Info
04.06.2019, 00:00 Uhr
Monacensia im Hildebrandhaus
Dichtung ist Revolution
Ein bebilderter Blog von Laura Mokrohs und Barbara Yelin. Redaktion: Sylvia Schütz / Monacensia im Hildebrandhaus

Dichtung ist Revolution (10): Erich Mühsam und Ernst Toller vor dem Standgericht und in der Festungshaft, 4. Juni

Im November 1918 wird die Wittelsbacher Monarchie gestürzt, der Schriftsteller und Revolutionär Kurt Eisner ruft in München den „Freistaat Bayern“ aus. Zum 100. Jubiläum von Revolution und Rätezeit zeigt die Monacensia im Hildebrandhaus die Ausstellung „Dichtung ist Revolution“. Kuratorin Laura Mokrohs und Zeichnerin Barbara Yelin erzählen begleitend in zehn Episoden in Text und Bild von den Überzeugungen, Ideen und Taten der revolutionären Schriftsteller Kurt Eisner, Gustav Landauer, Erich Mühsam und Ernst Toller.

 

Am Morgen des 4. Juni 1919 wird Ernst Toller verhaftet. In den ersten Maitagen hatte er sich gerade noch vor den brutal vorgehenden Soldaten der gegenrevolutionären „Weißen Garden“ verstecken können. Nach aufreibenden Fluchten von Quartier zu Quartier hatte er im Haus des Kunstmalers Hans Reichel ein Versteck gefunden. In seinem autobiographischen Roman Eine Jugend in Deutschland wird Toller ihn später als Maler Lech verewigen:

[...] Lech und seine Frau haben nicht viel zu essen, das Wenige teilen sie mit mir. Leer verrinnen die Tage. Ich lese in der Zeitung, dass die Polizei nach mir fahndet, kaum eine Stadt, in der man mich nicht gesehen haben will. [...] Mit Wasserstoffsuperoxyd entfärbe ich mein Haar, nach einigen Waschungen wird es rötlich, wie ich mich im Spiegel sehe, erkenne ich mich selbst kaum. Vom Atelier führt eine Tapetentür in die Kammer eines vorgebauten Erkers. Wir verhängen die Tür mit Bildern, die Nagelköpfe auf einer Seite sind abgefeilt, niemand weiß von meinem Versteck außer einem Freund.

Nach drei Wochen bekommt Toller Besuch von einer Unbekannten, die sich als Parteigenossin vorstellt.

Am nächsten Morgen um vier Uhr schlagen Fäuste an die Wohnung. Die Polizei! [...] Schritte nähern sich, ich höre Stimmen, ich höre wie man die Zimmerwände abklopft, das Klopfen kommt näher und näher, noch eine Sekunde [...] ich höre eine gequetschte Stimme – Wo ist die Tapetentür, die wir in der gleichen Wohnung im ersten Stock gesehen haben? Eine andere Stimme schreit: – Dort! Bilder werden abgenommen, durch die Türritzen dringt Licht. Ich stoße die Tür auf, ich sehe Kriminalkommissare und Soldaten.

- Sie suchen Toller, ich bin’s.

- Hände hoch! schreit ein Soldat.

Die Kriminalkommissare schauen mich scharf an, sie erkennen mich nicht, Ein Soldat fällt auf die Knie, richtet mit quellenden Augäpfeln das Gewehr auf mich, entsichert und hält die zitternden Finger am Abzug. – Sie sind...? – Ja, ich bin Toller. Ich werde nicht fliehen. Wenn ich jetzt erschossen werde, wurde ich nicht auf der Flucht erschossen. Sie alle sind meine Zeugen. Die Kriminalbeamten stürzen sich auf mich und fesseln meine Hände mit Handschellen.

 

Ernst Tollers Verhaftung am 4. Juni 1919

Erich Mühsam sitzt zu diesem Zeitpunkt schon seit eineinhalb Monaten ohne Urteil in der Festung Ebrach in Oberfranken fest. Ihn hatten die republikanischen Schutztruppen schon am 13. April verhaftet. Er ist dort in der ersten Zeit nahezu von der Außenwelt abgeschnitten, der Informationsfluss ist sparsam. Und noch schlimmer ist, dass er lange nicht weiß, wie es seiner Frau Zenzl geht. Im Tagebuch verzeichnet er in dieser Zeit seine Sorgen und gleichzeitig zeigt sich dort immer wieder, wie er die Hoffnung auf einen Sieg der Revolution noch nicht aufgeben will. Am 29. Mai notiert er:

Christi Himmelfahrt steht im Kalender, der vor mir an der Wand hängt, und an dem ich jeden Tag mit dem Bleistift das Datum anmerke. Wir sind mitten im schönsten Frühling. Aber ich habe wenig davon als Trauer und Sehnsucht. Der Brief gestern war doch ein harter Schlag. Noch weiß ich ja nicht alles. Nur soviel, daß bei uns die Wiederherstellung von Ordnung, Ruhe und Sicherheit in der Form vor sich ging, daß die damit betrauten Organe die Wohnung zerschossen und total ausgeplündert haben.

Zenzl hatte sich zum Glück rechtzeitig in Sicherheit gebracht und kommt erst einige Zeit später wieder in die von den Soldaten verwüstete Wohnung.

 

Die Wohnung von Erich und Zenzl Mühsam nach der Plünderung durch die Weißen Garden im Mai 1919

Zwischen dem 7. und dem 16. Juli 1919 wird Mühsam und Toller vor dem Münchner Standgericht der Prozess gemacht. Die Anklage lautet: Hochverrat. Der Ablauf der Standgerichtsprozesse gegen die Räterepublikaner zeigt, wie die Gegenrevolution das Feindbild von den „jüdischen Literaten“, die angeblich ohne politischen Sachverstand gehandelt hätten, untermauern will. Etwa wird Toller auf seine Angabe „bekenntnislos“ hin explizit nach seiner jüdischen Herkunft gefragt. Zum anderen soll mit vom Gericht bestellten psychiatrischen Gutachtern das Handeln der Revolutionäre als „psychopathisch“ dargestellt werden. Mühsam macht dagegen in seinem Schlusswort vor dem Standgericht noch einmal deutlich, dass er das Justizwesen der Gegenrevolution nicht anerkennen kann:

Ich fühle mich nicht verantwortlich vor Ihnen, meine Herren; verantwortlich fühle ich mich vor dem Volke, für das ich lebe und arbeite und das allein über mich zu richten hat.

 

Erich Mühsams Schlusswort vor dem Münchner Standgericht am 12. Juli 1919

Die Revolutionäre werden zu langen Festungshaftstrafen verurteilt. Bei Mühsam sind es fünfzehn Jahre, bei Toller fünf. Toller muss diese erst in Eichstätt absitzen, Mühsam in Ansbach. Ab 1920 sind beide in der Festungshaftanstalt Niederschönenfeld, wo man vornehmlich die linken Gefangenen sammelt. Toller beschreibt die düstere Stimmung dort:

In der sumpfigen, nebligen Ebene zwischen Lech und Donau liegt der dreiflüglige, nüchterne Zellenbau mit seinen kahlen Höfen, seinen hohen Mauern. Die Zellen sind schmal, wenn ein Mensch sich an die eine Wand lehnt, berührt er mit ausgestreckter Hand die andere.

 

Festungshaftanstalt Niederschönenfeld

Ursprünglich gelten in der Festungshaft für politisch motivierte Straftäter erleichterte Haftbedingungen, wie Bewegungsfreiheit in der Anstalt, Beurlaubung im Bedarfsfall, freie Gestaltung des Tages und der Mahlzeiten, persönlicher Umgang und Kontakt mit der Außenwelt nach Belieben. Doch in den Anstalten, in denen vornehmlich linke Gefangene inhaftiert sind, werden diese Grundsätze ab 1919 außer Kraft gesetzt. Immer wieder zeigen sich Verstöße im Vorgehen der Justiz gegen die Revolutionäre. Zu den gängigen Strafverschärfungen zählen Postsperren, Einzelhaft in der Arrestzelle, Durchsuchungen und Beschlagnahmungen in den Zellen, Streichung des Hofgangs, die Entfernung der Matratze aus der Zelle und Reduzierung der Kost. Mühsam leidet auch gesundheitlich unter den Haftbedingungen: Schlechtes Essen, Zugluft und Streitigkeiten um Arztbesuche führen zu verschiedenen Beschwerden, sein rechtes Ohr ertaubt in dieser Zeit. Auch die Versorgungslage im Gefängnis ist schlecht, für Gegenstände des täglichen Bedarfs sind die Gefangenen auf die Hilfe von Angehörigen und Freunden angewiesen. Mühsam bittet besonders oft um Zigaretten. Seine Frau schickt ihm auch regelmäßig Lebensmittel. Oft werden die Pakete aber von den Wärtern zurückgehalten. Auch der Postversand ist schwierig – gründlich wird darauf geachtet, dass keine Briefe und Texte die Anstalten verlassen, die die Bedingungen dort kritisch schildern. Regelmäßig werden Besucher und Zellen durchsucht, wie Mühsam im Tagebuch schon für die Zeit in Ansbach beschreibt:

Heute früh erschien bei mir der Verwalter mit zwei Aufsehern – ich wollte mir grade die Zähne putzen – und erklärte, eine Visitation vornehmen zu müssen. Zunächst an mir selbst. Man fuhr mir in die Taschen, und ich mußte sogar die Strümpfe wieder ausziehn. Dann wurde ich gegenüber in eine andre leere Zelle gesperrt, wohin ich nicht mal Papier und Bleistift mitnehmen konnte (trotzdem ist dort ein Gedicht entstanden). [...] Um 9 Uhr kam der Verwalter und las mir einen Wisch vor von der Staatsregierung.

Erich Mühsam wird über eine Strafverschärfung informiert

Den Gefangenen bleibt als Mittel nur das Verfassen von Beschwerden, der Hungerstreik – und das Schreiben. Mühsam und Toller glauben weiterhin an die Kraft des dichterischen Wortes. In Gedichten, Prosa und Dramen arbeiten sie die Ereignisse der Revolutionszeit auf. Mit autobiographischen Texten und Berichten aus dem Haftalltag wollen sie die Wirklichkeit gegen die Propaganda von rechts stellen. Es entstehen zentrale Werke wie Mühsams Drama Judas oder sein „Versbuch ausschließlich rebellischen Inhalts“ – Brennende Erde und Tollers Drama Masse Mensch oder sein Lyrikband Das Schwalbenbuch. Toller stellt dem Band eine kurze Vorbemerkung voran: „Gewachsen 1922 – Geschrieben 1923. Festungsgefängnis Niederschönenfeld. In meiner Zelle nisteten im Jahre 1922 zwei Schwalben.“ Die Einsamkeit der Haft wird durch sie durchbrochen:

[...]
Sitzt
Ein
Schwalbenpärchen.
Sitzt,
Wiegt sich! wiegt sich!
Tanzt! tanzt! tanzt!
[...]
Das Wunder ist da!
Das Wunder!
Das Wunder!

Tanze meine atmende Brust,
Tanzet Ihr wunden geketteten Augen,
Tanzet! Tanzet!
Nur im Tanze brecht Ihr die Fessel,
Nur im Tanze umrauscht ihr die Sterne,
Nur im Tanze ruht Ihr im Göttlichen,
Tanzet! Tanzet!
[...]

Tollers Freude über das Leben vor seiner Zelle bleibt jedoch nur kurz ungetrübt:

Der Staatsanwalt rächt sich auf seine Weise. Vögel bauen nur dann in überdachten Räumen, wenn das Fenster nach Osten sich wendet. Ich muß meine Zelle verlassen und in eine nördliche ziehen.

Der Rechtsruck, der mit der Niederschlagung der Räterepublik einsetzt, macht die Hoffnung, die sich in den Texten von Mühsam und Toller zeigt, in den Jahren der Haft immer unwirklicher. Auch Mühsam beschreibt die Schwalben in Niederschönenfeld:

Das Nest war fast fertig, da ließ es die Festungsverwaltung zerstören. Die armen Vögel flogen so trübselig herum, berieten zwitschernd miteinander ihr Unglück, – und fangen nun in derselben Zelle wieder das Bauen an, daß das Weibchen doch ihre Eier hinlegen kann. Sie wissen es nicht, daß sie trostlos und unglücklich werden müssen, weil sonst politische Gefangene in Bayern, die nicht aufs Hakenkreuz schwören, eine Herzensfreude hätten, – und die darf natürlich nicht sein.

 

Schwalben an der Festungshaftanstalt Niederschönenfeld

Ernst Toller und Erich Mühsam werden 1924 mit dem Ende ihrer Haft Bayern verlassen und beide weiter gegen den Faschismus kämpfen. Toller wird 1933 von den Nationalsozialisten aus Deutschland ausgebürgert, 1939 begeht er im amerikanischen Exil verzweifelt Selbstmord. Mühsam wird in der Nacht des Reichstagsbrandes 1933 von den Nationalsozialisten verhaftet, über ein Jahr in Gefängnissen und Konzentrationslagern misshandelt und im Juli 1934 im KZ Oranienburg von bayerischen SS-Männern erschlagen. Mit ihren Texten und ihren Visionen von Gerechtigkeit und Menschlichkeit können Erich Mühsam und Ernst Toller auch heute weiter wirken.

 

······································································································

ENDE

-> Zur letzten Folge 9

-> Zur Folge 1 „Dichtung ist Revolution“ vom 7. November 2018

 

Quellen der Zitate:

Ernst Toller: Eine Jugend in Deutschland. In: Ernst Toller. Autobiographisches und Justizkritik. Sämtliche Werke. Bd. 3. Hg. v. Stefan Neuhaus und Rolf Selbmann unter Mitarbeit von Martin Gerstenbräun, Michael Pilz, Gerhard Scholz und Irene Zanol. Göttingen 2015, S. 97-273, hier S. 224.

Ernst Toller: Eine Jugend in Deutschland, S. 225.

Erich Mühsam: Tagebuch, 29. Mai 1919. Online-Edition. Hg. v. Chris Hirte und Conrad Piens; URL: http://www.muehsam-tagebuch.de, (30.05.2019).

Erich Mühsam: Schlusswort vor dem Standgericht. In: Chris Hirte: Erich Mühsam. Eine Biographie. Freiburg 2009, S. 208.

Ernst Toller: Eine Jugend in Deutschland, S. 251.

Erich Mühsam: Tagebuch, 19. April 1920. Online-Edition. Hg. v. Chris Hirte und Conrad Piens; URL: http://www.muehsam-tagebuch.de, (30.05.2019).

Ernst Toller: Das Schwalbenbuch. In: Ernst Toller. Lyrik, Erzählungen, Hörspiele, Film. Sämtliche Werke. Bd. 5. Hg. v. Martin Gerstenbräun, James Jordan, Stephen Lamb, Stefan Neuhaus, Michael Pilz, Gerhard Scholz, Victoria Strobl und Irene Zanol. Göttingen 2015, S. 19-63, hier S. 20.

Ernst Toller: Eine Jugend in Deutschland, S. 270.

Erich Mühsam: Tagebuch, 14. Mai 1924. Online-Edition. Hg. v. Chris Hirte und Conrad Piens; URL: http://www.muehsam-tagebuch.de, (30.05.2019).

Verwandte Inhalte
Städteporträts
Städteporträts
Journal
Mehr