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26.07.2017, 07:24 Uhr
Judith Bauer
Gespräche

Helmut von Ahnen über Shakespeare, Schultheater und die Welt der Inszenierung

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Blick in die Kuppel © Judith Bauer

Yorick’s Company, das professionelle Ensemble des FestSpielHauses, feiert dieses Jahr sein fünfjähriges Bestehen und präsentierte das Stück Cymbeline von William Shakespeare im Münchner Ostpark. Erstmals fanden alle Vorstellungen in dem eigens für das FestSpielHaus errichteten Kuppelzelt LUNATICO statt. Auf sehr eindrucksvolle Weise konzentrierte sich die Inszenierung aus dem Spätwerk Shakespeare auf die komplizierten Strukturen und Konflikte einer Patchwork-Familie und die Herausforderungen des Erwachsenwerdens. Der Regisseur Dr. Helmut von Ahnen straffte die Handlung radikal und bearbeitete den Text innovativ. Darüber hinaus wurde das Geschehen auf der Bühne durch Live-Musik und Lieder aufgelockert. Die Schauspieler interpretierten das eher unbekannte Stück unbeschwert und dennoch ernsthaft. Mit dem Regisseur haben wir uns über seine Inszenierung, Schulvorstellungen und seine Auffassung von heutigem Theater unterhalten.

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Literaturportal Bayern: Yorick’s Company feiert in diesem Jahr ein kleines Jubilläum und tritt erstmals an einem neuen Inszenierungsort auf, dem Theaterzelt LUNATICO. Warum haben Sie für diese besonderen Vorstellungen gerade ein unbekannteres Stück wie Shakespeares Cymbeline ausgewählt?

Helmut von Ahnen: Wir haben schon öfter Shakespeare aufgeführt: Der Sturm, Ein Sommernachtstraum, Wie es Euch gefällt – die üblichen Verdächtigen. Wir müssen die Auswahl unserer Stücke immer unter dem Gesichtspunkt treffen, dass wir auch Schulveranstaltungen machen. Also fragen wir uns: Was könnte für Schulen an diesem Stück interessant sein, außer dass es von Shakespeare ist?

Bei Cymbeline spielten der Inhalt und die behandelten Probleme eine zentrale Rolle: Patchwork-Familie, Schwierigkeiten junger Menschen, Trennungen und Wiederzusammenkommen, Heimat. Diese Themen beschäftigen Jugendliche, sind aber ebenso für das Abendpublikum interessant. Momentan diskutieren wir auch über diese „Zweiteilung“ und wollen zukünftig zwei verschiedene Versionen unserer Stücke zeigen. Die Version für Kinder und Jugendliche wird etwas harmloser sein, die für Erwachsene kann heftiger ausfallen. Wir haben von den Lehrkräften schon des Öfteren die Rückmeldung bekommen, dass ihnen die Stücke gelegentlich etwas zu schlüpfrig sind. Die Lehrenden haben natürlich immer andere Kriterien als die Schüler selbst, da sie sich vor den Eltern und Direktoren rechtfertigen müssen und gehen so auf Nummer sicher.

Auf welche Elemente haben Sie in der diesjährigen Inszenierung von Cymbeline den Fokus gelegt?

Ich fand es wichtig, dass man die Familienbeziehungen in den Mittelpunkt stellt. Außerdem ist das Thema Drogenkonsum zentral und die Tatsache, dass man sich mit Drogen jeglicher Urteilsfähigkeit beraubt. Zudem zeigt sich in dem Stück, dass ein Mensch eine Idee braucht, wie er durch das Leben kommen will.

Im Allgemeinen haben wir uns für unsere Arbeit eine Vorgabe gesetzt, die bei allem, was wir tun, im Mittelpunkt steht: Wir wollen eine starke Geschichte erzählen – und deswegen suchen wir nach starken Geschichten. Was macht eine Geschichte intensiv und mitreißend? Wo ist Handlung drin und nicht nur ein Monolog, der die Leute zum Einschlafen bringt? Der Trick besteht darin, eine starke Handlung zu haben mit einen klaren roten Faden.

Sie haben, wie schon gesagt, mit Cymbeline ein eher unbekanntes Stück ausgewählt. Wie kam es dazu und hatte dies Konsequenzen für Ihre Inszenierung?

Zunächst wollten wir ein Stück aufführen, bei dem wir nicht gleich wieder mit den großen Bühnen verglichen werden, weil es so häufig inszeniert wird – obwohl wir uns nach den bisherigen Rückmeldungen unseres Publikums ruhig vergleichen lassen könnten.

Technisch gesehen gibt es aber gute Gründe, warum Cymbeline so selten aufgeführt wird: Die Handlung hat keinen klaren roten Faden. Sie ist stellenweise einfach wirr. Die Zuschauer sind mit dem Stoff nicht vertraut. So mussten wir bei diesem Stück versuchen, die Handlung klar verständlich zu machen, gerade weil die wenigsten sie vorher kannten. Es haben sogar schon Leute angerufen, um zu fragen, welches Buch sie lesen müssen, um das Stück zu verstehen. Aber ich finde, dass es unsere Aufgabe ist, die Stücke so zu inszenieren, dass das Publikum sie versteht, auch ohne sie bereits zu kennen. Ich finde es immer mühsam, wenn der Dramaturg erst erklären muss, was er sich bei der Inszenierung gedacht hat, damit sein Publikum folgen kann. Ich will mir nicht erst ein Referat anhören müssen. Wenn sich das Stück und die Inszenierung nicht selbst erklären, warum sollte ich mir das anschauen? Ich gehe ins Theater, um mir eine Geschichte erzählen zu lassen. Und wenn das funktioniert, arbeitet meine eigene Phantasie mit am Werk; ich habe eigene Ideen und Gedanken zur Thematik. Das ist doch das Wesentliche!

 

 

Eindrücke von der Bühne © Judith Bauer

 

Ihre Aufführungen finden dieses Jahr in einem extra gebauten Theaterzelt statt. Welche Möglichkeiten bietet Ihnen dieser neue Theaterraum?

Ich habe die geodätischen Kuppeln in England entdeckt und mich gefragt, warum es das bei uns nicht gibt. Das Theatererlebnis ist in diesen Zelten einfach phänomenal. Es handelt sich um eine archaische Struktur: eine halbe Kugel aus Holz mit einer Plane darüber. Die Kugel steht mitten in der Natur. In Münchnen steht sie im Ostpark – mehr Natur geht momentan nicht, aber es reicht ja auch. Wenn es regnet, kann man trotzdem spielen, man hört den Regen zwar ganz leicht, aber das schafft eine besondere, eigenwillige Atmosphäre. Ist die Vorstellung gut besucht, fühlt man sich in der Kuppel geborgen: Schauspieler und Publikum sind sich sehr nah. Das hat etwas Embryonales. Es ist sogar ein bisschen so, wie es bei Shakespeare gewesen wäre. Es ist ein Raum, der kaum Grenzen setzt: Wir haben keine aufwendigen Kulissen. Man sieht sogar den Himmel über sich. Wenn es dämmrig ist, scheint das Licht von draußen ein bisschen durch. Es ist kein dunkler Raum, eher ein Schwellenraum zwischen Licht und Dunkel. Das ist einfach wunderbar!

Das Theaterzelt hebt sich damit auch etwas von den klassischen Vorstellungen von Theater ab, das oft abgeschlossen bis elitär wirkt und eher von älterem Publikum besucht wird. Schulvorstellungen können hier eine gute Möglichkeit sein, auch den Jüngeren die Faszination ‚Theater‘ näher zu bringen. Wie sehen Sie das?

Vielleicht können solche Vorstellungen ein Anlass sein, sich mit Shakespeare oder überhaupt einem Autor zu beschäftigen, der Theaterstücke schreibt. Wir hatten neulich eine Ü-Klasse zu Gast, in der ein Mädchen war, das sich für das Schreiben generell interessierte. Das Mädchen besucht jetzt wahrscheinlich eine unserer Projektgruppen und kann ein bisschen an den Theaterstücken mitschreiben. Dabei darf man natürlich nicht erwarten, dass gleich ein neuer Shakespeare rauskommt, aber man kann ja auch einfach mal ein bisschen üben.

Wie beurteilen Sie die Rolle des Theaters in der heutigen Zeit? Welchen Beitrag kann das Theater für die Gesellschaft leisten?

Ich würde da ganz knapp antworten: Theater ist Revolution! Theater macht die Menschen frei!

Ich glaube, dass die Griechen das Theater aus diesem Grund erfunden haben. Ich bin Theaterwissenschaftler und habe meine Dissertation über das Komische auf der Bühne geschrieben. In diesem Rahmen habe ich mich auch damit auseinandergesetzt, was die ‚Komische Katharsis‘ ist: Ich glaube inzwischen aus eigener Erfahrung daran, dass das Theater den, der im Publikum sitzt, wirklich frei machen kann. Man sitzt zusammen, kann vor sich hin phantasieren, arbeitet gedanklich mit … Dass das Publikum nur passiv konsumiert, habe ich noch nie erlebt – zumindest nicht in den Stücken, die ich inszeniere. Wir versuchen immer, das Publikum zu beteiligen. Diese Beteiligung kann auch rein mental erfolgen. Das ist das Zentrale: Die Zuschauer sollen sich Gedanken machen. Wir wollen, dass das Publikum aus der Vorstellung geht und bereichert ist – mit Vorstellungen, Bildern, Ideen, die hängen bleiben. Insofern ist Theater Revolution – denn wo findet man so etwas, wenn nicht im Theater?

 

Interview: Judith Bauer

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