Zum 50. Todesjahr von Oskar Maria Graf (1): Eine musikalische Lesung zum 123. Geburtstag

2017 jährt sich der Tod des selbsternannten „Provinzschriftstellers“, geschichtenerzählenden Revolutionärs und international erfolgreichen Autors Oskar Maria Graf aus Berg am Starnberger See zum 50. Mal. Mit einer Blogreihe zum Jubiläum sagt auch das Literaturportal Bayern: Dankschee und Pfiad di, Oskar!

Den Anfang macht ein Bericht über die diesjährige Geburtstagsveranstaltung in der Monacensia im Hildebrandhaus. In den kommenden Wochen folgen Auszüge aus der aktuellen Ausgabe der Zeitschrift Literatur in Bayern (Allitera Verlag), die Graf ihren Schwerpunkt widmet und die unterschiedlichen Facetten des widersprüchlichen Dichters beleuchtet.

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„Du siehst, ich bin unmöglich für jede Art Betrieb, höchstens für feuchtfröhliche Tischrunden, die ich denn auch noch immer wacker besuche.“, schreibt Oskar Maria Graf am 29. April 1950 an R. A. Dietrich. Zum 123. Geburtstag von Oskar Maria Graf lud die Monacensia im Hildebrandhaus am 23. Juli zu einer literarisch-zünftigen Matinée. Neben einem illustren Lesungs- und Musikprogramm gab es bayrische Schmankerl und Getränke aus dem Café MON, dem neu eröffneten Literaturcafé im Hildebrandhaus. Es lasen die Schauspielerinnen und Musikerinnen Maria Hafner, Anna Veit und Evi Keglmaier, die als „Mrs. Zwirbl“ auch für Musik sorgten.

Der Ansturm ist enorm. Als man am 23. Juli, eine halbe Stunde vor Veranstaltungsbeginn, das Forum Atelier des Hildebrandhaus betritt, ist schon kein freier Platz mehr auf den mit bayrischen Schmankerln gedeckten Bierbänken zu ergattern. Kein Wunder, schließlich wird Oskar Maria Grafs 123. Geburtstag gefeiert. Feiern konnte er und so können es auch seine Anhänger. Die Stimmung ist bereits recht zünftig, man unterhält sich, genießt sein Weißbier und erfreut sich an Brezn, Obatzdn und Räucherschinken. Es strömen immer mehr Menschen in den Saal, so dass man sich dazu entschließt, den hinteren Ausstellungsraum zusätzlich zu öffnen, damit mehr Sitzplätze zur Verfügung stehen. Letztlich haben die meisten einen Platz erhalten und Mrs. Zwirbl betreten die Bühne. Die drei Musikerinnen Evi Keglmaier (Geige), Maria Hafner (Geige) und Anna Veit (Kontrabass) stimmen das Lied „An den Bergen wohnt die Freiheit“ an. Spätestens jetzt schlägt jedes bayrische Herz im Saal höher. Danach nehmen die drei Frauen ihre Plätze ein, und Maria Hafner beginnt den ersten Text zu lesen.

Bereitgestellte bayerische Schmankerln © Literaturportal Bayern / Marlena Simmet

Oskar Maria Graf äußert sich darin über das typisch Bayrische und das Besondere des bayrischen Humors. Hierzulande gebe es die Lebenseinstellung, dass eben alles so kommt wie es kommt und dass man das Leben so hinnehmen muss wie es ist. Damit einher geht auch das etwas zwiegespaltene Verhältnis zum katholischen Glauben. Eine Mischung aus Fetischismus, der sich unter anderem in den sogenannten Herrgottswinkeln einer jeden bayrischen Stube manifestiert, und einer bestimmten Respektlosigkeit gegenüber dem Herrgott und manchmal auch gegenüber den Mitmenschen. Wobei diese Respektlosigkeit immer mit einem gewissen Augenzwinkern zu verstehen ist und der katholische Fetischismus nie etwas mit Gottesfürchtigkeit zu tun hat, sondern eher mit Gott als freundschaftlichen Kumpanen, den man eben auch mal auf die Schippe nehmen darf.

Nach diesen ersten Worten folgt weiterer Gesang von Mrs. Zwirbl. Dieses Mal auf Englisch. Die Stimmung im Saal wird zunehmend ausgelassener. Danach folgt ein Text von 1962, in dem sich Graf darüber äußert, weshalb es ihm zuwider ist, aus dem amerikanischen Exil wieder zurück nach Deutschland zu kehren. Jeder in Deutschland rede ganz scheinheilig über eine Wiedervereinigung des geteilten Landes, doch insgeheim wolle doch jeder, dass alles beim Alten bleibe. In New York hingegen, erlebt Graf das Zusammenleben aller denkbaren Kulturen, ohne dass die eigenen Bräuche dabei verloren gehen würden. Er habe das Gefühl, in Deutschland hege man Feindschaft gegenüber allen Andersdenkenden. Man sehe sich nur die Feindschaft Bayerns und Preußens an. Das engstirnige „Tüchtigkeitsprotzertum“, wie er es nennt, und zugleich die Einstellung „Nach uns die Sintflut“ schrecke ihn immer weiter von einer Rückkehr ab. Stattdessen komme es ihm so vor, als sei ihm aus der Ferne seine Heimat, die für ihn vor allem Sprache ist und die man immer bei sich trägt, weitaus klarer erkennbar.

Es folgt ein Textauszug von 1932, wo Graf lieblich spöttelnd die Stadt München und das Leben in ihr beschreibt. Wolle man einen Ort ohne Kunst, kulturellem Leben oder jeglicher Literatur finden, so solle man die Provinz München besuchen. In dem durch und durch katholischen, stadtähnlichen „Dorf“ wird in nihilistisch kränkelnder Art ein muffiges Genießen praktiziert, das einen in aller Gemütlichkeit leben und sterben lässt, so dass man es eben doch sehr gut in München aushalten kann.

Passend zur heiteren Atmosphäre im Publikum und dem humorigen Ton der vorangegangenen Texte, folgt das Lied „Nur a Bier“. Die Gäste wippen ihre Körper zu den bayrischen Klängen und lassen sich von der Musik der drei Damen mitreißen. Der nachfolgende Text, der von einem Traum Oskar Maria Grafs handelt, in dem Karl Valentin zum bayrischen König ernannt wird, belebt zusätzlich die heitere Atmosphäre.

V.l.n.r.: Maria Hafner, Evi Keglmaier und Anna Veit © Literaturportal Bayern / Marlena Simmet

Nach einer Solo-Gesangseinlage von Evi Keglmaier wird die Stimmung etwas ernsthafter und ein Zeitungsartikel aus der ZEIT von 1950 wird gelesen. Graf beschreibt darin das bayrische Leben in New York. Alle Einwanderer, die Graf kennt, sprechen weiterhin ihre eigene Sprache und pflegen ihre kulturellen Bräuche. Er selbst spreche nur so viel Englisch, wie es für das normale Alltagsleben vonnöten ist.

Nach einer weiteren musikalischen Auflockerung wird der erste Teil eines Briefes Oskar Maria Grafs an den damaligen Bürgermeister Münchens, Hans-Jochen Vogel, rezitiert. Darin äußert Graf erstmals wieder den starken Wunsch, nun doch zurück in die Heimat kehren zu wollen. Anna Veit fährt fort mit einem Auszug aus Gelächter von außen, wo Graf den Ablauf seiner berühmt berüchtigten „Atelierfeste“ beschreibt. Partys, auf denen die Grenzen zwischen Erlaubtem und Unerlaubtem zerfließen, auf denen orgienähnliche Zusammenkünfte stattfinden und man Alkohol konsumiert, als gäbe es kein Morgen mehr. Schön seien solche Feste nicht wirklich, aber äußerst interessant. Da man Menschen im Ausnahmezustand beobachten kann und sie somit wirklich kennenlernt.

Maria Hafner © Literaturportal Bayern / Marlena Simmet

Nach weiterer Musik kommt es wieder zu einer etwas nachdenklicheren Passage. Der zweite Teil des Briefes an Hans-Jochen Vogel, worin klar wird, dass Graf bereits sehr krank ist und eine Rückkehr nach Deutschland von seinem Gesundheitszustand abhängt, wird vorgetragen. Im Anschluss folgt ein Brief, der die Gefangenheit im Alltagsleben anspricht und von der Angst vor uns selbst handelt, die uns manchmal den Mut nimmt, einfach das zu tun, was tatsächlich wichtig und richtig für uns wäre. Der Brief endet schließlich mit dem berühmten Zitat: „Leben, leben muss man, meine ich, leben und sonst nichts. So einfach klingt das, und keiner kann´s.“ Ein Zitat, das unter die Haut geht und das man im Hinterkopf tragen sollte, um sich eben gerade nicht vom alltäglichen Hamsterrad gefangen nehmen zu lassen.

Als Abschluss singen Mrs. Zwirbl noch ein weiteres Lied, das langsam wieder in die Melodie von „Auf den Bergen wohnt die Freiheit“ übergeht, das auch am Anfang der Lesung gesungen wurde. Nachdem sich die drei Musikerinnen bereits verbeugt und den Saal verlassen haben, kommen sie noch einmal zurück und stimmen das Geburtstagslied „Happy Birthday“ an. Alle im Saal erheben ihre Gläser und singen aus vollem Herzen mit: Happy Birthday, lieber Oskar!

Externe Links:

Website Literatur in Bayern

 

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