Harald Beck auf den Spuren von Gottfried Keller in München II
Der Schweizer Dichter, Maler und Politiker Gottfried Keller (1819-1890) zählt zu den großen Erzählern des bürgerlichen Realismus durch seine beiden Romane Der grüne Heinrich (1854-55/1879-80) und Martin Salander (1886) sowie durch seine Novellen und Erzählungen (u.a. Die Leute von Seldwyla, 1873/74; Züricher Novellen, 1877). Seine Erzählkunst ist durch eine besondere Ausdrucksvielfalt, hintergründige bis scharfe Satire, Ironie, Witz und Humor gekennzeichnet. Gottfried Keller wollte zunächst Maler werden, entschied sich dann jedoch für den Schriftstellerberuf. Seine Zeit als Maler ist untrennbar verknüpft mit München, wo er sich an der Königlichen Akademie der Künste 1840 weiterbilden wollte. Der Münchner Übersetzer und James-Joyce-Kenner Harald Beck hat die Stationen von Kellers Aufenthalt verfolgt, die wir in zwei Teilen im Literaturportal Bayern anbieten. Hier nun die letzte Folge.
*
Als der Präsident der Schweizergesellschaft, Carl Curti (1818-1877), zurück in die Heimat geht, begleiten ihn Keller und weitere Kommilitonen am 6. Februar 1841 bis Augsburg. Keller, der Redakteur des Wochenblättchens der Gesellschaft war, verfasste einen „Nachruf an Curti“, der sich erhalten hat:
Fahr hin, du altes Haus, zu den Philistern!
Die Sterne deiner Jugend sind erbleicht.
Ein kalter Wind begann um dich zu flüstern,
Seit wir die Hand zum Abschied dir gereicht.
Dir folgen unsre traurig stillen Klagen
Nach so viel schönen, froh verlebten Tagen.
Als wir das letzte Glas dir zugetrunken
Zu jenen Mauern, die der Lech umfliesst
Der letzte Rest in unsre Kehl' gesunken
Und wir zum letzten Male dich geküsst.
Da sah ich jemand, der tat kläglich weinen,
Dass es Mitleid erregte bei den Steinen.
[...]
München-Augsburger Eisenbahn. Aus: Erinnerungen an München. München, Hochwind, o.J. (ca. 1840); Steingravüre.
Der provisorische Bahnhof der gerade erst fertiggestellten Eisenbahnlinie München-Augsburg lag auf dem Marsfeld am heutigen Standort der Hackerbrücke. Das Augsburger Pendant befand sich damals neben der Schüleschen Kattunfabrik an der Baumgärtnerstraße.
Im Oktober 1841 kam es zu einer zweiten Fahrt nach Augsburg, als es galt, dem Schaffhauser Maler Hans Bendel, dessen Talent Wilhelm Kaulbach persönlich entdeckt hatte, das Geleit in die Heimat zu geben. Man amüsierte sich prächtig im Gasthof „Zum Mohrenkopf“ am Predigerberg und war bereits am Aufbrechen, als Stimmungskanone Keller noch einen Ehrenpusch bestellt. Doch die finanziellen Reserven der Gesellschaft sind erschöpft und Hegi kann die zechenden Freunde erst nach Tagen als Pfänder bei Gastwirt Mußbeck auslösen.
Gasthof zum Mohrenkopf, Augsburg (c) Stadt Augsburg/Kunstsammlungen und Museen
Ebenfalls im Jahr 1841 kam es zu zwei zufälligen Begegnungen mit Ludwig I. Die erste ergab sich, als Keller im Kunstverein am Odeonsplatz Bilder betrachtete und die königliche Frage „Auch Künstler?“ mutig mit „Ja“ beantwortete. Schon am nächsten Vormittag ergab sich in Rudolf Leemans (1812-1865) Gegenwart die zweite Begegnung, diesmal in der Lerchenstraße. Der leutselige König schlug Keller im Vorbeigehen auf die Schulter mit dem Kommentar: „Haben uns auch schon gesehen!“
Kellers dritte Bleibe war in der Schützenstraße 3. Da er in der Lerchenstraße 14 Gulden Mietzins schuldig geblieben war – eine Tatsache, die zum Entsetzen seiner Mutter im Dezember 1841 zu einer Anfrage bei der Polizei in Zürich führte – kam es schließlich im April 1842 zum letzten Quartierwechsel. Das Münchner Adressbuch von 1842 zeigt Keller in der alphabetischen Liste Münchner Künstler in prominenter Gesellschaft:
Adreßbuch von München und der Vorstadt Au. Litterarisch-Artistische Anst., München 1842, S. 85 (BSB/Sign.: Bavar. 2461 hb-1842)
Im Jahr 1842 ist er vom Pech verfolgt. Als er vom Kunstverein die Einladung bekommt, ein kleineres Bild im Wert von sechzig bis achtzig Gulden einzureichen, wird tatsächlich eine bereits fertige Landschaft zum Preis von sechs Louisdors (ein goldenes Fünftalerstück) angenommen. Nach eiliger Ausführung einer gewünschten kleineren Abänderung stellt er das Bild zum Trocknen an den Ofen und geht zum Feiern des Erfolgs in die Kneipe. Am nächsten Morgen muss er feststellen, dass die Landschaft unrettbar angekohlt ist.
Am 1. Mai 1842, als die verschiedenen Künstlergesellschaften traditionell aufs Land zogen, den Frühling zu feiern, erleidet Keller in Hegis Gegenwart einen weiteren Tiefschlag. Im Waldidyll von Großhesselohe kommt ihm im Trubel ein Familienerbstück, sein spanisches Rohr, abhanden. Ein Verlust, der Keller völlig aus der Fassung bringt – gleichsam ein Vorbote seiner gescheiterten Künstlerhoffnungen. Eine Miniaturradierung seines Freundes J. C. Werdmüller zeigt den ominösen Stock des trinkfesten Besitzers (im Strapinskischen Radmantel), dessen Wappen nicht von ungefähr ein Bierfass ist.
Johann Conrad Werdmüller (1819-92): Hier steth Herr Gotfrid Keller, Radierung.
Am 11. Mai schickt er trotzdem noch hoffnungsfroh seine Heroische Landschaft zu einer Ausstellung nach Zürich, aber die Sendung kommt erst nach Wochen, vom Transport schwer in Mitleidenschaft gezogen dort an und wird nur durch tatkräftige Intervention der Mutter überhaupt noch ausgestellt. Das Bild findet zwar Beachtung, aber da es nicht angekauft wird, scheitert auch dieser letzte Versuch, als Künstler Fuß zu fassen.
Gottfried Keller: Heroische Landschaft, 1841/42
Zuletzt ist Keller aufgrund hoher Schulden gezwungen, seine Skizzen, Zeichnungen und schließlich seine geliebte Flöte an einen Trödler zu verkaufen. Im Oktober muss er dem Mann für die Hochzeit von Kronprinz Max gar hunderte von Fahnenstangen mit blau-weißen Spiralen bemalen, was ihm täglich zwei Gulden einbringt. Ende des Monats Oktober wird er wegen hoher Mietschulden aus seiner Wohnung geworfen und sieht sich genötigt, die beschämende Flucht vor seinen Gläubigern zurück nach Zürich anzutreten.
Erst über drei Jahrzehnte später hält er sich, nunmehr als angesehener Schriftsteller, wieder einige Wochen in München auf. Zu spät allerdings, um den alten Trödler in einem der Gässchen zwischen Kaufingerstraße und Promenadeplatz wieder ausfindig zu machen, dem er seine Zeichnungen, Skizzen und Flöte verkaufen musste.
Harald Beck auf den Spuren von Gottfried Keller in München II>
Der Schweizer Dichter, Maler und Politiker Gottfried Keller (1819-1890) zählt zu den großen Erzählern des bürgerlichen Realismus durch seine beiden Romane Der grüne Heinrich (1854-55/1879-80) und Martin Salander (1886) sowie durch seine Novellen und Erzählungen (u.a. Die Leute von Seldwyla, 1873/74; Züricher Novellen, 1877). Seine Erzählkunst ist durch eine besondere Ausdrucksvielfalt, hintergründige bis scharfe Satire, Ironie, Witz und Humor gekennzeichnet. Gottfried Keller wollte zunächst Maler werden, entschied sich dann jedoch für den Schriftstellerberuf. Seine Zeit als Maler ist untrennbar verknüpft mit München, wo er sich an der Königlichen Akademie der Künste 1840 weiterbilden wollte. Der Münchner Übersetzer und James-Joyce-Kenner Harald Beck hat die Stationen von Kellers Aufenthalt verfolgt, die wir in zwei Teilen im Literaturportal Bayern anbieten. Hier nun die letzte Folge.
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Als der Präsident der Schweizergesellschaft, Carl Curti (1818-1877), zurück in die Heimat geht, begleiten ihn Keller und weitere Kommilitonen am 6. Februar 1841 bis Augsburg. Keller, der Redakteur des Wochenblättchens der Gesellschaft war, verfasste einen „Nachruf an Curti“, der sich erhalten hat:
Fahr hin, du altes Haus, zu den Philistern!
Die Sterne deiner Jugend sind erbleicht.
Ein kalter Wind begann um dich zu flüstern,
Seit wir die Hand zum Abschied dir gereicht.
Dir folgen unsre traurig stillen Klagen
Nach so viel schönen, froh verlebten Tagen.
Als wir das letzte Glas dir zugetrunken
Zu jenen Mauern, die der Lech umfliesst
Der letzte Rest in unsre Kehl' gesunken
Und wir zum letzten Male dich geküsst.
Da sah ich jemand, der tat kläglich weinen,
Dass es Mitleid erregte bei den Steinen.
[...]
München-Augsburger Eisenbahn. Aus: Erinnerungen an München. München, Hochwind, o.J. (ca. 1840); Steingravüre.
Der provisorische Bahnhof der gerade erst fertiggestellten Eisenbahnlinie München-Augsburg lag auf dem Marsfeld am heutigen Standort der Hackerbrücke. Das Augsburger Pendant befand sich damals neben der Schüleschen Kattunfabrik an der Baumgärtnerstraße.
Im Oktober 1841 kam es zu einer zweiten Fahrt nach Augsburg, als es galt, dem Schaffhauser Maler Hans Bendel, dessen Talent Wilhelm Kaulbach persönlich entdeckt hatte, das Geleit in die Heimat zu geben. Man amüsierte sich prächtig im Gasthof „Zum Mohrenkopf“ am Predigerberg und war bereits am Aufbrechen, als Stimmungskanone Keller noch einen Ehrenpusch bestellt. Doch die finanziellen Reserven der Gesellschaft sind erschöpft und Hegi kann die zechenden Freunde erst nach Tagen als Pfänder bei Gastwirt Mußbeck auslösen.
Gasthof zum Mohrenkopf, Augsburg (c) Stadt Augsburg/Kunstsammlungen und Museen
Ebenfalls im Jahr 1841 kam es zu zwei zufälligen Begegnungen mit Ludwig I. Die erste ergab sich, als Keller im Kunstverein am Odeonsplatz Bilder betrachtete und die königliche Frage „Auch Künstler?“ mutig mit „Ja“ beantwortete. Schon am nächsten Vormittag ergab sich in Rudolf Leemans (1812-1865) Gegenwart die zweite Begegnung, diesmal in der Lerchenstraße. Der leutselige König schlug Keller im Vorbeigehen auf die Schulter mit dem Kommentar: „Haben uns auch schon gesehen!“
Kellers dritte Bleibe war in der Schützenstraße 3. Da er in der Lerchenstraße 14 Gulden Mietzins schuldig geblieben war – eine Tatsache, die zum Entsetzen seiner Mutter im Dezember 1841 zu einer Anfrage bei der Polizei in Zürich führte – kam es schließlich im April 1842 zum letzten Quartierwechsel. Das Münchner Adressbuch von 1842 zeigt Keller in der alphabetischen Liste Münchner Künstler in prominenter Gesellschaft:
Adreßbuch von München und der Vorstadt Au. Litterarisch-Artistische Anst., München 1842, S. 85 (BSB/Sign.: Bavar. 2461 hb-1842)
Im Jahr 1842 ist er vom Pech verfolgt. Als er vom Kunstverein die Einladung bekommt, ein kleineres Bild im Wert von sechzig bis achtzig Gulden einzureichen, wird tatsächlich eine bereits fertige Landschaft zum Preis von sechs Louisdors (ein goldenes Fünftalerstück) angenommen. Nach eiliger Ausführung einer gewünschten kleineren Abänderung stellt er das Bild zum Trocknen an den Ofen und geht zum Feiern des Erfolgs in die Kneipe. Am nächsten Morgen muss er feststellen, dass die Landschaft unrettbar angekohlt ist.
Am 1. Mai 1842, als die verschiedenen Künstlergesellschaften traditionell aufs Land zogen, den Frühling zu feiern, erleidet Keller in Hegis Gegenwart einen weiteren Tiefschlag. Im Waldidyll von Großhesselohe kommt ihm im Trubel ein Familienerbstück, sein spanisches Rohr, abhanden. Ein Verlust, der Keller völlig aus der Fassung bringt – gleichsam ein Vorbote seiner gescheiterten Künstlerhoffnungen. Eine Miniaturradierung seines Freundes J. C. Werdmüller zeigt den ominösen Stock des trinkfesten Besitzers (im Strapinskischen Radmantel), dessen Wappen nicht von ungefähr ein Bierfass ist.
Johann Conrad Werdmüller (1819-92): Hier steth Herr Gotfrid Keller, Radierung.
Am 11. Mai schickt er trotzdem noch hoffnungsfroh seine Heroische Landschaft zu einer Ausstellung nach Zürich, aber die Sendung kommt erst nach Wochen, vom Transport schwer in Mitleidenschaft gezogen dort an und wird nur durch tatkräftige Intervention der Mutter überhaupt noch ausgestellt. Das Bild findet zwar Beachtung, aber da es nicht angekauft wird, scheitert auch dieser letzte Versuch, als Künstler Fuß zu fassen.
Gottfried Keller: Heroische Landschaft, 1841/42
Zuletzt ist Keller aufgrund hoher Schulden gezwungen, seine Skizzen, Zeichnungen und schließlich seine geliebte Flöte an einen Trödler zu verkaufen. Im Oktober muss er dem Mann für die Hochzeit von Kronprinz Max gar hunderte von Fahnenstangen mit blau-weißen Spiralen bemalen, was ihm täglich zwei Gulden einbringt. Ende des Monats Oktober wird er wegen hoher Mietschulden aus seiner Wohnung geworfen und sieht sich genötigt, die beschämende Flucht vor seinen Gläubigern zurück nach Zürich anzutreten.
Erst über drei Jahrzehnte später hält er sich, nunmehr als angesehener Schriftsteller, wieder einige Wochen in München auf. Zu spät allerdings, um den alten Trödler in einem der Gässchen zwischen Kaufingerstraße und Promenadeplatz wieder ausfindig zu machen, dem er seine Zeichnungen, Skizzen und Flöte verkaufen musste.