Info
15.03.2016, 12:38 Uhr
Lara Hampe
AutorInnen-Blog

Die jungen Autorinnen Luise Maier und Lara Hampe bloggen einen Briefroman (10)

https://www.literaturportal-bayern.de/images/lpbblogs/autorblog/klein/3541343149_5cbcfdae01_o_Briefe_flickr-annilove_500.jpg
© annilove / flickr / CC BY SA 2.0

Zwei vielversprechende Nachwuchsautorinnen schreiben sich Briefe über ihr literarisches Schaffen und ihre Lektüren, über Einflüsse, Zweifel und Euphorie. Kann man die Schriftstellerei überhaupt lernen? Und worüber schreiben, wenn man doch noch nicht seinen eigenen Platz in der Welt gefunden hat? Wie früh soll man sich in die Öffentlichkeit wagen? Luise Maier und Lara Hampe, die an den Literaturinstituten in Biel und Leipzig studierten bzw. studieren, bloggen einen modernen Briefroman, der uns direkt und ungeschliffen mitverfolgen lässt, wie zwei junge Menschen zu Schriftstellerinnen reifen. Immer am 1. und am 15. eines Monats schreiben sie einander. Heute antwortet Lara Hampe auf den letzten Brief von Luise Maier. Sie ist 1994 geboren, in München und Paris aufgewachsen und hat bereits mehrere literarische Texte publiziert. 2014 las sie beim Open Mike, 2015 war sie Teilnehmerin des Klagenfurter Literaturkurses. Dort lernte sie auch Luise Maier kennen.

*

15.3.2016

Liebe Luise,

ein Sonntag, wie er schnell vergessen werden könnte, in einer fremd-bekannten Wohnung, geschlungener Quilt um die Beine, es ist kalt draußen, ich habe den Ort gewechselt, weil zuhause die Hauptsicherung durchbrannte, ganz unmethaphorisch.

Seit ich alleine wohne, mit Blick über die Stadt, wache ich morgens in Italien auf: die Kuppel des Bundesverwaltungsgerichts lässt mich an Rom denken, obwohl ich dort noch nie war. Man lud mich zweimal ein, sehr charmant lud man mich ein, ich habe trotzdem nein gesagt, im Sommer dann vielleicht.

Weil mir meine Ruhelosigkeit noch immer nicht abhanden gekommen ist, obwohl ich ja nun in Italien wohne, beginne ich zu sammeln: Kaskade, sozial, man spricht von einer schwangeren Frau ohne Mann; sie steigt eine Leiter hinunter, Schritt für Schritt, wenn da auf einmal wenig Raum mehr ist, wenn das Bein der Schwangeren in der Luft baumelt, weil da kein Raum mehr ist. Kein Raum für das Zuvorgeschehene.

Prozente an einem Sonntag, wie er nicht vergessen werden kann, plötzlich fremdbekannte Gesichter auf gekipptem Bildschirm. Entsetzen wiederholt sich immer zuerst in der Sprache.

Ein Mann steht auf einem Platz. Es nebelt. Dem Mann ist nicht kalt, er hat sich dick eingepackt. Er trägt einen Fellmantel, innen weich, außen glatt. Der Mann wartet. Sieht man genauer hin, erhebt sich hinter ihm ein großes, wuchtiges Gebäude. Er aber dreht sich nicht um; auch wenn er es täte: seit Tagen trägt er keine Brille und sieht alles, was vor ihm liegt, in Wrasen.

Ich habe mal mit einer telefoniert, das fällt mir jetzt ein, die mir Monologe hielt, die ich bewunderte, sie sagte, die Zahlen seien bekannt. Das ist mir im Kopf geblieben: dass man das einfach so behaupten kann. Weil ich sie nicht kannte, die Zahlen, habe ich sie später nachgesehen und mich geschämt, weil ich am Telefon zustimmte, als sei ich mir dessen bewusst.

Einer sagte, vorwärts immer, rückwärts nimmer. Daraufhin eine Figur: Ich will, dass die Scham tot ist und mit ihr alles Zögern, das sich hier noch versteckt. Dort, unter der Chaiselongue zum Beispiel. Ich weiß, dort unten wurde schon lange nicht mehr gefegt. Ich will, dass die Ironie verbannt wird aus diesem Haus. Ich sage euch: eigentlich sind sie alle drei schon längst gestorben. Es ist vorbei mit ihnen. Ich will, dass es vorbei ist mit ihnen, ich will wieder sagen können, zu jemandem ins Gesicht, dass ich jemand liebe.

Nein, ich will es anders formulieren: ich will vor jemandem stehen und sein Gesicht vor mir sehen, fixiert für einen Moment will ich das Gesicht vor mir sehen und einen Moment ausklammern können, wie sehr ich jemand liebe, sondern das rohe Gesicht vor mir sehen, als liebte ich es nicht; es einfach ansehen, als kennte ich es nicht. Und dann will ich sagen zu jemand: ich liebe dich. Und ich schäme mich nicht dabei. Ich will mich nicht schämen dabei, nicht vor Pathos will ich mich schämen sollen und auch nicht vor der vielleicht eintretenden Scham selbst oder dem Flattersatz, das alles, ich sage es euch: es ist vorbei.

Weil: ich liebe das Banale. Ich liebe das Schöne. Ich liebe das Nackte, wie ein entlarvtes Gesicht bei einem gescheiterten Versuch, zum Beispiel. Ich liebe auch das Hässliche, das zwingt mich zur Ernsthaftigkeit. Ich liebe auch die Scham, denn sie trägt mich weiter, weil ich die Farbe Rot so liebe, es ist eine wunderbare Farbe, sodass ich das nächste Mal eine andere tragen werde, sie darf sich ja nicht abnutzen.

Luise, anders könnte ich diese Realität gar nicht festhalten. Es fehlt mir ganz einfach am Linearen.

Lara

 

 

Den bisherigen Briefwechsel lesen Sie hier:

Mit dem Klick auf den Reader zur Vollansicht des Briefromans werden Sie auf die Seite des externen E-Paper-Anbieters Yumpu.com weitergeleitet.

Verwandte Inhalte
Städteporträts
Städteporträts
Journal
Mehr