Elise Beck: Der Niederbayer in seinen Sprüchen und Redensarten III

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Erste Seite von Elise Becks preisgekröntem Gedicht "Alle Neune!" (c) Harald Beck

Die niederbayrische Dialektdichterin Elise Beck veröffentlichte 1902 in der Zeitschrift Das Bayerland einen dreiteiligen Beitrag mit dem Titel „Der Niederbayer in seinen Sprüchen und Redensarten“. Die Münchner Presse kommentierte die Abhandlung anlässlich einer Veranstaltung im Bayerischen Verein für Volkskunst und Volkskunde im April 1905:

„Die Dialektdichterin Frau Elise Beck hielt über das Thema ‚Der Niederbayer in seinen Sprüchen und Redensarten‘ einen Vortrag, der kulturgeschichtlich und psychologisch viel Anziehendes bot im Rahmen eines Charakterbildes der niederbayerischen Bevölkerung nach ihren Sprüchen und Redensarten. Wenn man bei diesem auch manchem begegnet, was Gemeingut der süddeutschen Stämme ist, so hob doch eine Reihe völlig ursprünglicher Redensarten die Besonderheit des niederbayerischen Schlages plastisch heraus, umso mehr als es die Rednerin verstand, nicht allein mit wahrem, echten Humor ihre Ausführungen zu würzen, sondern diese auch wirklich meisterhaft zu einem geschlossenen Bilde der Sitten, Lebensart und Gebräche der Niederbayern zusammenzufügen.“

Über hundert Jahre nach seiner Veröffentlichung ist Becks Aufsatz ein Dokument einer nahezu verschwundenen Kultur, deren Sprache und dörflicher Lebensraum hier wieder ans Licht kommen. Wir bringen ihn in den folgenden Wochen in drei Teilen. Anmerkungen finden sich am Schluss des Textes. Herrn Professor Dr. Ludwig Zehetner (Universität Regensburg) sei an dieser Stelle für seine Unterstützung gedankt.

 

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Der Niederbayer in seinen Sprüchen und Redensarten (Dritter Teil)

„Es ist Landsage,“ schreibt Jos. Schlicht, „über der Nord-, Süd- und Westgrenze, daß der Bua von Altheimland gerne und viel rauft. Nicht ganz unwahr, denn die Bojoarier, gehörten von urältester Zeit zu den Schlagfertigsten im Heerbanne des Herzogs, Königs und Kaisers. Mit Leib und Seele ist er dabei, wenn es, um gute Sitten gegen schlechte Unsitte zu verteidigen, sonst nichts braucht als die Faust.“ Freilich thut er auch mit, wenn es über den löblichen Endzweck hinausgeht, und es ist bekannt, daß ihm das Messer ziemlich locker in der Tasche sitzt. Wie leicht und schnell entsteht nur, z.B. auf der Kegelbahn, ein Streit mit nachfolgender Rauferei! Ich habe es in meinem Gedicht „Alle Neune“ [17] geschildert, und ich glaube, daß es manchen der sehr verehrten Leser bekannt sein dürfte.

Dann die Kirchweihen! Ich erinnere mich aus meiner Mädchenzeit daheim an keine Kirchweih ohne Rauferei. Ja selbst die Hochzeiten werden gar oft damit abgeschlossen. Und wenn sie einmal mitten drinnen sind, ist ihnen nichts heilig, da schlagen sie wie blind um sich. In einer Gerichtsverhandlung, erzählt der angegebene Autor, erwiderte ein Mitangeklagter auf die Frage des Richters, wie es bei der Rauferei eigentlich zuging: “Ja mei‘, wia halt d‘ Stecka so in d‘ Höh g’flog’n san, is halt da mei‘ aa mit, und af ramol hör i schreia: achata! achata! Und wia i hi’schau, is dös mei Muatta. Dös wird a niada ei’seg’n, daß i do nix dafür kinna ho‘.“

Die Kleidung eines Niederbayern von früher war unzerreißbar, denn sie trugen ein Flachshemd, Hose aus Bockshaut und Manchesterjoppe.

Ein alter Bauer erzählte einst mit Stolz: „Früaha ha ma beim Raffa ananda nix z’reiß’n kinna. G’rafft hama damals wohl aa, dös hot oba nur achtavierz’g Kreuza Protokollgeld für alle mitananda abg’setzt, nacha san ma wiada guat g’wen. Jiatzt wenn’s no a so raffa that’n wia mir, do wärn’s alz‘samm bloß, weil’s nix mehr o’hab’n als wia Papier und Papadeckl.“

Auch das Kartenspiel bringt manches Zerwürfnis hervor, doch lange nicht so viel wie das Kegelscheiben. Baim „Karteln“ sitzen auch mehr die etwas ruhigeren, meist schon Ehemänner, und obwohl sie auch oft wie die Kampfhähne aufeinander losfahren, so bedeutet dies nicht viel; man kann dabei beobachten, wie jedes neue spiel eine andere Stimmung hervorruft. Hat einer gute Karten, so sprudelt er mit jedem, das auf dem Tisch liegt, ein Sprichwort heraus, und ist es auch sinnlos, es wird doch von den Mitspielenden stets mit Lachen wie ein guter alter Bekannter begrüßt. Ist ein Tarockspieler im Zweifel, ob er ein Solo spielen soll oder eine Farbe, so sagt er: „Jeatzt brauchat i halt a g’scheite Bäuerin.“ Jede Farbe begleitet er mit einem ihm schon zur Gewohnheit gewordenen Spruch, z.B. wirft er Herz auf den Tisch, so ruft er: „A Herz hot a jeda Mensch“, bei Grün „Gros’n thean d‘ Has’n“, bei Eicheln „Oachas Holz macht d‘ Binda stolz“, und bei Schellen „Schelt’n thean d‘ Bauern“. Und wenn einer sticht: „G’stocha den Bock, warum geht er ins Kraut!“ so naiv das alles auch ist, es macht ihnen doch Spaß.

Der Verlierende ist natürlich eine Zeit lang ärgerlich, daß die andern jubeln: „Den hama wieda g’höri ei’g’soafert“.

Das sind so die harmlosen Spieler; es gibt aber sogenannte „rauhe“, d.h. solche, die sehr hoch spielen, bei denen gibt es auch kein Scherzwort, da geht es unheimlich ruhig zu und nur die Thaler hört man hin und herschieben, oftmals so „rauh“, bis ein ganzer Bauernhof auf dem Tisch liegt. Kann sich einer gar nicht vom Spiele losreißen, „dös is a dos Ding“, d.h. dem ist es angewünscht. [18]

Im Austrag fühlt sich nicht jeder Bauer gleich zu Anfang ganz wohl, und hat er auch noch so gut an seinen Buam übergeben. Er ist das Nichtsthun nicht gewöhnt, und auch das Anschaffen geht ihm ab, er meint, er sei jetzt „da Neamad“, weil er nicht mehr um alles gefragt wird. Hat er aber auch das überwunden, so fühlt er sich recht behaglich, das sorgenfreie Leben schlägt ihm sogar an und „er geht ausanada wia a z’riß‘na Zögera (eine aus Stroh geflochtene defekte Tasche [auch Zegerer]).

Fühlt sich ein Bauer nicht recht wohl, so nimmt er einen tüchtigen Schluck guten alten Weins, den er zu dem Zweck meist im Keller hat, und „der putzt oll’s z’samm“; so ein kleines Unwohlsein ist nur „an Übagang’l“, das stört ihn nicht weiter. Der Arzt wird erst gerufen, wenn das nicht hilft, der Wirt kein Mittel mehr hat und der Bader nichts mehr weiß; gewöhnlich, wenn es allerhöchste Zeit oder gar schon zu spät ist.

Wein trinkt er eigentlich wenig, aber wenn schon, dann läßt er auch kein Restchen übrig, „dös derf man net,“ sagt er, denn „Herren Gunst und Noagerl Wei‘ raucha üba Nacht aus“.

Ein Austrägler klagte einst, daß es ihm so schlecht gehe, und auf die Frage warum und weshalb, antwortete dieser: „As drucka ja dö ganz Junga scho‘ z’mentisch nachha!“ Natürlich meint er das scherzhaft und freut sich über das „Nachdrucka“ der Enkel.

Dagegen litt ein anderer ernstlich an Kopfschmerzen, und auf die Frage des ihn besuchenden Herrn Pfarrers nach seinem Zustande, sagt er: „Grod aso wia dös surrt, wenn ma zwanz’g grouße Brem‘ beim Schwoaf druckt, grod aso surrt’s in mei’m Kopf“. – Im Wirtshause gibt sich der Niederbayer wie zu Haus, da fühlt er sich wohl, denn das Bier liebt er über alles, ganz besonders das Alte, das trinkt er noch, sagt J. Schlicht, „und wenn d‘ Hundshoar d’rauf wachs’n“. „Afs Wasser“, sagte einmal ein Bauer, „müaßt i schelt’n, und wenn i im Himmel koa Bier kriagat, möcht‘ i gar net eini“. Worauf ein anderer: „I will net bloß in Himmel eini, i will aa am vödern Tisch sitz’n“.

Den gutgläubigen Niederbayern, sagt der obengenannte Autor, hört man nie schwer schelten und fluchen; der lauteste Kraftschelter von so einem heißt: „Himmi herei‘ und hint’n umi!“ Und wenn er etwas verschwört, so sagt er: „Dös thua i net, net um a schware Sau!“

Hat einer einen tüchtigen Haß auf seinen Nachbarn, „dem kunnt er gleich Krohäug’ln ei’geb’n“, d.h. er möchte ihn mit Krähenaugen (nux vomica) vergiften. Oder er schwört ihm ins Gesicht: „Dir geh i net amol mit da Leich“, und das ist ein kräftiges Wort. Jemandem die letzte Ehre verweigern, ist tief beleidigend.

Im 16. Jahrhundert hieß ein niederbayerischer Volksspruch: „Der is mir a Spieß in dö Aug’n, a Stoa af da Brust und a Dorn im Fuaß“; er ist im Laufe der Zeit bedeutend gekürzt worden und heißt heute nur noch: „Der is mir a Dorn im Aug’n“.

Gerät ein Bursch leicht in Jähzorn, so rät ein älterer: „Halt’s eahm an kolt’n Stoa ans Hirn, der is z’hitzi“. – Platzen aber zwei gleich Händelsüchtige in heftigem Wortgefecht aneinander und ein Uneingeweihter will sich schlichtend einmischen, so sagt man zu ihm: „Laß‘, oa Kroh‘ hackt da andern koa Aug’n aus“. – Daß im blinden Zorn viel Unrecht geschieht, weiß man, und folgender Spruch warnt davor: „Gebt’s acht, daß im Zorn enk d‘ Sunn‘ net untageht“.

Ein Bursch, der sich durch Zudringlichkeit und Anmaßung überall in den Vordergrund drängt, ohne etwas zu können, den schaut man scheel an, und geringschätzend sagt man von ihm: „der zwängt sö überall nei‘, wia a lausige Sau.“

Der Bauer holte eben seine Lebensphilosophie meist aus der naheliegenden Ökonomie und der Tierwelt, und da die Schweinezucht dort besonders gepflegt wird, so geben ihm diese Tierchen den dankbarsten Stoff zu Vergleichen.

Glaubt ein Junger, durch vieles Schwätzen einen alten Bauern von seiner Ansicht zu überzeugen oder zu seinem irgendwelchen Vorteil zu gewinnen, da irrt er sich. Der Alte hört ihm lange mit größter Ruhe zu, dann endlich sagt er ganz langsam: „I glaub vüi, dös mehra, oba oll’s net!“

Einem alten, als sehr bös bekannten Bauernweib weicht alles aus, und jedes sagt: „Liaba fall‘ i in a Mistgrab’n als in dera ihra Maul. Ein Bua sagte einst von solch eina: [19] „Bua, dö wenn o’fangt, wos dö für Heilig’n daherbringt! Do scheut ma‘, daß da Ganzanda daherkimmt; do g’lang i schlet in Weihbrunn eina und lauf davo‘“. – Wenn dö amol stirbt, muaß ma ihra Maul no extra totschlog’n, oba so oane stirbt net, denn dö hat a viereckige Seel und a runds Vataunsaloch [19], do konn‘ d‘ Seel net außi“. Dagegen wenn ein gutes, braves Weib stirbt, so „is schod für a jed’s Boandl dös dafault“:

Ein alter Volksspruch heißt: „An eisernes Kreuz, an alt’s Wei und a stoanana Grand (Trog) san drei ewige Werk“.

Ein sterbender Niederbayer hinterließ seinen Söhnen folgende Mahnung zur Vorsicht: „Buama mirkts Enk den Spruch [20]: „Wenn man von oam sagt, der hat recht vüi – der hot vüi; wenn man von oam sogt, der hot vüi – der hot eppas; wenn ma von oam sogt, der hot eppas – der hot nix.“

„Es is koa Strick so lang, ma findt‘ sei End“, und damit soll auch meine Abhandlung ihr Ende erreicht haben.

 

Ende

 

Anmerkungen:

[17] In: Elise Beck, Aus da Hoamat, Verlag W. Fiedler, Leipzig

[18] dos Ding: angethanes Ding (Josef Schlicht, Niederbayern, 1898, S. 270)

[19] Vater-unser-Loch = Mund

[20] Joseph Schlicht