Literarische Schätze der Bayerischen Staatsbibliothek (2): Der Ehrenbrief
Im Wochenrhythmus stellt die Redaktion des Literaturportals Bayern literarische Schätze aus dem Archiv der Bayerischen Staatsbibliothek vor: ausgewählte Höhepunkte, die in ihrer Entstehung, Überlieferung und Wirkung einen Bezug zu Bayern haben und in die Literaturgeschichte eingegangen sind. Spannweite und Vielfalt dieser Literatur aus zwölf Jahrhunderten lassen sich aus digitalisierten Handschriften, Drucken, Manuskripten und Briefen exemplarisch ablesen, die in bavarikon versammelt sind. Wir präsentieren daraus eine Auswahl.
Literarische Huldigungen
Der Verfasser des Ehrenbriefs, Jakob Püterich von Reichertshausen (um 1400-1469), entstammte einer Münchner Patrizierfamilie, die in Reichertshausen ansässig war und im Jahre 1347 in den Adelsstand erhoben wurde. Jakob Püterich war in unterschiedlichen Funktionen für die aus dem Hause Wittelsbach stammenden Herzöge von Bayern-München tätig, so auch als vertrauter Rat für Herzog Albrecht III., dessen tragische Liaison mit der Augsburger Baderstochter Agnes Bernauer Friedrich Hebbel in seinem gleichnamigen, 1851 entstandenen Trauerspiel verarbeiten sollte. Als Bibliophiler besaß Püterich darüber hinaus eine umfangreiche Bibliothek mit 164 Bänden.
Der Ehrenbrief stellt das einzige von Püterich überlieferte Werk dar. Es handelt sich um einen in Gedichtform gehaltenen Brief von 1462, der die Pfalzgräfin Mechthild, seit 1452 Herzogin von Österreich, adressiert. Als Mäzenin der Wissenschaft und Literaturliebhaberin richtete sie nach dem Tod ihres zweiten Ehemanns, Erzherzog Albrechts VI. von Österreich, auf ihrem Witwensitz in Rottenburg am Neckar einen Musenhof ein und pflegte zahlreiche Kontakte zu Dichtern und Künstlern im Südwesten Deutschlands.
Abbildung Mechthilds auf einem Glasfenster der Stiftskirche in Tübingen, wo sich ihre Grabstätte befindet
In seinem Brief huldigt Püterich zunächst der Adressatin. An diese Eröffnung schließen sich ein Verzeichnis des bayerischen turnierfähigen Adels und Mitteilungen über die Bibliothek des Verfassers an, der gleichfalls auf die Bibliothek Mechthilds Bezug nimmt.
Kanon und die alten puecher
Der Brief weist sowohl auf formaler als auch inhaltlicher Ebene Besonderheiten auf. Abgefasst wurde er in 148 sogenannten Titurel-Strophen, die sich am Versmaß des Titurel-Fragments Wolframs von Eschenbach orientieren. Diese formale Anknüpfung verweist nicht nur auf Püterichs prominenten Gewährsmann, sondern gibt gleichsam Auskunft über sein Literaturverständnis, das sich an der literarischen Produktion der Blütezeit höfischer Dichtung ausrichtet.
Der literaturgeschichtliche Wert des Ehrenbriefs gründet auf Püterichs Beschreibung seiner umfassenden Handschriften-Bibliothek. Was sich bereits formal angekündigt hat, wird nun auch sprachlich verhandelt: Der Ehrenbrief enthält – erstmals in der deutschen Literaturgeschichte – theoretische Überlegungen zu Qualität und Echtheit deutscher Dichtung. In der von Püterich aufgestellten Rangliste wird bereits der in der modernen Literaturgeschichte fest etablierte Kanon mittelalterlicher höfischer Dichtung sichtbar, angefangen mit dem (Jüngeren) Titurel, dem Püterichs größte Wertschätzung gilt und den er fälschlicherweise ebenfalls Wolfram zuschreibt, über den Parzival und Willehalm bis zum Tristan Gottfrieds von Straßburg.
Str. 100 hebt den Titurel als „haubt ab teuschen puchen“ (‚das beste unter den deutschsprachigen Werken‘, 100,1) hervor
Provenienz und Überlieferung
Überliefert wird der Ehrenbrief in dem heute in der Bayerischen Staatsbibliothek befindlichen Sammelband Cgm 9220, der seit 1783 unter der Signatur Cod. 219 im niederösterreichischen Augustiner-Chorherrenstift Herzogenburg aufbewahrt wurde.
Historische Ansicht des Stifts Herzogenburg um 1780
Innerhalb des Bandes, der sich dem Gegenstand des ritterlichen Turniers widmet, eröffnet der Ehrenbrief die handschriftliche Sektion. Ihm vorangestellt ist ein Porträt Jakob Püterichs, das diesen in der Tracht eines Patriziers abbildet.
Als der Codex 1964 in den Handel gelangte, sollte bis zur Überführung an seinen endgültigen Destinationsort in der Bayerischen Staatsbibliothek zunächst eine Reihe von Interimsstandorten auf den Plan treten, die den Sammelband verwahrten. In chronologischer Folge waren dies die Sammlung Ludwig in Köln, das J. Paul Getty-Museum in Malibu und dessen Niederlassung in Los Angeles sowie das Antiquariat Dr. Jörn Günther in Hamburg. 1997 gelang es der Bayerischen Staatsbibliothek mit finanzieller Unterstützung der Kulturstiftung der Länder sowie der Bayerischen Landesstiftung diesen Sammelband über das Antiquariat Günther zu erwerben und nach München zu überführen.
Bis zum Jahr 2015 galt der Sammelband Cgm 9220 als einzig bekannter Überlieferungsträger des Ehrenbriefs. Durch den Forschungsbeitrag des Mediävisten und Archivars Klaus Graf wurde im Februar 2015 bekannt, dass die im Niederösterreichischen Landesarchiv St. Pölten verwahrte Trenbach-Chronik eine zweite Überlieferung des Ehrenbriefs enthält. Graf zufolge dokumentiert die auf 1590 datierte Handschrift mutmaßlich eine Vorlage des in Cgm 9220 überlieferten Textes.
Sekundärliteratur:
Gaier, Ulrich (2003): Musenhof Rottenburg: Erzherzogin Mechthild – eine emanzipierte Frau im 15. Jahrhundert. In: Gaier, Ulrich; Küble, Monika; Schürle, Wolfgang: Schwabenspiegel. Literatur vom Neckar bis zum Bodensee 1000-1800. Zur Wanderausstellung in Blaubeuren u.a. Ulm/Donau, S. 105-116.
Graf, Klaus (2015): Fiktion und Geschichte: Die angebliche Chronik Wenzel Grubers, Greisenklage, Johann Hollands Turnierreime und eine Zweitüberlieferung von Jakob Püterichs Ehrenbrief in der Trenbach-Chronik (1590). In: Frühneuzeit-Blog der RWTH vom 10. Februar 2015. URL: http://frueheneuzeit.hypotheses.org/1847, (03.11.2016).
Grubmüller, Klaus (21989): Püterich, Jakob, von Reichertshausen. In: Die deutsche Literatur des Mittelalters. Verfasserlexikon. Bd. 7, Sp. 918-923.
Montag, Ulrich et al. (2003): Deutsche Literatur des Mittelalters. Handschriften aus dem Bestand der Bayerischen Staatsbibliothek München mit Heinrich Wittenwilers Ring als kostbarer Neuerwerbung. Bayerische Staatsbibliothek Schatzkammer 2003. Ausstellung 28. Mai – 24. August 2003 (Kulturstiftung der Länder, Patrimonia 249). München, S. 94f.
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Im Wochenrhythmus stellt die Redaktion des Literaturportals Bayern literarische Schätze aus dem Archiv der Bayerischen Staatsbibliothek vor: ausgewählte Höhepunkte, die in ihrer Entstehung, Überlieferung und Wirkung einen Bezug zu Bayern haben und in die Literaturgeschichte eingegangen sind. Spannweite und Vielfalt dieser Literatur aus zwölf Jahrhunderten lassen sich aus digitalisierten Handschriften, Drucken, Manuskripten und Briefen exemplarisch ablesen, die in bavarikon versammelt sind. Wir präsentieren daraus eine Auswahl.
Literarische Huldigungen
Der Verfasser des Ehrenbriefs, Jakob Püterich von Reichertshausen (um 1400-1469), entstammte einer Münchner Patrizierfamilie, die in Reichertshausen ansässig war und im Jahre 1347 in den Adelsstand erhoben wurde. Jakob Püterich war in unterschiedlichen Funktionen für die aus dem Hause Wittelsbach stammenden Herzöge von Bayern-München tätig, so auch als vertrauter Rat für Herzog Albrecht III., dessen tragische Liaison mit der Augsburger Baderstochter Agnes Bernauer Friedrich Hebbel in seinem gleichnamigen, 1851 entstandenen Trauerspiel verarbeiten sollte. Als Bibliophiler besaß Püterich darüber hinaus eine umfangreiche Bibliothek mit 164 Bänden.
Der Ehrenbrief stellt das einzige von Püterich überlieferte Werk dar. Es handelt sich um einen in Gedichtform gehaltenen Brief von 1462, der die Pfalzgräfin Mechthild, seit 1452 Herzogin von Österreich, adressiert. Als Mäzenin der Wissenschaft und Literaturliebhaberin richtete sie nach dem Tod ihres zweiten Ehemanns, Erzherzog Albrechts VI. von Österreich, auf ihrem Witwensitz in Rottenburg am Neckar einen Musenhof ein und pflegte zahlreiche Kontakte zu Dichtern und Künstlern im Südwesten Deutschlands.
Abbildung Mechthilds auf einem Glasfenster der Stiftskirche in Tübingen, wo sich ihre Grabstätte befindet
In seinem Brief huldigt Püterich zunächst der Adressatin. An diese Eröffnung schließen sich ein Verzeichnis des bayerischen turnierfähigen Adels und Mitteilungen über die Bibliothek des Verfassers an, der gleichfalls auf die Bibliothek Mechthilds Bezug nimmt.
Kanon und die alten puecher
Der Brief weist sowohl auf formaler als auch inhaltlicher Ebene Besonderheiten auf. Abgefasst wurde er in 148 sogenannten Titurel-Strophen, die sich am Versmaß des Titurel-Fragments Wolframs von Eschenbach orientieren. Diese formale Anknüpfung verweist nicht nur auf Püterichs prominenten Gewährsmann, sondern gibt gleichsam Auskunft über sein Literaturverständnis, das sich an der literarischen Produktion der Blütezeit höfischer Dichtung ausrichtet.
Der literaturgeschichtliche Wert des Ehrenbriefs gründet auf Püterichs Beschreibung seiner umfassenden Handschriften-Bibliothek. Was sich bereits formal angekündigt hat, wird nun auch sprachlich verhandelt: Der Ehrenbrief enthält – erstmals in der deutschen Literaturgeschichte – theoretische Überlegungen zu Qualität und Echtheit deutscher Dichtung. In der von Püterich aufgestellten Rangliste wird bereits der in der modernen Literaturgeschichte fest etablierte Kanon mittelalterlicher höfischer Dichtung sichtbar, angefangen mit dem (Jüngeren) Titurel, dem Püterichs größte Wertschätzung gilt und den er fälschlicherweise ebenfalls Wolfram zuschreibt, über den Parzival und Willehalm bis zum Tristan Gottfrieds von Straßburg.
Str. 100 hebt den Titurel als „haubt ab teuschen puchen“ (‚das beste unter den deutschsprachigen Werken‘, 100,1) hervor
Provenienz und Überlieferung
Überliefert wird der Ehrenbrief in dem heute in der Bayerischen Staatsbibliothek befindlichen Sammelband Cgm 9220, der seit 1783 unter der Signatur Cod. 219 im niederösterreichischen Augustiner-Chorherrenstift Herzogenburg aufbewahrt wurde.
Historische Ansicht des Stifts Herzogenburg um 1780
Innerhalb des Bandes, der sich dem Gegenstand des ritterlichen Turniers widmet, eröffnet der Ehrenbrief die handschriftliche Sektion. Ihm vorangestellt ist ein Porträt Jakob Püterichs, das diesen in der Tracht eines Patriziers abbildet.
Als der Codex 1964 in den Handel gelangte, sollte bis zur Überführung an seinen endgültigen Destinationsort in der Bayerischen Staatsbibliothek zunächst eine Reihe von Interimsstandorten auf den Plan treten, die den Sammelband verwahrten. In chronologischer Folge waren dies die Sammlung Ludwig in Köln, das J. Paul Getty-Museum in Malibu und dessen Niederlassung in Los Angeles sowie das Antiquariat Dr. Jörn Günther in Hamburg. 1997 gelang es der Bayerischen Staatsbibliothek mit finanzieller Unterstützung der Kulturstiftung der Länder sowie der Bayerischen Landesstiftung diesen Sammelband über das Antiquariat Günther zu erwerben und nach München zu überführen.
Bis zum Jahr 2015 galt der Sammelband Cgm 9220 als einzig bekannter Überlieferungsträger des Ehrenbriefs. Durch den Forschungsbeitrag des Mediävisten und Archivars Klaus Graf wurde im Februar 2015 bekannt, dass die im Niederösterreichischen Landesarchiv St. Pölten verwahrte Trenbach-Chronik eine zweite Überlieferung des Ehrenbriefs enthält. Graf zufolge dokumentiert die auf 1590 datierte Handschrift mutmaßlich eine Vorlage des in Cgm 9220 überlieferten Textes.
Gaier, Ulrich (2003): Musenhof Rottenburg: Erzherzogin Mechthild – eine emanzipierte Frau im 15. Jahrhundert. In: Gaier, Ulrich; Küble, Monika; Schürle, Wolfgang: Schwabenspiegel. Literatur vom Neckar bis zum Bodensee 1000-1800. Zur Wanderausstellung in Blaubeuren u.a. Ulm/Donau, S. 105-116.
Graf, Klaus (2015): Fiktion und Geschichte: Die angebliche Chronik Wenzel Grubers, Greisenklage, Johann Hollands Turnierreime und eine Zweitüberlieferung von Jakob Püterichs Ehrenbrief in der Trenbach-Chronik (1590). In: Frühneuzeit-Blog der RWTH vom 10. Februar 2015. URL: http://frueheneuzeit.hypotheses.org/1847, (03.11.2016).
Grubmüller, Klaus (21989): Püterich, Jakob, von Reichertshausen. In: Die deutsche Literatur des Mittelalters. Verfasserlexikon. Bd. 7, Sp. 918-923.
Montag, Ulrich et al. (2003): Deutsche Literatur des Mittelalters. Handschriften aus dem Bestand der Bayerischen Staatsbibliothek München mit Heinrich Wittenwilers Ring als kostbarer Neuerwerbung. Bayerische Staatsbibliothek Schatzkammer 2003. Ausstellung 28. Mai – 24. August 2003 (Kulturstiftung der Länder, Patrimonia 249). München, S. 94f.