Friedrich Ani und Albert Ostermaier ehren Herbert Achternbusch
Die 135. Ausgabe der Zeitschrift Literatur in Bayern widmet sich dem Schwerpunktthema Lebensläufe in Bayern. Im folgenden Beitrag beschäftigt sich die Münchner Künstlerin und Autorin Brigitta Rambeck mit Herbert Achternbusch und seiner Rezeption durch Friedrich Ani und Albert Ostermaier. Brigitta Rambeck, die unter anderem mit dem Schwabinger Kunstpreis augezeichnet wurde, leitet seit Jahren den literarischen Seerosenkreis in München. Ihr verdanken wir auch die Originaltexte von Ani und Ostermaier über Achternbusch im unteren Teil des Artikels.
*
Herbert Achternbusch, der ausufernd Wortmächtige, schaffte es, seinen Lebenslauf auf den wohl kleinstmöglichen Nenner zu bringen – in seiner lakonischen „Kurzbiografie": „Ich musste 1938 auf die Welt kommen", schreibt er, „nachdem ich mir meine Eltern schon ausgesucht hatte. Meine Mutter war eine sportliche Schönheit vom Land, die sich nur in der Stadt wohlfühlte. Mein Vater war sehr leger und trank gern, er war ein Spaßvogel. Kaum auf der Welt, suchten mich Schulen, Krankenhäuser und alles Mögliche heim. Ich leistete meine Zeit ab und bestand auf meiner Freizeit. Ich schrieb Bücher, bis mich das Sitzen schmerzte. Dann machte ich Filme, weil ich mich bewegen wollte. Die Kinder, die ich habe, fangen wieder von vorne an. Grüß Gott!"
Das kommt locker daher, und ist bei näherem Hinschauen doch eine Parabel der Vergänglichkeit, ja Unsinnigkeit seines – vielleicht allen – menschlichen Lebens. Dabei ist aus dem geschundenen unehelichen Kind, der „Familienschand", das die geliebte Mutter früh zu den tiefländlichen Großeltern im Bayerischen Wald abschob, schließlich doch „etwas geworden": ein namhafter Schriftsteller zum Beispiel – und das in allen erdenklichen Kategorien: Romanautor, Geschichtenerzähler, Essayist, Theater- und Drehbuchautor ... auch Gedichte gibt es von ihm. Wobei er ja studierter Maler und Bildhauer war, ehe er das Wort zu seinem bevorzugten Kunstmaterial erhob, um dann schließlich über viele Jahre seinen künstlerischen Schwerpunkt auf das Filmemachen und Schauspielern zu verlegen. An die 20 Theaterstücke, 30 Filme, 50 Buchpublikationen und Hunderte von Bildern hat er geschaffen.
Der Grundtenor in Achternbuschs Schaffen – in allen Kunstgattungen – ist radikal subjektiv, Dieter Dorn nennt ihn anarchisch. Achternbusch unterwirft sich keiner Regel, nimmt auch nie Rücksicht auf ein potentielles Publikum – weder im Inhaltlichen, noch im Formalen. Alles, was in ihm Hass, Wut oder auch Zärtlichkeit aufrührt, geht rückhaltlos und rücksichtslos in sein Werk ein. Dabei wird manch heilige Kuh geschlachtet – vorzugsweise die bayerische Heimat und mit ihr der ortsansässige katholische Glaube. Seine Hassliebe zur Heimat hat viele geflügelte Worte hervorgebracht – darunter „In Bayern möcht ich nicht einmal begraben sein" und „Diese Gegend hat mich kaputt gemacht und ich bleibe so lange, bis man ihr das ansieht." Für ihn kommt „Hemad von Heimat" – das Hemd ist ja das, was uns am nächsten am Leibe liegt.
Es ist nicht verwunderlich, dass kein anderer Künstler im bayerischen Kulturraum so anhaltend und bis zur Unflätigkeit kritisiert und abgelehnt wurde wie Herbert Achternbusch. Andererseits wurde auch kaum einer so überschwänglich gerühmt und verehrt. Größen wie Günter Eich und Martin Walser förderten seine Anfänge als Schriftsteller in den 60er-Jahren – einerseits. Andererseits wurden seine Filme, namentlich Das Gespenst, Das letzte Loch und Servus Bayern in der Öffentlichkeit vor allem als Skandalon wahrgenommen und führten zu endlosen Rechtsstreitigkeiten und – vor allem – zur Streichung öffentlicher Fördermittel.
Was Achternbuschs Stellenwert als anarcho-bayerisches Allroundgenie allerdings keinen Abbruch tat: Zu seinem 60. Geburtstag waren 60 Fahnen mit Achternbusch-Sprüchen in der Münchner Innenstadt zu sehen. Zu seinem 70. Geburtstag gab es eine Ausstellung in der Monacensia mit dem wunderbaren Titel: Das Ich ist ein wildes Tier. Als „tiefschwarzer Komiker und weiser Sprachspieler" wurde er da gerühmt oder auch als „einziger legitimer Nachfolger von Karl Valentin". Für Christine Dössel (SZ) ist er darüber hinaus auch der „einzige, den Deutschland ohne Gesichts- und Witzverlust in eine Arena mit Monty Python hätte schicken können."
Servus Bayern mit Josef Bierbichler, 1977 © Barbara Gass
Fest steht: Man kann Herbert Achternbusch lieben, man kann ihn auch verabscheuen – ein laues Mittelding gibt es nicht. Friedrich Ani (1959) und Albert Ostermaier (1967) gehören zu seinen erklärten Adepten. Beide räumen ihm einen nicht unbedeutenden Einfluss auf ihre eigene Schriftstellerlaufbahn ein. Zu den – ja man kann schon sagen – „Festwochen", die die Stadt München 2018 anlässlich seines 80. Geburtstags veranstaltete, meldeten sie von sich aus einen gemeinsamen Abend in der Monacensia an, den sie ausgewählten Texten aus Achternbuschs Werk widmeten.
Beim ersten Blick auf ihre jeweiligen – sehr unterschiedlichen – Werke drängt sich eine „Seelenverwandtschaft" mit dem aufsässigen bayerischen Tausendsassa nicht unbedingt auf. Das gilt für Friedrich Ani, den vielleicht bekanntesten zeitgenössischen Krimiautor im deutschsprachigen Raum, darüber hinaus Lyriker und Verfasser sehr eigenwilliger Jugendbücher, ebenso wie für den fast ein Jahrzehnt jüngeren Lyriker, Theater- und Romanautor Albert Ostermaier, der derzeit mit der Fertigstellung eines Gedichtbands befasst ist, welcher Bezug nimmt auf die Fragmente einer Sprache der Liebe des französischen Philosophen und Linguisten Roland Barthes.
Die Textauswahl, die Ani und Ostermaier als Hommage an Herbert Achternbusch in der Monacensia vortrugen, zeugte dann überraschend deutlich von den jeweils eigenen literarischen Schwerpunkten der Vortragenden – und lieferte auf diese Weise im knappen Zeitraum einer guten Stunde wiederum ein erstaunlich vielseitiges, komplexes Abbild der stilistischen und thematischen Bandbreite des schriftstellerischen Werks von Herbert Achternbusch.
Eine explizite Hommage an das bayerische Universalgenie gaben Ani und Ostermaier darüber hinaus noch mit – zum Teil poetischen – Texten, die sie – nun aus der ironischen Distanz ihrer mittlerweile eigenen gefestigten literarischen Position heraus – dem geschätzten Kollegen zum 80. Geburtstag gewidmet haben.
*
Friedrich Ani: „Für mich war und ist er der Mutigste von allen; von allen Filmemachern hierzulande, allen Dichtern, allen Malern. Herbert Achternbusch war der Souffleur auf der Bühne meines Schreibens von Anfang an; klein beigeben oder Schwäche zeigen war nicht erlaubt; er brüllte dann und stürmte selbst auf die Bühne, und ich wurde stumm und lernte wieder einmal aufrecht gehen beim Schreiben. Außer Beckett habe ich keinen Schriftsteller je so bewundert."
An Achternbusch
Kommt mir nicht mit Wirklichkeit. Aus dem
Hosenscheißen kommt ein jeder nie
hinaus und, weil wir heute haben, eine
jede ganz genauso nicht. Leben für einen
wie ihn ist atmen mit Hirn und
hirnen mit Atem und herzen und seelen im
Rausch, und einer wie er ist wie
keiner. Wir schleppen seinen Schatten als
Schleppe einen Lebtag hinter ihm
her, das geht ihm am Arsch
vorbei, dem Heiland sei Dank. Ja,
nachts, in der allerfinstersten
Finsternis fallen wir auf die
Knie, Hauptsach’, er sieht uns
nicht, wir heben die Arme zum
Himmel, frohlockend, dass der
Herr uns seinen Meister geschickt
hat, mitten hinein ins gottlose
München, unser aller
Evangelium, unsre Verdammnis,
unsre Auferstehung, o Herbert
unser, verlasse uns nie, wir
haben kein Sein ohne dich, keine
Morgenröte in der Nacht. Jetzt
dreht er sich um, sieht uns da
knien, er holt ein Fass
Weißbier und schüttet’s
über unsre bescheuerten
Schädel, und wir jubilieren
untertänig. Wenn wir dann die
Köpfe heben, ist er längst wieder
auf und davon, zu herzen und
hirnen und seelen die zerrissenen
Menschen landunter landauf. Wer
sind wir, fragen wir uns, und von den
Bergen ringsum, den Sphären über
Bayern und dem Rest der Welt
schallt’s wie am Jüngsten Tag: Zwerge
seid ihr, Zwerge werdet ihr sein und
bleiben in Ewigkeit, doch ich
vergebe euch euer Zwergsein, ihr
seid nicht allein in dieser
Stadt, Millionen seid ihr und
vermehrt euch immerzu und
immerzuer, und jetzt ist’s
genug, meine Herren, und weil wir
heute haben, meine Damen
ganz genauso, jetzt will ich
endlich von euch meine Ruah.
Albert Ostermaier: „Als ich Herbert Achternbusch, da war ich keine 20, meinen ersten Gedichtband schickte, von einem See zum anderen, antwortete er mir mit einer seiner legendären Postkarten, auf deren Frontseite drohte: 'Ob der Mensch ein Hirn hat, kann letztendlich nur der Metzger entscheiden.' Auch wenn man die Karte umdrehte, wurde es nicht besser, er bedankte sich für das Buch, aber monierte die Platz- und Papierverschwendung: so wenig Buchstaben, so viel Weiß. Das gleiche Weiß, das als Rasierschaum auf der Karte in sein Gesicht geschäumt war und diese Augen, die mich auslachten, umrahmte.
Achternbusch, das musste man schon aushalten, das war immer ein Leberhaken, und ich dachte nur an einen anderen seiner Sätze, der sich mir eingehämmert hatte: 'Du hast keine Chance, aber nutze sie.' Achternbusch war für mich, den Klosterschüler, der Anarcho-Goethe, ohne den es unmöglich war, selbst zum Dichter oder Lenz zu werden, man musste zu ihm pilgern wie nach Altötting zur Schwarzen Madonna, er war der personifizierte Widerstand und Widerspruch gegen dieses Bayern, das die Zeilen schwärzte und die Seele, dieses Mehrheitsparteibayern, das er in eine mythische Landschaft verwandelte mit seinem Gegen-den-Strich-Schreiben, in ein indianisches Amerika an den Alpen, in ein tschechowsches Kasperletheater, in dem die Polizei und der Staat immer eines auf die Mütze bekamen.
Achternbusch war die große Metamorphosenschreibmaschine, er erschrieb sich eine Welt, die anders war. Achternbusch war der Widerstand, ohne den man nicht stehen und aufstehen konnte, von Achternbusch lernte ich Haltung zeigen, dass Poesie von Präzision und Politik kommt und nicht von Rosen. Er war immer eine Kunstfigur, wie auch Valentin, Graf, Brecht, Fassbinder –, und sie alle waren eine Macht in der Ohnmacht und der Grund weiterzudichten und nicht den Schreibtisch gegen die Schlachtbank einzutauschen. Ohne Achternbuschs Gust, eines der genialsten Stücke des 20. Jahrhunderts, hätte ich nie mit dem Theater angefangen, wäre ich nicht auch heute noch besessen von Monologen, der bayerischen Kunst des Dialogs. Wir sind alle seine Schüler, auch wenn er das nicht hören mag. Die Alexanderschlacht geht weiter."
Friedrich Ani und Albert Ostermaier ehren Herbert Achternbusch>
Die 135. Ausgabe der Zeitschrift Literatur in Bayern widmet sich dem Schwerpunktthema Lebensläufe in Bayern. Im folgenden Beitrag beschäftigt sich die Münchner Künstlerin und Autorin Brigitta Rambeck mit Herbert Achternbusch und seiner Rezeption durch Friedrich Ani und Albert Ostermaier. Brigitta Rambeck, die unter anderem mit dem Schwabinger Kunstpreis augezeichnet wurde, leitet seit Jahren den literarischen Seerosenkreis in München. Ihr verdanken wir auch die Originaltexte von Ani und Ostermaier über Achternbusch im unteren Teil des Artikels.
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Herbert Achternbusch, der ausufernd Wortmächtige, schaffte es, seinen Lebenslauf auf den wohl kleinstmöglichen Nenner zu bringen – in seiner lakonischen „Kurzbiografie": „Ich musste 1938 auf die Welt kommen", schreibt er, „nachdem ich mir meine Eltern schon ausgesucht hatte. Meine Mutter war eine sportliche Schönheit vom Land, die sich nur in der Stadt wohlfühlte. Mein Vater war sehr leger und trank gern, er war ein Spaßvogel. Kaum auf der Welt, suchten mich Schulen, Krankenhäuser und alles Mögliche heim. Ich leistete meine Zeit ab und bestand auf meiner Freizeit. Ich schrieb Bücher, bis mich das Sitzen schmerzte. Dann machte ich Filme, weil ich mich bewegen wollte. Die Kinder, die ich habe, fangen wieder von vorne an. Grüß Gott!"
Das kommt locker daher, und ist bei näherem Hinschauen doch eine Parabel der Vergänglichkeit, ja Unsinnigkeit seines – vielleicht allen – menschlichen Lebens. Dabei ist aus dem geschundenen unehelichen Kind, der „Familienschand", das die geliebte Mutter früh zu den tiefländlichen Großeltern im Bayerischen Wald abschob, schließlich doch „etwas geworden": ein namhafter Schriftsteller zum Beispiel – und das in allen erdenklichen Kategorien: Romanautor, Geschichtenerzähler, Essayist, Theater- und Drehbuchautor ... auch Gedichte gibt es von ihm. Wobei er ja studierter Maler und Bildhauer war, ehe er das Wort zu seinem bevorzugten Kunstmaterial erhob, um dann schließlich über viele Jahre seinen künstlerischen Schwerpunkt auf das Filmemachen und Schauspielern zu verlegen. An die 20 Theaterstücke, 30 Filme, 50 Buchpublikationen und Hunderte von Bildern hat er geschaffen.
Der Grundtenor in Achternbuschs Schaffen – in allen Kunstgattungen – ist radikal subjektiv, Dieter Dorn nennt ihn anarchisch. Achternbusch unterwirft sich keiner Regel, nimmt auch nie Rücksicht auf ein potentielles Publikum – weder im Inhaltlichen, noch im Formalen. Alles, was in ihm Hass, Wut oder auch Zärtlichkeit aufrührt, geht rückhaltlos und rücksichtslos in sein Werk ein. Dabei wird manch heilige Kuh geschlachtet – vorzugsweise die bayerische Heimat und mit ihr der ortsansässige katholische Glaube. Seine Hassliebe zur Heimat hat viele geflügelte Worte hervorgebracht – darunter „In Bayern möcht ich nicht einmal begraben sein" und „Diese Gegend hat mich kaputt gemacht und ich bleibe so lange, bis man ihr das ansieht." Für ihn kommt „Hemad von Heimat" – das Hemd ist ja das, was uns am nächsten am Leibe liegt.
Es ist nicht verwunderlich, dass kein anderer Künstler im bayerischen Kulturraum so anhaltend und bis zur Unflätigkeit kritisiert und abgelehnt wurde wie Herbert Achternbusch. Andererseits wurde auch kaum einer so überschwänglich gerühmt und verehrt. Größen wie Günter Eich und Martin Walser förderten seine Anfänge als Schriftsteller in den 60er-Jahren – einerseits. Andererseits wurden seine Filme, namentlich Das Gespenst, Das letzte Loch und Servus Bayern in der Öffentlichkeit vor allem als Skandalon wahrgenommen und führten zu endlosen Rechtsstreitigkeiten und – vor allem – zur Streichung öffentlicher Fördermittel.
Was Achternbuschs Stellenwert als anarcho-bayerisches Allroundgenie allerdings keinen Abbruch tat: Zu seinem 60. Geburtstag waren 60 Fahnen mit Achternbusch-Sprüchen in der Münchner Innenstadt zu sehen. Zu seinem 70. Geburtstag gab es eine Ausstellung in der Monacensia mit dem wunderbaren Titel: Das Ich ist ein wildes Tier. Als „tiefschwarzer Komiker und weiser Sprachspieler" wurde er da gerühmt oder auch als „einziger legitimer Nachfolger von Karl Valentin". Für Christine Dössel (SZ) ist er darüber hinaus auch der „einzige, den Deutschland ohne Gesichts- und Witzverlust in eine Arena mit Monty Python hätte schicken können."
Servus Bayern mit Josef Bierbichler, 1977 © Barbara Gass
Fest steht: Man kann Herbert Achternbusch lieben, man kann ihn auch verabscheuen – ein laues Mittelding gibt es nicht. Friedrich Ani (1959) und Albert Ostermaier (1967) gehören zu seinen erklärten Adepten. Beide räumen ihm einen nicht unbedeutenden Einfluss auf ihre eigene Schriftstellerlaufbahn ein. Zu den – ja man kann schon sagen – „Festwochen", die die Stadt München 2018 anlässlich seines 80. Geburtstags veranstaltete, meldeten sie von sich aus einen gemeinsamen Abend in der Monacensia an, den sie ausgewählten Texten aus Achternbuschs Werk widmeten.
Beim ersten Blick auf ihre jeweiligen – sehr unterschiedlichen – Werke drängt sich eine „Seelenverwandtschaft" mit dem aufsässigen bayerischen Tausendsassa nicht unbedingt auf. Das gilt für Friedrich Ani, den vielleicht bekanntesten zeitgenössischen Krimiautor im deutschsprachigen Raum, darüber hinaus Lyriker und Verfasser sehr eigenwilliger Jugendbücher, ebenso wie für den fast ein Jahrzehnt jüngeren Lyriker, Theater- und Romanautor Albert Ostermaier, der derzeit mit der Fertigstellung eines Gedichtbands befasst ist, welcher Bezug nimmt auf die Fragmente einer Sprache der Liebe des französischen Philosophen und Linguisten Roland Barthes.
Die Textauswahl, die Ani und Ostermaier als Hommage an Herbert Achternbusch in der Monacensia vortrugen, zeugte dann überraschend deutlich von den jeweils eigenen literarischen Schwerpunkten der Vortragenden – und lieferte auf diese Weise im knappen Zeitraum einer guten Stunde wiederum ein erstaunlich vielseitiges, komplexes Abbild der stilistischen und thematischen Bandbreite des schriftstellerischen Werks von Herbert Achternbusch.
Eine explizite Hommage an das bayerische Universalgenie gaben Ani und Ostermaier darüber hinaus noch mit – zum Teil poetischen – Texten, die sie – nun aus der ironischen Distanz ihrer mittlerweile eigenen gefestigten literarischen Position heraus – dem geschätzten Kollegen zum 80. Geburtstag gewidmet haben.
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Friedrich Ani: „Für mich war und ist er der Mutigste von allen; von allen Filmemachern hierzulande, allen Dichtern, allen Malern. Herbert Achternbusch war der Souffleur auf der Bühne meines Schreibens von Anfang an; klein beigeben oder Schwäche zeigen war nicht erlaubt; er brüllte dann und stürmte selbst auf die Bühne, und ich wurde stumm und lernte wieder einmal aufrecht gehen beim Schreiben. Außer Beckett habe ich keinen Schriftsteller je so bewundert."
An Achternbusch
Kommt mir nicht mit Wirklichkeit. Aus dem
Hosenscheißen kommt ein jeder nie
hinaus und, weil wir heute haben, eine
jede ganz genauso nicht. Leben für einen
wie ihn ist atmen mit Hirn und
hirnen mit Atem und herzen und seelen im
Rausch, und einer wie er ist wie
keiner. Wir schleppen seinen Schatten als
Schleppe einen Lebtag hinter ihm
her, das geht ihm am Arsch
vorbei, dem Heiland sei Dank. Ja,
nachts, in der allerfinstersten
Finsternis fallen wir auf die
Knie, Hauptsach’, er sieht uns
nicht, wir heben die Arme zum
Himmel, frohlockend, dass der
Herr uns seinen Meister geschickt
hat, mitten hinein ins gottlose
München, unser aller
Evangelium, unsre Verdammnis,
unsre Auferstehung, o Herbert
unser, verlasse uns nie, wir
haben kein Sein ohne dich, keine
Morgenröte in der Nacht. Jetzt
dreht er sich um, sieht uns da
knien, er holt ein Fass
Weißbier und schüttet’s
über unsre bescheuerten
Schädel, und wir jubilieren
untertänig. Wenn wir dann die
Köpfe heben, ist er längst wieder
auf und davon, zu herzen und
hirnen und seelen die zerrissenen
Menschen landunter landauf. Wer
sind wir, fragen wir uns, und von den
Bergen ringsum, den Sphären über
Bayern und dem Rest der Welt
schallt’s wie am Jüngsten Tag: Zwerge
seid ihr, Zwerge werdet ihr sein und
bleiben in Ewigkeit, doch ich
vergebe euch euer Zwergsein, ihr
seid nicht allein in dieser
Stadt, Millionen seid ihr und
vermehrt euch immerzu und
immerzuer, und jetzt ist’s
genug, meine Herren, und weil wir
heute haben, meine Damen
ganz genauso, jetzt will ich
endlich von euch meine Ruah.
Albert Ostermaier: „Als ich Herbert Achternbusch, da war ich keine 20, meinen ersten Gedichtband schickte, von einem See zum anderen, antwortete er mir mit einer seiner legendären Postkarten, auf deren Frontseite drohte: 'Ob der Mensch ein Hirn hat, kann letztendlich nur der Metzger entscheiden.' Auch wenn man die Karte umdrehte, wurde es nicht besser, er bedankte sich für das Buch, aber monierte die Platz- und Papierverschwendung: so wenig Buchstaben, so viel Weiß. Das gleiche Weiß, das als Rasierschaum auf der Karte in sein Gesicht geschäumt war und diese Augen, die mich auslachten, umrahmte.
Achternbusch, das musste man schon aushalten, das war immer ein Leberhaken, und ich dachte nur an einen anderen seiner Sätze, der sich mir eingehämmert hatte: 'Du hast keine Chance, aber nutze sie.' Achternbusch war für mich, den Klosterschüler, der Anarcho-Goethe, ohne den es unmöglich war, selbst zum Dichter oder Lenz zu werden, man musste zu ihm pilgern wie nach Altötting zur Schwarzen Madonna, er war der personifizierte Widerstand und Widerspruch gegen dieses Bayern, das die Zeilen schwärzte und die Seele, dieses Mehrheitsparteibayern, das er in eine mythische Landschaft verwandelte mit seinem Gegen-den-Strich-Schreiben, in ein indianisches Amerika an den Alpen, in ein tschechowsches Kasperletheater, in dem die Polizei und der Staat immer eines auf die Mütze bekamen.
Achternbusch war die große Metamorphosenschreibmaschine, er erschrieb sich eine Welt, die anders war. Achternbusch war der Widerstand, ohne den man nicht stehen und aufstehen konnte, von Achternbusch lernte ich Haltung zeigen, dass Poesie von Präzision und Politik kommt und nicht von Rosen. Er war immer eine Kunstfigur, wie auch Valentin, Graf, Brecht, Fassbinder –, und sie alle waren eine Macht in der Ohnmacht und der Grund weiterzudichten und nicht den Schreibtisch gegen die Schlachtbank einzutauschen. Ohne Achternbuschs Gust, eines der genialsten Stücke des 20. Jahrhunderts, hätte ich nie mit dem Theater angefangen, wäre ich nicht auch heute noch besessen von Monologen, der bayerischen Kunst des Dialogs. Wir sind alle seine Schüler, auch wenn er das nicht hören mag. Die Alexanderschlacht geht weiter."