Logen-Blog [45]: Höchste An- und Überspannung
Scheint es nicht so, als würde sich Jean Paul selbst für seine satirischen Auswüchse entschuldigen? „Es gibt einen poetischen Wahnsinn, aber auch einen humoristischen, den Sterne hatte; aber nur Leser von vollendetem Geschmack halten höchste Anspannung nicht für Überspannung“. Als Sprachrohr benutzt er den Dr. Fenk – wir erinnern uns: „Der Fürst lässet ihn [den Kameraden des Rittmeisters] als Botaniker und Gesellschafter mit seinem natürlichen Sohn, dem Kapitän von Ottomar, nach der Schweiz und Italien reisen.“ Der Doktor skizziert Gedanken zu einer Leichenpredigt (die später tatsächlich veröffentlicht wird: als Werklein innerhalb des Dr. Katzenberger), die wesentlich lustiger sind als die scheinbar gezwungenen Assoziationen, die der Erzähler dem Leichenzug des verstorbenen Fürsten von Oberscheerau abgewinnt, aber ich will ihnen gerecht werden, um nicht in den Verdacht zu geraten, dass ich Ignorant die jeanpaulsche Anspannung für bloße Überspannung halte.
Da geht's um einen „Pertinenzmenschen“, also um den Rest eines Menschen, denn seine Einzelteile wurden separatim gelöst. Die Luftbläschen der Lunge sind die fürstliche Gallenblase „wie die Luftröhre der fürstliche Gallengang derselben ist“. Hmmm... Klarer ist schon die Anmerkung, dass der Magen auch ein metaphorischer ist – denn er „verdaute so viel wie sein Gewissen, nämlich ganze Hufen Landes“[1]. Der Kopf des Fürsten aber habe weniger gut verdaut, denn der war nicht dick, sondern dünn: ihm waren, sagt der Satiriker, Wahrheiten und Gravamina eine schwere Speise. Mit anderen Worten: der Fürst war ein dummer, diktatorischer, unaufgeklärter Dickschädel, der Beschwerden mit Kerkerhaft vergalt – und mit Schlimmerem: Nur die „papinianische Magenmaschine blieb noch im Alter feurig, als schon alles andre kindisch war“. Auf deutsch: der Mann war ein Sadist, der es liebte, harte Knochen in weichen Gallert zu verwandeln.
Diese Restbestände des fürstlichen Kerls werden nun in das Erbbegräbnis (aber nur der fürstlichen Fragmente), also zur Abtei Hopf geführt. Hopf, nicht Hof, das dem Dichter näher lag. Wenn Fenk darüber nachdenkt, welche seiner Eingeweide wo zur letzten Ruhe gebettet werden sollen, ist das durchaus witzig – denn die Zuordnung etwa eines Magens in einer Episkopalkirche und der Lungenflügel in einer Simultan- oder wenigstens Universitätskirche (mit angeschlossener anatomischer Abteilung, denke ich) hat einen tiefen Sinn. Die Leber samt bitterer Blase kann nur in einer Hofkirche bestattet werden, das Herz in einer „triumphierenden“ und die Milz in ein Filial, also einer Tochterkirche. Antijüdisches kann der wittern, der die Gedärme in einer Synagoge entdeckt. Fenk nähme, sagt er boshaft, den Schlund als Introitus der Trauerrede, den Blinddarm aber zum Ausgang einer derartigen Rede.
Boshaft? Nein – die Assoziationen spiegeln nur die Erfahrungen wider, die ein durchschnittlicher Bürger eines großen oder kleinen Fürstentums des Ancien Régime machen konnte.[2]
[1] Die Kirche hat einen guten Magen: / hat ganze Länder aufgefressen / und doch nie sich übergessen, wie es im Faust so witzig heißt.
[2] Ich verweise nur auf Bernt Engelmanns Wir Untertanen.
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Scheint es nicht so, als würde sich Jean Paul selbst für seine satirischen Auswüchse entschuldigen? „Es gibt einen poetischen Wahnsinn, aber auch einen humoristischen, den Sterne hatte; aber nur Leser von vollendetem Geschmack halten höchste Anspannung nicht für Überspannung“. Als Sprachrohr benutzt er den Dr. Fenk – wir erinnern uns: „Der Fürst lässet ihn [den Kameraden des Rittmeisters] als Botaniker und Gesellschafter mit seinem natürlichen Sohn, dem Kapitän von Ottomar, nach der Schweiz und Italien reisen.“ Der Doktor skizziert Gedanken zu einer Leichenpredigt (die später tatsächlich veröffentlicht wird: als Werklein innerhalb des Dr. Katzenberger), die wesentlich lustiger sind als die scheinbar gezwungenen Assoziationen, die der Erzähler dem Leichenzug des verstorbenen Fürsten von Oberscheerau abgewinnt, aber ich will ihnen gerecht werden, um nicht in den Verdacht zu geraten, dass ich Ignorant die jeanpaulsche Anspannung für bloße Überspannung halte.
Da geht's um einen „Pertinenzmenschen“, also um den Rest eines Menschen, denn seine Einzelteile wurden separatim gelöst. Die Luftbläschen der Lunge sind die fürstliche Gallenblase „wie die Luftröhre der fürstliche Gallengang derselben ist“. Hmmm... Klarer ist schon die Anmerkung, dass der Magen auch ein metaphorischer ist – denn er „verdaute so viel wie sein Gewissen, nämlich ganze Hufen Landes“[1]. Der Kopf des Fürsten aber habe weniger gut verdaut, denn der war nicht dick, sondern dünn: ihm waren, sagt der Satiriker, Wahrheiten und Gravamina eine schwere Speise. Mit anderen Worten: der Fürst war ein dummer, diktatorischer, unaufgeklärter Dickschädel, der Beschwerden mit Kerkerhaft vergalt – und mit Schlimmerem: Nur die „papinianische Magenmaschine blieb noch im Alter feurig, als schon alles andre kindisch war“. Auf deutsch: der Mann war ein Sadist, der es liebte, harte Knochen in weichen Gallert zu verwandeln.
Diese Restbestände des fürstlichen Kerls werden nun in das Erbbegräbnis (aber nur der fürstlichen Fragmente), also zur Abtei Hopf geführt. Hopf, nicht Hof, das dem Dichter näher lag. Wenn Fenk darüber nachdenkt, welche seiner Eingeweide wo zur letzten Ruhe gebettet werden sollen, ist das durchaus witzig – denn die Zuordnung etwa eines Magens in einer Episkopalkirche und der Lungenflügel in einer Simultan- oder wenigstens Universitätskirche (mit angeschlossener anatomischer Abteilung, denke ich) hat einen tiefen Sinn. Die Leber samt bitterer Blase kann nur in einer Hofkirche bestattet werden, das Herz in einer „triumphierenden“ und die Milz in ein Filial, also einer Tochterkirche. Antijüdisches kann der wittern, der die Gedärme in einer Synagoge entdeckt. Fenk nähme, sagt er boshaft, den Schlund als Introitus der Trauerrede, den Blinddarm aber zum Ausgang einer derartigen Rede.
Boshaft? Nein – die Assoziationen spiegeln nur die Erfahrungen wider, die ein durchschnittlicher Bürger eines großen oder kleinen Fürstentums des Ancien Régime machen konnte.[2]
[1] Die Kirche hat einen guten Magen: / hat ganze Länder aufgefressen / und doch nie sich übergessen, wie es im Faust so witzig heißt.
[2] Ich verweise nur auf Bernt Engelmanns Wir Untertanen.