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24.10.2017, 08:05 Uhr
Sandra Hoffmann
Gespräche
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© Thomas Dashuber

Sandra Hoffmann im Gespräch über ihren preisgekrönten neuen Roman

Sandra Hoffmann ist seit 2003 als freie Autorin tätig. Ihr erstes Buch schwimmen gegen blond. eine erzählung in zweiundfünfzig tagen erscheint 2002. Es folgen Den Himmel zu Füßen (2004), Liebesgut (2008) und Was ihm fehlen wird, wenn er tot ist (2012). Sandra Hoffmann erhält  zahlreiche Auszeichnungen, darunter Stipendien des Künstlerhauses Villa Waldberta und der Stiftung Künstlerdorf Schöppingen, den Mörike-Förderpreis der Stadt Fellbach sowie den Thaddäus-Troll-Preis (2012). Für ihr neuestes Werk Paula erhält sie 2014 das Literaturstipendium des Freistaats Bayern. Im Oktober wurde sie dafür außerdem mit dem Hans-Fallada-Preis 2018 ausgezeichnet.

Paula ist ein fesselndes Memoir, in dem sich die Autorin mit ihrer eigenen Familiengeschichte und dem allumfassenden Schweigen beschäftigt. Die Autorin erinnert sich an ihre verstorbene Großmutter, die nur sehr wenig über die eigene Vergangenheit preisgeben wollte. So verriet sie etwa nie den Namen des Vaters ihres Kindes (Sandra Hoffmanns Mutter). Diesen Leerstellen in der Familiengeschichte setzt Sandra Hoffmann ihren Prosatext entgegen. Paula ist eine faszinierende, eigenwillige Collage, die mit dem Schweigen um Familientabus bricht.

Wir trafen die Autorin in München zum Gespräch.

*

Literaturportal Bayern: Am Anfang Ihres Buches findet sich ein Ausschnitt aus T.S. Eliots The Waste Land. Wie kamen Sie darauf?

Sandra Hoffmann: Mein neues Buch beginnt mit der Zeile: „Schweigen ist anders als still sein.“ und geht in eine Art Ouvertüre über das beklemmende Schweigen an einem Tisch über, das sich sehr von der Stille unterscheidet.

Das berühmte Zitat aus T.S. Eliots Waste Land „Do you know nothing? Do you see nothing? Do you remember nothing?“, das dem gesamten Prosatext als Zitat vorangestellt ist, erschließt sich, glaube ich, bereits an dieser Stelle selbsterklärend. Wichtig nur: Eliot ist ein Spracharbeiter. Ich glaube, das bin ich auch, eine Spracharbeiterin. Mir ist die Form, der Sound, die Genauigkeit, Präzision, mit der man sprachlich etwas einkreisen kann, sehr wichtig.

Ihr Werk Paula scheint auf eine ganz besondere Art und Weise Fiktion und Realität zu verbinden. Kann Fiktion eine Bewältigungsstrategie für die Realität sein? Wie sehen Sie das Verhältnis zwischen Fiktion und Realität?

Es gibt eine zentrale Stelle in Paula, die lautet: „Ich bin eine unzuverlässige Erzählerin […] Man kann sich darauf verlassen, dass ich alles, was ich nicht mehr weiß, alles, was ich nie gewusst habe, alles, was ich unbedingt wissen will, erfinden werde.“ So war es beim Schreiben dieses Buches. Ich habe alle Möglichkeiten des Erzählens genutzt, dem Schweigen und dem Geheimnis meiner Großmutter auf die Spur zu kommen. Wenn ich es für notwendig hielt, die Wirklichkeit zu erzählen und wenn sie aufschlussreich genug war für das, was ich erzählen wollte, hat sie mir darin genügt, wenn nicht, bin ich ihr mit Fiktion auf den Leib gerückt. Zudem: Wie funktioniert Erinnern? Immer subjektiv. Und also immer in gewisser Weise auch fiktiv. Denn für die Wahrhaftigkeit meines Erinnerns kann ich mich nur selbst verbürgen. Der andere, den meine Erinnerung betrifft, erinnert sich eben auf seine Weise, also wieder subjektiv. Erinnerung ist also immer auch Fiktion.

Sie ‚versprachlichen‘ Bilddokumente Ihrer Großmutter. Im Buch zitieren Sie Roland Barthes, der meint, dass „Photographie platt [ist], in jeder Beziehung des Wortes“. Wie passt das zu Ihrem Werk?

Roland Barthes hat sich in seinem Buch Die helle Kammer sehr gründlich mit Fotografie auseinander gesetzt. Dort steht auch dieses Zitat, mit dem ich nur bedingt übereinstimme, und das dürfte auch beim Lesen des Buches klar werden. Denn natürlich sage ich, dass die Fotos, die mir von meiner Großmutter überlassen wurden, eben keine Geschichten erzählen, sie sind Momentaufnahmen, Augenblicke. Sie erzählen ja – jedes einzelne – keine Geschichte. Sie sind also Papier. Und leben nur im Auge des Betrachters auf. Nichts weiter. Aber wenn man viele Fotografien nebeneinander legt, wenn man sie ergründet als Zeitdokumente, dann erzählen sie eben doch eine Geschichte. Aber wie die geht: das entscheidet alleine derjenige, der sie schreibt.

Inwieweit war es für Sie eine besondere Herausforderung, Ihre eigene Familiengeschichte in einem Prosatext zu veröffentlichen?

Na ja, man mutet damit nicht nur sich etwas zu, sondern auch seiner Familie. Das ist nicht so einfach und das muss man erst mal aushalten, für sich. Und die Familie muss es eben auch aushalten. Das ist die (große) Zumutung. Aber manchmal geht es nicht anders. Paula musste so sein, wie sie nun geworden ist.

Im Übrigen, darüber erzählt der Text auch, wenn es an einer Stelle heißt: „(…) ich bin sicher, meine Wahrnehmung stimmt nicht mit der meiner Großmutter überein; sie stimmt auch sicher nur teilweise mit der meiner Mutter überein…“.

Zentral in Ihrem Buch ist das Schweigen. Inwieweit können Sie das Schweigen ihrer Großmutter nachempfinden?

Gar nicht. Und das habe ich auch gar nicht gewollt. Aber beim Schreiben dieses Buches habe ich aushalten gelernt, dass es für meine Großmutter Gründe gegeben haben muss, nichts von sich preiszugeben. Sie war ein Opfer ihrer Zeit und irgendwelcher Umstände, aus denen sie nie herausfand. Sie hat sich dadurch in eine schwere Isolation gelebt. Diesem Gefühl bin ich sehr nahe gekommen beim Schreiben, und das beschäftigt mich jetzt sehr. Und schmerzt mich.

Inwiefern hat die Arbeit an dem Prosatext Ihren Blickwinkel auf Ihre Familie geändert?

Insofern, als dass ich jetzt exemplarisch ergründet habe, dass wir alle immer Täter und Opfer sind. Was so schrecklich wie beruhigend ist.

Gibt es etwas, worüber Sie lieber schweigen würden?

Vielleicht über die Angst vor dem Sterben. Aber ich muss immer darüber sprechen, vor allem wenn das Leben schön ist.

 

Interview: Judith Bauer

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