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26.07.2017, 12:46 Uhr
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Interview mit Prof. Susan Arndt und Nadja Ofuatey-Alazard, den Leiterinnen des BIGSAS Festivals

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Schwerpunkt der dritten Ausgabe von aviso, dem Magazin für Wissenschaft und Kunst des Bayerischen Staatsministeriums für ist Afrika und dabei darf auch die afrikanische Literatur und Literaturwissenschaft nicht fehlen. Ein wichtiges Forum für diese ist das jährlich stattfindende BIGSAS Festival afrikanischer und afrikanischdiasporischer Literaturen an der Universität in Bayreuth. aviso hat die beiden Leiterinnen des Festivals, Professorin Susan Arndt und Nadja Ofuatey-Alazard, zum Interview getroffen und mit ihnen über ihre Vision gesprochen.

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aviso: Frau Professorin Arndt, Frau Ofuatey-Alazard, was hat Sie beide inspiriert, dieses Literaturfestival 2010 ins Leben zu rufen?

SUSAN ARNDT: Als ich vor Jahren Sir Ralf Dahrendorf vorgestellt wurde, fragte er die neuen Fellows des St. Antony’s Colleges der Reihe nach nach ihrer Profession. Ich war als letzte dran und entschlossen, mal nicht »African Studies« zu sagen, sondern mich als Literaturwissenschaftlerin zu outen. »Ich beschäftige mich mit afrikanischen Literaturen!«, sagte ich daher ebenso stolz wie unsicher. Ich hoffte auf ein »Oh, wie interessant!« oder gar »Ah, und mit wem genau?« des berühmten Soziologen. Doch leider entgegnete dieser nur trocken: »Oh, da haben sie ja nicht viel zu tun.« Schweigen. Ja, afrikanische Literaturen werden beschwiegen. Ich mache seit vielen Jahren gerne Stippvisiten in deutsche Buchläden und frage, ob sie afrikanische Autor*innen vorrätig hätten. In den besten Fällen werde ich an die ganz großen von Wole Soyinka bis Chimamanda Adichie verwiesen. In den traurigsten Fällen werden mir Bücher weißer Autor*innen von Peter Scholl-Latour bis Corinne Hoffmanns »Die weiße Massai« unter dem Stichwort »afrikanische Literatur« angepriesen. Auch Schriftsteller*innen aus Afrika, die in ihren Heimatländern Superstars sind, sind weiten Teilen der deutschen Lese-Gesellschaft nicht bekannt. In der deutschen Wikipedia sind afrikanische Schriftsteller*innen kaum vertreten – in Schulbüchern und Leseempfehlungen für Schulen leider ebenfalls kaum. Das aber ist unerlässlich – und zwar nicht nur, weil Literaturen Wissen aus Afrika erzählen. Literaturen sind ebenso wie ihre Autor*innen in den Bibliotheken der Welt beheimatet. Sie sprechen über bestimmte Zeiten und Räume und wirken stets über diese hinaus. Afrikanische Literaturgeschichten sind von globaler Bedeutung und auch wissende Beobachter*innen europäischer und deutscher Begebenheiten. Es war ein Traum, den ich seit langem hegte, diesen Literaturen in Deutschland ein Forum zu bieten, und als ich meine Professur an der Uni Bayreuth antrat, fand ich hier die optimalen institutionellen Rahmenbedingungen und Kolleg*innen vor – allem voran die Bayreuth International Graduate School of African Studies (BIGSAS), die das Festival beherbergt, und natürlich Nadja Ofuatey-Alazard.

Festivalplakate der letzten Jahre © aviso

NADJA OFUATEY-ALAZARD: Als ich in die BIGSAS aufgenommen wurde, schilderte mir Susan Arndt ihren Traum eines jährlich stattfindenden Literaturfestivals und ich war sofort begeistert. Da war natürlich mein Background im Kultur- und Produktionsmanagement ebenfalls hilfreich. Wir konzipierten dieses Festivalformat dann gemeinsam: Das Literaturfestival findet drei Tage lang im Juni statt. Die Uni Bayreuth ist eine am Stadtrand gelegene Campusuniversität, uns war es aber von Anfang an ein Anliegen, das Festival nicht im universitären »Elfenbeinturm«, sondern im Herzen der Stadt stattfinden zu lassen – im Iwalewahaus oder im Alten Schloss. So finden interessierte Bayreuther*innen unkompliziert den Weg zu uns und unsere Gäste fühlen sich als Teil der Stadtkultur.

ARNDT: Das Bayreuther BIGSAS-Literaturfestival nimmt die globale und deutsche Präsenz afrikanischer Literaturen beim Wort und wendet sich jährlich einem Thema zu, das für afrikanische Dynamiken wichtig und gleichzeitig mit deutschen Geschichten und Zukünften verbunden ist. Es geht um Globalisierung und Migration, Kolonialismus und Erinnerung, das Eintreten für Menschenrechte und gegen Diskriminierung, um Ethik, Technologie, Kommunikation und Ökologie in Afrika und der verbandelten Welt.

Das Team des BIGSAS Festival (2017) und die Eröffnungs- und Abschlussveranstaltung aus dem Jahr 2015 mit Teju Cole © aviso

aviso: Die Programme der letzten Jahre zeigen nicht nur einen weit gesteckten thematischen Rahmen. Sie gehen mit ihren Formaten über ein reines Literaturfestival weit hinaus. Sie bleiben dennoch bei dieser Bezeichnung. Warum?

OFUATEY-ALAZARD: Wir setzen ein Thema, das sich dann als roter Faden durch alle Veranstaltungsmodule zieht. So stellen wir eine gewisse Kohärenz sicher, lassen aber den nötigen Freiraum, der es den Beteiligten – die aus sehr unterschiedlichen geografischen Räumen, professionellen Kontexten, politischen Positionierungen heraus beim Festival zusammentreffen – erlaubt, miteinander in einen fruchtbaren Dialog zu kommen. Da sitzt dann der ältere nigerianische Harvardprofessor mit einem jungen britischen Hip-Hop-Künstler und einer haitianischen Autorin mittleren Alters in einem Panel, nachdem eine deutsche Keynotesprecherin zur Rolle von Audre Lorde in der afrodeutschen Frauenbewegung gesprochen hat... Uns ist es wichtig, die Grenzen zwischen all diesen Räumen in der gegebenen Durchlässigkeit sichtbar zu machen, und das Feedback, das wir erhalten, gibt uns Recht. Das Festival arbeitet mit einem erweiterten Literaturbegriff, der mehr umfasst als nur das geschriebene/gedruckte Wort – in diesem Sinne drückt sich die Wortkunst »Literatur« für uns ebenfalls in oralen, digitalen, performativen, visuellen und musikalischen Beiträgen aus. Dabei sucht das Festival nach Schnittstellen zwischen Schriftsteller*innen, Aktivist*innen, Politiker*innen und Wissenschaftler*innen – und findet sie oft in Personalunion in einzelnen Intellektuellen aus Afrika oder den afrikanischen Diasporas.

  

Der nigerianische Schriftsteller und Literaturnobelpreisträger Wole Soyinka // Der nigerianische Tänzer Qudus Onikeku © aviso

aviso: Kann Literatur – so verstanden – gesellschaftlichen Wandel befördern? Welche Rolle spielt das Festival für Veränderungsprozesse?

ARNDT: Literatur und Kunst bilden ja die Gesellschaft nicht einfach ab, sie sind ein Teil von ihr. Dabei können literarische und künstlerische Texte Menschen berühren, zum Lachen oder Weinen und natürlich zum Nachdenken bringen und sogar dazu, einen Perspektivwechsel zu wagen. Literatur ist seit jeher beides: ein Zuhause für konventionelle Ansichten einer Gesellschaft sowie deren kritische Begleiterin. Poetik und andere kulturelle Praxen sind ebenso wissend wie etwa die Wissenschaften, nur können sie manchmal viel pointierter, eindringlicher und auch träumender als diese denken.

OFUATEY-ALAZARD: Für uns ist das Festival auch so eine Art »Zukunftslabor«. Wo sind durch monolithische Geschichtsnarrative oder eurozentristische Vorstellungen von »Hochkultur« Leerstellen und blinde Flecken entstanden, wer spricht laut und wer wird nicht gehört? Wie wirkt eine nicht erinnerte Vergangenheit heute in Diskursen und Strukturen fort? Wie lässt sich, gespeist durch unseren kritischen Blick auf diese Vergangenheit und Gegenwart, Zukunft neu oder anders denken? Wir glauben an die Polyphonie und daran, dass es keine Universalität gibt. Für das, was wir als Pluriversalität begreifen, müssen Räume geschaffen werden und dazu wollen wir beitragen – so herausfordernd das oft auch noch ist.

  

Die Autorinnen Ama Ata Aidoo (Ghana) und Bernardine Evaristo (Großbritannien) und der kenianische Autor Binyawanga Wainaina zu Gast beim BIGSAS Festival © aviso

aviso: So ein Festival klingt nach jeder Menge Arbeit. Wie bewerkstelligen Sie das neben ihren anderen Aufgaben?

ARNDT: Oh, da haben Sie Recht. Aber wir stehen ja nicht alleine da. Wir sind Teil eines wunderbaren Teams, das sich aus Wissenschaftler*innen verschiedener Generationen und Disziplinen zusammensetzt – aus der BIGSAS und darüber hinaus.

OFUATEY-ALAZARD: Absolut. Die Unterstützung der BIGSAS ist wirklich zentral für das Bestehen des Festivals. Ohne die Eigenmittel durch die BIGSAS, die im Schnitt 20 Prozent des Gesamtbudgets abdecken, hätten wir bei der Drittmittelakquise wirklich schlechte Karten. Schon so ist es manchmal ganz schön schwierig, jedes Jahr aufs Neue die Finanzierung für das nächste Festival über Antragsstellungen bei verschiedenen Förderinstitutionen zu sichern, aber die letzten sieben Jahre waren trotzdem eine große Bereicherung. Und es gibt Institutionen, die uns über die Jahre, natürlich immer im Rahmen ihrer Möglichkeiten, die Treue gehalten haben. Dazu zählen die Kulturabteilung des Auswärtigen Amts sowie auch das Bayerische Staatsministerium für Bildung und Kultus, Wissenschaft und Kunst, das uns auch dieses Jahr wieder unterstützt.

aviso: Wie beurteilen Sie dieses Festival im Sinne seiner Wirkung – Stichwort: Nachhaltigkeit?

OFUATEY-ALAZARD: Für uns ist das Festival eine deutschlandweit einzigartige Veranstaltung, die zum Aufbrechen verkrusteter Denkstrukturen und zu dekolonialem Wandel beiträgt. Und ich sage dies nicht, weil wir es ins Leben gerufen haben: Wir bekommen dies auch jedes Jahr von unseren Gästen gespiegelt, auch von jenen, die in den aufregendsten Städten der Welt leben... New York, Nairobi, Rio de Janeiro. Sie alle kommen immer wieder gern nach Bayreuth zurück. Außerdem steht das BIGSAS Literaturfestival als dekoloniale kulturelle Praxis auch im Zentrum meines eigenen Forschungsvorhabens. Mithilfe der BIGSAS-Strukturen konnte ich meine Feldforschung bei Festivals in Nigeria und im Senegal betreiben und daran anschließend mein durch das Auswärtige Amt gefördertes Projekt einer Film- und Veranstaltungsreihe mit Symposien in den ehemaligen deutschen Kolonien in Afrika produzieren.

Der nigerianisch-amerikanische Autor und Fotograf Teju Cole, die fokn bois aus Ghana und die nigerianisch-amerikanische Autorin Nnedi Nnedi Okorafor mit dem malawischen Autor Shadreck Chikoti © aviso

aviso: Welchen Themen hat sich das BIGSAS Literaturfestival 2017, im Juni stattgefunden hat, gewidmet?

ARNDT: 2017 hat sich das BIGSAS Festival afrikanischer und afrikanisch-diasporischer Literaturen der Krise gewidmet, die in Europa weithin »Flüchtlingskrise« genannt wird, die aber im Kern mindestens auch eine »Identitätskrise« Europas ist. Populistischen Bedrohungsszenarien, die Hass und Gewalt schüren, hat das Festival eine ebenso klare wie zukunftsträchtige Botschaft entgegengestellt: »We(l)come to Europe.« Ja, Menschen suchen Schutz vor lokalen Auswirkungen globaler Krisen. Sie gehen lange Wege und zwar als Ergebnis eines Weges, den die Geschichte vor Jahrhunderten eingeschlagen hat. Udo Lindenberg singt: »Du fällst vom Himmel, irgendwann, irgendwo – und das nennen die dann Heimat, oder so.« Das ist ein wichtiger Gedanke, den ich mir oft bewusst mache, um meine Privilegien nicht als meine Errungenschaft, sondern als Glück zu denken. Eigentlich ist es gar kein Glück. Ich profitiere davon, dass mir globale Machtverhältnisse ein gutes Leben garantieren und es anderen verwehren. Hier versuche ich, mehr Demut und Verantwortung zu lernen – und ich glaube, auch die deutsche Gesellschaft im Ganzen kann durch Verantwortung, die sich aus Privilegien und Erinnerung ableitet, am Ende nur gewinnen. Natürlich ist es wichtig, politisch an Strategien zu arbeiten, um Fluchtursachen zu beheben. Diese Strategien können aber bestenfalls mittelfristig wirken. Was aber jetzt benötigt wird, ist ein europäisches Handeln, das dem Wunsch von Menschen Rechnung trägt, in Europa Zuflucht vor Krieg, Vertreibung und Diskriminierung sowie ökonomische und seelische Sicherheit zu finden. Dieses Handeln nicht als gönnerhaftes Helfen misszuverstehen, finde ich sehr wichtig. Gefragt sind verantwortliche Reaktionen auf historische und gegenwärtige Grenzüberschreitungen und so verursachte Kriege und Krisen. Es geht um Verantwortung. Nicht nur, weil Europa es kann – sondern weil es historisch noch aussteht. Die Gegenwart ist nicht allein ein Ergebnis vergangener Zukünfte. Nein, die Gegenwart trägt auch die Narben all jener Zukünfte, die verhindert, vergessen und beschwiegen werden.

OFUATEY-ALAZARD: In der deutschen Erinnerungspolitik und vor allem von der deutschen Politik wird die Bitte um Vergebung noch immer Entschuldigungen vorgezogen, um Reparationszahlungen zu vermeiden. Stattdessen werden Entwicklungshilfegelder favorisiert, die die moralische Agenda einer Entschuldigung in ihr Gegenteil verkehrt: denn wer zu entwickeln hilft, ist gut und überlegen. Verantwortungsübernahme für historische Schuld aber bedarf anderer Symbolhandlungen und auch Lösungsansätze. Dass Tausende von Menschen aus aller Welt aufbrechen, um ihren Anteil einer ungerecht verteilten Zukunft in Anspruch zu nehmen, ist etwas, das auch von Europa aus geändert werden kann und muss. Es geht um eine gerechtere Verteilung von Ressourcen, um die Teilhabe an Privilegien und um eine Umverteilung der Bürde, die Abfälle der Konsumgesellschaft zu tragen. All diesen Fragen hat sich das BIGSAS Literaturfestival gewidmet, das vor kurzem, vom 8.-10. Juni 2017, stattgefunden hat. Viele Autor*innen, die sich literarisch oder biografisch mit dem Themen von Flucht und Migration beschäftigt haben, sind zu Gast gewesen. Daneben haben wir auch einen Schwerpunkt auf Gespräche mit Akteur*innen in Bayreuth, Bayern und Deutschland gesetzt, die beruflich oder ehrenamtlich mit diesen Themen befasst sind. Für die Keynotes konnten wir unter anderem den französischen Historiker Pap Ndiaye und den britischen Journalisten Gary Younge gewinnen. Prof. Ute Fendler von der Romanistik der Uni Bayreuth hat eine Filmreihe zum Thema kuratiert und beim Abschlusskonzert gab es dieses Jahr Hip Hop mit M1 (Dead Prez) & Bonnot, die als Special Guest Shadia Mansour eingeladen haben!

aviso: Vielen Dank für das Gespräch.

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Professorin Dr. Susan Arndt lehrt seit 2010 Transkulturelle Anglistik an der Universität Bayreuth und ist seit 2016 Sprecherin des Forschungsverbundes Future Migration. Network for Cultural Diversity. Sie arbeitet zu Literaturen britischer, nigerianischer, südafrikanischer, karibischer und afrodeutscher Autor*innen sowie zu Theoriekonzepten der Postcolonial und Gender Studies.

Nadja Ofuatey-Alazard, im Schwarzwald geboren, ist Diplomjournalistin und lebt in München. Derzeit promoviert sie in der BIGSAS der Universität Bayreuth. Sie war mehrere Jahre in der US-amerikanischen Filmproduktion tätig und arbeitete danach in Deutschland als Filmemacherin, Produktionsleiterin, Autorin, Herausgeberin, Moderatorin und Pressereferentin.

Das Interview führte aviso-Redakteurin Dr. Elisabeth Donoughue.

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