Lesereihe "Meet your neighbours" mit Amahl Khouri, Lena Gorelik und Sandra Hoffmann

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(c) Linda Benedikt

Auf Betreiben einer Reihe von Münchner AutorInnen, JournalistInnen und LektorInnen (u.a. Lena Gorelik, Marion Hertle, Björn Bicker, Sandra Hoffmann, Katja Huber, Fridolin Schley, Kathrin Reikowski und Silke Kleemann) wird seit April einmal im Monat eine Münchner Buchhandlung zum Begegnungsort von Alt- und Neu-Münchnern. Die Beteiligten stellen Menschen vor, die auf der Flucht nach München gekommen sind. Dazu treffen sie sich in ihren Lieblingsbuchhandlungen und laden alle interessierten Münchnerinnen und Münchner mit und ohne Fluchterfahrung ein. Die Reihe ist unter dem Dach des Aktionsbündnisses Wir machen das entstanden, mit dem auch das Literaturportal Bayern kooperiert. Zuletzt stellten Lena Gorelik und Sandra Hoffmann in der Buchhandlung KUNST- UND TEXTWERK die Dramatikerin Amahl Khouri vor. Kathrin Reikowski berichtet.

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Amahl Khouri sitzt auf dem Boden, hat ihre Fingerspitzen aneinandergelegt und lauscht hoch konzentriert. Sie verfolgt die Uraufführung der deutschen Fassung ihres Theaterstücks „She He Me“. Um sie herum etwa 25 Zuhörer auf den Holzstühlen der Buchhandlung Kunst- und Textwerk im Westend. Sie sehen Szenen aus einem Theaterstück, das auf Englisch schon in Abu Dhabi, New York und Augsburg gezeigt wurde und im Dezember Premiere in den Münchner Kammerspielen haben wird – in der Atmosphäre eines Wohnzimmers.

Vor dem Sofa die kleine Bühne: Hier werfen sich Amahl Khouris syrische Freundin Yara Seifan, die Münchner Autorinnen Sandra Hoffmann und Linda Benedikt Fragen und Drohungen um die Ohren. Sie lesen die Geschichte der Transgender-Aktivistin Randa aus Algerien, die Amahl Khouri über Jahre begleitet und interviewt hat. Das Stück erzählt aus dem Leben dreier Akteure aus der LGBT-Bewegung des mittleren und nahen Ostens, wobei jeweils eine Figur im Vordergrund steht und die anderen beiden Darsteller sie in unterschiedlichen Rollen dabei unterstützen, ihre Geschichte zu erzählen. Die Szenen beginnen mit der aufdringlichen Neugier, die einer Transgender-Frau in der westlichen Welt entgegenschlägt, und nehmen uns mit zurück in eine Zeit, als aus dem algerischen Mann mit Frau und Kind eine Transgenderaktivistin wurde, die schließlich von der eigenen Familie aus Angst vor Repressalien, aus Scham und Hass aus dem Land vertrieben wird.

„Wir haben die Geschichten, aber keine Theaterstücke“, war Amahl Khouris Schlüsselerkenntnis, die sie dazu brachte, Dokumentartheater zu machen und die Erlebnisse anderer LGBT-Akteure aus ihrem Netzwerk auf die Bühne zu bringen. Sie ist erst seit vier Monaten in München, ist bereits in der Theaterszene vernetzt und steckt mitten in der Inszenierung ihres Stücks für die Kammerspiele. Nach der Lesung nimmt sie auf dem Sofa Platz und beantwortet im Gespräch mit Lena Gorelik und dem Publikum jede einzelne Frage mit großer Präsenz. Sie wirkt authentisch, engagiert und nimmt alle Anwesenden mit ihrer Persönlichkeit ein. Dank ihrer deutschen Mutter hat sie einen deutschen Pass und ist so der aufenthaltsrechtlichen Definition nach kein Flüchtling. „Ich habe aber Zuflucht gesucht“, so Amahl Khouri. Sie hat den Libanon verlassen, weil sie Ihre Stücke nicht der Zensur aussetzen wollte und ihr nicht nur alle Möglichkeiten, sich künstlerisch weiterzuentwickeln, verwehrt wurden, sondern es schier unmöglich war, ihre Themen auf die Bühne zu bringen. In Deutschland will sie die Sprache ihrer Mutter und alles über die für sie unglaublich vielfältige Theaterarbeit lernen und selbst noch möglichst viel beitragen.

„Das war ein Ausflug in eine andere Welt“, ist das Fazit einer Besucherin. Dass diese Welt für uns fremd ist, nicht nur weil sie im mittleren Osten stattfindet, wurde auch Lena Gorelik bei der Übersetzung des Stückes deutlich. Für viele Wörter des ursprünglich englischsprachigen Stücks fehlen im Deutschen wie im Arabischen schlichtweg die Äquivalente. Hier wie da müssen sich Homosexuelle und Transgender noch verorten. Und vielleicht ist auch das Thema der Grund, dass im Vergleich zu vorherigen Veranstaltungen nur etwa die Hälfte an Zuhörern den Weg in die Buchhandlung fand.

Die, die da sind, bleiben nach dem offiziellen Teil. Sie sprechen mit Amahl Khouri und ihrer syrischen Freundin und untereinander: über eigene Vorurteile, Wissenslücken und Grenzen ihrer Toleranz. Und so geht das Prinzip, Nachbarn zu treffen und mit der Veranstaltung über den Abend hinaus zu wirken, auf. Was bleibt ist, Amahl Khouri viel Erfolg für ihren künstlerischen Weg zu wünschen und gespannt auf die Kammerspielinszenierung im Dezember zu warten.

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