Die jungen Autorinnen Luise Maier und Lara Hampe bloggen einen Briefroman (13)
Zwei vielversprechende Nachwuchsautorinnen schreiben sich Briefe – über ihr literarisches Schaffen und ihre Lektüren, über Einflüsse, Zweifel und Euphorie. Kann man die Schriftstellerei überhaupt lernen? Und worüber schreiben, wenn man doch noch nicht seinen eigenen Platz in der Welt gefunden hat? Wie früh soll man sich in die Öffentlichkeit wagen? Luise Maier und Lara Hampe, die an den Literaturinstituten in Biel und Leipzig studierten bzw. studieren, bloggen einen modernen Briefroman, der uns direkt und ungeschliffen mitverfolgen lässt, wie zwei junge Menschen zu Schriftstellerinnen reifen. Immer am 1. und am 15. eines Monats schreiben sie einander. Heute antwortet wieder Luise Maier auf den letzten Brief. Sie ist 1991 in Oberösterreich geboren, aufgewachsen in Niederbayern und lebt heute in Biel. Ihren ersten Roman hat sie eben abgeschlossen. Im Juni 2015 war sie Stipendiatin des Literaturkurses in Klagenfurt. Dort lernte sie auch Lara Hampe kennen. Je näher die beiden sich und ihrem Schreiben kommen, umso mehr zerfließen die Grenzen zwischen Reflexion und Fiktion – und zwischen den Autorinnen des Briefromans.
*
1.5.2016
Liebe Luise,
entschuldige den abrupten Abbruch meiner letzten Zeilen, plötzlich klingelte der Nachbar von der Wohnung schräg über mir und fragte, ob ich erstens einen Geigerzähler besäße und ob ich ihn ihm zweitens leihen könne. Ich verneinte beides (natürlich besitze ich einen Geigerzähler!), ich wollte ihn ihm nicht geben. Nachdem er verschwunden war, war meine Ruhe dahin, weil ich nachgrübelte, ob unser Wohnblock radioaktiv verseucht sei. Das Grübeln verdrängte den Schreibmut, und er blieb neun Tage verschwunden. In diesen neun Tagen fokussierte ich mich aufs Monologisieren, aber ich hatte es nach einer Weile ziemlich satt. Worte, die man ausgesprochen, die aber niemand gehört hat, ersticken einen irgendwann. Das geht dann schnell, wie bei einer Rauchvergiftung. Deswegen habe ich mich lieber darauf konzentriert, über alle, die mit mir in der Unterstufe waren, Informationen herauszufinden. Dafür habe ich extra die alten Jahrbücher hervorgeholt und zuerst die Namen den Köpfen auf den Fotos zugeordnet, danach die Namen alphabetisch gegoogelt und – falls ich etwas über die Person gefunden habe – es mit den Fotos und meinen Erinnerungen an die Personen abgeglichen. Viel ist dabei nicht herausgekommen, aber es hat mir die Zeit genommen, die ich sonst damit verbringe, darüber nachzudenken, wer ich eigentlich bin. Da ist zum Beispiel dieser eine Junge, Markus H., der war bis zur 7. in meiner Parallelklasse, er ist jetzt Bürgermeister in einem kleinen Dorf in Oberbayern, das ausgerechnet den Namen Elend trägt. In einem Interview, das ich auf YouTube fand, sagt er, er sehe seine Aufgabe darin, Elend von Elend fernzuhalten. Er lachte, sichtlich stolz auf seinen gescheiten Spruch, und ich erinnerte mich daran, dass sein Vater ihn nach der Schule immer in einem silbernen Mercedes abgeholt hat. Dann habe ich so einiges über Regina T. gefunden, auch sie war in derselben Klasse wie Markus, wirkte immer recht unscheinbar und fehlte oft beim Sport. Die war nach dem Abschluss plötzlich verschwunden. Hat sich einfach so aus dem Staub gemacht, weg aus Bayern, weg von der Familie (hatte eh nur Mutter und nen Bruder) und wurde von der Polizei später für tot erklärt. Vor zwei Monaten tauchte sie dann plötzlich wieder auf, weil sie einen Einbruch in ihrer Wohnung in Aachen meldete. Damit flog sie auf. Sie gab den Beamten an, unter falschen Namen und ohne Papiere zu leben. Von ihrer Familie will sie immer noch nichts wissen. Ja, und dann der eine, wir nannten ihn immer Willi, obwohl er eigentlich Stefan heißt, der fing ein duales Studium bei Metzgermeister an, diesem mittelgroßen Fleischkonzern mit dem Logo, auf dem sich das kleine rosa Schweinchen mit Messer und Gabel selbst ein Steak aus seinem Bauch schneidet und sich dabei mit seiner Zunge über die Schnauze leckt. 2012 wurde Stefan beschuldigt, zwei rumänische Gastarbeiterinnen aus dem Betrieb sexuell belästigt zu haben. Jetzt sitzt er dafür im Kast.
Ach, ich sag’s dir: die Welt ist schlecht, aber die Welt aus dem Internet ist noch schlechter.
Deine Lara
Den bisherigen Briefwechsel lesen Sie hier:
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Zwei vielversprechende Nachwuchsautorinnen schreiben sich Briefe – über ihr literarisches Schaffen und ihre Lektüren, über Einflüsse, Zweifel und Euphorie. Kann man die Schriftstellerei überhaupt lernen? Und worüber schreiben, wenn man doch noch nicht seinen eigenen Platz in der Welt gefunden hat? Wie früh soll man sich in die Öffentlichkeit wagen? Luise Maier und Lara Hampe, die an den Literaturinstituten in Biel und Leipzig studierten bzw. studieren, bloggen einen modernen Briefroman, der uns direkt und ungeschliffen mitverfolgen lässt, wie zwei junge Menschen zu Schriftstellerinnen reifen. Immer am 1. und am 15. eines Monats schreiben sie einander. Heute antwortet wieder Luise Maier auf den letzten Brief. Sie ist 1991 in Oberösterreich geboren, aufgewachsen in Niederbayern und lebt heute in Biel. Ihren ersten Roman hat sie eben abgeschlossen. Im Juni 2015 war sie Stipendiatin des Literaturkurses in Klagenfurt. Dort lernte sie auch Lara Hampe kennen. Je näher die beiden sich und ihrem Schreiben kommen, umso mehr zerfließen die Grenzen zwischen Reflexion und Fiktion – und zwischen den Autorinnen des Briefromans.
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1.5.2016
Liebe Luise,
entschuldige den abrupten Abbruch meiner letzten Zeilen, plötzlich klingelte der Nachbar von der Wohnung schräg über mir und fragte, ob ich erstens einen Geigerzähler besäße und ob ich ihn ihm zweitens leihen könne. Ich verneinte beides (natürlich besitze ich einen Geigerzähler!), ich wollte ihn ihm nicht geben. Nachdem er verschwunden war, war meine Ruhe dahin, weil ich nachgrübelte, ob unser Wohnblock radioaktiv verseucht sei. Das Grübeln verdrängte den Schreibmut, und er blieb neun Tage verschwunden. In diesen neun Tagen fokussierte ich mich aufs Monologisieren, aber ich hatte es nach einer Weile ziemlich satt. Worte, die man ausgesprochen, die aber niemand gehört hat, ersticken einen irgendwann. Das geht dann schnell, wie bei einer Rauchvergiftung. Deswegen habe ich mich lieber darauf konzentriert, über alle, die mit mir in der Unterstufe waren, Informationen herauszufinden. Dafür habe ich extra die alten Jahrbücher hervorgeholt und zuerst die Namen den Köpfen auf den Fotos zugeordnet, danach die Namen alphabetisch gegoogelt und – falls ich etwas über die Person gefunden habe – es mit den Fotos und meinen Erinnerungen an die Personen abgeglichen. Viel ist dabei nicht herausgekommen, aber es hat mir die Zeit genommen, die ich sonst damit verbringe, darüber nachzudenken, wer ich eigentlich bin. Da ist zum Beispiel dieser eine Junge, Markus H., der war bis zur 7. in meiner Parallelklasse, er ist jetzt Bürgermeister in einem kleinen Dorf in Oberbayern, das ausgerechnet den Namen Elend trägt. In einem Interview, das ich auf YouTube fand, sagt er, er sehe seine Aufgabe darin, Elend von Elend fernzuhalten. Er lachte, sichtlich stolz auf seinen gescheiten Spruch, und ich erinnerte mich daran, dass sein Vater ihn nach der Schule immer in einem silbernen Mercedes abgeholt hat. Dann habe ich so einiges über Regina T. gefunden, auch sie war in derselben Klasse wie Markus, wirkte immer recht unscheinbar und fehlte oft beim Sport. Die war nach dem Abschluss plötzlich verschwunden. Hat sich einfach so aus dem Staub gemacht, weg aus Bayern, weg von der Familie (hatte eh nur Mutter und nen Bruder) und wurde von der Polizei später für tot erklärt. Vor zwei Monaten tauchte sie dann plötzlich wieder auf, weil sie einen Einbruch in ihrer Wohnung in Aachen meldete. Damit flog sie auf. Sie gab den Beamten an, unter falschen Namen und ohne Papiere zu leben. Von ihrer Familie will sie immer noch nichts wissen. Ja, und dann der eine, wir nannten ihn immer Willi, obwohl er eigentlich Stefan heißt, der fing ein duales Studium bei Metzgermeister an, diesem mittelgroßen Fleischkonzern mit dem Logo, auf dem sich das kleine rosa Schweinchen mit Messer und Gabel selbst ein Steak aus seinem Bauch schneidet und sich dabei mit seiner Zunge über die Schnauze leckt. 2012 wurde Stefan beschuldigt, zwei rumänische Gastarbeiterinnen aus dem Betrieb sexuell belästigt zu haben. Jetzt sitzt er dafür im Kast.
Ach, ich sag’s dir: die Welt ist schlecht, aber die Welt aus dem Internet ist noch schlechter.
Deine Lara
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