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26.07.2017, 12:47 Uhr
Susan Arndt
Text & Debatte
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Prof. Susan Arndt über Vergangenheit und Zukunft der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit Afrika

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Professorin Dr. Susan Arndt lehrt Transkulturelle Anglistik in Bayreuth, unter anderem am Institut für Afrikastudien. Das seit 1990 bestehende Institut für Afrikastudien (IAS) fördert und koordiniert die Afrikastudien von 12 Fächergruppen der Universität Bayreuth, die sich auf alle sechs Fakultäten verteilen. Dieses breite Fächerspektrum wissenschaftlicher Afrikastudien ist einzigartig im deutschsprachigen Raum. In der aktuellen Ausgabe das Magazins aviso des Bayerischen Staatsministeriums für Bildung und Kultus, Wissenschaft und Kunst schreibt sie über die nicht unproblematische Geschichte der wissenschaftlichen Beschäftigung mit Afrika – und darüber, wie diese in Zukunft aussehen könnte.

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Afrikastudien? So pauschal wie der Name ist oft auch die Reaktion darauf: »Ach, mein Vater hat alle Leni Riefenstahl-Bände Zuhause«; oder »Ich lese auch gerade ein Buch über die Inka«; oder: »Ja, wie heißen diese Fische im Viktoriasee nochmal?« sind die eher harmloseren Reaktionen. Das Problem beginnt bereits damit, dass in der Bezeichnung dieses Faches der Name eines Kontinentes auftaucht. Gemeinhin werden akademische Fächer ja eher nach Methoden, Theorien und Grundlagen der wissenschaftlichen Arbeit benannt, also etwa Geschichte oder Chemie. Orte, die beforscht werden, landen in der Regel nicht in den Namen von Disziplinen. Zwar gibt es die Germanistik, Anglistik oder Romanistik, die nach den untersuchten Sprach- und Literaturräumen benannt werden. Doch bei den Afrikastudien werden so diverse wissenschaftliche Disziplinen wie etwa Ethnologie, Linguistik, Soziologie, Filmwissenschaft, Politikwissenschaft, Religionswissenschaft, Biologie, Geschichte, Geographie, Umwelttechnologie und Literaturwissenschaft in einen Topf geworfen, sobald die betreffenden Wissenschaftler*innen eines tun: regelmäßig über den afrikanischen Kontinent forschen – egal was, egal wo. Das erinnert schon daran, dass über Afrika oft sehr verallgemeinernd gesprochen wird und Afrika dabei oft im gleichen Denktopf wie andere ehemals von Europa kolonisierte Räume landet – siehe die obige Parallele zwischen Afrikastudien und den Inkas. Und apropos Riefenstahl: Tatsächlich ist nicht nur der Name »Afrikastudien«, sondern auch die Geschichte dieses Faches im kolonialen Diskurs verankert.

 

»Wissenschaftliche« Rechtfertigung des Kolonialismus

Als Europa kolonial expandierte, bedurfte es zur Legitimierung von Menschen- und Völkerrechtsverletzungen einer Rechtfertigungsideologie, die in der Erfindung menschlicher ›Rassen‹ mündete. In einem pan-europäischen Unterfangen wurde ebenso banal wie fatal proklamiert: Die ›weiße Rasse‹ (und ihr Christentum) sei allen anderen überlegen. Antithetisch wurden die anderen ›Rassen‹ als Natur und dem Menschsein fern deklariert. Immanuel Kant war Teil dieses pan-europäischen Projektes und führte den Begriff ›Rasse‹ in den deutschen Kontext ein. Wie andere Aufklärer, und nach ihm auch Georg Wilhelm Friedrich Hegel, rechtfertigte er die europäische Versklavung von Afrikaner*innen. Diese legte den Grundstock für die Industrielle Revolution in Europa, während sie gleichzeitig nicht nur mehr als 14 Millionen Menschen ihrer Freiheit beraubte und vermutlich ebenso viele Leben auslöschte, sondern auch lang gewachsene soziale und ökonomische Strukturen auf dem afrikanischen Kontinent und den Amerikas zerstörte.

Das Ende der Sklaverei tat dem Versuch, Rassismus wissenschaftlich zu fundieren, keinen Abbruch. Vielmehr trat der Kolonialismus in seine imperiale Phase über, deren koloniale Sehnsucht in Richard Wagners berühmt-berüchtigten Worten 1848 wie folgt klingt: »Nun wollen wir in Schiffen über das Meer fahren« und »es deutsch und herrlich machen.« Diese Vision und Praxis wird 1884 durch die sogenannte Berliner Konferenz besiegelt. Europa teilt sich Afrika auf und zieht Grenzlinien, die auf historisch gewachsenen Strukturen keine Rücksicht nehmen. Kurz darauf baut Deutschland erste Konzentrationslager. In »Deutsch-Südwestafrika«, dem heutigen Namibia, befiehlt Lothar von Trotha einen deutschen Genozid und Eugen Fischer etabliert die Eugenik – Relikte davon liegen bis heute in deutschen Museen und Krankenhäusern.

Insofern all dies wenig mit den Idealen von Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit zu vereinbaren war, bedurfte Europa nach wie vor philosophischer und wissenschaftlicher Absicherungen kolonialer Gewalt. Zum einen wurde die Behauptung, dass Menschen in ›Rassen‹ unterteilt werden können, in zum Teil neu etablierte wissenschaftliche Disziplinen wie etwa die Phrenologie eingeschrieben. Um koloniale Herrschaft ausüben zu können, war zudem, gemäß dem Credo »Wissen ist Macht«, Zugang zu lokalem Wissen kolonisierter Räume unerlässlich. Dabei spielte auch botanisches, geologisches und zoologisches Wissen eine Rolle. Für die Machtausübung zentraler jedoch waren Kenntnisse lokaler Sprachen und Religionen, politischer Strukturen und kultureller Werte eine unverzichtbare Grundausstattung, welche die Völkerkunde und Afrikanistik lieferten.

 

Historische Kontexte der Afrikastudien

Im Ergebnis dieser Geschichte kam es 1887 an der Berliner Universität zur Gründung des Seminars für Orientalische Sprachen, das sich auf Sprachen Afrikas konzentrierte und zudem ›Völkerkunde‹ betrieb. Geschichtswissenschaften oder Literaturwissenschaften etwa kamen nahezu ein Jahrhundert lang nicht vor, weil es nach herrschender Meinung und nicht zuletzt der Hegels weder Geschichte noch irgendetwas anderes Menschliches in Afrika gäbe, also auch keine Literatur. Beides sei an Schriftsprache und ›Zivilisation‹ gebunden. Nicht nur blieben in dieser weißen Perspektive bestehende schriftsprachliche Literaturen ignoriert. Oralliteratur als ästhetisches Wissensarchiv wurde schon gar nicht zur Kenntnis genommen.

Auch nachdem Deutschland seine Kolonien infolge des Ersten Weltkrieges an andere europäische Kolonialmächte verloren hatte, blieb die deutsche Kolonialsehnsucht bestehen. Hitler vertrat dann offensiv die Vision, durch die Unterwerfung von Europa auch die europäischen Kolonien wieder in deutschen Besitz zu bringen. Auch darüber hinaus sind Nationalsozialismus und Shoa strukturell und ideologisch mit der Kolonialgeschichte verschränkt. Auch die deutsche Afrikanistik behielt ihre koloniale Agenda samt der Ausrichtung auf Sprachwissenschaft und Völkerkunde bei. Sogar nach 1945 gab es diesbezüglich Kontinuitäten, übrigens in West und Ost: Ernst Damman arbeitete während des Nationalsozialismus am Hamburger Seminar für Afrikanische und Südsee-Sprachen und war Landesgruppenleiter der Auslandsorganistaion der NSDAP. Ab 1949 war er zunächst Professor in Hamburg. 1957 berief ihn die Ost-Berliner Humboldt-Universität.

 

Neuorientierung der Afrika-Wissenschaften

Im Zuge der antikolonialen Freiheitsbewegungen und des Kalten Krieges (der gerade auch in Afrika ›heiß‹ geführt wurde) kam es in den 1960er-Jahren zu einer neuen, intensivierten und vor allem auch reflektierteren Beschäftigung mit Afrika. Dies ging mit einer beginnenden wissenschaftlichen Aufarbeitung der Kolonialgeschichte sowie einer Öffnung für neue Fächer einher. Hierzu zählt u. a. die Afrika-Literaturwissenschaft.

Unter dem Eindruck der 1947 in Paris erfolgten Gründung der Zeitschrift Présence Africaine, die das wichtigste Sprachrohr für frankophone Intellektuelle wie Leopold Sédar Sengor und Aime Césaire wurde, gründeten der Privatgelehrte Janheinz Jahn aus Frankfurt am Main und der Kunstsammler und -kenner Ulli Beier aus Bayreuth 1957 die Zeitschrift »Black Orpheus«, die als Pendant für den anglophonen Raum konzipiert worden war. Nach dem Ausscheiden von Jahn wurde »Black Orpheus« u. a. von dem späteren Literaturnobelpreisträger und heutigem Ehrendoktor der Universität Bayreuth, Wole Soyinka, mitgetragen.

 

Die Afrika-Studien an der Universität Bayreuth

Seit ihrer Gründung im Jahr 1971 baut die Universität Bayreuth so konsequent und nachhaltig wie keine andere europäische Universität Forschungsverbünde auf, die sich mit sozialen, kulturellen, künstlerischen, politischen, biologischen, geologischen und soziologischen Aspekten des größten Erdenkontinentes beschäftigen. In diesem Klima wurde die Afrikanologie (als Bayreuther Bezeichnung für die Linguistik) um Gudrun Miehe und die Ethnologie um Gerd Spittler um neue Fächer wie etwa die Afrika-Literaturwissenschaft von Eckhard Breitinger und Janosz Riesz ergänzt. Beier gründete 1981 das Iwalewahaus, das bis heute eine Brücke zwischen Kunst und Universität schlägt.

Gedenkveranstaltung für Eckardt Breitinger im Rahmen der Jahreskonferenz der African Literature Association 2015 © aviso

 

Afrika (wissenschaftlich) neu erzählen

In jüngsten Debatten um die Zukunft des eigenen Faches wurde das Bayreuther Credo, in Kooperation mit Kolleg*innen aus afrikanischen Ländern und ihren Diasporas zu forschen, um einen Perspektivwechsel hin zu Kritischen Afrikastudien ergänzt. Dieses »kritisch« setzt bei einer reflektierenden und verantwortlichen Reflexion der eigenen Wissenschaftsgeschichte ein und unterzieht auf dieser Basis den gesellschaftlichen Umgang mit Afrika einer Revision. Konkret schließt das ein, noch immer vom Kolonialismus eingefärbte Stereotype und Erzählungen über Afrika und schwarze Menschen in Deutschland zu hinterfragen. Dabei geht es nicht nur darum, Kolonialismus kritisch zu erinnern und Afrika als riesengroßen und sehr benachbarten Kontinent zu erzählen, der ebenso divers wie spannend ist und über Malls, Wolkenkratzer und Breitbrandkabel verfügt, die das Internet schneller machen als etwa in Bayreuth-Destuben. Es geht auch darum, politische, ökonomische und kulturelle Prozesse in afrikanischen Ländern in ihren globalen Herkünften und Auswirkungen wissenschaftlich einzuordnen. Das schließt ein, gemeinsame Zukünfte und deren Ressourcen gerechter zu teilen und gegenwärtige Herausforderungen verantwortlich zu meistern – ganz im Sinne von Angela Merkels »Wir schaffen das!«

Die Kritischen Afrikastudien können weit in die Gesellschaft, aber auch in die deutsche Wissenschaftslandschaft hinein ausstrahlen – und dabei alte Binarismen wie etwa Regionalstudien versus systematische Wissenschaft überwinden. Zum einen arbeiten die Afrikastudien natürlich selbst systematisch, sind sie doch in theoretischen und methodischen Debatten und deren jeweiligen Forschungsständen verankert. Zum anderen arbeiten alle (systematischen) Wissenschaften mit empirischen Schwerpunkten, die zum Teil regional verortet sind. Afrikanische Räume hier integrativer zu denken, von Jura bis Anglistik, bietet die Möglichkeit, afrikanische Wissensarchive aus allen Bereichen von Leben und Wissen sinnvoll in ganzheitliche akademische Kontexte einzubringen und gesellschaftliche, politische und kulturelle Prozesse in aller Welt neu zu denken. Ob das Fach dann noch Afrikastudien heißen kann oder weniger pauschalisiert forschen wird, sei dahin gestellt. In jedem Fall wird es in einer anderen Zukunft angekommen sein als der seiner eigenen Geschichte.