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13.10.2018, 14:59 Uhr
Gernot Eschrich
Revolutionen 1918/1968
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Gernot Eschrich

1918/1968 – Revolutionen (4): Erich Mühsams Humanität

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Erich Mühsam, 1928 © Bundesarchiv CC BY-SA 3.0

Die 132. Ausgabe der Zeitschrift Literatur in Bayern widmet sich dem Schwerpunktthema Aufbrüche. Als Fortsetzung unserer Blogreihe zu den Revolutionen 1918 und 1968 veröffentlichen wir hier einen Artikel von Gernot Eschrich über den Revolutionär Erich Mühsam.

*

Es gibt Unterschiede zwischen den leidenschaftlichen Rednern und Revolutionären Eisner, Landauer, Mühsam, aber eines verbindet sie: Sie waren menschlich in Ordnung, in ihrer Integrität vorbildlich. Zum Beispiel Erich Mühsam. Hier ein paar Aspekte gewonnen aus Volker Weidermanns Buch Träumer. Als die Dichter die Macht übernahmen (vgl. dazu Hannes Macher in dieser Ausgabe der Literatur in Bayern) und aus dem »Lesebuch« Erich Mühsam. Das seid ihr Hunde wert.

»Ernst Jünger schrieb später in seinen Kriegsaufzeichnungen Strahlungen nach einer Hausdurchsuchung bei ihm ›Ich glaube, man suchte Briefe des alten Anarchisten Mühsam bei mir, der eine kindliche Neigung zu mir gefasst hatte und den man auf so schauerliche Weise ermordete. Er war einer der besten und gutmütigsten Menschen, denen ich begegnet bin.‹« (Weidermann 280/281)

Und Zenzl, Mühsams Frau, schreib in einem Brief vom Oktober 1937: »Erich war der besorgteste Ehemann, den du dir vorstellen kannst. Außerdem furchtbar stolz (meine Frau macht alles selbst) [...] Und Erich war im Stande, mein Leben auszufüllen – weit über den Tod hinaus.« (Lesebuch 322)

Weidermann (S. 200) resümiert: »Aber Mühsam hatte schon etwas von einem reineren Toren. Der Glaube an das Gute im Menschen, an die Kraft der Literatur, an die Ideale des Anarchismus trieben ihn an.«

Dabei war Mühsam kein »Weichei«, er war mutig, oft draufgängerisch, aber nie herrschsüchtig, gehässig oder brutal. Sein Mut bewährte sich am klarsten 1933 im Gefängnis, als er, schwer misshandelt, zu seiner Frau sagte: »Eins merke dir, Zenzl, ich werde ganz bestimmt niemals feige sein«, und als er den SA-Männern, die zum Spaß seine Scheinhinrichtung inszenierten, zurief: »Zum Letzten seid ihr doch zu feig!« (Lesebuch 310)

Der Typ Anarchist, den Erich Mühsam verkörpert, erregt stets den Hass der Zwanghaften. Was er dabei unter Anarchie verstand, definierte er 1912: »Anarchie bedeutet Herrschaftslosigkeit. Wer den Begriff mit keinem Gedanken verbinden kann, ehe er ihn nicht zur Zügellosigkeit umgedeutet hat, der beweist damit, dass er mit den Empfindungsnerven eines Pferdes ausgerüstet ist.

Anarchie ist die Freiheit von Zwang, Gewalt, Knechtung, Gesetz, Zentralisation, Staat. Die anarchische Gesellschaft setzt an ihre Stelle: Freiwilligkeit, Verständigung, Vertrag, Konvention, Bündnis, Volk.« (Lesebuch 127) Dass das eine Utopie ist, ahnt Mühsam selbst, wenn er fortfährt: »Aber die Menschen verlangen nach Herrschaft, weil sie in sich selbst keine Beherrschtheit haben.«

An Beherrschtheit lässt Mühsam es nach Ansicht Kurt Eisners allerdings selber fehlen, als er am 7. Januar 1919 einen in gewaltsame Auseinandersetzungen mit der Polizei mündenden Demonstrationszug anführt und von Eisner dafür kurzfristig inhaftiert wird. (Weidermann 81/82)

Überzeugt von der Notwendigkeit einer linkssozialistischen Räterepublik, agitiert und kämpft Mühsam geradezu fanatisch mit seiner besten Waffe, dem Wort. Als jedoch am ersten Tag von Tollers Regierung das Gerücht umgeht, bewaffnete Studenten näherten sich dem Wittelsbacher Palais, holen Mühsam und Landauer einige Waffen hervor, bereit, äußersten Widerstand zu leisten. (Weidermann 167)

Absolut zivil wiederum zeigt Mühsam menschliche Größe, nachdem Landauer ihn am 6. April 1919 bei der Ämterverteilung einer zu gründenden Räterepublik als für das Außenamt ungeeignet ablehnt. Als man nämlich Landauer seinerseits in der Runde als ›Kultusminister‹ für nicht vermittelbar hält, tritt Mühsam energisch für ihn ein und setzt ihn durch (Weidermann 158). Nicht schlecht, oder?

Abgemüht hat er sich wie wenige:
Eisner, Landauer, Toller ...
Siebzig oder achtzig sind sie nicht geworden,
Mühe und Arbeit waren nicht köstlich.
Erschlagen, erschossen, aufgehängt.
Als Revolutionäre gescheitert.
Doch revolutionär
ihr politischer Anstand.

 

Gernot Eschrich wurde 1938 geboren und wuchs in Landshut auf. Er studierte die Fächer Deutsch, Latein und Griechisch in München und Freiburg. Von 1964 bis 2001 war er Gymnasiallehrer in Tegernsee und Gilching.

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