Münchner Arbeitsstipendien für Andrea Heuser und Norbert Niemann
Andrea Heuser und Norbert Niemann erhalten die diesjährigen Arbeitsstipendien für Münchner Autorinnen und Autoren. Mit den seit 2015 vergebenen Arbeitsstipendien in Höhe von jeweils 6.000 Euro werden literarische Projekte von Münchner Autorinnen und Autoren gefördert, die sich mit ihrem Werk bereits literarisch ausgewiesen haben und im Literaturbetrieb in Erscheinung getreten sind. Andrea Heuser erhält das Stipendium zur Weiterführung ihres Familienromans Das Winkelhaus, Norbert Niemann für sein neues Romanprojekt Dianoia (Arbeitstitel). Über die Vergabe beschloss nun der Stadtrat auf Empfehlung der Jury.
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Jurybegründung für Andrea Heuser
Innerlich versehrt sind sie alle. Der aus dem Krieg heimgekehrte Vater, die junge Mutter Margot, die mit ihrem Sohn Fred aus dem von Gewalt geprägten Alltag flieht, um sich ein neues Zuhause aufzubauen, und der Handwerker Willi, dem sie später begegnen wird. Um Flucht, Trennung, Neubeginn, die Suche nach Zugehörigkeit und Liebe und die langen Schatten nie benannter traumatischer Erinnerungen, den Nachhall des Ungesagten kreist Andrea Heusers zweiter Roman, der durch viele Jahrzehnte führt und der Frage nachgehen möchte, ‚inwieweit sich Traumata über Generationen fortschreiben‘.
In Das Winkelhaus greift die 1972 in Köln geborene Münchner Autorin, die zunächst als Lyrikerin bekannt wurde, auf neue Weise Kernthemen ihres Debütromans Augustas Garten auf, und wie in diesem erzählt sie wechselweise aus der Perspektive der erwachsenen Protagonisten und eines Kindes. Vor allem die große sprachliche Sensibilität der Autorin, die präzise Nuancierung, mit der sie die Emotionen ihrer Figuren auslotet und sich die fragmenthafte Weltsicht eines Kindes aneignet, hat die Jury von ihrem Projekt überzeugt. Frei von forcierter Naivität, mit einer an der Lyrik geschulten Sprache gelingt es ihr, die Ohnmachts- und Gewalterfahrungen, den Zorn und die Verstörungen eines kleinen Jungen, der die Wörter noch beim Wort nimmt, spürbar zu machen.
Eigentlich sollte Das Winkelhaus, für das Andrea Heuser vor drei Jahren ein Literaturstipendium des Freistaats Bayern erhielt, bereits 2017 erscheinen. Doch literarische Schreibprozesse lassen sich nicht mit Plansollvorgaben terminieren. Mit einem Arbeitsstipendium will die Jury es Andrea Heuser nun ermöglichen, ihren vielschichtigen Familienroman ohne qualitative Abstriche abzuschließen.
Jurybegründung für Norbert Niemann
Dianoia ist nicht nur der Arbeitstitel von Norbert Niemanns faszinierendem neuen Romanprojekt, es ist auch dessen Seelenname. In Platons Höhlengleichnis bezeichnet er eine Wirklichkeit, die von Wahn und Täuschung durchdrungen ist. Norbert Niemann erzählt von ihr in der Geschichte einer Erschütterung, bei der sich Autor, Erzähler und Figur ihrerseits ineinander zu blenden scheinen. Mal scharfsinnig, mal hingebungsvoll, ist die virtuose Sprachbehandlung dabei mehr als ein Medium, sie ist Teil des Geschehens, weniger Überträger als Wahrnehmungsträger. Zugleich war Norbert Niemanns Erzählhaltung noch nie so ungeschützt, so berührend wie in diesem Roman einer Blendung – und einer erblindenden Gesellschaft, die sich im Mikrokosmos einer literarischen Sommerwerkstatt in der bayerischen Provinz spiegelt.
Seit Jahren hält Tobias Maucher dort mit Schreibseminaren seine prekäre Existenz als Schriftsteller über Wasser. Doch als würde der beschauliche Ort plötzlich von den Verwerfungen und Realitätschimären unserer Zeit tektonisch erfasst, gerät Mauchers Selbstverständnis fundamental ins Wanken. Sein Privatleben, sein Blick auf Politik und Zeitfragen: überall brüchige Zerrbilder, trügerische Wahrnehmung, Fremdbestimmung – sogar in der Kunst, die von den Zwängen einer durchökonomisierten Ordnung längst vereinnahmt ist. Alle Erzählungen vom Selbst erzittern, weil alles verbunden ist.
Sieben Tage dauert die Schreibwerkstatt, ein Maskenreigen aus Fantasie und Desillusion. Sieben Tage dauert dieser hellsichtige Roman, der von der künstlerischen Schöpfung handelt, ihrer Verflechtung mit den Konstruktionen unserer Wirklichkeit und einer Literatur, die sich gerade dann als handelndes Medium behauptet, wenn sie sich, statt mit distanziertem Zeigefinger zu dirigieren, in die Mitte jener Lebenswirklichkeiten wagt, die sie durchdringt; wenn sie selbst auf den Bruchlinien der Gegenwart balanciert, erschütterbar bleibt – und widersteht.
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Der Jury gehörten an: Sabine Abel (Buch in der Au), Knut Cordsen (Bayerischer Rundfunk), Petra Hallmayer (Süddeutsche Zeitung), Professorin Dr. Annette Keck (LMU), Martina Scherf (Süddeutsche Zeitung) und Fridolin Schley (Autor) sowie die ehrenamtlichen Stadtratsmitglieder Beatrix Burkhardt (CSU-Fraktion) und Marian Offman (bis 14. Juli CSU-, jetzt SPD-Fraktion), Kathrin Abele und Klaus Peter Rupp (beide SPD-Fraktion) und Thomas Niederbühl (Fraktion Die Grünen – rosa liste).
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Andrea Heuser und Norbert Niemann erhalten die diesjährigen Arbeitsstipendien für Münchner Autorinnen und Autoren. Mit den seit 2015 vergebenen Arbeitsstipendien in Höhe von jeweils 6.000 Euro werden literarische Projekte von Münchner Autorinnen und Autoren gefördert, die sich mit ihrem Werk bereits literarisch ausgewiesen haben und im Literaturbetrieb in Erscheinung getreten sind. Andrea Heuser erhält das Stipendium zur Weiterführung ihres Familienromans Das Winkelhaus, Norbert Niemann für sein neues Romanprojekt Dianoia (Arbeitstitel). Über die Vergabe beschloss nun der Stadtrat auf Empfehlung der Jury.
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Jurybegründung für Andrea Heuser
Innerlich versehrt sind sie alle. Der aus dem Krieg heimgekehrte Vater, die junge Mutter Margot, die mit ihrem Sohn Fred aus dem von Gewalt geprägten Alltag flieht, um sich ein neues Zuhause aufzubauen, und der Handwerker Willi, dem sie später begegnen wird. Um Flucht, Trennung, Neubeginn, die Suche nach Zugehörigkeit und Liebe und die langen Schatten nie benannter traumatischer Erinnerungen, den Nachhall des Ungesagten kreist Andrea Heusers zweiter Roman, der durch viele Jahrzehnte führt und der Frage nachgehen möchte, ‚inwieweit sich Traumata über Generationen fortschreiben‘.
In Das Winkelhaus greift die 1972 in Köln geborene Münchner Autorin, die zunächst als Lyrikerin bekannt wurde, auf neue Weise Kernthemen ihres Debütromans Augustas Garten auf, und wie in diesem erzählt sie wechselweise aus der Perspektive der erwachsenen Protagonisten und eines Kindes. Vor allem die große sprachliche Sensibilität der Autorin, die präzise Nuancierung, mit der sie die Emotionen ihrer Figuren auslotet und sich die fragmenthafte Weltsicht eines Kindes aneignet, hat die Jury von ihrem Projekt überzeugt. Frei von forcierter Naivität, mit einer an der Lyrik geschulten Sprache gelingt es ihr, die Ohnmachts- und Gewalterfahrungen, den Zorn und die Verstörungen eines kleinen Jungen, der die Wörter noch beim Wort nimmt, spürbar zu machen.
Eigentlich sollte Das Winkelhaus, für das Andrea Heuser vor drei Jahren ein Literaturstipendium des Freistaats Bayern erhielt, bereits 2017 erscheinen. Doch literarische Schreibprozesse lassen sich nicht mit Plansollvorgaben terminieren. Mit einem Arbeitsstipendium will die Jury es Andrea Heuser nun ermöglichen, ihren vielschichtigen Familienroman ohne qualitative Abstriche abzuschließen.
Jurybegründung für Norbert Niemann
Dianoia ist nicht nur der Arbeitstitel von Norbert Niemanns faszinierendem neuen Romanprojekt, es ist auch dessen Seelenname. In Platons Höhlengleichnis bezeichnet er eine Wirklichkeit, die von Wahn und Täuschung durchdrungen ist. Norbert Niemann erzählt von ihr in der Geschichte einer Erschütterung, bei der sich Autor, Erzähler und Figur ihrerseits ineinander zu blenden scheinen. Mal scharfsinnig, mal hingebungsvoll, ist die virtuose Sprachbehandlung dabei mehr als ein Medium, sie ist Teil des Geschehens, weniger Überträger als Wahrnehmungsträger. Zugleich war Norbert Niemanns Erzählhaltung noch nie so ungeschützt, so berührend wie in diesem Roman einer Blendung – und einer erblindenden Gesellschaft, die sich im Mikrokosmos einer literarischen Sommerwerkstatt in der bayerischen Provinz spiegelt.
Seit Jahren hält Tobias Maucher dort mit Schreibseminaren seine prekäre Existenz als Schriftsteller über Wasser. Doch als würde der beschauliche Ort plötzlich von den Verwerfungen und Realitätschimären unserer Zeit tektonisch erfasst, gerät Mauchers Selbstverständnis fundamental ins Wanken. Sein Privatleben, sein Blick auf Politik und Zeitfragen: überall brüchige Zerrbilder, trügerische Wahrnehmung, Fremdbestimmung – sogar in der Kunst, die von den Zwängen einer durchökonomisierten Ordnung längst vereinnahmt ist. Alle Erzählungen vom Selbst erzittern, weil alles verbunden ist.
Sieben Tage dauert die Schreibwerkstatt, ein Maskenreigen aus Fantasie und Desillusion. Sieben Tage dauert dieser hellsichtige Roman, der von der künstlerischen Schöpfung handelt, ihrer Verflechtung mit den Konstruktionen unserer Wirklichkeit und einer Literatur, die sich gerade dann als handelndes Medium behauptet, wenn sie sich, statt mit distanziertem Zeigefinger zu dirigieren, in die Mitte jener Lebenswirklichkeiten wagt, die sie durchdringt; wenn sie selbst auf den Bruchlinien der Gegenwart balanciert, erschütterbar bleibt – und widersteht.
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Der Jury gehörten an: Sabine Abel (Buch in der Au), Knut Cordsen (Bayerischer Rundfunk), Petra Hallmayer (Süddeutsche Zeitung), Professorin Dr. Annette Keck (LMU), Martina Scherf (Süddeutsche Zeitung) und Fridolin Schley (Autor) sowie die ehrenamtlichen Stadtratsmitglieder Beatrix Burkhardt (CSU-Fraktion) und Marian Offman (bis 14. Juli CSU-, jetzt SPD-Fraktion), Kathrin Abele und Klaus Peter Rupp (beide SPD-Fraktion) und Thomas Niederbühl (Fraktion Die Grünen – rosa liste).