Zum 50. Todesjahr von Oskar Maria Graf (8): Als Patient in der Heil- und Pflegeanstalt Haar
Die 128. Ausgabe der Literatur in Bayern (Allitera Verlag, München) widmet ihren Schwerpunkt dem selbsternannten „Provinzschriftsteller“, geschichtenerzählenden Revolutionär und international erfolgreichen Autor Oskar Maria Graf aus Berg am Starnberger See. Die Autorinnen und Autoren beleuchten unterschiedliche Facetten des widersprüchlichen Dichters, dessen Tod im Exil in New York sich 2017 zum 50. Mal jährt. Norbert Göttler geht in seinem Artikel der Frage nach, was es mit Grafs Aufenthalt in der Psychiatrischen Klinik in Haar während des Ersten Weltkriegs auf sich hat.
*
Sein freiwilliges Eintreten in das Bayerische Militär im Dezember 1914 hatte fluchtartige Züge. Flucht vor Armut und Verelendung, wie er in seiner 1927 erschienenen Autobiographie Wir sind Gefangene rückwirkend schrieb. Eine Flucht, die wenig später desaströs, nämlich in der Psychiatrie, enden sollte.
Nach kurzer Ausbildung war Graf als Trainsoldat in eine Eisenbahnkompanie nach Ostpreußen abkommandiert worden. Sein Überleben war vorerst gesichert, aber von Beginn an erregte er vor allem durch Disziplinarvergehen und Befehlsverweigerungen Aufsehen. Manche Befehle soll er mit schallendem Gelächter quittiert haben. Als Stubenarreste nichts mehr halfen, wurde Graf strafweise an die Ostfront ins litauische Kowno versetzt, wo er erstmals die Gräuel und den Terror des Krieges erlebte. Wiederum im Militärgefängnis inhaftiert, schrieb er Antikriegsparolen an die Wände, verweigerte die Nahrung und verfiel zunehmend in Lethargie. In diesem Zustand wurde er in die „Preußische Irrenanstalt Görden“ verbracht, wo er fünf weitere Monate in vollkommenem Schweigen verbrachte.
Oskar Maria Grafs Krankenblatt und der Einlieferungsschein der Klinik, 1916 © Archiv Bezirk Oberbayern
Am 15. April 1916 wurde Graf in seine bayerische Heimat zurück verlegt. Die Heil- und Pflegeanstalt Haar-Eglfing war damals noch relativ neu und wurde kriegsbedingt als Reservelazarett genutzt. Das Eingangsblatt weist „Hysterie“ als Krankheit Grafs aus. Wieweit diese Diagnose zutreffend war, darüber gibt Graf selbst später widersprüchlich Auskunft. In seinem 1940 erschienenen Werk Das Leben meiner Mutter behauptet er, die Krankheit simuliert zu haben, um dem Militär zu entkommen. In seiner Autobiographie besteht er hingegen auf einer psychischen Erkrankung, hervorgerufen durch traumatische Kindheitserlebnisse und Kriegserfahrungen. In Wir sind Gefangene schreibt er:
„In der Heilanstalt besuchten mich meine Angehörigen. Als ich stotterte und in einem fort krampfartig lachte, fingen sie zu weinen an. Sie wussten nichts mit mir anzufangen und fuhren bedrückt wieder ab.“
Im Gegensatz zu anderen traumatisierten und gewalttätigen Kriegsheimkehrern, mit denen sich Graf in Haar angefreundet hatte, galt der 22-jährige „ledige katholische Bäckergeselle“ in Haar als ruhiger und freundlicher Zeitgenosse, der die meiste Zeit mit Lesen und Zeichnen zubrachte. Nach und nach fand er auch zu seiner Sprache zurück, sodass er am 4. Dezember 1916 – vielleicht wie beabsichtigt als „dienstunbrauchbar“ – entlassen werden konnte.
Das kleine Psychiatriemuseum des Isar-Amper-Klinikums München-Ost, in Trägerschaft des Bezirks Oberbayern, (Vockestraße 76, München-Haar, Öffnungszeiten: Sonntags 14.00 bis 16.00 Uhr) hat dem Aufenthalt des später berühmten Schriftsteller eine kleine, dauerhafte Sonderausstellung gewidmet.
- Am Vorabend der Revolution
- Bayern im Sommer 1914: Der König und der Kriegsausbruch
- Das Ende
- Exil
- Oskar Maria Graf / Den Zug verpasst
- Oskar Maria Graf in Berg
- Oskar Maria Graf in Berg II
- Oskar Maria Graf: Einer gegen alle
- Oskar Maria Graf: Frühzeit
- Oskar Maria Graf: Graf im Krieg
- Oskar Maria Graf: „Soldat“
- „Verbrennt mich!“ – Oskar Maria Graf
- 1918/1968 – Revolutionen (3): Ein Auszug aus dem Revolutionsroman von Norbert Göttler / Norbert Göttler
- Letzte Folge zum 50. Todesjahr von Oskar Maria Graf (13): Seine Freundschaft zu Anne Marie Jauss / Johanna Jauss
- Zum 50. Todesjahr von Oskar Maria Graf (12): „Mir ist überall wohl, wo ich Menschen treffe“ / Laura Mokrohs & Karolina Kühn
- Zum 50. Todesjahr von Oskar Maria Graf (11): das zu Unrecht vergessene Werk „Er nannte sich Banscho“ / Wolfgang Langsenlehner
- Zum 50. Todesjahr von Oskar Maria Graf (10): eine neue Biografie von Ulrich Dittmann und Waldemar Fromm / Gerhard Bauer
- 1918/1968 – Revolutionen (3): Ein Auszug aus dem Revolutionsroman von Norbert Göttler / Norbert Göttler
- Letzte Folge zum 50. Todesjahr von Oskar Maria Graf (13): Seine Freundschaft zu Anne Marie Jauss / Johanna Jauss
- Zum 50. Todesjahr von Oskar Maria Graf (12): „Mir ist überall wohl, wo ich Menschen treffe“ / Laura Mokrohs & Karolina Kühn
- Zum 50. Todesjahr von Oskar Maria Graf (11): das zu Unrecht vergessene Werk „Er nannte sich Banscho“ / Wolfgang Langsenlehner
- Zum 50. Todesjahr von Oskar Maria Graf (10): eine neue Biografie von Ulrich Dittmann und Waldemar Fromm / Gerhard Bauer
- Zum 50. Todesjahr von Oskar Maria Graf (9): Über die Hauptfigur eines fast unbekannten Romans – „Der Abgrund“ / Hannes S. Macher
- Zum 50. Todesjahr von Oskar Maria Graf (7): Ein Hoch auf die Grafs von Berg! / Gerd Holzheimer
- Zum 50. Todesjahr von Oskar Maria Graf (6): Annemarie Graf – in Episoden / Gerd Holzheimer
- Zum 50. Todesjahr von Oskar Maria Graf (5): Über Erinnerung und Identität in seinem Werk / Laura Velte
- Zum 50. Todesjahr von Oskar Maria Graf (4): Eine Ausstellung im Literaturhaus München / Marlena Simmet
- Zum 50. Todesjahr von Oskar Maria Graf (3): Über die Märchen „Licht und Schatten“ / Ulrich Dittmann
- Zum 50. Todesjahr von Oskar Maria Graf (2): Warum seine Lederhose zum Eklat führte / Renée Rauchalles
- Zum 50. Todesjahr von Oskar Maria Graf (1): Eine musikalische Lesung zum 123. Geburtstag / Marlena Simmet
- Oskar Maria Graf-Festtage in Berg – bis 16. Juli / Gemeinde Berg am Starnberger See
- Ausstellung über Oskar Maria Graf im Literaturhaus München / Literaturhaus München
Zum 50. Todesjahr von Oskar Maria Graf (8): Als Patient in der Heil- und Pflegeanstalt Haar>
Die 128. Ausgabe der Literatur in Bayern (Allitera Verlag, München) widmet ihren Schwerpunkt dem selbsternannten „Provinzschriftsteller“, geschichtenerzählenden Revolutionär und international erfolgreichen Autor Oskar Maria Graf aus Berg am Starnberger See. Die Autorinnen und Autoren beleuchten unterschiedliche Facetten des widersprüchlichen Dichters, dessen Tod im Exil in New York sich 2017 zum 50. Mal jährt. Norbert Göttler geht in seinem Artikel der Frage nach, was es mit Grafs Aufenthalt in der Psychiatrischen Klinik in Haar während des Ersten Weltkriegs auf sich hat.
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Sein freiwilliges Eintreten in das Bayerische Militär im Dezember 1914 hatte fluchtartige Züge. Flucht vor Armut und Verelendung, wie er in seiner 1927 erschienenen Autobiographie Wir sind Gefangene rückwirkend schrieb. Eine Flucht, die wenig später desaströs, nämlich in der Psychiatrie, enden sollte.
Nach kurzer Ausbildung war Graf als Trainsoldat in eine Eisenbahnkompanie nach Ostpreußen abkommandiert worden. Sein Überleben war vorerst gesichert, aber von Beginn an erregte er vor allem durch Disziplinarvergehen und Befehlsverweigerungen Aufsehen. Manche Befehle soll er mit schallendem Gelächter quittiert haben. Als Stubenarreste nichts mehr halfen, wurde Graf strafweise an die Ostfront ins litauische Kowno versetzt, wo er erstmals die Gräuel und den Terror des Krieges erlebte. Wiederum im Militärgefängnis inhaftiert, schrieb er Antikriegsparolen an die Wände, verweigerte die Nahrung und verfiel zunehmend in Lethargie. In diesem Zustand wurde er in die „Preußische Irrenanstalt Görden“ verbracht, wo er fünf weitere Monate in vollkommenem Schweigen verbrachte.
Oskar Maria Grafs Krankenblatt und der Einlieferungsschein der Klinik, 1916 © Archiv Bezirk Oberbayern
Am 15. April 1916 wurde Graf in seine bayerische Heimat zurück verlegt. Die Heil- und Pflegeanstalt Haar-Eglfing war damals noch relativ neu und wurde kriegsbedingt als Reservelazarett genutzt. Das Eingangsblatt weist „Hysterie“ als Krankheit Grafs aus. Wieweit diese Diagnose zutreffend war, darüber gibt Graf selbst später widersprüchlich Auskunft. In seinem 1940 erschienenen Werk Das Leben meiner Mutter behauptet er, die Krankheit simuliert zu haben, um dem Militär zu entkommen. In seiner Autobiographie besteht er hingegen auf einer psychischen Erkrankung, hervorgerufen durch traumatische Kindheitserlebnisse und Kriegserfahrungen. In Wir sind Gefangene schreibt er:
„In der Heilanstalt besuchten mich meine Angehörigen. Als ich stotterte und in einem fort krampfartig lachte, fingen sie zu weinen an. Sie wussten nichts mit mir anzufangen und fuhren bedrückt wieder ab.“
Im Gegensatz zu anderen traumatisierten und gewalttätigen Kriegsheimkehrern, mit denen sich Graf in Haar angefreundet hatte, galt der 22-jährige „ledige katholische Bäckergeselle“ in Haar als ruhiger und freundlicher Zeitgenosse, der die meiste Zeit mit Lesen und Zeichnen zubrachte. Nach und nach fand er auch zu seiner Sprache zurück, sodass er am 4. Dezember 1916 – vielleicht wie beabsichtigt als „dienstunbrauchbar“ – entlassen werden konnte.
Das kleine Psychiatriemuseum des Isar-Amper-Klinikums München-Ost, in Trägerschaft des Bezirks Oberbayern, (Vockestraße 76, München-Haar, Öffnungszeiten: Sonntags 14.00 bis 16.00 Uhr) hat dem Aufenthalt des später berühmten Schriftsteller eine kleine, dauerhafte Sonderausstellung gewidmet.
- Am Vorabend der Revolution
- Bayern im Sommer 1914: Der König und der Kriegsausbruch
- Das Ende
- Exil
- Oskar Maria Graf / Den Zug verpasst
- Oskar Maria Graf in Berg
- Oskar Maria Graf in Berg II
- Oskar Maria Graf: Einer gegen alle
- Oskar Maria Graf: Frühzeit
- Oskar Maria Graf: Graf im Krieg
- Oskar Maria Graf: „Soldat“
- „Verbrennt mich!“ – Oskar Maria Graf
- 1918/1968 – Revolutionen (3): Ein Auszug aus dem Revolutionsroman von Norbert Göttler / Norbert Göttler
- Letzte Folge zum 50. Todesjahr von Oskar Maria Graf (13): Seine Freundschaft zu Anne Marie Jauss / Johanna Jauss
- Zum 50. Todesjahr von Oskar Maria Graf (12): „Mir ist überall wohl, wo ich Menschen treffe“ / Laura Mokrohs & Karolina Kühn
- Zum 50. Todesjahr von Oskar Maria Graf (11): das zu Unrecht vergessene Werk „Er nannte sich Banscho“ / Wolfgang Langsenlehner
- Zum 50. Todesjahr von Oskar Maria Graf (10): eine neue Biografie von Ulrich Dittmann und Waldemar Fromm / Gerhard Bauer
- 1918/1968 – Revolutionen (3): Ein Auszug aus dem Revolutionsroman von Norbert Göttler / Norbert Göttler
- Letzte Folge zum 50. Todesjahr von Oskar Maria Graf (13): Seine Freundschaft zu Anne Marie Jauss / Johanna Jauss
- Zum 50. Todesjahr von Oskar Maria Graf (12): „Mir ist überall wohl, wo ich Menschen treffe“ / Laura Mokrohs & Karolina Kühn
- Zum 50. Todesjahr von Oskar Maria Graf (11): das zu Unrecht vergessene Werk „Er nannte sich Banscho“ / Wolfgang Langsenlehner
- Zum 50. Todesjahr von Oskar Maria Graf (10): eine neue Biografie von Ulrich Dittmann und Waldemar Fromm / Gerhard Bauer
- Zum 50. Todesjahr von Oskar Maria Graf (9): Über die Hauptfigur eines fast unbekannten Romans – „Der Abgrund“ / Hannes S. Macher
- Zum 50. Todesjahr von Oskar Maria Graf (7): Ein Hoch auf die Grafs von Berg! / Gerd Holzheimer
- Zum 50. Todesjahr von Oskar Maria Graf (6): Annemarie Graf – in Episoden / Gerd Holzheimer
- Zum 50. Todesjahr von Oskar Maria Graf (5): Über Erinnerung und Identität in seinem Werk / Laura Velte
- Zum 50. Todesjahr von Oskar Maria Graf (4): Eine Ausstellung im Literaturhaus München / Marlena Simmet
- Zum 50. Todesjahr von Oskar Maria Graf (3): Über die Märchen „Licht und Schatten“ / Ulrich Dittmann
- Zum 50. Todesjahr von Oskar Maria Graf (2): Warum seine Lederhose zum Eklat führte / Renée Rauchalles
- Zum 50. Todesjahr von Oskar Maria Graf (1): Eine musikalische Lesung zum 123. Geburtstag / Marlena Simmet
- Oskar Maria Graf-Festtage in Berg – bis 16. Juli / Gemeinde Berg am Starnberger See
- Ausstellung über Oskar Maria Graf im Literaturhaus München / Literaturhaus München