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28.03.2019, 14:21 Uhr
Andreas Unger
Gespräche
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© Kathrin Harms

Andreas Ungers eindrucksvolles Buch über 'Vergebung'

Als Journalist für Printmedien und Fernsehen hat Andreas Unger bereits mehrere Auszeichnungen erhalten. Er arbeitet meist zu sozialen Themen, den Härten des Lebens. Mit dem Literaturportal Bayern kooperiert er schon länger. Er ist Autor des Themenessays zu bayerischer Mundartlyrik und schrieb Beiträge für die Anthologien Fremd und Wir sind hier. Zudem ist er Mitglied des Aktionsbündnisses Meet your neighbours.

Nun hat Andreas Unger ein beeindruckendes Buch zum Thema Vergebung geschrieben, ausgerechnet in einer Zeit, in der oft allseitige Schuldzuweisungen die öffentlichen Debatten bestimmen.

Angefangen hat es mit einem gewöhnlichen Vaterunser am Sonntagmorgen. Die Zeile „wir vergeben unseren Schuldigern“ lässt ihn plötzlich nicht mehr los. Was bedeutet es eigentlich, jemandem zu vergeben? Und passiert das einfach so oder müssen erst andere innere Prozesse ablaufen? Simple Antworten gibt es da nicht; Unger beginnt eine Spurensuche. Auf seiner Reise um die halbe Welt trifft er auf Menschen, die ganz unterschiedlich mit dem Thema umgehen. Constanze Richter hat sich mit dem Autor darüber unterhalten.

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Sind Sie auf das Thema Vergebung wirklich durch eine spontane Eingebung im Gottesdienst gekommen?

Ja, das Thema ist irgendwie zu mir gekommen. Ich merke als Journalist häufig, dass Dinge, auf die ich nicht sofort eine Antwort weiß, mich auch länger beschäftigen. Und was ich mich frage, das fragen sich andere sicherlich auch. Ich beziehe meine Themen eigentlich oft aus Selbstgesprächen. Und so war es hier auch.

 

Was war für Sie das Faszinierende an der Vergebung?

Verzeihen oder Vergeben hat sehr viele verschiedene Facetten. Aber diese Vielschichtigkeit hat sich erst im Laufe der Recherche herausgestellt. Denn die Fälle der Protagonisten und auch die Antworten, die die Menschen für sich selber gefunden haben, lassen sich nicht über eine Leiste scheren. Deswegen wurde die Recherche auch so ausführlich. Mit jeder guten Frage findet man vielleicht eine gute Antwort. Aber vor allem schließt sich einer guten Frage eine noch bessere Frage an.

 

Sie spielen auf Ihre ursprüngliche Stern-Recherche vor fünf Jahren an.

Ja, die erste Recherche zum Thema war für eine Stern-Reportage. Jahre später lege ich jetzt quasi die XXL-Version als Buch vor. Die Protagonisten sind aber nicht ganz die gleichen. Es sind ein, zwei weggefallen, dafür sind andere dazugekommen.

 

Gab es ein Ereignis während Ihrer Recherche, das Ihnen besonders im Gedächtnis geblieben ist?

Was mir am lebendigsten in Erinnerung ist und mich am stärksten bewegt hat, war eine Reise nach Auschwitz. Ich bin dort mit der Holocaust-Überlebenden Eva Mozes Kor hingereist und habe zwei Tage mit ihr verbracht. Einen Tag in 'Auschwitz I' und Auschwitz-Birkenau und am nächsten Tag noch ein langes Gespräch. Stark berührt hat mich auch das Kennenlernen von Gisela Mayer, die 2009 ihre Tochter beim Amoklauf in Winnenden verloren hat. Sie hat mir eine neue Facette des Verzeihens aufgezeigt. Es sei ihr eher unterlaufen, meinte sie, für sie war es gar kein erklärtes Ziel. Bei unserem Treffen haben wir dann rekonstruiert, wie sich ihr Verhältnis zum Täter über die Jahre entwickelt hat.

 

Sie verwenden zwei Begriffe. Gibt es einen Unterschied zwischen vergeben und verzeihen?

Es gibt da keine ganz klare Definition. Der Duden verwendet die Begriffe synonym, und das tue ich auch. Aber ich habe im Zuge meiner Recherche diese Frage den betroffenen Menschen gestellt. Für manche ist vergeben gewissermaßen vertikal, also Gottes Sache, während verzeihen eher horizontal verläuft, von Mensch zu Mensch.

 

Was macht es mit den Menschen, wenn sie vergeben oder verzeihen?

Sie kommen mit dem Geschehenen besser klar. Die Holocaust-Überlebende Eva Mozes Kor hat gesagt: „For most of my life I was a good victim. I was full of hatred.“ Dann aber setzte sie sich mit ihrer Vergangenheit auseinander und vergab den Nazis die schrecklichen Dinge, die ihr angetan wurden. Das Opfersein habe sie durch das Vergeben überwunden. Das Verzeihen kann als Ablösung vom Täter und auch von der Tat funktionieren. Im Grunde ist es eine Selbstermächtigung. Und dieser Schritt ist ganz zentral für viele Leute. Durch gelungenes Verzeihen kann man zu einem großen Maß an Freiheit kommen.

 

So ähnlich lautet auch der letzte Satz Ihres Buches. Dass Vergebung ein Kind der Freiheit ist.

Damit will ich sagen, dass das Verzeihen nicht alternativlos ist, dass es kein Ziel ist, das man unbedingt erreichen muss, und auch kein Mittel zum Zweck. Man kann durchaus nicht verzeihen und trotzdem zu einem Frieden mit sich und der Welt kommen. Aber auf lange Sicht gesehen ist das Verzeihen, wenn es denn gelingt, ein sehr guter Weg, um mit dem weiterzuleben, was einem widerfahren ist.

 

Das passiert aber nicht einfach so auf Knopfdruck.

Nein, da müssen erst andere Gefühle einsetzen. Eine Therapeutin hat mir mal gesagt, man könne das Verzeihen nicht erzwingen und auch nicht beschleunigen. Bei denjenigen, denen etwas Schlimmes passiert ist, muss alles da sein dürfen. Hass und Rachegelüste müssen ihren Platz haben, genauso wie Verzweiflung und Trauer. Ich glaube, es ist entscheidend, dass man seine Gefühle zulässt und sie nicht wegdrückt. Vielleicht kommt dann irgendwann mal der Gedanke ans Verzeihen. Und wenn nicht, dann nicht, dann ist es auch gut.

 

Wie soll Ihr Buch gelesen werden?

Da Vergebung ein individuelles Thema ist, wollte ich keinen Ratgeber schreiben und halte mich sehr mit persönlichen Ratschlägen zurück. Ich setze hauptsächlich zwei funktionierende Wege einander gegenüber: den der intensiven Beschäftigung mit dem Täter und den der Nicht-Konfrontation. Stefan Tiefenbacher zum Beispiel, der bei einem Motorradunfall sein Gedächtnis und damit seine Identität verloren hat, entschied sich dagegen, den Unfallverursacher zu kontaktieren. Er macht auf mich aber ebenfalls den Eindruck, dass er verziehen hat. Mir ist außerdem wichtig, dass das Verzeihen ein autonomer Akt ist, also nicht vom Täter abhängt, und sehr viel Potenzial beinhaltet. Ansonsten bin ich froh, wenn der eine oder andere Leser mit seinem Rucksack daherkommt und im Buch eine Protagonistin oder einen Protagonisten kennenlernt, mit denen er sich eine Weile weiterhangeln kann.