahr für die vor 150 Jahren geborene Ida Dehmel, leidenschaftliche Förderin moderner Kunst und Gründerin der noch bestehenden Künstlerinnen-Vereinigung GEDOK. Zusammen mit ihrem einst berühmten Mann, dem Dichter Richard Dehmel, führte sie in Hamburg Blankenese ein Haus, das Treffpunkt war von Schriftstellern, Künstlern und Komponisten.
Alle Genannten sind in dem Buch präsent, dessen Einführungen zu den elf chronologisch angeordneten Kapiteln einen zeitgeschichtlichen Überblick geben und kurz auf die vorgestellten Personen einstimmen. Danach öffnen biografische Informationen, oft mit Hinweisen auf entsprechende Werke, textlich und bildlich Literatenschauplätze, die von Dichterglück und Dichterschicksalen, von unerfüllten Träumen und politischen Zuständen erzählen. Plachtas lebendige und fundierte Texte sowie die hochwertig-stimmungsvollen großformatigen Farbfotos der Wohn- und Arbeitsstätten deutschsprachiger Dichter und einiger Dichterinnen, bereiten pure Freude für Auge und Geist und machen Lust, sie selbst zu besuchen (siehe Adress- und Internet-Verzeichnis im Anhang) und in ihre faszinierenden Gedanken- und Wohnwelten einzutauchen. Auch wenn manche in der Realität vielleicht nicht die Magie entfalten wie auf den glanzvollen Fotos, die intimen Einblicke in diese Dichterleben werden trotzdem verzaubern und berühren.
Dichterhäuser – Faszinierende Orte der Erinnerung>
Die 141. Ausgabe der Zeitschrift Literatur in Bayern widmet sich dem Schwerpunkt Schuld und... Renee Rauchalles rezensiert darin den neuen Band des Germanisten Bodo Plachta, der zusammen mit Achim Bednorz Häuser und Wohnungen von SchriftstellerInnen besucht hat.
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Mit der Feststellung »nichts Lieberes als hier« im Brief an die engste Freundin Elise Rüdiger, meinte Annette von Droste Hülshoff das Rüschhaus bei Münster, in das sie 1826 nach dem Tod ihres Vaters, der es kurz zuvor gekauft hatte, mit Mutter und Schwester Jenny gezogen war. Geboren ist sie auf der fünf Kilometer entfernten Wasserburg Hülshoff. Dort verbrachte sie ihre Kindheit, schrieb sie erste Gedichte, musizierte, komponierte und zeichnete sie. Zahlreiche ihrer Gedichte und Balladen entstanden später auch auf der Meersburg am Bodensee, wo sie ihre Schwester, die dort mit ihrem Mann lebte, einige Male für längere Zeit besuchte, wo sie auch starb und ihre letzte Ruhe fand.
Diese Orte und noch ca. 50 weitere haben der Germanist und Autor Bodo Plachta und der international tätige Fotograf Achim Bednorz in Deutschland, Österreich und in der Schweiz aufgesucht und in ihrem hinreißend-poetischen Prachtband Dichterhäuser vorgestellt. Die Bandbreite reicht von den Skriptorien und Dichtern des Mittelalters sowie den Wohnstätten von Autoren des 18./19. Jahrhunderts bis in unsere heutige Zeit – Walter Kempowskis Haus Kreienhoop etwa, nahe bei Bremen, wo zahlreiche Fernsehinterviews stattfanden, wo er Kollegen und Literaturinteressierte um sich versammelte und die meisten seiner literarischen Werke entstanden. Schon das Cover des 1,5 kg schweren Buches hat suggestive Kraft. Es zeigt Schillers auf Hochglanz polierten Schreibtisch in seinem Weimarer Wohn- und Sterbehaus, in dem er ab 1802 seine letzten drei Lebensjahre mit Ehefrau und drei, seit 1804 mit vier Kindern verbrachte, das Drama Die Braut von Messina sowie Wilhelm Tell vollendete, und das 1847 zum ersten deutschen Dichtermuseum wurde.
Über 200 Häuser und Wohnungen von Schriftstellern sind im deutschen Sprachraum durch private und öffentliche Initiativen als Gedenkstätten und Museen eingerichtet, wie zum Beispiel Klopstocks Geburtshaus in Quedlinburg, das Nietzsche-Archiv in Weimar, ganz nah bei Goethes Grab, das 2020 anlässlich des 120. Todestags in neuem Licht erstrahlt und das es ohne den Einsatz seiner Schwester, die ihn zuletzt auch pflegte, nicht gäbe. In diesem Haus, in dem er nie eine Zeile schrieb, verbrachte er seine von geistiger Umnachtung gezeichneten drei letzten Lebensjahre. Die Frühjahr 2020 geplante Neueröffnung der Dauerausstellung »Kampf um Nietzsche « musste wegen Corona ausfallen, stattdessen wird ein digitaler Parcours angeboten unter https://www.klassik-stiftung.de/ihr-besuch/ausstellungen/nietzsche-superstar-digital/, zudem kann die Ausstellung selbst bis 25. Oktober von Einzelpersonen und ab 26. Oktober von bis zu zehn Personen besucht werden.
Im Renaissance-Schlösschen von Oberwiederstedt gibt es das Novalis-Museum, Geburtsstätte des Dichters, der mit knapp 29 Jahren in dem vom Vater 1786 in Weißenfels für seine Familie erworbenen repräsentativen Haus verstarb, ebenfalls eine Novalis-Gedenkstätte.
Der Sohn des Arztes und Dichters Justinus Kerner sorgte dafür, dass die Einrichtung und große Kunstsammlung im einst überaus gastfreundlichen, in der Kleinstadt Weinsberg bei Heilbronn gelegenen Kernerhaus erhalten blieben, das der Dichter, eine schwäbische Kultfigur, 1822 errichten ließ. Nach dessen Tod wurde es 1908 als Museum eröffnet. Im StifterHaus in Linz – der Dichter bewohnte mit seiner Frau von 1848 bis zu seinem Tod 1868 den zweiten Stock, nannte seine Wohnung die schönste in ganz Linz – befindet sich das Stifter-Institut.
Das in Goddelau bei Darmstadt gelegene Geburtshaus des 1837 in Zürich mit 23 Jahren verstorbenen Georg Büchner wurde erst 1997 als einzige Gedenkstätte geöffnet. Noch 100 Jahre nach seiner Geburt galt der politische und literarische Außenseiter als steckbrieflich gesuchter Krimineller.
Seit 1993 gibt es in Lübeck im Giebelhaus in der Mengstraße, im sogenannten Buddenbrookhaus, einst Familiensitz der Manns, 1942 ausgebombt, 1991 von der Stadt Lübeck erworben, ein Literaturmuseum. Abgebildet sind das rekonstruierte Musik- und das elegante Esszimmer, die sich im Roman zum Landschafts-, beziehungsweise zum Götterzimmer wandelten.
28 Jahre, bis zu ihrem Tod, lebte Anna Seghers nach Flucht und Heimatlosigkeit im obersten Stock eines Mietshauses in Berlin-Adlershof (DDR), wo sie im Literaturbetrieb schnell wieder Fuß fasste, obwohl sie eine politisch unbequeme Funktionärin war. Die mit zahlreichen Preisen und Ehrungen ausgezeichnete, äußerst produktive Autorin führte ein offenes Haus. Ihre im 1950er-Jahre-Stil eingerichtete Wohnung ist bis heute im Originalzustand erhalten.
Goethes Haus am Frauenplan in Weimar mit dem fast vollständig vorhandenen Mobiliar (im Band abgebildet ist unter anderem sein schlichtes Schlafzimmer mit dem Sessel, in dem er 1832 starb), gehört wohl zu den größten Publikumsmagneten. 1794 hatte Herzog Carl August das Haus als Geschenk für Goethe erworben, das er 1789 wegen seiner Beziehung zu Christiane Vulpius auf Anweisung des Hofes für drei Jahre verlassen musste, in das er dann aber wieder zurückkehren durfte.
Hölderlins Erinnerungsstätte in Tübingen wurde ab 2017 renoviert und im Februar 2020 wiedereröffnet. Das Turmzimmer, in dem der geistig verwirrte Dichter von 1807 bis 1843 lebte – ein Schreinermeister hatte den Kranken nach der erfolglosen Behandlung in der Tübinger Klinik Autenrieth in sein Haus, das direkt am Neckar liegt, fürsorglich aufgenommen –, präsentiert sich nun etwas anders als im Buch. Auf dem neuen Fußboden steht statt der beiden Stühle jetzt ein schwarzes Stehpult mit einem kleinen Tisch, an dem Hölderlin seine letzten Gedichte schrieb. 2020 feiert man seinen 250. Geburtstag. Leider mussten viele Veranstaltungen wegen Corona ausfallen. Unter https://www.swr.de/swr2/literatur kann man in Fortsetzungsfolgen den Hyperion hören.
2020 ist auch Jubiläumsjahr für die vor 150 Jahren geborene Ida Dehmel, leidenschaftliche Förderin moderner Kunst und Gründerin der noch bestehenden Künstlerinnen-Vereinigung GEDOK. Zusammen mit ihrem einst berühmten Mann, dem Dichter Richard Dehmel, führte sie in Hamburg Blankenese ein Haus, das Treffpunkt war von Schriftstellern, Künstlern und Komponisten.
Alle Genannten sind in dem Buch präsent, dessen Einführungen zu den elf chronologisch angeordneten Kapiteln einen zeitgeschichtlichen Überblick geben und kurz auf die vorgestellten Personen einstimmen. Danach öffnen biografische Informationen, oft mit Hinweisen auf entsprechende Werke, textlich und bildlich Literatenschauplätze, die von Dichterglück und Dichterschicksalen, von unerfüllten Träumen und politischen Zuständen erzählen. Plachtas lebendige und fundierte Texte sowie die hochwertig-stimmungsvollen großformatigen Farbfotos der Wohn- und Arbeitsstätten deutschsprachiger Dichter und einiger Dichterinnen, bereiten pure Freude für Auge und Geist und machen Lust, sie selbst zu besuchen (siehe Adress- und Internet-Verzeichnis im Anhang) und in ihre faszinierenden Gedanken- und Wohnwelten einzutauchen. Auch wenn manche in der Realität vielleicht nicht die Magie entfalten wie auf den glanzvollen Fotos, die intimen Einblicke in diese Dichterleben werden trotzdem verzaubern und berühren.