Die jungen Autorinnen Luise Maier und Lara Hampe bloggen einen Briefroman (8)
Zwei vielversprechende Nachwuchsautorinnen schreiben sich Briefe – über ihr literarisches Schaffen und ihre Lektüren, über Einflüsse, Zweifel und Euphorie. Kann man die Schriftstellerei überhaupt lernen? Und worüber schreiben, wenn man doch noch nicht seinen eigenen Platz in der Welt gefunden hat? Wie früh soll man sich in die Öffentlichkeit wagen? Luise Maier und Lara Hampe, die an den Literaturinstituten in Biel und Leipzig studierten bzw. studieren, bloggen einen modernen Briefroman, der uns direkt und ungeschliffen mitverfolgen lässt, wie zwei junge Menschen zu Schriftstellerinnen reifen. Immer am 1. und am 15. eines Monats schreiben sie einander. Heute antwortet Lara Hampe auf den letzten Brief von Luise Maier. Sie ist 1994 geboren, in München und Paris aufgewachsen und hat bereits mehrere literarische Texte publiziert. 2014 las sie beim Open Mike, 2015 war sie Teilnehmerin des Klagenfurter Literaturkurses. Dort lernte sie auch Luise Maier kennen.
*
15.2.2016
Meine liebe, liebe Luise,
ich habe den Ort gewechselt und schreibe dir aus einem Berliner Holztischcafé, heute im Blocksatz ohne Absätze. Ganz übermüdet bin ich, gestern auf einer Berlinale-Party, irre fand ichs, diese Film-Welt zu beobachten, die auf Partys genauso funktioniert wie die der Literatur: man kennt jemanden oder viele, man spricht, man trinkt, man steht in Kreisen. Es war schön, das zu beobachten und nicht Teil zu sein davon. Jetzt sitze ich hier mit Ringen unter den Augen und freue mich auf den Zug zurück nach Leipzig. Berlin ist auch immer so aufreibend. Ich habe das Gefühl: Leipzig, blasige Kleinstadt zum Verkriechen, Transitstadt, ewig werde ich’s dort nicht aushalten, aber gerade passt es ganz gut. Gut: dass du ins Institut zurückgegangen bist, dass du das Schreiben wieder beginnst, dass es bergauf geht, wohl, dass dir die Bossong hilft dabei, und weißt du, Luise: jetzt soll noch ein Schneeregensturm kommen und dann wird’s wärmer, sagte man mir. Alles wird, alles wird. Das Mantra hab ich noch schnell bei der Mutter geklaut. Und die Siri Hustvedt also, das war meine Sonntagsbeschäftigung, und sie konnte echt wärmen, die Siri; und stell dir nur vor, du bist mit einem verheiratet, seit dreißig Jahren bist du mit dem verheiratet, und der hat schon immer mehr Erfolg gehabt als du. Da kommst du um feministische Essays gar nicht herum. Die lese ich gerade; sie macht das alles sehr subtil, sie könnte sich noch mehr trauen, I think. Seit meinem letzten Brief sind, wie ich’s gespoilert habe, ein paar schöne Sachen passiert. Es gibt jetzt eine Erzählung von mir, in einer Anthologie gegen Fremdenhass, die Suhrkamp herausbringt. Ich freu mich wie Bolle. Das ist schön. Ein Teil des Honorars wird an Flüchtlingsorganisationen gespendet. Das ist gut. Wie kann ich mit dem Schreiben helfen? Vielleicht so. Und dann habe ich auch endlich mein langmonatig geplantes Projekt angefangen: ich gebe jetzt wöchentlich einen Schreibkurs im Gefängnis. Die Organisation hat ewig gedauert. Das Gefängnis ist ein Bürokratieschuppen ohnegleichen, ich bin froh, dass es nun endlich zustande gekommen ist. Ich bin dort nun immer dienstags, sitze im Andachtsraum, Teppichböden und runder Tisch, Stehlampen und mit mir fünf Gefangene, die in der JVA-Welt Knastis heißen. Viele von ihnen sind in U-Haft, und der Kontakt zur Außenwelt wird gerichtlich kontrolliert, sie sind vollkommen abgeschottet, manchmal auch in Einzelhaft, und mein Kurs ist der einzige, in dem sie mit anderen sprechen können. Wir machen Schreibübungen, zum Beispiel ein vorgegebenes Thema und fünf Minuten ohne den Stift abzusetzen. Und ich gebe ihnen viel zu lesen. Ganz überrascht war ich, wie motiviert alle sind, und vor allem: wie genau sie beobachten, zuhören und mitmachen. Stell dir vor: drei von fünf haben studiert. Ich weiß nicht genau, weshalb sie sitzen, so sagt man das dort, ein paar wegen Beschaffungskriminalität, aber Näheres weiß ich nicht. Doch witzigerweise ist es dann auch egal, mitten im Gespräch vergesse ich oft, wo wir gerade sind und wer sie sind. Angst habe ich nicht, auch weil gerade noch zwei Sozialarbeiterinnen als Aufsicht mit im Raum sind. Aber bald bekomme ich einen eigenen Funker, mit rotem Knopf für den Ernstfall. Wir siezen uns, das hat man mir geraten; ich hätte auch nicht gedacht, dass das eine Distanz aufbaut, hinter der ich sicher bin. Außerdem habe ich festgestellt, dass ich autoritär sein kann, wenn ich will. Ich kann eine Gruppe von Männern leiten, die alle zehn Jähre älter sind als ich. Das ist ein gutes Gefühl. Gerade gehe ich jedes Mal raus aus diesem schmucklosen, pissgelben Bau am Stadtrand und habe ein wummerndes Herz, weil ich merke, dass ich ja doch weiß, was gute Texte sind; es gibt ja Momente, in denen man das vergisst. Und weil alle so Lust auf Schreiben haben, richtige Lust. Einer hat gesagt: ich bin hier, weil ich genug habe zum Aufschreiben. Ein anderer sagte, seine Großmutter und seine Tante hätten sich beschwert, weil seine Briefe stets die gleichen seien. Ein dritter hatte, bevor er kam, einen Krimi gelesen und wollte nun einen ähnlichen schreiben. Ich trage sie alle in meine Woche hinein, in einen Dienstagabend, den ich meist mit Bier verbringe danach. Ich gehe hinaus als Schauspielerin, die nicht aus ihrer Rolle gefallen ist. Vielleicht ist es das, was ich am Theater so schätze: es ist groß, es ist jetzt, es reagiert, kein Zögern gibt es, nie, ich kann springen zwischen den Stilen, zwischen den Sprachen, ich darf groß aufblasen, wenn ich will, ich kann zuspitzen und bauen, es darf mir der Realismus fehlen, immer. Das ist das Schönste.
Vielleicht treffen wir beide uns mal in einer Mitte, geographisch gesehen, da hätten wir’s dann gut, glaube ich. Bis dahin warte ich auf den Ersten des Monats oder die Anrufe der anderen Luise, sind wir doch näher nun, wenn auch zerspalten in die öffentliche und private Vertikale. Aber das macht nichts.
Deine Lara
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Zwei vielversprechende Nachwuchsautorinnen schreiben sich Briefe – über ihr literarisches Schaffen und ihre Lektüren, über Einflüsse, Zweifel und Euphorie. Kann man die Schriftstellerei überhaupt lernen? Und worüber schreiben, wenn man doch noch nicht seinen eigenen Platz in der Welt gefunden hat? Wie früh soll man sich in die Öffentlichkeit wagen? Luise Maier und Lara Hampe, die an den Literaturinstituten in Biel und Leipzig studierten bzw. studieren, bloggen einen modernen Briefroman, der uns direkt und ungeschliffen mitverfolgen lässt, wie zwei junge Menschen zu Schriftstellerinnen reifen. Immer am 1. und am 15. eines Monats schreiben sie einander. Heute antwortet Lara Hampe auf den letzten Brief von Luise Maier. Sie ist 1994 geboren, in München und Paris aufgewachsen und hat bereits mehrere literarische Texte publiziert. 2014 las sie beim Open Mike, 2015 war sie Teilnehmerin des Klagenfurter Literaturkurses. Dort lernte sie auch Luise Maier kennen.
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15.2.2016
Meine liebe, liebe Luise,
ich habe den Ort gewechselt und schreibe dir aus einem Berliner Holztischcafé, heute im Blocksatz ohne Absätze. Ganz übermüdet bin ich, gestern auf einer Berlinale-Party, irre fand ichs, diese Film-Welt zu beobachten, die auf Partys genauso funktioniert wie die der Literatur: man kennt jemanden oder viele, man spricht, man trinkt, man steht in Kreisen. Es war schön, das zu beobachten und nicht Teil zu sein davon. Jetzt sitze ich hier mit Ringen unter den Augen und freue mich auf den Zug zurück nach Leipzig. Berlin ist auch immer so aufreibend. Ich habe das Gefühl: Leipzig, blasige Kleinstadt zum Verkriechen, Transitstadt, ewig werde ich’s dort nicht aushalten, aber gerade passt es ganz gut. Gut: dass du ins Institut zurückgegangen bist, dass du das Schreiben wieder beginnst, dass es bergauf geht, wohl, dass dir die Bossong hilft dabei, und weißt du, Luise: jetzt soll noch ein Schneeregensturm kommen und dann wird’s wärmer, sagte man mir. Alles wird, alles wird. Das Mantra hab ich noch schnell bei der Mutter geklaut. Und die Siri Hustvedt also, das war meine Sonntagsbeschäftigung, und sie konnte echt wärmen, die Siri; und stell dir nur vor, du bist mit einem verheiratet, seit dreißig Jahren bist du mit dem verheiratet, und der hat schon immer mehr Erfolg gehabt als du. Da kommst du um feministische Essays gar nicht herum. Die lese ich gerade; sie macht das alles sehr subtil, sie könnte sich noch mehr trauen, I think. Seit meinem letzten Brief sind, wie ich’s gespoilert habe, ein paar schöne Sachen passiert. Es gibt jetzt eine Erzählung von mir, in einer Anthologie gegen Fremdenhass, die Suhrkamp herausbringt. Ich freu mich wie Bolle. Das ist schön. Ein Teil des Honorars wird an Flüchtlingsorganisationen gespendet. Das ist gut. Wie kann ich mit dem Schreiben helfen? Vielleicht so. Und dann habe ich auch endlich mein langmonatig geplantes Projekt angefangen: ich gebe jetzt wöchentlich einen Schreibkurs im Gefängnis. Die Organisation hat ewig gedauert. Das Gefängnis ist ein Bürokratieschuppen ohnegleichen, ich bin froh, dass es nun endlich zustande gekommen ist. Ich bin dort nun immer dienstags, sitze im Andachtsraum, Teppichböden und runder Tisch, Stehlampen und mit mir fünf Gefangene, die in der JVA-Welt Knastis heißen. Viele von ihnen sind in U-Haft, und der Kontakt zur Außenwelt wird gerichtlich kontrolliert, sie sind vollkommen abgeschottet, manchmal auch in Einzelhaft, und mein Kurs ist der einzige, in dem sie mit anderen sprechen können. Wir machen Schreibübungen, zum Beispiel ein vorgegebenes Thema und fünf Minuten ohne den Stift abzusetzen. Und ich gebe ihnen viel zu lesen. Ganz überrascht war ich, wie motiviert alle sind, und vor allem: wie genau sie beobachten, zuhören und mitmachen. Stell dir vor: drei von fünf haben studiert. Ich weiß nicht genau, weshalb sie sitzen, so sagt man das dort, ein paar wegen Beschaffungskriminalität, aber Näheres weiß ich nicht. Doch witzigerweise ist es dann auch egal, mitten im Gespräch vergesse ich oft, wo wir gerade sind und wer sie sind. Angst habe ich nicht, auch weil gerade noch zwei Sozialarbeiterinnen als Aufsicht mit im Raum sind. Aber bald bekomme ich einen eigenen Funker, mit rotem Knopf für den Ernstfall. Wir siezen uns, das hat man mir geraten; ich hätte auch nicht gedacht, dass das eine Distanz aufbaut, hinter der ich sicher bin. Außerdem habe ich festgestellt, dass ich autoritär sein kann, wenn ich will. Ich kann eine Gruppe von Männern leiten, die alle zehn Jähre älter sind als ich. Das ist ein gutes Gefühl. Gerade gehe ich jedes Mal raus aus diesem schmucklosen, pissgelben Bau am Stadtrand und habe ein wummerndes Herz, weil ich merke, dass ich ja doch weiß, was gute Texte sind; es gibt ja Momente, in denen man das vergisst. Und weil alle so Lust auf Schreiben haben, richtige Lust. Einer hat gesagt: ich bin hier, weil ich genug habe zum Aufschreiben. Ein anderer sagte, seine Großmutter und seine Tante hätten sich beschwert, weil seine Briefe stets die gleichen seien. Ein dritter hatte, bevor er kam, einen Krimi gelesen und wollte nun einen ähnlichen schreiben. Ich trage sie alle in meine Woche hinein, in einen Dienstagabend, den ich meist mit Bier verbringe danach. Ich gehe hinaus als Schauspielerin, die nicht aus ihrer Rolle gefallen ist. Vielleicht ist es das, was ich am Theater so schätze: es ist groß, es ist jetzt, es reagiert, kein Zögern gibt es, nie, ich kann springen zwischen den Stilen, zwischen den Sprachen, ich darf groß aufblasen, wenn ich will, ich kann zuspitzen und bauen, es darf mir der Realismus fehlen, immer. Das ist das Schönste.
Vielleicht treffen wir beide uns mal in einer Mitte, geographisch gesehen, da hätten wir’s dann gut, glaube ich. Bis dahin warte ich auf den Ersten des Monats oder die Anrufe der anderen Luise, sind wir doch näher nun, wenn auch zerspalten in die öffentliche und private Vertikale. Aber das macht nichts.
Deine Lara
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