Logen-Blog [90]: Porträt des Stubenmädchens als adelige Dame
Die schöne Frau fällt einfach auf: Yolande-Martine-Gabrielle de Polastron, Duchesse de Polignac, porträtiert von Elisabeth-Louise Vigée-Lebrun, die uns hier schon mehrmals begegnet ist (schade, dass sie, die geniale Porträtistin, niemals den Meister gemalt hat). 1782 war das, Jean Paul saß noch in Leipzig, um weniger zu studieren als an seinen Grönländischen Prozessen zu werkeln. Die Herzogin, eine Frau von berühmter beauté, war damals 23 Jahre alt, sie starb 1793, kurz nach Vollendung des Romans – doch nicht unter der Guillotine, wie man vermuten könnte, sondern im österreichischen Exil.
Eine Frau der Jean-Paul-Zeit, ein „Weib“, das auch heute noch fasziniert. Du betrittst den Raum im Versailler Schloss – und wirst magisch angezogen von dem Bild, das neben dem Durchgang zum nächsten Raum hängt. Im Spiegel siehst du die anderen Schönheiten, die hier dank Vigée-Lebruns Kunst hängen – aber der Blick wird geradezu an diese Wand gelenkt.
Ihr prominenter Platz ist und war ihr sicher: als Favoritin der Königin und Gouvernante ihrer Kinder, „bewundert viel und viel gescholten“, wie Goethe gesagt hätte, der sich bei den schönen Helenen auskannte. Vielleicht sind ihre Porträts schöner, als sie in Wirklichkeit war; Berichte der Zeitgenossen deuten darauf hin, aber ich stelle mir die Frau mit den violetten Augen als weiblichen Gipfelpunkt des Hofes vor. Sie war leider ultramonarchistisch, aber man kann ja nicht alles haben. Vielleicht war sie beides zugleich: unglaublich charismatisch und charmant – und kaltherzig und egoistisch. So etwas soll ja heute noch vorkommen, aber nicht jede, die so agiert und so ist, hat das Glück, von einer Vigée-Lebrun zeiten- und epochenüberdauernd verewigt zu werden.
Als Jean Paul den Roman schrieb, lebte die Frau noch im Schweizer Exil, nachdem sie Frankreich schon kurz nach dem 14. Juli verlassen hatte. Sie war eine gleichsam öffentliche Frau: als sie die Schweiz erreicht hatte – Jean Paul kehrte in diesem Jahr nach Hof zurück –, erschien ein Pamphlet mit dem hübschen wie boshaften Titel Adieux de Madame la Duchesse de Polignac aux François.
„Vas, vas porter au loin les exhalaisons tachantes de ton corps impur“. Der „unreine Körper“ der Gabrielle – mir fällt ein, was der Dichter der Unsichtbaren Loge in seinem Exkurs über die Päpstinnen schrieb: „Bloß eine Woche brauchen sie, um uns ins Fegefeuer, und eine Stunde, um uns zurück in den Himmel zu werfen.“ Und im Minibändchen Entlarvung der Weiber durch Jean Paul entdecke ich folgende Stelle, die genauso schön ist wie die Frau, von der hier die Rede ist:
Eine schöne Frau hat nicht nötig, etwas anderes zu sein; denn ihre Schönheit setzt sie in den Besitz aller Vollkommenheiten, die ihr feurigster Anbeter an ihr findet; sie ist also äußerst verständigt. Wer wollte auch eine dumme Rede im Munde eines schönen Frauenzimmers für eine solche halten, wer an einem weiblichen Geschöpfe die Schönheit rühmen, ohne den Verstand desselben, der nicht wirklich ist, höher zu schätzen als jene, deren Wirklichkeit aber zur Lüge verleitete? Daher, ihr Schönen, das übrige wird euch alles zufallen.
Hand aufs Herz, liebe Männer: Hat sich zwischen 1790 und 2013 wirklich so viel geändert, wie es die Revolution von 1789 und die Emanzipation des Mannes suggerieren?
Zum Schluss ein kleiner Vorgriff: im 35. Sektor wird der Autor über seine Figuren nachdenken, unter denen sich auch Herzoginnen befinden. Mag sein, dass er da auch an die berühmt-berüchtigte Frau dachte, die den Weg in die öffentliche Presse, vielleicht auch nach Hof oder Schwarzenbach gefunden hatte:
Ich gesteh' es, dass die Züge solcher Göttinnen von den Schreibern aus keinen schlechtern Modellen zusammengetragen sein können, als die waren, wornach die griechischen Künstler ihre Göttinnen oder die römischen Maler ihre Madonnen zusammenschufen, und man müßte wenig Weltkenntnis haben, wenn man nicht sähe, dass die Fürstinnen, Herzoginnen etc. in unsern Romanen sicher nicht so gut getroffen wären, wenn nicht dem Autor an ihrer Stelle Stuben- und noch andere Mädchen gesessen hätten; und so, indem sich der Verfasser zum Herzog und sein Mädchen zur Fürstin machte, war der Roman fertig und seine Liebe verewigt
Kein Wunder: erst in Weimar sollte er mit den adligen Frauen in näheren Kontakt kommen. Danach hätte er diesen Passus vielleicht nicht mehr geschrieben.
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Die schöne Frau fällt einfach auf: Yolande-Martine-Gabrielle de Polastron, Duchesse de Polignac, porträtiert von Elisabeth-Louise Vigée-Lebrun, die uns hier schon mehrmals begegnet ist (schade, dass sie, die geniale Porträtistin, niemals den Meister gemalt hat). 1782 war das, Jean Paul saß noch in Leipzig, um weniger zu studieren als an seinen Grönländischen Prozessen zu werkeln. Die Herzogin, eine Frau von berühmter beauté, war damals 23 Jahre alt, sie starb 1793, kurz nach Vollendung des Romans – doch nicht unter der Guillotine, wie man vermuten könnte, sondern im österreichischen Exil.
Eine Frau der Jean-Paul-Zeit, ein „Weib“, das auch heute noch fasziniert. Du betrittst den Raum im Versailler Schloss – und wirst magisch angezogen von dem Bild, das neben dem Durchgang zum nächsten Raum hängt. Im Spiegel siehst du die anderen Schönheiten, die hier dank Vigée-Lebruns Kunst hängen – aber der Blick wird geradezu an diese Wand gelenkt.
Ihr prominenter Platz ist und war ihr sicher: als Favoritin der Königin und Gouvernante ihrer Kinder, „bewundert viel und viel gescholten“, wie Goethe gesagt hätte, der sich bei den schönen Helenen auskannte. Vielleicht sind ihre Porträts schöner, als sie in Wirklichkeit war; Berichte der Zeitgenossen deuten darauf hin, aber ich stelle mir die Frau mit den violetten Augen als weiblichen Gipfelpunkt des Hofes vor. Sie war leider ultramonarchistisch, aber man kann ja nicht alles haben. Vielleicht war sie beides zugleich: unglaublich charismatisch und charmant – und kaltherzig und egoistisch. So etwas soll ja heute noch vorkommen, aber nicht jede, die so agiert und so ist, hat das Glück, von einer Vigée-Lebrun zeiten- und epochenüberdauernd verewigt zu werden.
Als Jean Paul den Roman schrieb, lebte die Frau noch im Schweizer Exil, nachdem sie Frankreich schon kurz nach dem 14. Juli verlassen hatte. Sie war eine gleichsam öffentliche Frau: als sie die Schweiz erreicht hatte – Jean Paul kehrte in diesem Jahr nach Hof zurück –, erschien ein Pamphlet mit dem hübschen wie boshaften Titel Adieux de Madame la Duchesse de Polignac aux François.
„Vas, vas porter au loin les exhalaisons tachantes de ton corps impur“. Der „unreine Körper“ der Gabrielle – mir fällt ein, was der Dichter der Unsichtbaren Loge in seinem Exkurs über die Päpstinnen schrieb: „Bloß eine Woche brauchen sie, um uns ins Fegefeuer, und eine Stunde, um uns zurück in den Himmel zu werfen.“ Und im Minibändchen Entlarvung der Weiber durch Jean Paul entdecke ich folgende Stelle, die genauso schön ist wie die Frau, von der hier die Rede ist:
Eine schöne Frau hat nicht nötig, etwas anderes zu sein; denn ihre Schönheit setzt sie in den Besitz aller Vollkommenheiten, die ihr feurigster Anbeter an ihr findet; sie ist also äußerst verständigt. Wer wollte auch eine dumme Rede im Munde eines schönen Frauenzimmers für eine solche halten, wer an einem weiblichen Geschöpfe die Schönheit rühmen, ohne den Verstand desselben, der nicht wirklich ist, höher zu schätzen als jene, deren Wirklichkeit aber zur Lüge verleitete? Daher, ihr Schönen, das übrige wird euch alles zufallen.
Hand aufs Herz, liebe Männer: Hat sich zwischen 1790 und 2013 wirklich so viel geändert, wie es die Revolution von 1789 und die Emanzipation des Mannes suggerieren?
Zum Schluss ein kleiner Vorgriff: im 35. Sektor wird der Autor über seine Figuren nachdenken, unter denen sich auch Herzoginnen befinden. Mag sein, dass er da auch an die berühmt-berüchtigte Frau dachte, die den Weg in die öffentliche Presse, vielleicht auch nach Hof oder Schwarzenbach gefunden hatte:
Ich gesteh' es, dass die Züge solcher Göttinnen von den Schreibern aus keinen schlechtern Modellen zusammengetragen sein können, als die waren, wornach die griechischen Künstler ihre Göttinnen oder die römischen Maler ihre Madonnen zusammenschufen, und man müßte wenig Weltkenntnis haben, wenn man nicht sähe, dass die Fürstinnen, Herzoginnen etc. in unsern Romanen sicher nicht so gut getroffen wären, wenn nicht dem Autor an ihrer Stelle Stuben- und noch andere Mädchen gesessen hätten; und so, indem sich der Verfasser zum Herzog und sein Mädchen zur Fürstin machte, war der Roman fertig und seine Liebe verewigt
Kein Wunder: erst in Weimar sollte er mit den adligen Frauen in näheren Kontakt kommen. Danach hätte er diesen Passus vielleicht nicht mehr geschrieben.