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Die Bilderwelt der Binette Schroeder

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Lupinchen von Binette Schroeder, 1969 (© NordSüd Verlag, AG, Zürich)

Die 139. Ausgabe der Zeitschrift Literatur in Bayern widmet sich dem Schwerpunktthema In Worten wohnen. Gerd Holzheimer schreibt darin über die außergewöhlichen Bilder und Geschichten von Binette Schroeder.

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Für Christiane Raabe, Direktorin der Internationalen Jugendbibliothek in der Blutenburg in München, ist und bleibt Binette Schroeder die „Königin des Bilderbuchs“. Ende letzten Jahres wurde in der IJB der Bilderbuch-Brunnen vorgestellt. Wer noch nicht gewusst hat, dass in der magisch schönen Bilderwelt von Binette Schroeder auch viel Biografisches als Urgrund steckt, wurde von Christiane Raabe mit einigen ausgewählten Beispielen damit bekannt gemacht. Lupinchen zum Beispiel fing mit einer Liebesgeschichte an, die zu Ende gehen musste, weil sie keinen Sinn hatte. Binette Schroeder erinnert sich noch nach dieser langen Zeit, dass es Frühling war, die Birken erblühten, doch sie wollte nichts mehr von dieser Welt wissen, zog die Vorhänge vor und hat sich die Decke über den Kopf gezogen, aber dann: „Plötzlich hatte ich ein Bild hinter den geschlossenen Lidern, stand auf und malte es“; ein „kleines zierliches Puppenmädchen, das verloren in einem Garten steht und mit einer Gießkanne kümmerliche Wurzeln wässert“, wie Christiane Raabe sie beschreibt. Lupinchen gehört zum Typus einer Persönlichkeit, die auf eine sanfte, aber bestimmte Art die Welt erkunden will – damit hat sie einiges mit ihrer Schöpferin gemein.

So geht in ihrer Version von Froschkönig der Weg von der Kindfrau zur reifen Frau. Während der Arbeit an den Bildern für dieses Buch ist ihr gekommen, dass diese Prin­zessin, die sie erst so geliebt hat, ihr mit zunehmender Dauer ganz und gar nicht mehr liebenswert erschien: „Ich mochte sie irgendwie nicht mehr!“ Drei Jahre lang hat sie an dem Buch gearbeitet („mein persönlicher Rekord“), weil es einfach nicht weiterging – bis es „klick“ machte und Binette Schroeder eine „ganz tolle Emanzipationsgeschichte“ in dieser Erzählung entdeckte: „Ihr könnt mich mal“, schleudert sie zwei Männern entgegen, eine „Aktualität“, die für Binette Schroeder etwas Archaisches hat.

Auch in der Geschichte von Ritter Rüstig verbirgt sich eine persönliche Geschichte. Eine Freundschaftskrise steht dahinter ein Freundschaftsdrama, ein Bruch. An einen nächtlichen Sturm erinnert sich Binette Schroeder, „es rüttelte, es schüttelte“. Im Traum steht sie am Meer und auf einmal ist es windstill: „Bisschen Sonnenuntergang, das flache Meer leuchtet so silbrig.“ Eine wunderschöne junge Frau erscheint und singt, und dieses wunderbare Mädchen hat ihr diese Geschichte geschenkt – eine nachträgliche Verarbeitung der Trennungsgeschichte. Mit Neid und Streit und Versöhnung, eben allem, was dazu gehört. Sehr geleitet fühlt sich Binette Schroeder von ihren Träumen, denen sie mit ihren Bildern folgt, in denen Blitze geschleudert werden und Ausrufezeichen in die Luft gesetzt.

Vaterlos, weil der im Krieg gefallen ist, wächst sie auf, die Mutter kann nur am Wochenende bei ihr sein, so verbringt sie ihre Kindheit zum Teil bei ihren Großeltern. Der Großvater schaut mit ihr, dem Kind, Bilder von Peter Bruegel und Hieronymus Bosch an. Von Letzterem hat man ja nicht unbedingt das Gefühl, er wäre das „Richtige“ für Kinder, doch die kleine Binette ist fasziniert von der „fantastischen Unheimlichkeit, Detailfülle und Grausamkeit“. „Diese Stunden werden zu prägenden Erlebnissen, die sich tief in Binette Schroeders Bildgedächtnis eingraben, und später in ihren eigenen Illustrationen, vor allem in den Landschaften, aufscheinen“, schreibt Christiane Raabe im Nachwort zu Bilderbuch-Brunnen.

Bilderbücher, die nur heiter sind, findet Binette Schroeder langweilig. Kinder erleben doch auch Ärger, Enttäuschung und Angst ebenso unmittelbar wie Begeisterung, Freude, Liebe. Diese verschiedenen Ausdrucksformen menschlichen Lebens wollen sie auch in Büchern wiederfinden. Sie „wollen in Bilderbüchern dem Fremden und Unheimlichen begegnen“, so sieht es schon Christiane Raabe in der Überschrift ihres Nachwortes.

Nicht weniger als ein Dutzend Titel sind nun in einem einzigen Band versammelt: Lelebum (1972), Archibald und sein kleines Rot (1970), Lupinchen (1969), Florian und Traktor Max (1971), Ra ta ta tam (1973), Krokodil Krokodil (1975), Der Froschkönig (1989), Laura (1999), Ritter Rüstig & Ritter Rostig (2009), Der Zauberling (2014), Zebby (1981), Tuffa (1981).

Die Deutsche Akademie für Kinder- und Jugendliteratur, von der wir noch ausführlich in Heft 140 der Literatur in Bayern berichten werden, hat es als „Buch des Monats“ ausgezeichnet, im Dezember 2019. „Ich male für das kleine Mädchen, das immer noch in mir steckt“, sagt Binette Schroeder von sich. Und staunend lesen auch wir immer und immer wieder von Neuem in diesen wundersamen Geschichten, etwa vom Florian und dem Traktor Max. Wie der alte Apfelschimmel Florian beim Pflügen mindestens ebenso schnaufen muss wie sein auch nicht mehr ganz junger Bauer Claas Claasen, weshalb dieser einen Traktor anschafft, eben den Traktor Max. Was zunächst nach großer allgemeiner Erleichterung aussieht, erweist sich für das Pferd zunehmend als Trauerspiel: Es wird nicht mehr gebraucht – bis seine große Stunde schlägt und es den im Matsch versunkenen Traktor wieder ins Freie zieht. Darüber werden die beiden zu Freunden: „Im Herbst werden Äpfel und Pflaumen gepflückt und Florian springt übermütig den Feldweg entlang. Wenn er Max sieht, wiehert er. Dann hupt Max zurück: TÜ, TÜ, TÜ!“ Oder Ra ta ta tam. Die seltsame Geschichte einer kleinen Lok, welche durch die wunderlichsten Landschaften dampft, industrieverpestete wie noch grüne, und Ungeheuern standhalten muss, bis ihr die Natur hilft: „Da zog eine große Regenwolke heran, die alles verfinsterte. Blitz und Donner brachen los, und ein fürchterlicher Regen prasselte auf die Erde nieder.“ Es gelingt ihr, sich zu retten: „Ihr Weg führte sie hoch ins Gebirge. Überall lag glitzernder Schnee. Sie kam in ein kleines Dorf. Dort wohnten kleine Menschen mit freundlichen Gesichtern.“ Die Hoffnung stirbt zuletzt, wird immer wieder als Spruch herbeibemüht. Bei Binette Schroeder stirbt die Hoffnung gar nicht. Das ist, was wir brauchen – und unsere Kinder am allermeisten.