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10.10.2017, 12:46 Uhr
Gerd Holzheimer
Oskar Maria Graf-Reihe
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© Volker Derlath / A1 Verlag

Zum 50. Todesjahr von Oskar Maria Graf (6): Annemarie Graf – in Episoden

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Auf gepackten Koffern: Das Oskar Maria Graf-Denkmal von Max Wagner in Aufkirchen

Die 128. Ausgabe der Literatur in Bayern (Allitera Verlag, München) widmet ihren Schwerpunkt dem selbsternannten „Provinzschriftsteller“, geschichtenerzählenden Revolutionär und international erfolgreichen Autor Oskar Maria Graf aus Berg am Starnberger See. Die Autorinnen und Autoren beleuchten unterschiedliche Facetten des widersprüchlichen Dichters, dessen Tod im Exil in New York sich 2017 zum 50. Mal jährt. Gerd Holzheimer zeichnet in seinem Text ein unverstelltes Porträt von Annemarie Graf, Grafs Tochter aus erster Ehe.

*

»Ich bin von Beruf nicht Tochter«, wiederholte Annemarie Graf zeit ihres Lebens beinah als Mantra. Gleichwohl war sie zutiefst vertraut mit dem Werk ihres Vaters und verstand es auch glänzend, daraus vorzulesen, in privatem Rahmen wie auch öffentlich. Sie war nicht nur physiognomisch ihrem Vater verblüffend ähnlich, sondern auch in ihrer ganzen Denk- und Sprechweise.

 

Die Mutter Bretting

Annemarie Graf ist die Tochter von Oskar Maria Graf und seiner ersten Frau Karoline Bretting. Sie kommt in Wir sind Gefangene als Selma Igl vor. Eigentlich sollte er sie, Karoline Bretting, nur über die Heirat von Georg Schrimpf mit Maria Uhden informieren, doch blieb er bis zum anderen Morgen, und dann hatte er ihr schon die Heirat versprochen. Freilich lernt er ausgerechnet über sie, seine Frau, seine nächste Frau kennen: Mirjam Sachs, mit der er dann vierzig Jahre zusammenbleibt. Ohne Wissen seiner ersten Frau lässt er sich von dieser scheiden, am 2. September 1944 in New York, und heiratet am 2. Oktober 1944 Mirjam. Die hat selbst Gedichte geschrieben, war mit Rilke befreundet – eine Nichte von Nelly Sachs übrigens.

Ihr Vater und ihre Mutter, »die haben nicht zusammengepasst, das sieht ein Blinder«, sagt ihrer beider Tochter. »Mein Vater, nebenbei, das ärgert mich heut noch, weil er sie so schlecht wegkommen lässt. Meine Mutter«, sagt sie, »die war schließlich auch aus der Schwabinger Boheme, aber mein Vater, der hat ja die Mirjam auch schon gleich gehabt und die Großmutter hat gesagt: ich hab keinen Schwiegersohn, aber eine Schwiegertochter zu viel.« (weil die Mirjam schon immer dabei gewesen ist). Aber der Opa Graf und der Opa Bretting, »die haben es gut miteinander können«. Die Mutter ist dann 1947 gestorben, in Tutzing.

Annemarie Graf wenn man reden gehört hat, dann war da nicht nur ihr Vater anwesend, sondern vor allem auch ihre Großmutter, gut bekannt aus Dem Leben meiner Mutter – in Ton, Redeweise, Weltsicht, Direktheit, Unerschütterlichkeit, etwa wenn sie über ihre eigene und Kindheit an sich gesprochen hat: »Mein Gott, die Kinder früher, die sind halt so mitgelaufen, da hat man nicht so ein Geschiss darum gemacht. Da war die Großmutter, die Onkels, die Tanten, die anderen Kinder: man hat schon gewusst, wo man hingehört.« Und eine Mutter in dem Sinn hat sie nicht vermisst. Gekommen ist die Mutter jedes Wochenend und nachher hat sie mit ihr spazierengehen müssen, das war furchtbar: spazierengehen müssen.«

 

Ein Denkmal für Oskar Maria Graf und noch eines

Am 5. Juni 1997 wurde ein Denkmal für den Schriftsteller Oskar Maria Graf der Öffentlichkeit übergeben, das im Auftrag der Landeshauptstadt München die New Yorker Künstlerin Jenny Holzer geschaffen hatte. Gleichzeitig wurde damit das Münchner Literaturhaus offiziell eröffnet. Annemarie Graf, obgleich natürlich vom Oberbürgermeister als Ehrengast persönlich eingeladen, weigerte sich hartnäckig der Veranstaltung beizuwohnen: »I konn ja ned redn, wovon i koa Ahnung hob«, sagt sie, aber – aber natürlich redet sie, redet wie immer, redet wie gewohnt, redet in ganz Grafscher Manier.

 

  

Das Oskar Maria Graf-Denkmal von Jenny Holzer im Literaturhaus München besteht aus mehreren Teilen: Die Zitate des Autors finden sich unter anderem auf den Polstern der Möbel und auf dem Geschirr in der Brasserie OskarMaria. © Kai Blaschke

 

Sie weiß nicht, »ob da die Gisa« (sie meint Gisela Blauner, Grafs dritte Ehefrau, Sekretärin übrigens von Erich Fromm) »wieder dahintersteckt, obwohl die natürlich oid worn is, aber midm Hirn is die vielleicht noch, und sie is ja immer fürs ganz Moderne. I moan, i bin bloß a Dorfdodschn, aber des is mir egal: wiar i gseng hob, wos de mochd, da war mir des glei klar, wos des für a Krampf is. Mei, wos wui i macha? Zu mir sans immer olle recht scheißfreindlich, aber natürlich sand de immer von einer hundertprozentigen Arroganz und i dua so, ois daad i’s ned merka und denk ma, mei, seids ihr bleed im Grund. I bin ja aa bleed, aber des macht nix, i woaß’ wenigstens. Und wenn ma’s woaß, dass ma bleed is, na macht’s nix, dass ma bleed is.«

Jedenfalls, sie geht da nicht hin. Stattdessen fährt sie mit dem Maler Hans Reindl und mir zum Heiligen Berg von Andechs, wo wir zeitgleich eine Art von alternativer Veranstaltung mit Oskar-Maria-Graf-Sätzen kreieren, die wir auf Tapetenbahnen schreiben und den Heiligen Berg hinunterrollen, eine insgesamt ziemlich rauschige Veranstaltung.

Drei Jahre zuvor, am 20. Juli 1994, war sie auch offiziell dabei, gegenüber der alten Volksschule von Aufkirchen, in die auch Oskar Maria Graf gegangen ist. Knallrot erhebt sich aus dem grünen Gras ein verhülltes, aber geballtes Etwas, das in auffälligem Kontrast zu den weiß-blauen Rauten der aufgezogenen Fahne des Freistaates Bayern steht. Auffällig klein aber ist dieses Etwas, das da unter der roten Plastikplane verharrt: Hat man ihn nicht größer haben wollen, seitens der Gemeinde? Ein Lupfen des Geheimnisses ist unmöglich, die Plane ist von allen Seiten mit schweren Steinen festgehalten, da geht nichts.

Die Tochter Grafs wünscht sich: »Es soi ja koa gwamperte Feier wern, sondern wos Lustigs! Ich habs ned so mit die ergreifenden Momente«, sagt sie und lacht ihr unverkennbar schallendes Graf-Gelächter. Max Wagner hat ihn hingestellt, noch immer in der Emigration auf einem Koffer sitzend und doch gleichzeitig über den Starnberger See schauend. Die Hände auf die Knie gestemmt, sodass sich die Schultern unter dem Trachtenjanker entschlossen spannen, wodurch die Trachtenjacke aber schon gleich gar nichts Folkloristisches erhält, so sitzt er da in seiner kurzen Lederhosen: ein Denkmal, auf dem der Dargestellte in bayerischer Tracht zu sehen ist, das könnte schön peinlich werden, ist es aber nicht. Dieser Mann da auf dem Koffer – wäre er nicht zugleich auch wieder ganz bescheiden: eine Trutzburg an Gesinnung könnte man ihn nennen, an aufrechter Gesinnung, die sich nichts und niemandem verpflichtet als der eigenen inneren Überzeugung. Mit der kann man hin und wieder falsch liegen, macht nix, dann gibt man es halt zu. Aber noch als Denkmal ruft er seinen alten Dorfbanditen nach: »So! Was is jetz nachher?!«

 

  

Der ewige Kalender mit Zeichnungen der Malerin und Buchillustratorin Anne Marie Jauss, die Graf bereits aus München kannte und mit der sich im New Yorker Exil eine gute Freundschaft entwickelte.

 

Der ewige Kalender: ein 500-Mark-Geständnis

Einmal musste ich ihr ein Geständnis machen, ein 500-Mark-Geständnis. Hans Hammerstein, der legendäre, 2011 verstorbene Antiquar, der seit 1968 sein Antiquariat in der Münchner Maxvorstadt mit den Schwerpunkten Simplicissimus und Jugend betrieb, hatte mich angerufen. Er hätte einen signierten Oskar Maria Graf, noch dazu einen ganz besonderen: den Ewigen Kalender, Privatdruck New York, Auflage 500 Exemplare. Für 500 Mark, zuzüglich der obligaten Flasche Gin als unabdingbarer Grundlage des Handels. Das ist natürlich gar nichts im Vergleich zu einem 72-seitigen Manuskript von Albert Einstein mit der berühmten Gleichung E = mc2, bei Sothebys in New York für vier Millionen Dollar aufgerufen. Der Brief von Albert Einstein aus Princeton an Graf vom 26. Juni 1954 wäre auch nicht ganz billig gekommen.

Ob ich ihr ein Geständnis machen kann, frag ich sie. »So, wofür?!«, will sie wissen. »500 Mark hab ich ausgeben«, sag ich, und sie soll raten, wofür. »Beleidigungsklage«, darauf kommt sie als Allererstes, und dass sie darauf schon lang wartet, dass ich eine krieg: »Hast wieder einen von deinen Briefen geschrieben?!«, fragt sie. »Nein.« »Mitm Auto wo drauf?« »Naa!« Sie kommt nicht drauf. Also sag ich es ihr mit dem Buch von ihrem Vater, aber sie sagt: »Reue ist sinnlos, denn sie hat keinen Sinn!«

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