Die jungen Autorinnen Luise Maier und Lara Hampe bloggen einen Briefroman (14)
Zwei vielversprechende Nachwuchsautorinnen schreiben sich Briefe – über ihr literarisches Schaffen und ihre Lektüren, über Einflüsse, Zweifel und Euphorie. Kann man die Schriftstellerei überhaupt lernen? Und worüber schreiben, wenn man doch noch nicht seinen eigenen Platz in der Welt gefunden hat? Wie früh soll man sich in die Öffentlichkeit wagen? Luise Maier und Lara Hampe, die an den Literaturinstituten in Biel und Leipzig studierten bzw. studieren, bloggen einen modernen Briefroman, der uns direkt und ungeschliffen mitverfolgen lässt, wie zwei junge Menschen zu Schriftstellerinnen reifen. Immer am 1. und am 15. eines Monats schreiben sie einander. Heute antwortet Lara Hampe auf den letzten Brief von Luise Maier. Sie ist 1994 geboren, in München und Paris aufgewachsen und hat bereits mehrere literarische Texte publiziert. 2014 las sie beim Open Mike, 2015 war sie Teilnehmerin des Klagenfurter Literaturkurses. Dort lernte sie auch Luise Maier kennen. Je näher die beiden sich und ihrem Schreiben kommen, umso mehr zerfließen die Grenzen zwischen Reflexion und Fiktion – und zwischen den Autorinnen des Briefromans.
*
17.5.2016
Du Liebe,
meine Antwort kommt zu spät.
Anbei ein Leserbeitrag, den ich aus Zeitgründen statt meines eigenen Briefes anfüge — (du weißt: die Arbeit. die Liebe. das Kino um die Ecke. vor dem Absatz. nach dem Absatz. geheizte Räume. zu viele Ratschläge. die Erlaubnis, derer es bedarf. vor allem aber: falsch zusammen gezählte Tage). Ich bekam ihn per Mail vor ein paar Tagen und bin nun recht erschüttert – was darauf antworten?
Liebe Lara,
ich schreibe dir wohl aus einem Zufall heraus. Vielleicht erinnerst du dich an mich. Sicher erinnerst du dich an mich, du erwähntest mich in deinem letzten Brief.
Wir haben uns zuletzt gesehen, das muss Jahre her sein. Jahre muss das her sein. Du sprichst von der 7. Klasse. Haben wir uns zuletzt in der 7. Klasse gesehen? Es scheint mir noch weiter weg zu liegen.
Aber du erinnerst dich doch: ich sei immer mit einem silbernen Mercedes abgeholt worden? Liebe Lara, da musst du mich verwechseln. Das war, glaube ich, der Stubentaler Franz. Kannst du dich an den erinnern? Er ist jetzt in Kitzbühel gelandet und betreibt dort ein Hotel. Ich war ihn da einmal besuchen, es ist schon erstaunlich: er ist so alt wie wir und hat bereits ein eigenes Hotel. Seine damalige Freundin (an die müsstest du dich eigentlich auch erinnern: die Krämer Lisa, jetzige Stubentaler) hat er geheiratet, sie haben auch ein Kind, es ist fast ein Jahr alt. Sie haben Fotos geschickt, ein kleines, properes Kind, dem es gut zu gehen scheint. Im Hintergrund der Speisesaal, sie haben ihn cremefarben eingerichtet, ein wenig ironisch im Nordseestil, mit Möwen auf den Anrichten und Sand in —
Lara, wenn man dich im Internet sucht, findet man viel über dich. Ich weiß jetzt, wo du studierst, was du als Arbeit bezeichnest, was als kulturelles Kapital. Ich war noch nie in Leipzig. Darf ich dich einmal besuchen kommen?
Ich erinnere mich noch an einen Brief, den du mir geschrieben hast, in der 6. Klasse. Ich habe ihn behalten. Du hast ein kleines Bild gemalt, zwei Figuren, die in einer Küche stehen. Sie haben große Ohren. Sie tragen zwei Sprechblasen über ihren Köpfen. Eine sagt: Magst du mich? Die andere antwortet: Ja, sehr.
Ich habe diesen Brief aufbewahrt. Er liegt nun auf meinem Schreibtisch. Der Schreibtisch ist inzwischen größer geworden, denn, wie du herausgefunden hast (von wem hast du es erfahren?), bin ich nun Bürgermeister des Dorfes Elend. Der Tisch ist mahagonifarben und steht in meinem Büro mit Blick zum Fenster. Ich überblicke von ihm aus das ganze Dorf, denn das Rathaus steht auf einem Hügel; Hügel gibt es noch in Bayern, hörst du, nicht wie in Leipzig, hier gibt es sie noch, die Hügel. Ich habe einen kleinen Blick über mein Dorf. Es ist nicht groß: 2289 Einwohner. Aber ich habe ein bißchen Macht, die bald größer zu werden scheint. Meine Partei steht hinter mir. Ich bin glücklich. Es geht mir gut.
Nur, Lara, ich bin nun einundzwanzig Jahre alt, und es fehlt jemand, der mir meine Haut wärmt, die untertags zu altern beginnt, wenn ich mit meinem Gesicht für Kindertagesstätten einstehe, für Straßen und Kulturzentren. Ich bin einundzwanzig Jahre alt und habe begonnen, mich in alte Zeiten zurück zu denken. Ich habe Listen angefertigt, weißt du, Lara, ich bin unsere Klassenlisten durchgegangen und habe mit Ziel gesucht. Ich bin durch ganz Deutschland gereist. Ich habe mir Reisen anrechnen lassen und bin zu Tagungen gefahren, die ich so legte, dass ich die Liste praktisch nebenbei abarbeiten konnte. Ich habe sie alle besucht, Lara. Ich habe alle Frauen aus unserer Klasse besucht. Ich habe sie beobachtet, sie kamen aus Universitäten, aus Kliniken, aus Kindergärten, aus Berufsschulen. Ich habe hinter Ecken gestanden und mich nie getraut, mich zu erkennen zu geben. Dann bin ich wieder abgereist. Und du warst die Letzte auf meiner Liste. Du kamst eigentlich nicht in Frage. Dich wollte ich nicht fragen. Nun aber, nachdem ich letzte Woche in Leipzig war und dich aus meinem Auto gesehen habe, wie du aus dem Gefängnis kamst, mit einer anderen Frau, du bist mit ihr in ein graues Auto gestiegen, da wusste ich: doch. Ihr seid in die Stadtmitte gefahren. Sie ließ dich in der Südvorstadt raus. Ich bin euch gefolgt. Doch ich bin nicht ausgestiegen. Ich habe dich nur gesehen, wie du dich mit einer Umarmung verabschiedest hast und dann zu Fuß weiter bist. Lara, ich möchte dich wiedersehen. Ich frage dich: Magst du mich? Und du wirst antworten: Ja, sehr. Ich werde nächste Woche wieder da sein. Ich werde auf dem Parkplatz vor der JVA auf dich warten. Du erkennst mich: ich fahre jetzt einen silbernen Mercedes.
Dein Markus
Den bisherigen Briefwechsel lesen Sie hier:
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Zwei vielversprechende Nachwuchsautorinnen schreiben sich Briefe – über ihr literarisches Schaffen und ihre Lektüren, über Einflüsse, Zweifel und Euphorie. Kann man die Schriftstellerei überhaupt lernen? Und worüber schreiben, wenn man doch noch nicht seinen eigenen Platz in der Welt gefunden hat? Wie früh soll man sich in die Öffentlichkeit wagen? Luise Maier und Lara Hampe, die an den Literaturinstituten in Biel und Leipzig studierten bzw. studieren, bloggen einen modernen Briefroman, der uns direkt und ungeschliffen mitverfolgen lässt, wie zwei junge Menschen zu Schriftstellerinnen reifen. Immer am 1. und am 15. eines Monats schreiben sie einander. Heute antwortet Lara Hampe auf den letzten Brief von Luise Maier. Sie ist 1994 geboren, in München und Paris aufgewachsen und hat bereits mehrere literarische Texte publiziert. 2014 las sie beim Open Mike, 2015 war sie Teilnehmerin des Klagenfurter Literaturkurses. Dort lernte sie auch Luise Maier kennen. Je näher die beiden sich und ihrem Schreiben kommen, umso mehr zerfließen die Grenzen zwischen Reflexion und Fiktion – und zwischen den Autorinnen des Briefromans.
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17.5.2016
Du Liebe,
meine Antwort kommt zu spät.
Anbei ein Leserbeitrag, den ich aus Zeitgründen statt meines eigenen Briefes anfüge — (du weißt: die Arbeit. die Liebe. das Kino um die Ecke. vor dem Absatz. nach dem Absatz. geheizte Räume. zu viele Ratschläge. die Erlaubnis, derer es bedarf. vor allem aber: falsch zusammen gezählte Tage). Ich bekam ihn per Mail vor ein paar Tagen und bin nun recht erschüttert – was darauf antworten?
Liebe Lara,
ich schreibe dir wohl aus einem Zufall heraus. Vielleicht erinnerst du dich an mich. Sicher erinnerst du dich an mich, du erwähntest mich in deinem letzten Brief.
Wir haben uns zuletzt gesehen, das muss Jahre her sein. Jahre muss das her sein. Du sprichst von der 7. Klasse. Haben wir uns zuletzt in der 7. Klasse gesehen? Es scheint mir noch weiter weg zu liegen.
Aber du erinnerst dich doch: ich sei immer mit einem silbernen Mercedes abgeholt worden? Liebe Lara, da musst du mich verwechseln. Das war, glaube ich, der Stubentaler Franz. Kannst du dich an den erinnern? Er ist jetzt in Kitzbühel gelandet und betreibt dort ein Hotel. Ich war ihn da einmal besuchen, es ist schon erstaunlich: er ist so alt wie wir und hat bereits ein eigenes Hotel. Seine damalige Freundin (an die müsstest du dich eigentlich auch erinnern: die Krämer Lisa, jetzige Stubentaler) hat er geheiratet, sie haben auch ein Kind, es ist fast ein Jahr alt. Sie haben Fotos geschickt, ein kleines, properes Kind, dem es gut zu gehen scheint. Im Hintergrund der Speisesaal, sie haben ihn cremefarben eingerichtet, ein wenig ironisch im Nordseestil, mit Möwen auf den Anrichten und Sand in —
Lara, wenn man dich im Internet sucht, findet man viel über dich. Ich weiß jetzt, wo du studierst, was du als Arbeit bezeichnest, was als kulturelles Kapital. Ich war noch nie in Leipzig. Darf ich dich einmal besuchen kommen?
Ich erinnere mich noch an einen Brief, den du mir geschrieben hast, in der 6. Klasse. Ich habe ihn behalten. Du hast ein kleines Bild gemalt, zwei Figuren, die in einer Küche stehen. Sie haben große Ohren. Sie tragen zwei Sprechblasen über ihren Köpfen. Eine sagt: Magst du mich? Die andere antwortet: Ja, sehr.
Ich habe diesen Brief aufbewahrt. Er liegt nun auf meinem Schreibtisch. Der Schreibtisch ist inzwischen größer geworden, denn, wie du herausgefunden hast (von wem hast du es erfahren?), bin ich nun Bürgermeister des Dorfes Elend. Der Tisch ist mahagonifarben und steht in meinem Büro mit Blick zum Fenster. Ich überblicke von ihm aus das ganze Dorf, denn das Rathaus steht auf einem Hügel; Hügel gibt es noch in Bayern, hörst du, nicht wie in Leipzig, hier gibt es sie noch, die Hügel. Ich habe einen kleinen Blick über mein Dorf. Es ist nicht groß: 2289 Einwohner. Aber ich habe ein bißchen Macht, die bald größer zu werden scheint. Meine Partei steht hinter mir. Ich bin glücklich. Es geht mir gut.
Nur, Lara, ich bin nun einundzwanzig Jahre alt, und es fehlt jemand, der mir meine Haut wärmt, die untertags zu altern beginnt, wenn ich mit meinem Gesicht für Kindertagesstätten einstehe, für Straßen und Kulturzentren. Ich bin einundzwanzig Jahre alt und habe begonnen, mich in alte Zeiten zurück zu denken. Ich habe Listen angefertigt, weißt du, Lara, ich bin unsere Klassenlisten durchgegangen und habe mit Ziel gesucht. Ich bin durch ganz Deutschland gereist. Ich habe mir Reisen anrechnen lassen und bin zu Tagungen gefahren, die ich so legte, dass ich die Liste praktisch nebenbei abarbeiten konnte. Ich habe sie alle besucht, Lara. Ich habe alle Frauen aus unserer Klasse besucht. Ich habe sie beobachtet, sie kamen aus Universitäten, aus Kliniken, aus Kindergärten, aus Berufsschulen. Ich habe hinter Ecken gestanden und mich nie getraut, mich zu erkennen zu geben. Dann bin ich wieder abgereist. Und du warst die Letzte auf meiner Liste. Du kamst eigentlich nicht in Frage. Dich wollte ich nicht fragen. Nun aber, nachdem ich letzte Woche in Leipzig war und dich aus meinem Auto gesehen habe, wie du aus dem Gefängnis kamst, mit einer anderen Frau, du bist mit ihr in ein graues Auto gestiegen, da wusste ich: doch. Ihr seid in die Stadtmitte gefahren. Sie ließ dich in der Südvorstadt raus. Ich bin euch gefolgt. Doch ich bin nicht ausgestiegen. Ich habe dich nur gesehen, wie du dich mit einer Umarmung verabschiedest hast und dann zu Fuß weiter bist. Lara, ich möchte dich wiedersehen. Ich frage dich: Magst du mich? Und du wirst antworten: Ja, sehr. Ich werde nächste Woche wieder da sein. Ich werde auf dem Parkplatz vor der JVA auf dich warten. Du erkennst mich: ich fahre jetzt einen silbernen Mercedes.
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