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08.11.2016, 14:23 Uhr
Luise Maier
AutorInnen-Blog

Die jungen Autorinnen Luise Maier und Lara Hampe bloggen einen Briefroman (23)

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© annilove / flickr / CC BY SA 2.0

Zwei vielversprechende Nachwuchsautorinnen schreiben sich Briefe – über ihr literarisches Schaffen und ihre Lektüren, über Einflüsse, Zweifel und Euphorie. Kann man die Schriftstellerei überhaupt lernen? Und worüber schreiben, wenn man doch noch nicht seinen eigenen Platz in der Welt gefunden hat? Wie früh soll man sich in die Öffentlichkeit wagen? Luise Maier und Lara Hampe, die an den Literaturinstituten in Biel und Leipzig studierten bzw. studieren, bloggen einen modernen Briefroman, der uns direkt und ungeschliffen mitverfolgen lässt, wie zwei junge Menschen zu Schriftstellerinnen reifen. Immer am 1. und am 15. eines Monats schreiben sie einander. Heute antwortet wieder Luise Maier auf den letzten Brief. Sie ist 1991 in Oberösterreich geboren, aufgewachsen in Niederbayern und lebt heute in Biel. Ihren ersten Roman hat sie eben abgeschlossen, er erscheint im Frühjahr 2017 im Wallstein Verlag. Im Juni 2015 war sie Stipendiatin des Literaturkurses in Klagenfurt. Dort lernte sie auch Lara Hampe kennen. Je näher die beiden sich und ihrem Schreiben kommen, umso mehr zerfließen die Grenzen zwischen Reflexion und Fiktion – und zwischen den Autorinnen des Briefromans.

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1.11.2016

Helvetica

Wir saßen im Garten zusammen, die Familie aus dem Erdgeschoss hatte Trauben, Käse und Honigtee aufgetischt, die Mieterin aus dem ersten Stock brachte frisches Brot und dunkle Schokolade mit. Wir brachten nichts mit, aber wir aßen am meisten. Meine Mitbewohnerin aß so viele Trauben, dass sie danach Bauchweh bekam und sich für den restlichen Abend ins Bett legen musste. 

Die Sonne blendete mich. Alexander, der Familienvater aus dem Erdgeschoss, sagte: Sonne ist gut für dein Immunsystem. Er lag im Sommer oft in der Unterhose auf dem Liegestuhl. Zwanzig Minuten pro Tag lag er da, wenn die Sonne drei Tage lang nicht geschienen hatte, lag er drei mal zwanzig Minuten da. Ich hatte ihn vom Balkon aus beobachtet, wie er seine Armbanduhr stellte und dann neben sich ins Gras legte. Dann lag er die zwanzig oder vierzig oder sechzig Minuten regungslos da und ließ sich von der Sonne sein Immunsystem stärken, bis sein Wecker piepste und er zurück ins Haus ging.

Wir hatten die Haussitzung einberufen, weil wir in das Mansardenzimmer über uns Rahmed aufnehmen wollten. Rahmed ist Afghane, meine Mitbewohnerin gibt ihm Tamburin- und ich Deutschunterricht. Er kocht dafür afghanische Eintöpfe für uns, von denen er uns die Zutaten erst verrät, wenn wir die Teller leer gegessen haben. Wenn wir dann die Gesichter verziehen, weil die Wörter „Kalbsfuß“ und „Rindsleber“ fallen, lacht er laut und sagt: Beschwert euch nicht, es hat euch doch geschmeckt! Er wartet seit vier Jahren auf die Aufenthaltsbewilligung des Bundesmigrationsamtes. Aber das Bundesmigrationsamt hatte bisher keine Zeit, sich um seine Dokumente zu kümmern. Er würde gerne eine Ausbildung zum Sozialarbeiter machen, darf aber nicht einmal Freiwilligenarbeit leisten. 

Zur gleichen Zeit, zu der Rahmed einziehen sollte, begann Alexander einen neuen Job als Brotausfahrer. Eigentlich hatte er Metallbauer gelernt, die Lehre aber nach einem halben Jahr abgebrochen und sich – so ist es auf seiner Homepage nachzulesen – auf den spirituellen Weg begeben. Nach einigen Selbstfindungs- und erfahrungskursen machte er eine Ausbildung zum Schamanen. Da sich mit dem Beruf des Schamanen aber keine vierköpfige Familie ernähren ließ, ging er schließlich auf Druck seiner Frau zum Arbeitsamt und bekam den Job als Brotausfahrer.

Er arbeitet nun von vier bis acht Uhr morgens und da sich damit sein Tagesrhythmus von dem seiner Familie unterscheidet, rief er zuerst seinen Astrologen an, um ihn über seine neuen Lebensumstände in Kenntnis zu setzen. Dieser sagte ihm, er bräuchte ganz dringend einen Rückzugsraum. Alexander dankte ihm und rief gleich darauf die Vermieterin an und sagte, er würde gerne zusätzlich die Mansarde mieten. Die Vermieterin stimmte zu, Alexander zog am nächsten Tag ein und wir verlangten am übernächsten Tag nach einer Haussitzung.

Nachdem wir über das Immunsystem aufgeklärt worden waren, sprachen wir darüber, wie gut es uns in diesem Haus gefalle. Das dauerte eine Stunde. Eigentlich war es Sunny, die Frau von Alexander, die sprach. Sie betonte ihre Dankbarkeit für dieses Fleckchen Erde und blickte dabei jedem, der am Tisch saß, tief in die Augen. Sie hieß eigentlich Sonja, stellte sich aber selbst immer mit „Ich bin die Sunny mit u“ vor. Kurz, nachdem ich eingezogen war, fing es an, in der Küche zu schimmeln. Alexander, in seiner Funktion als Hausmeister, kam, um sich den Schimmel anzuschauen. Sie kam mit ihm, stand im Türrahmen, beobachtete ihn, wie er unserer Wände inspizierte und meinte dann: Vielleicht müsst ihr euren Küchentisch verschieben, dann wird die Energie in der Küche besser. Damals hatte sie auch diesen Blick drauf. Sie sah immer alle Dinge mit sehr tiefem Blick an. Sie war gelernte Klangmasseurin, hatte aber nach der Geburt ihrer zwei Kinder die Praxis untervermietet. Auf ihrer Homepage ist zu lesen:

Ich sehe in jedem Menschen ein einzigartiges, spirituelles Wesen. Mithilfe meiner Klangmassagen wird dieses Wesen angeregt und in Schwingung versetzt. Bei meiner Arbeit mit Menschen geht es mir darum, das Ganzheitliche herauszuspüren: Ich, Du, der Raum, die Welt. Schwinge und erklinge.

Die Kinder von Sunny und Alexander sind Mädchen, drei und fünf Jahre alt. Pausbäckige Gören, die das Haus mit ihrem Gesang und Gekreisch erfüllen. Ihre Mutter und ihr Vater lobten ihre kräftigen Stimmen und meinten: Ihr werdet bestimmt einmal große Opernsängerinnen. Manchmal würde ich es am liebsten so machen wie Peggy Guggenheims Schwester es mit ihren zwei Kindern gemacht hat: die zwei Kleinen einfach vom Dach des höchsten Hochhauses der Stadt werfen.

Nachdem wir auch das mit dem Wohlfühlen im Haus geklärt hatten, ging es um das Mansardenzimmer. Auch hier ergriff Sunny wieder das Wort und erzählte ausführlich die Geschichte der Mansarde, die zuerst ein alter Speicher war, dann von unseren Vormietern für viel Geld ausgebaut wurde und seitdem leer stand und als Gästezimmer diente. Die Vermieterin hatte ihnen schon immer gesagt, hob Sunny hervor, dass es für sie natürlich lukrativ wäre, das Zimmer ganz vermieten zu können. Sie wäre begeistert gewesen von Alexanders Vorschlag, es als seinen Rückzugsraum zu nutzen.

Wir sagten, dass das Zimmer für Rahmed von existentiellerer Bedeutung wäre als für Alexander, Alexander sagte, auch für ihn sei das Zimmer von existentieller Bedeutung, denn nach der Arbeit müsse er sich erholen, aber das könne er nicht in seiner Wohnung tun, denn dort wäre ja die Familie, die – gegen seinen Rhythmus – schon wach wäre.

Wir sagten, dass wir die Idee, das Mansardenzimmer einem Flüchtling zu überlassen, der bei uns wohnen könne, schon lange kommuniziert hätten, Alexander sagte, er wisse ja nicht, ob es uns nicht zu eng werden würde, zu dritt oben in der Wohnung und überhaupt: Er wisse nicht, wie sich das auf die Hausgemeinschaft auswirken würde, wenn ein Flüchtling bei uns einzöge.

Wir sagten, dass das nicht sein Problem wäre, er sagte, er würde nur für das Wohl aller hier am Tisch mitdenken.

Wir sagten, dass er nur an sein Wohl und das seiner Familie dachte, er sagte: Ich will jetzt nicht mehr diskutieren. Seine Frau schaute tief. Die Mieterin aus dem ersten Stock sagte nichts, außer: Solange jeder das Treppenhaus putzt, ist mir alles recht. Alexander lehnte sich in seinem Stuhl zurück, ich stand auf und ging, meine Mitbewohnerin folgte mir.

Rahmed wohnt nun immer noch mit zwei anderen Flüchtlingen in einem Zimmer, das so groß ist, dass zwei Betten und ein Schreibtisch Platz haben. Die dritte Matratze, auf der Rahmed schläft, schiebt er tagsüber unter eines der anderen Betten, damit sie, wenn sie zu dritt am Boden essen, seine Decke nicht vollkleckern.

 

Den bisherigen Briefwechsel lesen Sie hier:

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