Logen-Blog [80]: Jean Pauls bange Fragen über Schulbildung
Was sind eigentlich „Effekten“? Der Erzähler, der mit dem rittmeisterlichen Trupp nach Auenthal gereist ist und sich in seiner Stube einquartiert hat, berichtet, dass er ein Güterbuch dieser seiner Effekten habe, das „über dreissig Zeilen dick“ sei. Nein, man muss es nicht witzig finden, dass Jean Paul „dick“ und nicht „lang“ schreibt, aber man erfährt doch, dass seine beweglichen Güter – denn nichts anderes sind „Effekten“ –, die er neben seinen wahren „Pretiosen“, den vom Autor lebenslang mitgeschleppten Manuskripten, Exzerpten und Papierbergen, verwahrt. Alle steht nun wieder auf Anfang, die Erziehung des kleinen Gustav, der uns lange nicht wirklich beschäfigte, kann beginnen – aber wie beginnen? Soll sie traditionell oder modern verfahren? Als Nachfolger des Herrnhuter Genius' macht sich der Pädagoge Gedanken, die weit in die Zukunft der Bildungsgeschichte hineinreichen. Von hier aus könnte eine Reform der Schule beginnen:
Ich konnte eine unsterbliche Seele sich halbtot deklinieren, konjugieren, memorieren und analysieren lassen im Lateinischen – ich konnte aber auch seine junge Zirbeldrüse in höhere Wissenschaften eintunken und versenken, so sehr, dass sie ganz aufschwölle und sich groß anschluckte von Logik, Politik und Statistik – ich konnte mithin (wer wehrte es) die Beinwände seines Kopfes zu einem dürren Bücherbrett aushobeln, den lebendigen Kopf zu einem Silhouettenbrett, woran sich gelehrte Köpfe abschatten, entzweidrücken; sein Herz hingegen ließ sich verarbeiten aus einem Hochaltar der Natur zu einem Drahtgestell des alten Testaments, aus einer Himmelkugel zu einem engen Paternosterkügelchen der Frömmelei, oder gar zu einer Schwimmblase der Weltklugheit – wahrhaftig, ich konnte ein Tropf sein und ihn zu einem noch größern machen.
An diesen Stellen merkt man, wie modern Jean Paul war – und dass es gute Gründe gibt, ihn zu lieben. Ein Pädagoge, der Verantwortung fühlt für eine Seele – für das Schicksal und die Zukunft eines Menschen – ist ein Psychopompos, bei dem die Beugung bei den Vokabeln aufhört. Auch ich habe Lehrer erlebt, die schon selbst so gebeugt waren, dass sie unfähig waren, Schüler aufzurichten. Ja, ich weiß! – „die“ Lehrer haben es heute, im unseligen G-8-System (ein System, kein Organismus) überlastet mit Verwaltungsaufgaben, nicht leicht, ihre ursprünglichen Aufgaben an oftmals unwilligen Schülern auszuprobieren, aber es wäre schön, wenn sie sich Jean Pauls bange Fragen hinter den Spiegel stecken würden (was natürlich auch für Leher höchster Schulen gilt).
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Was sind eigentlich „Effekten“? Der Erzähler, der mit dem rittmeisterlichen Trupp nach Auenthal gereist ist und sich in seiner Stube einquartiert hat, berichtet, dass er ein Güterbuch dieser seiner Effekten habe, das „über dreissig Zeilen dick“ sei. Nein, man muss es nicht witzig finden, dass Jean Paul „dick“ und nicht „lang“ schreibt, aber man erfährt doch, dass seine beweglichen Güter – denn nichts anderes sind „Effekten“ –, die er neben seinen wahren „Pretiosen“, den vom Autor lebenslang mitgeschleppten Manuskripten, Exzerpten und Papierbergen, verwahrt. Alle steht nun wieder auf Anfang, die Erziehung des kleinen Gustav, der uns lange nicht wirklich beschäfigte, kann beginnen – aber wie beginnen? Soll sie traditionell oder modern verfahren? Als Nachfolger des Herrnhuter Genius' macht sich der Pädagoge Gedanken, die weit in die Zukunft der Bildungsgeschichte hineinreichen. Von hier aus könnte eine Reform der Schule beginnen:
Ich konnte eine unsterbliche Seele sich halbtot deklinieren, konjugieren, memorieren und analysieren lassen im Lateinischen – ich konnte aber auch seine junge Zirbeldrüse in höhere Wissenschaften eintunken und versenken, so sehr, dass sie ganz aufschwölle und sich groß anschluckte von Logik, Politik und Statistik – ich konnte mithin (wer wehrte es) die Beinwände seines Kopfes zu einem dürren Bücherbrett aushobeln, den lebendigen Kopf zu einem Silhouettenbrett, woran sich gelehrte Köpfe abschatten, entzweidrücken; sein Herz hingegen ließ sich verarbeiten aus einem Hochaltar der Natur zu einem Drahtgestell des alten Testaments, aus einer Himmelkugel zu einem engen Paternosterkügelchen der Frömmelei, oder gar zu einer Schwimmblase der Weltklugheit – wahrhaftig, ich konnte ein Tropf sein und ihn zu einem noch größern machen.
An diesen Stellen merkt man, wie modern Jean Paul war – und dass es gute Gründe gibt, ihn zu lieben. Ein Pädagoge, der Verantwortung fühlt für eine Seele – für das Schicksal und die Zukunft eines Menschen – ist ein Psychopompos, bei dem die Beugung bei den Vokabeln aufhört. Auch ich habe Lehrer erlebt, die schon selbst so gebeugt waren, dass sie unfähig waren, Schüler aufzurichten. Ja, ich weiß! – „die“ Lehrer haben es heute, im unseligen G-8-System (ein System, kein Organismus) überlastet mit Verwaltungsaufgaben, nicht leicht, ihre ursprünglichen Aufgaben an oftmals unwilligen Schülern auszuprobieren, aber es wäre schön, wenn sie sich Jean Pauls bange Fragen hinter den Spiegel stecken würden (was natürlich auch für Leher höchster Schulen gilt).