Blick auf neuere Publikationen: Begegnungen mit den Haushofers
Die 141. Ausgabe der Zeitschrift Literatur in Bayern widmet sich dem Schwerpunkt Schuld und ... Michael Stephan schreibt darin über die oberbayerische Familie Haushofer.
*
Zu den interessanten Familien in München und Oberbayern, die wie keine andere so eng mit der Kunst-, Literatur und Zeitgeschichte verwoben ist, gehören die Haushofers, über die in letzter Zeit einige neue Publikationen erschienen sind.
Den Anfang machte der Maler Max Haushofer (1811–1866), der seit 1845 an der Prager Kunstakademie eine Professur für Landschaftsmalerei innehatte (an der Münchner Kunstakademie war diese Klasse bereits 1828 aufgelöst worden). Er gehört zu den Initiatoren der Malerkolonie auf der Fraueninsel im Chiemsee, dort hatte er über die Ehe mit Anna Dumbser, der Tochter des Inselwirtes, eine zweite Heimat gefunden. Über die Fraueninsel auch als literarischen Erinnerungsort hat die Literaturwissenschaftlerin Ingvild Richardsen 2017 in der Reihe »Vergessenes Bayern« (Volk Verlag) eine lesenswerte Monografie vorgelegt.
Sein jüngerer Sohn Max (1840–1907) wurde Professor für Nationalökonomie an der TU München, Landtagsabgeordneter und Schriftsteller, der ab 1902 in zweiter Ehe mit der Schriftstellerin Emma Haushofer-Merk (1854–1925) verheiratet war. Deren Werk (u.a. Alt-Münchner Erzählungen und Es wetterleuchtete, beide als Neueditionen 2015 im Allitera Verlag) und ihren großen Anteil an der Frauenbewegung – sie war seit 1912 im Vorstand des »Vereins für Fraueninteressen«, in dem auch ihr Mann Mitglied war, und 1913 Gründungsmitglied des ersten »Münchener Schriftstellerinnen-Vereins« – hat in den letzten Jahren ebenfalls Ingvild Richardsen gebührend gewürdigt mit mehreren Publikationen und Ausstellungen (so z.B. Evas Töchter 2018 in der Monacensia).
Eine wichtige Rolle in diesem Umkreis spielte auch die Malerin und Dichterin Marie Haushofer (1871–1940), eine Tochter von Max Haushofer aus erster Ehe. Sie schrieb für den ersten Bayerischen Frauentag, der 1899 in München stattfand, das Festspiel Zwölf Culturbilder aus dem Leben einer Frau.
Eine ganz andere Berühmtheit erlangte dagegen ihr älterer Bruder Karl Haushofer (1869–1946). Er war hochdekorierter Offizier, seit 1921 Professor für Geografie an der Universität München und engagierter Vertreter der Geopolitik. Seine Theorie vom »Lebensraum« brachte ihn nach 1933 in gefährliche Nähe zur Ideologie des Nationalsozialismus, nicht zuletzt durch seine Kontakte zu seinem Schüler Rudolf Heß. Allerdings schützten diese Beziehungen auch, denn seine Ehefrau Martha, die er im Jahr 1900 geheiratet hatte (mit der Hochzeit kam auch der legendäre, zwischen Andechs und Pähl gelegene Hartschimmelhof in Familienbesitz), galt nach den NS-Rassegesetzen als »Halbjüdin«. Nach dem Flug von Rudolf Heß nach England und seiner dortigen Festnahme verlor Haushofer jeglichen Einfluss und geriet im Kontext der Verfolgung der Hitler-Attentäter vom 20. Juli 1944 ins Visier der Gestapo.
Neue Aspekte dazu lieferte jüngst die Auswertung des Nachlasses des Typografen Paul Renner, der 2017 von der Enkelin Andrea Haushofer-Schröder an die Bayerische Staatsbibliothek abgegeben worden war, durch ein studentisches Forschungsprojekt. In dem von Waldemar Fromm und Laura Mokrohs herausgegebenen Sammelband Der Schöpfer der Futura. Der Buchgestalter, Typograf und Maler Paul Renner (Volk Verlag 2019) untersucht Gerhard Schönberger den »Briefwechsel von Paul Renner mit Martha, Karl und Luise Haushofer nach dem Attentat vom 20. Juli 1944«. Luise Haushofer (1906 – 1988) war die älteste Tochter von Paul und Anna Renner und seit 1933 mit dem Agrarwissenschaftler Heinz Haushofer (1906–1988), dem jüngeren Sohn von Karl und Martha Haushofer, in dessen zweiter Ehe verheiratet.
Heinz Haushofer wurde noch im August 1944 verhaftet, sein älterer Bruder Albrecht (1903–1945), der tatsächlich Kontakt zu Widerstandsgruppen hatte, konnte erst im Dezember 1944 gefangen genommen werden. Beide waren in Berlin-Moabit im Gefängnis. Im Nachlass von Heinz Haushofer, den ich im Jahr 1995 für das Bayerische Hauptstaatsarchiv von seiner Schwiegertochter Renate Haushofer erwerben konnte, befindet sich ein Schulheft mit verschiedenen handschriftlichen und ohne Hilfsmittel »im Gefängnis Lehrterstraße 4 zu Berlin im Januar 1945« verfassten Essays, darunter eine politische Theorie der Landwirtschaft, eine Geschichte des Hartschimmelhofes und Erinnerungen an Griechenland im Jahr 1944.
Sie sind das Gegenstück zu den gleichzeitig entstandenen Gedichten seines Bruders Albrecht, die unter dem Titel Moabiter Sonette in die Literaturgeschichte eingegangen sind. Ihnen und dem in der Nacht vom 22. auf den 23. April 1945 ermordeten Dichter hat nun Norbert Göttler unter dem Titel Dachau, Moabit und zurück. Eine Begegnung mit Albrecht Haushofer eine »literarische Collage« gewidmet (Allitera Verlag 2020), in die er neben seiner Spurensuche auch ganz persönliche Erinnerungen an seine eigene Jugend auf dem Bauernhof in Walpertshofen einwebt, der in direkter Nachbarschaft zum KZ Dachau liegt.
In den Moabiter Sonetten, Albrecht Haushofers politisch-literarischem Testament, ist ein Gedicht auch dem Bruder gewidmet; darin heißt es:
»Mein Bruder – hoff ich – sieht die Heimat wieder,
die Eltern, seine tapfer-kluge Frau,
des Ackers Braun, des Alpenhimmels Blau.«
Heinz Haushofer kam tatsächlich frei und fand seinen ermordeten Bruder mit dem blutverschmierten Manuskript der Moabiter Sonette in der Manteltasche. Die Eltern verwanden das Schicksal des getöteten Sohnes nicht und nahmen sich in der Nacht vom 9. auf den 10. März 1946 auf dem Hartschimmelhof das Leben.
Heinz Haushofer bewirtschaftete als Landwirt das Gut Hartschimmel und wurde später Direktor des Bayerischen Bauernverbands und Agrarfunktionär auf europäischer Ebene. 1964 übergab er das Gut seinem Sohn, dem CSU-Landtagsabgeordneten Martin Haushofer (1936–1994). Seine Witwe Renate Haushofer, eine geborene Gräfin Lüttichau, erzählte Nobert Göttler bei seinem Besuch auf dem Hartschimmelhof im Frühjahr 2017, dass sie nun allein lebe mit den »Gespenstern der Vergangenheit«. Die Frauen, die im Leben der Haushofers nie eine Nebenrolle gespielt haben, werden in Zukunft weiter den Ton angeben. Die Tochter Alexandra von Schönberg betreibt auf dem Gut eine Papierwerkstatt und einen Laden und verwaltet darüber hinaus Haus, Hof und Bio-Landwirtschaft.
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Die 141. Ausgabe der Zeitschrift Literatur in Bayern widmet sich dem Schwerpunkt Schuld und ... Michael Stephan schreibt darin über die oberbayerische Familie Haushofer.
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Zu den interessanten Familien in München und Oberbayern, die wie keine andere so eng mit der Kunst-, Literatur und Zeitgeschichte verwoben ist, gehören die Haushofers, über die in letzter Zeit einige neue Publikationen erschienen sind.
Den Anfang machte der Maler Max Haushofer (1811–1866), der seit 1845 an der Prager Kunstakademie eine Professur für Landschaftsmalerei innehatte (an der Münchner Kunstakademie war diese Klasse bereits 1828 aufgelöst worden). Er gehört zu den Initiatoren der Malerkolonie auf der Fraueninsel im Chiemsee, dort hatte er über die Ehe mit Anna Dumbser, der Tochter des Inselwirtes, eine zweite Heimat gefunden. Über die Fraueninsel auch als literarischen Erinnerungsort hat die Literaturwissenschaftlerin Ingvild Richardsen 2017 in der Reihe »Vergessenes Bayern« (Volk Verlag) eine lesenswerte Monografie vorgelegt.
Sein jüngerer Sohn Max (1840–1907) wurde Professor für Nationalökonomie an der TU München, Landtagsabgeordneter und Schriftsteller, der ab 1902 in zweiter Ehe mit der Schriftstellerin Emma Haushofer-Merk (1854–1925) verheiratet war. Deren Werk (u.a. Alt-Münchner Erzählungen und Es wetterleuchtete, beide als Neueditionen 2015 im Allitera Verlag) und ihren großen Anteil an der Frauenbewegung – sie war seit 1912 im Vorstand des »Vereins für Fraueninteressen«, in dem auch ihr Mann Mitglied war, und 1913 Gründungsmitglied des ersten »Münchener Schriftstellerinnen-Vereins« – hat in den letzten Jahren ebenfalls Ingvild Richardsen gebührend gewürdigt mit mehreren Publikationen und Ausstellungen (so z.B. Evas Töchter 2018 in der Monacensia).
Eine wichtige Rolle in diesem Umkreis spielte auch die Malerin und Dichterin Marie Haushofer (1871–1940), eine Tochter von Max Haushofer aus erster Ehe. Sie schrieb für den ersten Bayerischen Frauentag, der 1899 in München stattfand, das Festspiel Zwölf Culturbilder aus dem Leben einer Frau.
Eine ganz andere Berühmtheit erlangte dagegen ihr älterer Bruder Karl Haushofer (1869–1946). Er war hochdekorierter Offizier, seit 1921 Professor für Geografie an der Universität München und engagierter Vertreter der Geopolitik. Seine Theorie vom »Lebensraum« brachte ihn nach 1933 in gefährliche Nähe zur Ideologie des Nationalsozialismus, nicht zuletzt durch seine Kontakte zu seinem Schüler Rudolf Heß. Allerdings schützten diese Beziehungen auch, denn seine Ehefrau Martha, die er im Jahr 1900 geheiratet hatte (mit der Hochzeit kam auch der legendäre, zwischen Andechs und Pähl gelegene Hartschimmelhof in Familienbesitz), galt nach den NS-Rassegesetzen als »Halbjüdin«. Nach dem Flug von Rudolf Heß nach England und seiner dortigen Festnahme verlor Haushofer jeglichen Einfluss und geriet im Kontext der Verfolgung der Hitler-Attentäter vom 20. Juli 1944 ins Visier der Gestapo.
Neue Aspekte dazu lieferte jüngst die Auswertung des Nachlasses des Typografen Paul Renner, der 2017 von der Enkelin Andrea Haushofer-Schröder an die Bayerische Staatsbibliothek abgegeben worden war, durch ein studentisches Forschungsprojekt. In dem von Waldemar Fromm und Laura Mokrohs herausgegebenen Sammelband Der Schöpfer der Futura. Der Buchgestalter, Typograf und Maler Paul Renner (Volk Verlag 2019) untersucht Gerhard Schönberger den »Briefwechsel von Paul Renner mit Martha, Karl und Luise Haushofer nach dem Attentat vom 20. Juli 1944«. Luise Haushofer (1906 – 1988) war die älteste Tochter von Paul und Anna Renner und seit 1933 mit dem Agrarwissenschaftler Heinz Haushofer (1906–1988), dem jüngeren Sohn von Karl und Martha Haushofer, in dessen zweiter Ehe verheiratet.
Heinz Haushofer wurde noch im August 1944 verhaftet, sein älterer Bruder Albrecht (1903–1945), der tatsächlich Kontakt zu Widerstandsgruppen hatte, konnte erst im Dezember 1944 gefangen genommen werden. Beide waren in Berlin-Moabit im Gefängnis. Im Nachlass von Heinz Haushofer, den ich im Jahr 1995 für das Bayerische Hauptstaatsarchiv von seiner Schwiegertochter Renate Haushofer erwerben konnte, befindet sich ein Schulheft mit verschiedenen handschriftlichen und ohne Hilfsmittel »im Gefängnis Lehrterstraße 4 zu Berlin im Januar 1945« verfassten Essays, darunter eine politische Theorie der Landwirtschaft, eine Geschichte des Hartschimmelhofes und Erinnerungen an Griechenland im Jahr 1944.
Sie sind das Gegenstück zu den gleichzeitig entstandenen Gedichten seines Bruders Albrecht, die unter dem Titel Moabiter Sonette in die Literaturgeschichte eingegangen sind. Ihnen und dem in der Nacht vom 22. auf den 23. April 1945 ermordeten Dichter hat nun Norbert Göttler unter dem Titel Dachau, Moabit und zurück. Eine Begegnung mit Albrecht Haushofer eine »literarische Collage« gewidmet (Allitera Verlag 2020), in die er neben seiner Spurensuche auch ganz persönliche Erinnerungen an seine eigene Jugend auf dem Bauernhof in Walpertshofen einwebt, der in direkter Nachbarschaft zum KZ Dachau liegt.
In den Moabiter Sonetten, Albrecht Haushofers politisch-literarischem Testament, ist ein Gedicht auch dem Bruder gewidmet; darin heißt es:
»Mein Bruder – hoff ich – sieht die Heimat wieder,
die Eltern, seine tapfer-kluge Frau,
des Ackers Braun, des Alpenhimmels Blau.«
Heinz Haushofer kam tatsächlich frei und fand seinen ermordeten Bruder mit dem blutverschmierten Manuskript der Moabiter Sonette in der Manteltasche. Die Eltern verwanden das Schicksal des getöteten Sohnes nicht und nahmen sich in der Nacht vom 9. auf den 10. März 1946 auf dem Hartschimmelhof das Leben.
Heinz Haushofer bewirtschaftete als Landwirt das Gut Hartschimmel und wurde später Direktor des Bayerischen Bauernverbands und Agrarfunktionär auf europäischer Ebene. 1964 übergab er das Gut seinem Sohn, dem CSU-Landtagsabgeordneten Martin Haushofer (1936–1994). Seine Witwe Renate Haushofer, eine geborene Gräfin Lüttichau, erzählte Nobert Göttler bei seinem Besuch auf dem Hartschimmelhof im Frühjahr 2017, dass sie nun allein lebe mit den »Gespenstern der Vergangenheit«. Die Frauen, die im Leben der Haushofers nie eine Nebenrolle gespielt haben, werden in Zukunft weiter den Ton angeben. Die Tochter Alexandra von Schönberg betreibt auf dem Gut eine Papierwerkstatt und einen Laden und verwaltet darüber hinaus Haus, Hof und Bio-Landwirtschaft.