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16.06.2016, 12:19 Uhr
Lara Hampe
AutorInnen-Blog

Die jungen Autorinnen Luise Maier und Lara Hampe bloggen einen Briefroman (16)

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© annilove / flickr / CC BY SA 2.0

Zwei vielversprechende Nachwuchsautorinnen schreiben sich Briefe über ihr literarisches Schaffen und ihre Lektüren, über Einflüsse, Zweifel und Euphorie. Kann man die Schriftstellerei überhaupt lernen? Und worüber schreiben, wenn man doch noch nicht seinen eigenen Platz in der Welt gefunden hat? Wie früh soll man sich in die Öffentlichkeit wagen? Luise Maier und Lara Hampe, die an den Literaturinstituten in Biel und Leipzig studierten bzw. studieren, bloggen einen modernen Briefroman, der uns direkt und ungeschliffen mitverfolgen lässt, wie zwei junge Menschen zu Schriftstellerinnen reifen. Immer am 1. und am 15. eines Monats schreiben sie einander. Heute antwortet Lara Hampe auf den letzten Brief von Luise Maier. Sie ist 1994 geboren, in München und Paris aufgewachsen und hat bereits mehrere literarische Texte publiziert. 2014 las sie beim Open Mike, 2015 war sie Teilnehmerin des Klagenfurter Literaturkurses. Dort lernte sie auch Luise Maier kennen. Je näher die beiden sich und ihrem Schreiben kommen, umso mehr zerfließen die Grenzen zwischen Reflexion und Fiktion und zwischen den Autorinnen des Briefromans.

*

15.6.2016

luise,
aus aktuellem anlass kann ich leider niemand anderen sprechen lassen außer das material girl, denn sie hat eine liebeserklärung vorbereitet und das scheint mir wichtiger als alles andere. es stehen nun verschiedene möglichkeiten zur verfügung: sie kann in colorado in einer holzverkleideten kneipe sprechen (material girl müsste dann, nachdem eine zweitklassige herrenband gespielt hat, plötzlich auf die bühne treten und –), beim lesen eines schundromans in der umkleide am wörthersee, in einer sprecherkabine in sachsens heimlicher hauptstadt, auf der toilette eines linienbusses (zum beispiel zwischen çanakkale und fetiye, türkei) oder an jedem anderen ort auf der erde, der zum weinen gedacht ist
und bitte

MATERIAL GIRL: vielen dank für die einleitenden worte ich würde also sofort beginnen ich will keine zeit verlieren die wir nicht mehr haben es ist zeit nicht nur für mich und für ihn den ich künftig mit du ansprechen werde wundern sie sich also nicht  –
nur kurz zum verständnis: es ist unabdingbar, dass die worte vom erzählenden ins handelnde übergehen; ein sogenanntes happening – also:
ich will dich dort hin gehen, wären wir im französischen, würde ich das sagen
ich will, dass du etwas machst, was ich noch nie getan habe,
also zum beispiel
zum bahnhof gehen und den nächsten zug nehmen, ich will, dass du mir davon berichtest, in live, wie du fünf, sechs stunden (denn das entscheiden alle, außer dir) im zug sitzt und dich absichtlich ins kleinabteil zu einer jungen frau mit schlankem hals setzt, mir davon berichtest, wie genau sie ihr buch aufschlägt oder auf ihr handy tippt oder ob ihr blick gut war oder schlimm, ich verlange allein präzision, genauigkeit, du musst nur genau hinsehen, still sitzen und gucken,
um nicht zu sagen glotzen, aber mit allen sinnen,
dann darfst du alles tun, alles,
auch enttäuscht sein wenn eine andere frau zwei bier und ein twix an dir vorbei trägt
wenn du nur rechtzeitig aussteigst,
wenn du nur dein gepäck am bahnhof einsperrst,
wenn du nur einen kleinen koffer mitgenommen hast für nicht viel platz darin, den platz sollst du tragen woanders hin
wenn du nur keine zeit verlierst
ich will keine zeit verlieren,
wir dürfen keine zeit verlieren
zwar weiß ich nicht, warum,
ich weiß nur, es ist wichtig
der zug ist nicht wichtig
vergiss den wieder
also
ich muss beginnen
material girl geht kurz in den backstage bereich der kneipe in colorado, man denkt schon, sie kommt nicht wieder, aber dann: tritt sie hervor mit einer großen weißen rolle im arm
na? naa? wer weiß, was das ist? naa?
naaaaa wer errät es?
sie beginnt, sich dick mit vaseline einzuschmieren
wir machen’s kurz: das ist natürlich gips.
preisfrage: was werde ich damit nun machen?
gel, das haben wir nicht mehr gesehen seit der zweiten klasse als wir im werkunterricht unsere kleinen finger eingipsen mussten
ich werde
sie wickelt die rolle im ganzen raum aus, das ist etwas umständlich, viel platz hat sie in der umkleidekabine am wörthersee ja nicht und die rolle ist groß
ich werde mich nun damit einrollen
das haben wir fast nicht ausgehalten damals gel
die finger nicht zu bewegen
das halten wir bis heute nicht aus gel
dasitzen und sich nicht rühren
oder jemanden sehen, der sich nicht rührt
dass die motorik so komplett ausgeschaltet wird
das halten wir nicht aus gel
weil es muss doch alles funktionieren!
dieses holzbrett muss mich halten, wenn ich mich drauf setze!
diese tür muss zu sein, wenn ich sie verschließe!
dieser bikini muss genau passen, es darf nichts hervorblitzen!
sie hat sich inzwischen bis auf den bikini ausgezogen
aber ich sage dir:
i wo!
aber nein, nein, nein!
das stimmt nicht! das ist nicht die wahrheit!
und wie zum beweis ist der bikini zu klein und sie schafft es nicht, ihre brustwarzen darunter zu verstecken
das würde dir gefallen, gel
dieses outfit, wir beide allein
dieses buch sie meint den schundroman mit sexszenen, wir beide allein
aber es sind ja so viele leute da
das geht doch nicht!
ja ja ja ja
sie beginnt, mit einer schere, die sie aus den tiefen der sprecherkabine zieht, streifen von der gipsrolle abzuschneiden
ich habe von dir die kausalität übernommen, die schnelle kausalität, wogegen ich mich wehre, wehren muss, ist ja klar, sprachlich, es kann ja nicht angehen, dass ich mich jahrelang wehre gegen dennalsodeshalbweil und sonstiges und dann einer wie du daherkommt und mir das alles wieder hinschiebt, über die tischfläche sozusagen und dass das dann auch noch bei mir ankommt, obwohl sich die kanten, wollte man in deiner logik sprechen, ja schon zeitweise wieder voneinander entfernt haben
ja da weiß ich jetzt gerade auch nicht weiter
hm
ja da kann ich jetzt einfach nichts mehr dazu sagen
ich muss jetzt kurz schweigen
aber das geht nicht
das geht nicht, sagst du?
das geht einfach nicht, sagst du?
man kann in einer sprecherkabine nicht schweigen, sagst du?
doch, guck, hörst du doch. hörst du doch, dass ich jetzt schweige.
und während sie weiter spricht, tunkt sie die gipsstreifen bereits unter den wasserhahn des linienbusses zwischen çanakkale und fetiye, türkei
ich will nicht, dass ich loskomme von der liebe, aber ich will, dass die liebe von mir loskommt, dass ich nicht so streifen muss die ganze zeit, während du einen solch klaren blick hast
das ist doch unfair, mann!
ich fragte auch mutter, wie genau ich meinen schritt eingipsen könne, sie sagte, mit taschentüchern, ich war schon am überlegen, ob ich nicht doch einfach alle haare abrasieren sollte, um einen genauen abdruck zu haben, wobei mir da natürlich, eine ecke weiter gedacht, einfiel, dass ich einmal bei einer party saß auf der durchreise, berlin, freunde von freunden, die in einer verwinkelten wohnung, da kannten wir uns schon, sprachen aber gerade nicht miteinander, ein langer februar, in dem ich oft aus der stadt hinausfuhr, und auf der durchreisenfeier dann eine anorektisch anmutende frau, die ihre schenkel im schneidersitz bis zum boden biegen konnte, und die mich dann plötzlich anlaberte und ziemlich klug, wie sie das tat, denn der eigentlich grund war, dass sie mir erzählen wollte, dass sie eines der modelle der einen künstlerin der einen ausstellung des einen kunstfestivals war - nämlich räume, in denen ausschließlich frauenunterkörper aus gips zu sehen waren, die zigaretten in ihren körperöffnungen stecken hatten –
entschuldige
es tut mir leid, wenn ich mich hier so verzettle
sie hat bereits beide beine eingegipst
ich kann das nicht so gut ausdrücken
wenn ich nicht zum punkt komme, wie das gerne gesehen wird
und wenn es auch keine liebeserklärung ist, wie du sie erwartet hast, vielleicht
ich bin nicht klar
ich nehme viel manchmal
und wenn ich zu viel nehme und merke, dass du das merkst, werde ich wütend
und dann verrenne ich mich
und ich verspreche viel
weil ich mag doch harmonie
die ich dann nicht einhalten kann
sie ist schnell im gipsen, nun ist der gesamte rumpf und brust schon in starre
die arme kann sie besonders schnell
ich bin doch ein hase!
und du darfst dir jedes tier aussuchen, das du willst
und ich habe noch nie dir deine füße gewaschen
neben dir in der bahn gesessen
dich gesehen, wie du eine sms an mich tippst
das mag dir banal vorkommen, aber das ist es nicht!
ich spüre es
der gips wird starr
sie fällt um
schau mich an
da bist du ja
hallo
ich ahnte dich vorher
und falls du mich nicht
dann kannst du jetzt still sitzen
und mich ansehen
komm, mach es einfach nach

 

 

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