Ein Gespräch mit der Lehrerin Theresa Weigel über die Mitarbeit ihrer Klasse am Netzroman
Mit Unterstützung des Literaturportals Bayern schreibt der Münchener Schriftsteller und Ingeborg-Bachmann-Preisträger Thomas Lang einen interaktiven Roman – live im Netz auf netzroman.thomaslang.net. Seit November ist zudem eine Schulklasse an dem Projekt beteiligt. Mit Unterstützung des Autors, der die Schülerinnen und Schüler auch schon im Klassenzimmer besucht hat, befasst sich die 9f der Joseph-von-Fraunhofer-Realschule regelmäßig mit eigenen Schreibaufgaben. Dafür hat Thomas Lang sogar eine eigene Kategorie geschaffen: die „Spielfigur“. Mit Theresa Weigel, die das Projekt mit ihrer Deutschklasse durchführt, haben wir uns über den Reiz eines solchen Angebots und die Förderung von literarischer Kreativität im schulischen Rahmen unterhalten.
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Literaturportal Bayern: Was hat Sie gereizt, sich mit Ihrer Klasse an dem Netzroman zu beteiligen?
Theresa Weigel: Gereizt hat mich die Möglichkeit, den Schülerinnen und Schülern die einzigartige Chance zu geben, an einem langfristigen Schreibprozess mitarbeiten zu können. Schreiben ist für sie sonst mit Arbeit verbunden. Schreiben heißt, für einen Aufsatz lernen und dann das Gelernte in wenigen Stunden zu Papier zu bringen. Die Kreativität und die Leidenschaft zum Schreiben kommen so im Unterrichtsgeschehen immer wieder zu kurz. Deshalb bin ich sehr glücklich, dass wir bei diesem Projekt mitmachen können.
Wie sah die bisherige Arbeit der Klasse an dem Projekt aus – und was steht als nächstes an?
Gestartet haben wir das Projekt mit einem Besuch des Autors Thomas Lang an unserer Schule. Dieser Besuch war sehr wichtig, damit die Klasse einen persönlichen Bezug zum Thema und zum Projekt aufbauen kann. Momentan arbeiten wir an den Charakteren und erwecken diese Stück für Stück zum Leben. Dabei haben die Schülerinnen und Schüler in Gruppen an einer Figur gearbeitet. Sie haben innere Monologe verfasst, sind in Form eines Dialogs mit einem anderen Charakter des Romans ins Gespräch gekommen oder haben der jeweiligen Figur ein Lieblingslied zugeteilt und diese Zuteilung genau begründet. Die Ergebnisse sind überraschend. Langsam entsteht bei allen eine klare Idee, und die ersten eigenen Texte sind auch schon entstanden. Auf der Internetseite des Romans kann man sie bereits nachlesen.
Wie ist Ihr Eindruck: Kann man über so ein interaktives, multimediales Projekt die Jugendlichen für Literatur begeistern? Was kommt bisher am besten an?
Ja, auf jeden Fall. Vielleicht merkt die Klasse das selbst noch gar nicht so genau. Sie kommen ja nicht nach Hause und sagen: „Ich schreibe gerade Literatur und das macht eigentlich Spaß!“ Aber vielleicht erzählen sie ganz konkret von den Arbeiten, die sie gerade machen. Dabei herrscht auch eine besondere Atmosphäre im Klassenzimmer. Alle sind motiviert und interessiert an den Ergebnissen der anderen. Diese Motivation, sich mit Texten zu beschäftigen und selbst zu verfassen, ohne gleich zu fragen: „Wie viel müssen wir da schreiben?“, das führt die Schülerinnen und Schüler ganz unbewusst, vielleicht spielerisch an die Literatur heran.
Der gefundene Tod handelt auf den ersten Blick von einem ziemlich düsteren Ereignis. Im Grunde ist das aber nur der Rahmen für etwas viel Grundlegenderes – für klassische Fragen von Jugendlichen: Entstehung von Werten, Sehnsucht nach Zusammenhalt und Erleben, Gefühle von Verlorenheit und erster Liebe. Ihre Schüler sind nun etwa im gleichen Alter wie die Protagonisten der Geschichte. Haben Sie das Gefühl, dass sie sich in die Lebenswelt der entworfenen Figuren hineinversetzen können?
Viel mehr, als ich es mir erhofft oder gedacht hatte. Obwohl die Schülerinnen und Schüler in einem ersten Gespräch das Verhalten der Jugendlichen im tatsächlichen Fall ganz klar und strikt verurteilt haben, ist es erstaunlich, wie frei und offen sie sich jetzt den Charakteren nähern und diese herausarbeiten. Und das alles ohne Druck und mit ganz vielen Freiräumen, um die Kreativität nicht zu hemmen. Immer wieder kommen da Fragen wie: „Darf ich da dann jetzt auch Umgangssprache schreiben?“ Und natürlich dürfen sie das in einem inneren Monolog oder einem Dialog. Diese unbeschwerte Art hilft der Klasse sehr, sich dem schwierigen Thema vorsichtig, aber auch ehrlich zu nähern.
Für kreative Arbeit ist im Schulalltag oft wenig Raum. Warum ist diese Erfahrung für Jugendliche trotzdem wichtig?
Der Raum für Kreativität ist im Schulraum durchaus gegeben, aber gerade weil der Unterricht im Schulalltag strikt getaktet ist und die Schülerinnen und Schüler sehr gefordert werden, sind die Stunden, in denen das kreative Schreiben im Mittelpunkt steht, so enorm wichtig. Für die Schülerinnen und Schüler und für mich als Lehrkraft. Gerade in Stunden, in denen kreatives Schreiben im Mittelpunkt steht, kann man eine Klasse besser kennenlernen. Diese Erfahrung mache ich auch jetzt wieder bei der Arbeit am Projekt und das, obwohl ich die meisten Schülerinnen und Schüler schon seit zwei Jahren kenne. Kreativität fordert Persönlichkeit und Individualität, und diese zu zeigen, ist in unserer heutigen Gesellschaft nicht immer erwünscht. Aber dass wir dieses Projekt an unserer Schule machen können, zeigt, dass die oder der Einzelne in seiner ganz eigenen Art zählt. Nur wenn alle zusammenarbeiten, jede/r auf eine eigene Art, entstehen die besonderen Momente und wunderbaren Ergebnisse.
Zum Schluss noch eine persönliche Frage: Wie ist Ihr eigener Bezug zur Literatur? Was lesen Sie gerne – und wollen Sie nicht vielleicht auch selbst am Netzroman mitschreiben?
Ich liebe den Umgang und das Spiel mit Sprache. Deswegen lese ich auch sehr gerne, komme aber viel zu selten dazu. In den Ferien lese ich dann viele Bücher auf einmal und kann nicht mehr aufhören. Während der Schulzeit schaffe ich das leider nicht. Was lese ich gerne? Das ist schwer zu beantworten, weil ich alles lese, was mir in die Finger kommt, unabhängig von Genre oder Thema. Mal sind es Krimis, mal historische Romane. Ob ich selbst einmal mitschreiben möchte? Sehr gerne.
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Mit Unterstützung des Literaturportals Bayern schreibt der Münchener Schriftsteller und Ingeborg-Bachmann-Preisträger Thomas Lang einen interaktiven Roman – live im Netz auf netzroman.thomaslang.net. Seit November ist zudem eine Schulklasse an dem Projekt beteiligt. Mit Unterstützung des Autors, der die Schülerinnen und Schüler auch schon im Klassenzimmer besucht hat, befasst sich die 9f der Joseph-von-Fraunhofer-Realschule regelmäßig mit eigenen Schreibaufgaben. Dafür hat Thomas Lang sogar eine eigene Kategorie geschaffen: die „Spielfigur“. Mit Theresa Weigel, die das Projekt mit ihrer Deutschklasse durchführt, haben wir uns über den Reiz eines solchen Angebots und die Förderung von literarischer Kreativität im schulischen Rahmen unterhalten.
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Literaturportal Bayern: Was hat Sie gereizt, sich mit Ihrer Klasse an dem Netzroman zu beteiligen?
Theresa Weigel: Gereizt hat mich die Möglichkeit, den Schülerinnen und Schülern die einzigartige Chance zu geben, an einem langfristigen Schreibprozess mitarbeiten zu können. Schreiben ist für sie sonst mit Arbeit verbunden. Schreiben heißt, für einen Aufsatz lernen und dann das Gelernte in wenigen Stunden zu Papier zu bringen. Die Kreativität und die Leidenschaft zum Schreiben kommen so im Unterrichtsgeschehen immer wieder zu kurz. Deshalb bin ich sehr glücklich, dass wir bei diesem Projekt mitmachen können.
Wie sah die bisherige Arbeit der Klasse an dem Projekt aus – und was steht als nächstes an?
Gestartet haben wir das Projekt mit einem Besuch des Autors Thomas Lang an unserer Schule. Dieser Besuch war sehr wichtig, damit die Klasse einen persönlichen Bezug zum Thema und zum Projekt aufbauen kann. Momentan arbeiten wir an den Charakteren und erwecken diese Stück für Stück zum Leben. Dabei haben die Schülerinnen und Schüler in Gruppen an einer Figur gearbeitet. Sie haben innere Monologe verfasst, sind in Form eines Dialogs mit einem anderen Charakter des Romans ins Gespräch gekommen oder haben der jeweiligen Figur ein Lieblingslied zugeteilt und diese Zuteilung genau begründet. Die Ergebnisse sind überraschend. Langsam entsteht bei allen eine klare Idee, und die ersten eigenen Texte sind auch schon entstanden. Auf der Internetseite des Romans kann man sie bereits nachlesen.
Wie ist Ihr Eindruck: Kann man über so ein interaktives, multimediales Projekt die Jugendlichen für Literatur begeistern? Was kommt bisher am besten an?
Ja, auf jeden Fall. Vielleicht merkt die Klasse das selbst noch gar nicht so genau. Sie kommen ja nicht nach Hause und sagen: „Ich schreibe gerade Literatur und das macht eigentlich Spaß!“ Aber vielleicht erzählen sie ganz konkret von den Arbeiten, die sie gerade machen. Dabei herrscht auch eine besondere Atmosphäre im Klassenzimmer. Alle sind motiviert und interessiert an den Ergebnissen der anderen. Diese Motivation, sich mit Texten zu beschäftigen und selbst zu verfassen, ohne gleich zu fragen: „Wie viel müssen wir da schreiben?“, das führt die Schülerinnen und Schüler ganz unbewusst, vielleicht spielerisch an die Literatur heran.
Der gefundene Tod handelt auf den ersten Blick von einem ziemlich düsteren Ereignis. Im Grunde ist das aber nur der Rahmen für etwas viel Grundlegenderes – für klassische Fragen von Jugendlichen: Entstehung von Werten, Sehnsucht nach Zusammenhalt und Erleben, Gefühle von Verlorenheit und erster Liebe. Ihre Schüler sind nun etwa im gleichen Alter wie die Protagonisten der Geschichte. Haben Sie das Gefühl, dass sie sich in die Lebenswelt der entworfenen Figuren hineinversetzen können?
Viel mehr, als ich es mir erhofft oder gedacht hatte. Obwohl die Schülerinnen und Schüler in einem ersten Gespräch das Verhalten der Jugendlichen im tatsächlichen Fall ganz klar und strikt verurteilt haben, ist es erstaunlich, wie frei und offen sie sich jetzt den Charakteren nähern und diese herausarbeiten. Und das alles ohne Druck und mit ganz vielen Freiräumen, um die Kreativität nicht zu hemmen. Immer wieder kommen da Fragen wie: „Darf ich da dann jetzt auch Umgangssprache schreiben?“ Und natürlich dürfen sie das in einem inneren Monolog oder einem Dialog. Diese unbeschwerte Art hilft der Klasse sehr, sich dem schwierigen Thema vorsichtig, aber auch ehrlich zu nähern.
Für kreative Arbeit ist im Schulalltag oft wenig Raum. Warum ist diese Erfahrung für Jugendliche trotzdem wichtig?
Der Raum für Kreativität ist im Schulraum durchaus gegeben, aber gerade weil der Unterricht im Schulalltag strikt getaktet ist und die Schülerinnen und Schüler sehr gefordert werden, sind die Stunden, in denen das kreative Schreiben im Mittelpunkt steht, so enorm wichtig. Für die Schülerinnen und Schüler und für mich als Lehrkraft. Gerade in Stunden, in denen kreatives Schreiben im Mittelpunkt steht, kann man eine Klasse besser kennenlernen. Diese Erfahrung mache ich auch jetzt wieder bei der Arbeit am Projekt und das, obwohl ich die meisten Schülerinnen und Schüler schon seit zwei Jahren kenne. Kreativität fordert Persönlichkeit und Individualität, und diese zu zeigen, ist in unserer heutigen Gesellschaft nicht immer erwünscht. Aber dass wir dieses Projekt an unserer Schule machen können, zeigt, dass die oder der Einzelne in seiner ganz eigenen Art zählt. Nur wenn alle zusammenarbeiten, jede/r auf eine eigene Art, entstehen die besonderen Momente und wunderbaren Ergebnisse.
Zum Schluss noch eine persönliche Frage: Wie ist Ihr eigener Bezug zur Literatur? Was lesen Sie gerne – und wollen Sie nicht vielleicht auch selbst am Netzroman mitschreiben?
Ich liebe den Umgang und das Spiel mit Sprache. Deswegen lese ich auch sehr gerne, komme aber viel zu selten dazu. In den Ferien lese ich dann viele Bücher auf einmal und kann nicht mehr aufhören. Während der Schulzeit schaffe ich das leider nicht. Was lese ich gerne? Das ist schwer zu beantworten, weil ich alles lese, was mir in die Finger kommt, unabhängig von Genre oder Thema. Mal sind es Krimis, mal historische Romane. Ob ich selbst einmal mitschreiben möchte? Sehr gerne.