Gedanken zur fränkischen Mundartlyrik von Fitzgerald Kusz
Fitzgerald Kusz, geboren 1944 in Nürnberg, aufgewachsen im mittelfränkischen Forth (heute: Eckental), ist ein Pionier der fränkischen Mundartdichtung. Sein 1976 uraufgeführtes Theaterstück Schweig, Bub!, das in 30 Jahren über siebenhundertmal in Nürnberg gespielt wurde, machte ihn im gesamten deutschsprachigen Raum bekannt. 1992 wurde Kusz mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet. 1998 erhielt er die Verdienstmedaille „Pro Meritis“ sowie den Friedrich-Baur-Preis der Bayerischen Akademie der Schönen Künste. 2017 wurde er mit dem Bayerischen Dialektpreis und dem Bayerischen Poetentaler geehrt. Der folgende poetologische Essay ist dem Nachwort seines bei ars vivendi erschienenen Gedichtbands Nämberch-Blues (2017) entnommen.
*
„die rache/der sprache/ ist das gedicht“: Wos für ä schäiner Spruch! Er stammt von Ernst Jandl. Gibt es eine schönere und witzigere Definition, was ein Gedicht eigentlich sein soll? Die Sprache rächt sich, sie schlägt zurück gegen die tagtägliche Berieselung, der wir ausgesetzt sind. Das einzige, was da noch hilft, ist ein Gedicht. Und die Sprache, in der ich mich räche, ist der Dialekt, mei Sprouch.
Ich bin als Dialektsprecher aufgewachsen. Fränkisch war meine erste Sprache, mei Muttersprouch. Meine zweite Sprache war das Berlinerisch meines Vaters. Wahrscheinlich hat das Spannungsfeld zwischen den beiden Dialekten mein Ohr hellhörig gemacht für das, was Sprache vermag. Auf dem Gymnasium und der Uni wollte man mir meinen Dialekt austreiben. Es ist nicht gelungen. Der Dialekt war stärker. Er hat sich gerächt. Plötzlich stand was auf einem Blatt Papier: Mein erstes Gedicht. Es bestand aus nichts anderem als aus lauter Schimpfwörtern:
suä ruudzbridschn suä elendichä
suä dreckbambl suä dreckädä
suä weisbild suä schbinnäds
suä bläidä sunnä suä bläidä
suä lusch su groußä
ä suä sulln
ä suä
suä
Diese „schimpfrede“ von 1970 war zugleich eine doppelte Rache. Die Rache an einer Freundin, die mich versetzt hatte und die Rache an der Hochsprache, die drauf und dran war, mei Sprouch, meinen Dialekt zu verdrängen. Der Damm war gebrochen. Von da an konnte ich nicht mehr aufhören, im Dialekt zu schreiben. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte ich mich in hochdeutscher Pop-Lyrik versucht. Von der Pop-Art habe ich das Prinzip des Zitierens gelernt. Das ließ sich sehr gut auf den Dialekt übertragen. Meine Mundart wurde so zur Mund-Bindestrich-Art. Mit der Betonung auf „art“. Mund-Art, wie ich sie verstehe, ist kein bloßes „Dem-Volk-aufs-Maul-schauen“, sondern Literatur, also ein Kunstprodukt.
Ich bin, durch mein Studium bedingt, ein unverbesserlicher „Philologe“. Die Liebe zum „logos“, zum Wort treibt mich um: die Sprachlust. Ich bin in die Sprache vernarrt. Sie ist nicht bloß mein Handwerkszeich. Sie hat ein Eigenleben, einen unverwechselbaren Sound. Mei Sprouch „swingt“, sie „groovt“ und manchmal hat sie auch den „blues“. Mit anderen Worten: Dialekt ist Musik, und diese Musik versuche ich aus den Wörtern heraus zu holen. Ich kann in meiner Sprouch sogar „rappen“:
däi ding dou
wou mid dem ding dou gäihd
houd däi ding dou gsachd
soll wos glanns gräing
vo dem ding dou soongs
obbä nix gwiiß waaßmä ned
Meine Lyrik ist für den Vortrag geschrieben. Erst dann erwachen die Texte zum Leben. Man sollte sie immer laut lesen. Gute Gedichte dürfen sich aber nicht bloß auf die Sprache verlassen. Sie müssen neben der Sprache noch etwas anderes haben, eine Energie, eine Antriebskraft, einen Treibstoff, der sie auf die poetische Umlaufbahn schickt. Diese Kraft ist es dann, die den „Flash“ auslöst, das Staunen, den Schock, den Kick, den Wow-Effekt. Gedichte ohne dieses gewisse Etwas, ohne „vibrations“, ohne „Schwingungen“; Gedichte, die außer Sprache nichts zu bieten haben, sind langweilig. Bloßes Wortgeklingel. Sie rauschen vorbei, sie bleiben nicht haften. Überhaupt das Haftenbleiben! Wie erreicht man, dass Gedichte ins Bewusstsein dringen und im Gedächtnis hängen bleiben? Man muss alles Überflüssige weglassen, mit wenigen Worten maximale Wirkung erzielen. „Sprachkürze gibt Denkweite“, lautet eine Maxime Jean Pauls, an die ich mich immer wieder halte. Das erklärt vielleicht auch mein Faible für den japanischen Dreizeiler, das Haiku:
deä wech is es ziel
du redsd di leichd:
iich find inn wech ned
Wir leben in einer Zeit ständiger Beschleunigung. Das Tempo, das unser Leben bestimmt, nimmt von Tag zu Tag zu. Die Lyrik muss dem etwas dagegensetzen. Sie nimmt die Geschwindigkeit aus den Dingen raus. Lyrik ist „Entschleunigung“. Für die Dauer eines Gedichts scheint die Zeit still zu stehen:
ä naggdschneggn grabbld nachm reeng
ibän nassn asfald: ä ganz ä glannä
diefsdgeschwindichkeidszuuch
Ich habe mich für den Dialekt entschieden, weil ich in der Sprouch Dinge sagen kann, die ich in der Hochsprache unmöglich sagen könnte. Der Dialekt ist an allem dichter dran – an den Menschen, am Alltag, an den Emotionen, am Leben. Und er ist konkret. Das ist die eine Seite, aber es gibt noch eine andere Seite, die der Dialekt der Hochsprache voraus hat: Er lebt vom Humor. Und der ist in ihr drin. „Hauptsach, mer derf sein Humor ned verliern!“ Mit diesem Spruch meiner Großmutter bin ich aufgewachsen. Was wäre mei Sprouch ohne den Humor! Er ist für mich ein Lebensmittel, ja, ein „Überlebensmittel“! Er hilft, das Leiden an der Welt zu überwinden, er versöhnt mit dem Dasein und mit den Mitmenschen. Er ist, um noch einmal Jean Paul zu zitieren: „überwundenes Leiden“.
iich hou mein humoä väluän
weä hilfd mä soung?
weid kannä ned saa
Es steht nicht gut um den Dialekt. Wie lange wird er sich noch halten? Ja, sogar vom Dialektsterben ist schon die Rede. Ich werde jedenfalls weiter dagegen anschreiben und mei Sprouch am Leben erhalten. Es wäre jammerschade, wenn die Energie, die Kraft und die geballte Ladung Emotion, die in meiner Sprouch steckt, verloren ginge. Das ist die eigentliche „dia-leckdigg“ des Dialekts:
dia-leckdigg
ohne meinä muddä iä schbrouch
kammi meim vaddä sei land
kreizweis
© Alle zitierten Gedichte mit freundlicher Genehmigung des ars vivendi Verlags.
Gedanken zur fränkischen Mundartlyrik von Fitzgerald Kusz>
Fitzgerald Kusz, geboren 1944 in Nürnberg, aufgewachsen im mittelfränkischen Forth (heute: Eckental), ist ein Pionier der fränkischen Mundartdichtung. Sein 1976 uraufgeführtes Theaterstück Schweig, Bub!, das in 30 Jahren über siebenhundertmal in Nürnberg gespielt wurde, machte ihn im gesamten deutschsprachigen Raum bekannt. 1992 wurde Kusz mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet. 1998 erhielt er die Verdienstmedaille „Pro Meritis“ sowie den Friedrich-Baur-Preis der Bayerischen Akademie der Schönen Künste. 2017 wurde er mit dem Bayerischen Dialektpreis und dem Bayerischen Poetentaler geehrt. Der folgende poetologische Essay ist dem Nachwort seines bei ars vivendi erschienenen Gedichtbands Nämberch-Blues (2017) entnommen.
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„die rache/der sprache/ ist das gedicht“: Wos für ä schäiner Spruch! Er stammt von Ernst Jandl. Gibt es eine schönere und witzigere Definition, was ein Gedicht eigentlich sein soll? Die Sprache rächt sich, sie schlägt zurück gegen die tagtägliche Berieselung, der wir ausgesetzt sind. Das einzige, was da noch hilft, ist ein Gedicht. Und die Sprache, in der ich mich räche, ist der Dialekt, mei Sprouch.
Ich bin als Dialektsprecher aufgewachsen. Fränkisch war meine erste Sprache, mei Muttersprouch. Meine zweite Sprache war das Berlinerisch meines Vaters. Wahrscheinlich hat das Spannungsfeld zwischen den beiden Dialekten mein Ohr hellhörig gemacht für das, was Sprache vermag. Auf dem Gymnasium und der Uni wollte man mir meinen Dialekt austreiben. Es ist nicht gelungen. Der Dialekt war stärker. Er hat sich gerächt. Plötzlich stand was auf einem Blatt Papier: Mein erstes Gedicht. Es bestand aus nichts anderem als aus lauter Schimpfwörtern:
suä ruudzbridschn suä elendichä
suä dreckbambl suä dreckädä
suä weisbild suä schbinnäds
suä bläidä sunnä suä bläidä
suä lusch su groußä
ä suä sulln
ä suä
suä
Diese „schimpfrede“ von 1970 war zugleich eine doppelte Rache. Die Rache an einer Freundin, die mich versetzt hatte und die Rache an der Hochsprache, die drauf und dran war, mei Sprouch, meinen Dialekt zu verdrängen. Der Damm war gebrochen. Von da an konnte ich nicht mehr aufhören, im Dialekt zu schreiben. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte ich mich in hochdeutscher Pop-Lyrik versucht. Von der Pop-Art habe ich das Prinzip des Zitierens gelernt. Das ließ sich sehr gut auf den Dialekt übertragen. Meine Mundart wurde so zur Mund-Bindestrich-Art. Mit der Betonung auf „art“. Mund-Art, wie ich sie verstehe, ist kein bloßes „Dem-Volk-aufs-Maul-schauen“, sondern Literatur, also ein Kunstprodukt.
Ich bin, durch mein Studium bedingt, ein unverbesserlicher „Philologe“. Die Liebe zum „logos“, zum Wort treibt mich um: die Sprachlust. Ich bin in die Sprache vernarrt. Sie ist nicht bloß mein Handwerkszeich. Sie hat ein Eigenleben, einen unverwechselbaren Sound. Mei Sprouch „swingt“, sie „groovt“ und manchmal hat sie auch den „blues“. Mit anderen Worten: Dialekt ist Musik, und diese Musik versuche ich aus den Wörtern heraus zu holen. Ich kann in meiner Sprouch sogar „rappen“:
däi ding dou
wou mid dem ding dou gäihd
houd däi ding dou gsachd
soll wos glanns gräing
vo dem ding dou soongs
obbä nix gwiiß waaßmä ned
Meine Lyrik ist für den Vortrag geschrieben. Erst dann erwachen die Texte zum Leben. Man sollte sie immer laut lesen. Gute Gedichte dürfen sich aber nicht bloß auf die Sprache verlassen. Sie müssen neben der Sprache noch etwas anderes haben, eine Energie, eine Antriebskraft, einen Treibstoff, der sie auf die poetische Umlaufbahn schickt. Diese Kraft ist es dann, die den „Flash“ auslöst, das Staunen, den Schock, den Kick, den Wow-Effekt. Gedichte ohne dieses gewisse Etwas, ohne „vibrations“, ohne „Schwingungen“; Gedichte, die außer Sprache nichts zu bieten haben, sind langweilig. Bloßes Wortgeklingel. Sie rauschen vorbei, sie bleiben nicht haften. Überhaupt das Haftenbleiben! Wie erreicht man, dass Gedichte ins Bewusstsein dringen und im Gedächtnis hängen bleiben? Man muss alles Überflüssige weglassen, mit wenigen Worten maximale Wirkung erzielen. „Sprachkürze gibt Denkweite“, lautet eine Maxime Jean Pauls, an die ich mich immer wieder halte. Das erklärt vielleicht auch mein Faible für den japanischen Dreizeiler, das Haiku:
deä wech is es ziel
du redsd di leichd:
iich find inn wech ned
Wir leben in einer Zeit ständiger Beschleunigung. Das Tempo, das unser Leben bestimmt, nimmt von Tag zu Tag zu. Die Lyrik muss dem etwas dagegensetzen. Sie nimmt die Geschwindigkeit aus den Dingen raus. Lyrik ist „Entschleunigung“. Für die Dauer eines Gedichts scheint die Zeit still zu stehen:
ä naggdschneggn grabbld nachm reeng
ibän nassn asfald: ä ganz ä glannä
diefsdgeschwindichkeidszuuch
Ich habe mich für den Dialekt entschieden, weil ich in der Sprouch Dinge sagen kann, die ich in der Hochsprache unmöglich sagen könnte. Der Dialekt ist an allem dichter dran – an den Menschen, am Alltag, an den Emotionen, am Leben. Und er ist konkret. Das ist die eine Seite, aber es gibt noch eine andere Seite, die der Dialekt der Hochsprache voraus hat: Er lebt vom Humor. Und der ist in ihr drin. „Hauptsach, mer derf sein Humor ned verliern!“ Mit diesem Spruch meiner Großmutter bin ich aufgewachsen. Was wäre mei Sprouch ohne den Humor! Er ist für mich ein Lebensmittel, ja, ein „Überlebensmittel“! Er hilft, das Leiden an der Welt zu überwinden, er versöhnt mit dem Dasein und mit den Mitmenschen. Er ist, um noch einmal Jean Paul zu zitieren: „überwundenes Leiden“.
iich hou mein humoä väluän
weä hilfd mä soung?
weid kannä ned saa
Es steht nicht gut um den Dialekt. Wie lange wird er sich noch halten? Ja, sogar vom Dialektsterben ist schon die Rede. Ich werde jedenfalls weiter dagegen anschreiben und mei Sprouch am Leben erhalten. Es wäre jammerschade, wenn die Energie, die Kraft und die geballte Ladung Emotion, die in meiner Sprouch steckt, verloren ginge. Das ist die eigentliche „dia-leckdigg“ des Dialekts:
dia-leckdigg
ohne meinä muddä iä schbrouch
kammi meim vaddä sei land
kreizweis
© Alle zitierten Gedichte mit freundlicher Genehmigung des ars vivendi Verlags.