Literarische Schätze der Bayerischen Staatsbibliothek (6): „Fortunatus“

https://www.literaturportal-bayern.de/images/lpbblogs/redaktion/2017/klein/Fortunatus_Frontspiegel_500.jpg
Fortunatus: Eyne hystorye, Augsburg 1509 [BSB, Sign.: Rar. 480]

Im Wochenrhythmus stellt die Redaktion des Literaturportals Bayern literarische Schätze aus dem Archiv der Bayerischen Staatsbibliothek vor: ausgewählte Höhepunkte, die in ihrer Entstehung, Überlieferung und Wirkung einen Bezug zu Bayern haben und in die Literaturgeschichte eingegangen sind. Spannweite und Vielfalt dieser Literatur aus zwölf Jahrhunderten lassen sich aus digitalisierten Handschriften, Drucken, Manuskripten und Briefen exemplarisch ablesen, die in bavarikon versammelt sind. Wir präsentieren daraus eine Auswahl.

 

Fortunatus, „der vom Glück Begünstigte“ oder auch „der Reiche“, lautet der Titel eines mutmaßlich um 1490 verfassten, schließlich 1509 in Augsburg veröffentlichten Romans. Er gehört dem Genre der Volksbücher an und erfreute sich als solches einer derartigen Beliebtheit und Nachfrage, dass er bereits im Kontext seiner Entstehungszeit ungewöhnlich hohe Auflagen erlebte und in der Folge durch Übersetzungen in zahlreiche Sprachen sowie Stoffadaptionen weite Verbreitung fand. Der Verfasser ist jedoch unbekannt, der Kolophon (Nachschrift) des Buches nennt lediglich den Auftraggeber des Drucks, den Apotheker Johann Heybler.

Fortunatus: Kolophon

Dass es sich bei dem Fortunatus-Roman um ein didaktisches Lehrstück handelt, wird bereits im Prolog deutlich, der ein kurzweiliges Lesen und eine Erweiterung des persönlichen Horizonts verspricht: „Vnnd in alweg vernufft und waißheit für all schaetz dieser welt / zu begeren und zu erwoelen ist“. Der Text gliedert sich in einzelne Erzählsequenzen, die den Aventiuren (Abenteuer) der höfischen Romane des Mittelalters ähneln.

Zugleich verweist der Titel des im Original als „hystoria“ gekennzeichneten Romans auf den Protagonisten der Handlung, den zypriotischen Bürgerssohn Fortunatus, der, nachdem ihm sein Vater eröffnet, das gesamte familiäre Vermögen durchgebracht zu haben, beschließt, den Eltern nicht länger auf den nunmehr leeren Taschen zu liegen, sondern in die Welt zu ziehen und selbst sein Glück zu machen. Das Glück, das Fortunatus in der Welt zu finden hofft, ist dabei nicht mit dem Glücksbegriff moderner literarischer Helden gleichzusetzen, die nach Selbstverwirklichung und (Selbst-)Erkenntnis oder symbiotischer Liebe streben. Fortunatus strebt nach der gleichen Art von Glück, die bereits sein Vater vergeblich zu halten versucht hatte: nach pekuniärem Reichtum als Quelle und Möglichkeit eines dauerhaften sozialen Aufstiegs.

Trotz der durchaus vielversprechenden Ausgangslage des gebildeten, optimistischen und anpassungsfähigen jungen Mannes scheitert der erste Anlauf. Es gelingt Fortunatus nicht, im aufstrebenden Bürgertum Fuß zu fassen. Auf dem Tiefpunkt seiner Hoffnungen angekommen, begegnet er in der Waldeinsamkeit Britanniens einer „Glücksfee“: „ain junkfraw gewaltig des glücks“, die dem jungen Mann die Chance bietet, aus den von ihr offerierten Tugenden (Weisheit, Reichtum, Stärke, Gesundheit, Schönheit und Lebenszeit) eine für sich auszuwählen.

Wie ain iunkfraw (gewaltig des glücks) Fortunatum mit ainem seckel begabt, dem nymmer gelts gebrast.

Fortunatus entscheidet sich für den Reichtum und erhält von der Jungfrau einen raffinierten magischen Säckel, der, wann immer er hineingreift, Geld in der korrekten Landeswährung zu produzieren vermag. Der Erhalt des Säckels gestaltet sich derweil nicht als ein prekäres Tauschgeschäft, sondern als Schenkung, die sich an keinerlei Bedingungen knüpft. Es ist Fortunatus selbst, der sich erkenntlich zeigen möchte und die Jungfrau bittet, ihm einen Weg zu nennen, auf dem dies möglich sei. Sie nimmt ihm daraufhin das Versprechen ab, in jedem Jahr an ebendiesem Glückstag selbst etwas Gutes zu wirken, indem er armen Leuten etwas von seinem Reichtum zukommen lässt. Geld, so die didaktische Lehre, verbindet sich auch mit karitativer Verantwortung.

*

Mit der personifizierten Fortuna wird etwas bildlich dargestellt, was sich in der Realität schwer fassen und erklären lässt: das Walten des Zufalls. Fortuna wählt Fortunatus offenkundig willkürlich aus. Die Szene vermag den historischen Kontext, in dem der Fortunatus entsteht, somit durchaus authentisch einzufangen. Der frühneuzeitliche sozio-ökonomische Wandel, der sich mit der Ausweitung des Handels sowie der Erschließung neuer Handelsrouten vollzieht, führt zu einem sukzessiven Aufstieg des Bürgertums. Große, nicht leistungsadäquate Vermögenswerte entstehen nahezu willkürlich. Zwar wird das Norm- und Wertesystem der feudalistischen Gesellschaft mit diesem Aufstieg sukzessive zersetzt. Da das Bürgertum jedoch noch keine eigene Position für sich in Anspruch nehmen kann, bleiben die gesellschaftlichen Strukturen vorerst bestehen. Auch dies wird im Verlauf der Handlung sichtbar gemacht, da Fortunatus bisweilen an diese gesellschaftlichen Grenzen und Normen „aneckt“, ohne die Problematik zu verstehen.

Trotz seines unerschöpflichen Reichtums bleibt ihm der Aufstieg in adelige Kreise verwehrt. Die Standesgrenzen lassen sich nicht allein mittels „anonymen“ Münzen überwinden. Dieses Geld muss sich mit sozialer Anerkennung und gesellschaftlicher Integration verbinden, um seine Macht entfalten zu können. So lässt sich Fortunatus in Famagusta nieder und betätigt sich, dem Wunsch Fortunas gemäß, nun gezielt mäzenatisch: Der Bau von Kirche und Wohnraum für den Klerus sichert ihm dessen Gunst. Schließlich ist Fortunatus mit Zuspruch des Königs sogar in der Lage, in adelige Kreise einzuheiraten. Seine Gemahlin wird Cassandra, Tochter eines Grafen, die ihm zwei Söhne schenkt, Andolosia und Ampedo. Nach zwölf ruhigen Ehejahren beschließt Fortunatus, noch einmal auf Reisen zu gehen, um den Müßiggang zu unterbrechen und auch noch den Teil der Welt zu bereisen, den er in seiner Jugend nicht gesehen hatte.

Auf seinen Reisen, die ihn unter anderem auch ins ferne Indien führen, gelangt er nach Alexandria. Dem dort herrschenden Sultan entwendet er mithilfe einer List dessen Wunschhütlein, einen magischen Gegenstand, der es seinem Besitzer erlaubt, jeden Teil der Welt zu bereisen. Auch die Reisethematik, die im Fortunatus einen breiten Raum einnimmt, sind vor dem historischen Hintergrund der sich etablierenden Fernhandelsbeziehungen zu verstehen. Nach seiner Rückkehr nach Famagusta führt Fortunatus ein ruhiges und zufriedenes Leben. Kurz vor seinem Tod ruft er seine beiden Söhne Andolosia und Ampedo ein letztes Mal zu sich, um sie in die Geheimnisse des Glückssäckels und des Wunschhütleins einzuweihen.

Wie Fortunatus starb, an seinem todbet seine zwen sün berieffet, yn saget die krafft vnd tugent des seckels vnd des hütlins.

*

Mit dem Tod Fortunatus’ gehen die beiden magischen Gegenstände an Andolosia über. Damit beginnt der zweite Teils des Romans, der entsprechend als Andolosia-Handlung bezeichnet wird. Er bildet das Gegenstück zum ersten Handlungsabschnitt: Der risikofreudige Andolosia verliert sowohl Säckel als auch Hut. Zwar kann er sich wieder in den Besitz der beiden magischen Gegenstände bringen. Jedoch wird er von zwei Grafen gefangengenommen, des Glückssäckels beraubt und schließlich ermordet. Aus Gram über den Tod des Bruders zerstört Ampedo den Hut und geht an seiner Trauer zugrunde. Mit dem Tod des letzten Sprosses endet die Familiengeschichte. Die Erbfolge wird somit nicht automatisch zum Garanten dafür, den materiellen Reichtum halten zu können. An dieser Stelle kehrt der Roman wieder zu seinem Ausgangspunkt zurück, nämlich zu der Sentenz, dass Vernunft und Weisheit die Basis für jeglichen materiellen Reichtum schaffen.

Diese zirkelhafte Bewegung zum Ausgangspunkt verdeutlicht noch einmal, dass es sich bei Fortunatus noch nicht um einen ausdifferenzierten modernen literarischen Charakter im Sinne eines individual-psychologischen Verständnisses handelt, sondern vielmehr um eine Projektionsfläche für zeitgenössische Konzepte und mithin um einen Funktionsträger. Dabei zielen Funktion und Moral der Historia des Fortunatus und seiner Söhne weniger auf den Wert der Weisheit an sich ab. Sie dient innerhalb der Handlung letztlich als ein Mittel zur Generierung materieller Güter. Mithin erlebt die Weisheit hier eine Bedeutungsverschiebung hin zum strategischen, zweckgebundenen Denken und Handeln. In diesem Lichte besehen mag der Fortunatus heute vielleicht aktueller denn je sein.

Verfasst von: Bayerische Staatsbibliothek / Janine Katins-Riha M.A. & Dr. Peter Czoik

Sekundärliteratur:

Lee, Ki-Hyang (2002): Armut als neue Qualität der Helden im Fortunatus und im Goldfaden (Würzburger Beiträge zur Deutschen Philologie, 23). Würzburg.

Spiewok, Wolfgang (1997): Fortunatus. Das Volksbuch von Fortunatus und seinen Söhnen aus dem Jahr 1509. Greifswald.

Wambach, Annemarie (1994): „Fortunati Wunschhütlein und Glückssäckel“ in neuem Gewand: Adelbert von Chamissos Peter Schlemihl. In: The German Quarterly 67, H. 2, S. 173-184.

Externe Links:

Sammlungsbeschreibung in bavarikon

Fortunatus

Verwandte Inhalte
Städteporträts
Städteporträts