Norbert Göttler über drei kaum beachtete KZ-Gedenkstätten
Die 141. Ausgabe der Zeitschrift Literatur in Bayern widmet sich dem Schwerpunkt Schuld und ... Darin schreibt Norbert Göttler über fast vergessene Außenstätten des ehemaligen Konzentrationslagers Dachau.
*
Corona hat auch in der Zeitgeschichtsarbeit eine Sondersituation geschaffen. So findet man das zentrale Areal der KZ-Gedenkstätte Dachau, obwohl täglich geöffnet, zurzeit fast menschenleer. Dort, wo normalerweise eine Million Besucher pro Jahr über das Gelände streicht, kann man heute in gespenstischer Ruhe seinen Gedanken nachhängen.
Diese Möglichkeit hätte es freilich immer gegeben und wird es weiterhin geben. Die zeitgeschichtlichen Stätten in Dachau umfassen nämlich nicht nur das öffentlich zugängliche ehemalige KZ-Gelände sowie die nichtöffentlichen, weil von der Bayerischen Bereitschaftspolizei genutzte, ehemaligen SS-Ausbildungskasernen – sondern auch die der Verwahrlosung überlassene „Plantage“, den ehemaligen Schießplatz Hebertshausen und den Friedhof Leitenberg. Und dort ist es fast immer menschenleer, war es auch vor Corona schon.
Ich nutze diese Orte oft, um mit mir und meinen Gedanken allein zu sein. Ich nutze sie aber auch, um Menschen zu führen, die es Jahrzehnte nicht gewagt haben, der brutalen Unmittelbarkeit des Hauptgeländes, seines Museums und seiner Verbrennungsöfen, gegenüberzutreten.
Was an Schießplatz und Leitenberg geschah, ist nicht weniger grausam und bestürzend, aber im Schatten alter Bäume, umgeben von Getreidefeldern und, vor allem, einsam und unbedrängt von Besuchergruppen, kann man sich vorsichtiger vorantasten im Widerstreit der eigenen Gefühle. Ein solches Vorgehen ist beileibe keine Flucht vor der Wirklichkeit, sondern ein Ernstnehmen der eigenen Psyche. Eine Psyche, die für die Annäherung an das Schreckliche, so überhaupt möglich, Zeit, Wege, Abstand, Innehalten, Gespräche oder schweigendes Nebeneinanderhergehen braucht. Meine Erfahrung ist, dass viele Menschen nach dem Besuch der stillen Stätten von Dachau eher bereit sind für eine intensivere Auseinandersetzung mit unserer Vergangenheit.
Die äußeren Fakten von Plantage, Schießplatz und Leitenberg sind schnell erzählt. Die sogenannte Plantage, verharmlosend auch „Kräutergarten“ genannt, diente der SS als Produktionsstätte von Kräuterersatzprodukten, aber auch als Vernichtungsstätte durch erbarmungslose Sklavenarbeit in der Entwässerung des Dachauer Mooses. Völlig unscheinbar steht darin ein kleines Gebäude, das für manchen KZ-Häftling die einzige Möglichkeit war, Briefe und Kassiber in die Welt jenseits des Stacheldrahts zu schmuggeln.
Der Schießplatz Hebertshausen wurde 1938 als Trainingsgelände der SS angelegt, aber schon bald als einsam gelegene Hinrichtungsstätte verwendet. Nach dem „Kommissarbefehl“ Hitlers wurden hier 1941 und 1942 mehr als 6.000 russische Kriegsgefangene ermordet.
Der Friedhof Leitenberg wurde von der SS von Anfang 1945 bis zum Kriegsende als Massenfriedhof genutzt, nachdem die Kapazitäten für die Verbrennung von Leichen innerhalb des Konzentrationslagers erschöpft waren. Bis zur Befreiung des KZ wurden dort rund 4.000 Leichen in Massengräber geworfen. Unmittelbar danach nutzten auch die Alliierten den Friedhof für die Bestattung von rund 2.000 Toten aus dem Konzentrationslager. Auf einem der frühesten Gedenksteine auf dem Leitenberg steht eine Inschrift, die für alle drei der stillen Orte Dachaus Mahnung sein könnte: „Gewalt stahl lieblos Leben und Recht. Hör uns, Pilger sag's deinem Volk. Sei du der Liebe treuer Knecht!“.
Norbert Göttler über drei kaum beachtete KZ-Gedenkstätten>
Die 141. Ausgabe der Zeitschrift Literatur in Bayern widmet sich dem Schwerpunkt Schuld und ... Darin schreibt Norbert Göttler über fast vergessene Außenstätten des ehemaligen Konzentrationslagers Dachau.
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Corona hat auch in der Zeitgeschichtsarbeit eine Sondersituation geschaffen. So findet man das zentrale Areal der KZ-Gedenkstätte Dachau, obwohl täglich geöffnet, zurzeit fast menschenleer. Dort, wo normalerweise eine Million Besucher pro Jahr über das Gelände streicht, kann man heute in gespenstischer Ruhe seinen Gedanken nachhängen.
Diese Möglichkeit hätte es freilich immer gegeben und wird es weiterhin geben. Die zeitgeschichtlichen Stätten in Dachau umfassen nämlich nicht nur das öffentlich zugängliche ehemalige KZ-Gelände sowie die nichtöffentlichen, weil von der Bayerischen Bereitschaftspolizei genutzte, ehemaligen SS-Ausbildungskasernen – sondern auch die der Verwahrlosung überlassene „Plantage“, den ehemaligen Schießplatz Hebertshausen und den Friedhof Leitenberg. Und dort ist es fast immer menschenleer, war es auch vor Corona schon.
Ich nutze diese Orte oft, um mit mir und meinen Gedanken allein zu sein. Ich nutze sie aber auch, um Menschen zu führen, die es Jahrzehnte nicht gewagt haben, der brutalen Unmittelbarkeit des Hauptgeländes, seines Museums und seiner Verbrennungsöfen, gegenüberzutreten.
Was an Schießplatz und Leitenberg geschah, ist nicht weniger grausam und bestürzend, aber im Schatten alter Bäume, umgeben von Getreidefeldern und, vor allem, einsam und unbedrängt von Besuchergruppen, kann man sich vorsichtiger vorantasten im Widerstreit der eigenen Gefühle. Ein solches Vorgehen ist beileibe keine Flucht vor der Wirklichkeit, sondern ein Ernstnehmen der eigenen Psyche. Eine Psyche, die für die Annäherung an das Schreckliche, so überhaupt möglich, Zeit, Wege, Abstand, Innehalten, Gespräche oder schweigendes Nebeneinanderhergehen braucht. Meine Erfahrung ist, dass viele Menschen nach dem Besuch der stillen Stätten von Dachau eher bereit sind für eine intensivere Auseinandersetzung mit unserer Vergangenheit.
Die äußeren Fakten von Plantage, Schießplatz und Leitenberg sind schnell erzählt. Die sogenannte Plantage, verharmlosend auch „Kräutergarten“ genannt, diente der SS als Produktionsstätte von Kräuterersatzprodukten, aber auch als Vernichtungsstätte durch erbarmungslose Sklavenarbeit in der Entwässerung des Dachauer Mooses. Völlig unscheinbar steht darin ein kleines Gebäude, das für manchen KZ-Häftling die einzige Möglichkeit war, Briefe und Kassiber in die Welt jenseits des Stacheldrahts zu schmuggeln.
Der Schießplatz Hebertshausen wurde 1938 als Trainingsgelände der SS angelegt, aber schon bald als einsam gelegene Hinrichtungsstätte verwendet. Nach dem „Kommissarbefehl“ Hitlers wurden hier 1941 und 1942 mehr als 6.000 russische Kriegsgefangene ermordet.
Der Friedhof Leitenberg wurde von der SS von Anfang 1945 bis zum Kriegsende als Massenfriedhof genutzt, nachdem die Kapazitäten für die Verbrennung von Leichen innerhalb des Konzentrationslagers erschöpft waren. Bis zur Befreiung des KZ wurden dort rund 4.000 Leichen in Massengräber geworfen. Unmittelbar danach nutzten auch die Alliierten den Friedhof für die Bestattung von rund 2.000 Toten aus dem Konzentrationslager. Auf einem der frühesten Gedenksteine auf dem Leitenberg steht eine Inschrift, die für alle drei der stillen Orte Dachaus Mahnung sein könnte: „Gewalt stahl lieblos Leben und Recht. Hör uns, Pilger sag's deinem Volk. Sei du der Liebe treuer Knecht!“.