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02.03.2016, 11:21 Uhr
Luise Maier
AutorInnen-Blog

Die jungen Autorinnen Luise Maier und Lara Hampe bloggen einen Briefroman (9)

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© annilove / flickr / CC BY SA 2.0

Zwei vielversprechende Nachwuchsautorinnen schreiben sich Briefe über ihr literarisches Schaffen und ihre Lektüren, über Einflüsse, Zweifel und Euphorie. Kann man die Schriftstellerei überhaupt lernen? Und worüber schreiben, wenn man doch noch nicht seinen eigenen Platz in der Welt gefunden hat? Wie früh soll man sich in die Öffentlichkeit wagen? Luise Maier und Lara Hampe, die an den Literaturinstituten in Biel und Leipzig studierten bzw. studieren, bloggen einen modernen Briefroman, der uns direkt und ungeschliffen mitverfolgen lässt, wie zwei junge Menschen zu Schriftstellerinnen reifen. Immer am 1. und am 15. eines Monats schreiben sie einander. Heute antwortet wieder Luise Maier auf den letzten Brief. Sie ist 1991 in Oberösterreich geboren, aufgewachsen in Niederbayern und lebt heute in Biel. Ihren ersten Roman hat sie eben abgeschlossen. Im Juni 2015 war sie Stipendiatin des Literaturkurses in Klagenfurt. Dort lernte sie auch Lara Hampe kennen.

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1.3.2016

Meine liebe Lara,

ich schreibe dir mit Fisch im Bauch: ich bin in Hamburg. Und es ist schön. Hier in Deutschland finde ich das ruppige Leben, das mir in der Schweiz fehlt. Hier sieht man Gestalten auf den Straßen, in den Bahnen, in den Läden, die einen zum Nachdenken anregen. In der Schweiz kocht jeder sein eigenes Süppchen, alles läuft in seinen geregelten Bahnen, das Leben wirkt so glatt und flüssig dort. Wieso etwas ändern, wenn es doch schon jahrzehntelang nach einem bestimmten Muster läuft und dieses Muster zu funktionieren scheint? Die interessanten Geschichten versteckt man hinter einer höflichen Maske und der neuesten Funktions-Kleidung. Geredet wird so langsam und so überlegt, damit man ja niemandem auf die Füße tritt. In Deutschland bekomme ich Kopfschmerzen, weil so schnell geredet wird. Ich zähle die Müllteile, die auf der Straße liegen. In Biel darf der Müll erst ab drei Uhr nachts des Abholtages auf die Straße gestellt werden, sonst droht eine Geldstrafe. Dass mich hier die Jungs vom türkischen Café nebenan grüßen und anlächeln, daran musste ich mich erst wieder gewöhnen: in der Schweiz schaut man sich kaum an, wenn man sich nicht kennt. Ich weiß nicht, wie lange ich es dort noch mache – das denke ich mir immer, wenn ich in Deutschland bin. Aber wenn ich dann zurück bin, genieße ich gerade das, dass man mich dort in Ruhe lässt.

Ist dir übrigens schon mal aufgefallen, dass das Wort „Satz“ das Gehen und das Schreiben gleichzeitig beschreibt? „Sätze machen“: das mag heißen, dass du schreibst – oder dass du gehst. Oder aber auch der Absatz – das kann ein Textabschnitt sein oder die Schuhsohle … Irgendwie habe ich in letzter Zeit zu viele Bücher mit „Gehen“ im Titel gelesen. Von dem Norweger Tomas Espedal zum Beispiel (mit ebendem Titel: „Gehen“). In dem Roman geht es um das Gehen und das Schreiben, aber um so vieles mehr: um das Leben, um Beziehungen, die Einsamkeit und zu guter Letzt um die Liebe. Und gerade lese ich „Gehen, Ging, Gegangen“ von Jenny Erpenbeck. Lara: das Buch ist so klug, ich würde es mir am liebsten einverleiben. Ehrlich gesagt habe ich es wieder aufgehört zu lesen, damit ich länger etwas davon habe.

Das Lesen: ist das nicht ein bisschen wie Theater? Es ist jetzt, und es wird nie wieder das gleiche Leseerlebnis geben – beim gleichen Stück.

Als ich noch so ein junges Ding wie du war, habe ich einmal für die Berliner Zeitung ein Theaterstück rezensiert, das in der JVA Tegel, dem größten Männerknast Europas, von Gefängnisinsassen aufgeführt wurde. Meine einzige Vorbereitung war, dass ich mir ein Knastdeutsch-Deutsch/Deutsch-Knastdeutsch-Lexikon aus dem Netz gedownloaded und ausgedruckt hatte. Das hat mir natürlich nichts gebracht – was hatte ich auch erwartet? Dass die Insassen „Kain und Abel“ im Knast-Slang aufführen würden? Naja: Dummheit ist das Privileg der Jugend. Das darfst du jetzt aber nicht auf dich beziehen – ich ziehe meinen Hut vor deiner Arbeit mit den Jungs.

Oh, und das mit Suhrkamp ist super! Aber noch besser finde ich, dass du im nächsten Satz das Wort Bolle benutzt. Ich weiß nicht, was das ist, eine Bolle, aber ich musste an eine olle Kartoffelknolle denken. Das ist ein schönes Bild: deine Veröffentlichung neben einem alten Gemüse. Ich freu mich mit dir!

Und jetzt: ab ins Bett, Luise.

Tschüss, Lara: ich hab dir gern.

Meine Rezension wurde übrigens nie veröffentlicht, weil dann irgendein anderer Artikel Vorrang hatte. Zum Glück, es gibt Texte, die sollte nie jemand lesen.

 

 

Den bisherigen Briefwechsel lesen Sie hier:

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