Zum 100. Todestag von Lena Christ: Interview mit Gunna Wendt
Vor einigen Tagen hat sich der 100. Todestag der bayerischen Schriftstellerin Lena Christ gejährt. Über die Aktualität Lena Christs, besonders auch in der heutigen Coronakrisenzeit, haben wir mit der Münchner Autorin Gunna Wendt gesprochen.
*
LPB: Frau Wendt, Sie als anerkannte Lena Christ-Kennerin und Biografin haben bereits allerhand Projekte zu ihr veranstaltet. Erst vor Kurzem, am 22. Juni, konnten Interessierte im Online-Dialog mit Ihnen zu dem Thema „Lena Christ“ sprechen. Gab es spezielle Aspekte, die die Zuhörer besonders jetzt während der Coronazeit vielleicht mehr interessiert haben?
GUNNA WENDT: Generell war großes Interesse an der Person Lena Christ zu beobachten. Aber nicht nur an Lena Christ, sondern überhaupt an Lebensgeschichten anderer Menschen zu anderen Zeiten. Ich habe den Eindruck, die Menschen interessieren sich mehr für andere. Zeitweise jedenfalls...
Welche Aspekte stoßen sonst sehr auf Interesse?
Neben dem schweren Schicksal Lena Christs, das sie in ihrem Werk Erinnerungen einer Überflüssigen schildert, ist es vor allem ihr Mut, einen ganz eigenen Weg zu gehen. Immer wieder taucht die Frage auf: Warum hat Lena Christ trotz allem nicht aufgegeben? Darüber hinaus gilt das Interesse aber auch allgemein der Situation der Frauen am Ende des 19., Anfang des 20. Jahrhunderts. Welche Bildungs- und Selbstenfaltungschancen hatten sie überhaupt? Was war ihnen verwehrt?
Lena Christ ist ja ein unglaublich mutiger Mensch, der sich trotz vieler Schicksalsschläge und Demütigungen tapfer durchs Leben schlägt. Woher, glauben Sie, nimmt Lena diese Kraft und diesen Mut, immer weiterzumachen?
Auf jeden Fall hilft Lena Christ ihre Kindheit bei den Großeltern auf dem Land, bei denen sie ja sehr behütet aufwächst. Vor allem die Liebe des Großvaters ist für sie ein starkes Fundament, auf dem sie aufbauen kann. Diese wenigen glücklichen Jahre sind aber natürlich nicht der einzige Grund für ihren Mut und ihre Willensstärke. Mehr noch gibt ihr das Schreiben und der Bezug zur Literatur sehr viel Kraft. Da fühlt sie sich sicher, weil sie weiß, dass sie es gut kann. Sie schreibt ja auch überall, ob auf einer Parkbank oder im Krankenhaus, nichts kann sie da aus der Ruhe bringen, überall kann sie sich konzentrieren. Dabei unterstützt und ermutigt sie ihr zweiter Ehemann Peter Jerusalem (Benedix). Es sind also eigentlich drei Faktoren: die bedingungslose Liebe des Großvaters – dabei habe ich übrigens sehr an Thomas Bernhard und seinen Großvater denken müssen –, die Entdeckung anderer Welten durch das Lesen und die Gestaltung anderer Welten durch das Schreiben.
Lena Christs Leben endet sehr tragisch mit dem Suizid. Sie sieht ihr Leben ja irgendwann als „überflüssig“ an und benennt danach auch ihr eigenes Werk Erinnerungen einer Überflüssigen, was ihr ja schon einen negativen Touch verleiht. Frau Wendt, Ihre Biografie über Lena Christ trägt den wesentlich positiveren Titel Die Glückssucherin. Wie können Sie sich diesen Gegensatz erklären?
Natürlich hat mich ihr schweres Schicksal sehr berührt, aber was mich besonders beeindruckt hat, ist, dass sie die Opferrolle, die man ihr immer wieder zuweisen wollte, nicht angenommen hat. Sie ist von der Passiv-Erleidenden zur Agierenden, zur Schöpferin geworden. Sie hat sich als Schriftstellerin selbst erfunden. Bei der Glückssuche war sie phantasievoll und fleißig. Sie war nicht die unbekümmert Drauflosschreibende, sondern eine planvolle, genau recherchierende Autorin.
Das Schicksal Lena Christs stimmt viele Menschen auch immer wieder nachdenklich und berührt heute noch sehr. Woran, meinen Sie, liegt das?
Im Vordergrund steht natürlich ihre – ja, man muss es so nennen – Leidensgeschichte, die viele Menschen betroffen macht. Aber es geht noch über das individuelle Schicksal hinaus. Geweckt wird auch das Interesse an der damaligen Situation der Frau allgemein. Da taucht bald die Frage auf: Wieviele Talente sind auf der Strecke geblieben?
Was fasziniert Sie selbst so an Lena Christ? Warum haben Sie die Biografie Die Glückssucherin geschrieben?
Anlass war die Ausstellung in der Monacensia, die ich 2012 kuratiert habe. Da wurde nicht nur ihr literarischer Nachlass präsentiert, sondern auch viele persönliche Gegenstände, mit denen sie sich umgab und die ihre Freude am Schönen zeigten: Schmuckstücke, Accessoires, die darauf hinwiesen, dass sie sich selbst etwas Gutes tun, ein glückliches Leben führen wollte. Ja, und dann denke ich, dass ihr literarischer Rang bis heute nicht adäquat gewürdigt wird. Sie wird gern auf das Regionale reduziert, aber sie ist eine große Schritstellerin – ohne Einschränkung.
Aufgrund Ihrer Biografie zu Lena Christ haben Sie ja auch sicher einen ganz persönlichen Bezug zu ihr. Hilft Ihnen dieser Bezug zu der mutigen Lena Christ speziell jetzt in Zeiten der Coronakrise?
Auf jeden Fall hilft einem die Beschäftigung mit anderen Lebensgeschichten in einer schwierigen Zeit. Als Schriftstellerin wird man ja stark berührt von den individuellen Schicksalen, über die man schreibt, aber auch von deren historischem und gesellschaftlichem Hintergrund. Bei Lena Christ ist es die unglaubliche Willensstärke, das Nichtaufgebenwollen in scheinbar aussichtloser Situation, die einem Mut machen kann – gerade in einer Krisenzeit wie dieser.
Wendt, Gunna (2012): Lena Christ. Die Glückssucherin. Biografie. LangenMüller Verlag, München.
Externe Links:Literatur von Lena Christ im BVB
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Vor einigen Tagen hat sich der 100. Todestag der bayerischen Schriftstellerin Lena Christ gejährt. Über die Aktualität Lena Christs, besonders auch in der heutigen Coronakrisenzeit, haben wir mit der Münchner Autorin Gunna Wendt gesprochen.
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LPB: Frau Wendt, Sie als anerkannte Lena Christ-Kennerin und Biografin haben bereits allerhand Projekte zu ihr veranstaltet. Erst vor Kurzem, am 22. Juni, konnten Interessierte im Online-Dialog mit Ihnen zu dem Thema „Lena Christ“ sprechen. Gab es spezielle Aspekte, die die Zuhörer besonders jetzt während der Coronazeit vielleicht mehr interessiert haben?
GUNNA WENDT: Generell war großes Interesse an der Person Lena Christ zu beobachten. Aber nicht nur an Lena Christ, sondern überhaupt an Lebensgeschichten anderer Menschen zu anderen Zeiten. Ich habe den Eindruck, die Menschen interessieren sich mehr für andere. Zeitweise jedenfalls...
Welche Aspekte stoßen sonst sehr auf Interesse?
Neben dem schweren Schicksal Lena Christs, das sie in ihrem Werk Erinnerungen einer Überflüssigen schildert, ist es vor allem ihr Mut, einen ganz eigenen Weg zu gehen. Immer wieder taucht die Frage auf: Warum hat Lena Christ trotz allem nicht aufgegeben? Darüber hinaus gilt das Interesse aber auch allgemein der Situation der Frauen am Ende des 19., Anfang des 20. Jahrhunderts. Welche Bildungs- und Selbstenfaltungschancen hatten sie überhaupt? Was war ihnen verwehrt?
Lena Christ ist ja ein unglaublich mutiger Mensch, der sich trotz vieler Schicksalsschläge und Demütigungen tapfer durchs Leben schlägt. Woher, glauben Sie, nimmt Lena diese Kraft und diesen Mut, immer weiterzumachen?
Auf jeden Fall hilft Lena Christ ihre Kindheit bei den Großeltern auf dem Land, bei denen sie ja sehr behütet aufwächst. Vor allem die Liebe des Großvaters ist für sie ein starkes Fundament, auf dem sie aufbauen kann. Diese wenigen glücklichen Jahre sind aber natürlich nicht der einzige Grund für ihren Mut und ihre Willensstärke. Mehr noch gibt ihr das Schreiben und der Bezug zur Literatur sehr viel Kraft. Da fühlt sie sich sicher, weil sie weiß, dass sie es gut kann. Sie schreibt ja auch überall, ob auf einer Parkbank oder im Krankenhaus, nichts kann sie da aus der Ruhe bringen, überall kann sie sich konzentrieren. Dabei unterstützt und ermutigt sie ihr zweiter Ehemann Peter Jerusalem (Benedix). Es sind also eigentlich drei Faktoren: die bedingungslose Liebe des Großvaters – dabei habe ich übrigens sehr an Thomas Bernhard und seinen Großvater denken müssen –, die Entdeckung anderer Welten durch das Lesen und die Gestaltung anderer Welten durch das Schreiben.
Lena Christs Leben endet sehr tragisch mit dem Suizid. Sie sieht ihr Leben ja irgendwann als „überflüssig“ an und benennt danach auch ihr eigenes Werk Erinnerungen einer Überflüssigen, was ihr ja schon einen negativen Touch verleiht. Frau Wendt, Ihre Biografie über Lena Christ trägt den wesentlich positiveren Titel Die Glückssucherin. Wie können Sie sich diesen Gegensatz erklären?
Natürlich hat mich ihr schweres Schicksal sehr berührt, aber was mich besonders beeindruckt hat, ist, dass sie die Opferrolle, die man ihr immer wieder zuweisen wollte, nicht angenommen hat. Sie ist von der Passiv-Erleidenden zur Agierenden, zur Schöpferin geworden. Sie hat sich als Schriftstellerin selbst erfunden. Bei der Glückssuche war sie phantasievoll und fleißig. Sie war nicht die unbekümmert Drauflosschreibende, sondern eine planvolle, genau recherchierende Autorin.
Das Schicksal Lena Christs stimmt viele Menschen auch immer wieder nachdenklich und berührt heute noch sehr. Woran, meinen Sie, liegt das?
Im Vordergrund steht natürlich ihre – ja, man muss es so nennen – Leidensgeschichte, die viele Menschen betroffen macht. Aber es geht noch über das individuelle Schicksal hinaus. Geweckt wird auch das Interesse an der damaligen Situation der Frau allgemein. Da taucht bald die Frage auf: Wieviele Talente sind auf der Strecke geblieben?
Was fasziniert Sie selbst so an Lena Christ? Warum haben Sie die Biografie Die Glückssucherin geschrieben?
Anlass war die Ausstellung in der Monacensia, die ich 2012 kuratiert habe. Da wurde nicht nur ihr literarischer Nachlass präsentiert, sondern auch viele persönliche Gegenstände, mit denen sie sich umgab und die ihre Freude am Schönen zeigten: Schmuckstücke, Accessoires, die darauf hinwiesen, dass sie sich selbst etwas Gutes tun, ein glückliches Leben führen wollte. Ja, und dann denke ich, dass ihr literarischer Rang bis heute nicht adäquat gewürdigt wird. Sie wird gern auf das Regionale reduziert, aber sie ist eine große Schritstellerin – ohne Einschränkung.
Aufgrund Ihrer Biografie zu Lena Christ haben Sie ja auch sicher einen ganz persönlichen Bezug zu ihr. Hilft Ihnen dieser Bezug zu der mutigen Lena Christ speziell jetzt in Zeiten der Coronakrise?
Auf jeden Fall hilft einem die Beschäftigung mit anderen Lebensgeschichten in einer schwierigen Zeit. Als Schriftstellerin wird man ja stark berührt von den individuellen Schicksalen, über die man schreibt, aber auch von deren historischem und gesellschaftlichem Hintergrund. Bei Lena Christ ist es die unglaubliche Willensstärke, das Nichtaufgebenwollen in scheinbar aussichtloser Situation, die einem Mut machen kann – gerade in einer Krisenzeit wie dieser.
Wendt, Gunna (2012): Lena Christ. Die Glückssucherin. Biografie. LangenMüller Verlag, München.