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03.02.2016, 12:21 Uhr
Sandra Hoffmann
Gespräche
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© Thomas Dashuber

Im Gespräch: die Schriftstellerin Sandra Hoffmann über Flucht und Beschreibung

Albert Ostermaier, Kurator des forum:autoren beim vergangenen Literaturfest München, wollte mit seinem Programm front:text den aktiven Dialog mit Geflüchteten anstoßen und Perspektivwechsel anregen: Bereits im Vorfeld des Festivals waren Autorinnen und Autoren an aktuelle Brennpunkte gereist. Nuran David Calis, Davide Enia und Sandra Hoffmann fuhren an zentrale Ankunfts- und Herkunftsorte von Flüchtlingen und brachten ihre individuellen Eindrücke von dort nach Deutschland mit zurück. Mit Sandra Hoffmann sprachen wir über ihre Erfahrungen in Albanien.

*

Was waren im Nachhinein die stärksten Eindrücke Ihrer Reise? Gibt es etwas, das besonders hängenblieb?

Das war der Besuch in einer Roma-Community, die ein Lager hatte, einen Slum am Stadtrand von Tirana, direkt neben so genannten Sozialwohnungen, die die Stadt den Roma, die eh keinen Cent haben und nur vom Müll leben, für 150 oder 200 Euro zur Miete anbietet. Die Wohnungen stehen leer. Das durchschnittliche Monatseinkommen in Albanien liegt überhaupt nur bei 250 bis 300 Euro im Monat. Es ist also grotesk, irrsinnig, Sozialwohnungen zu solchen Preisen anzubieten. Im Übrigen stehen oberhalb des Slums ein paar schicke Villen. Eine wahnsinnige Anordnung ist das dort. Und ich stand eben mittendrin und merkte, wie schlimm sich das anfühlt: es zerreißt einen fast vor Unrechtsgefühlen.

Sie haben einen bewegenden Text geschrieben. Können Sie etwas zur Entstehung sagen? Wie haben Sie sich dem Schreiben in diesem Fall angenähert? Wie haben Sie Ihre Form gefunden?

Ich konnte zuerst gar nicht darüber schreiben, bzw. ich habe während der Reise täglich das eine oder andere Foto mit kleinen tagesaktuellen Erlebnissen bei Facebook gepostet. Aber das ist ja nicht schreiben. Und dann, mit zwei Wochen Abstand, in denen sich vor allem immer Sätze in meinem Kopf geformt haben und ich dachte, ok, ich kann darauf vertrauen, dass der Text sich in mir schon bewegt, konnte ich endlich schreiben. Ich habe dabei versucht, erst einmal ganz planlos zu sein, also einfach das zu schreiben, was sich wie von selbst schrieb. Und so entstand der Anfang des Textes, der dann schließlich in seiner analytischen Emotionalität die Form um das Erlebte herum bestimmte.

Hat sich durch die unmittelbare Erfahrung etwas für Sie persönlich verändert hinsichtlich der omnipräsenten 'Flüchtlingsfrage'?

Ja. Ich habe verstanden, dass das der größte Unsinn ist, ein Land als sicheres Herkunftsland einzustufen, um Asylanträge nicht mehr genauer prüfen zu müssen: Jeder Mensch ist es wert, dass sein persönliches Schicksal betrachtet wird. Man muss individuell entscheiden, nicht kategorisch. Soviel Zeit muss eben bleiben. Und ich zweifle nicht im geringsten daran, dass wir alles tun müssen, um den Menschen, die sich auf den schwierigen und von Entbehrungen und Gefahren gezeichneten Weg zu uns machen, erst einmal Schutz zu gewähren, eine Zeit, in der sie sich erholen können, versorgt werden. Auch Diskriminierung und Armut können lebensbedrohlich sein. Das habe ich in Albanien gesehen.

Momentan entstehen alle möglichen Projekte, Reihen und Anthologien zu dieser gesellschaftlich aktuellen Lage. Das wird zum Teil auch kritisiert. Manche sagen: Hier überwölbt ein elitärer Kulturbetrieb fremdes Leid und profiliert sich letztlich nur selbst dabei. Wie sehen Sie das?

Schwierige und gute Frage. Wäre da aber nicht der Kulturbetrieb, der eben in seiner unbürokratischen Spontanität und Lebendigkeit schnell handeln kann, würden z.B. nicht so viele Einzelschicksale erzählt werden können, die ganze schwierige Lage nicht so umfangreich, detailliert und differenziert betrachtet werden. All das. Man kann den Kulturbetrieb auch als Fenster zur Krise betrachten. Ich weiß keine abschließende Antwort, aber: Ist das, was im Leben zählt, nicht immer auch sehr geprägt von Geben und Nehmen? Oder anders: Durch ein Fenster kann man immer aus zwei Richtungen schauen, aber das Fenster muss es erst einmal geben.

Natürlich kann man das nicht vergleichen, aber manchmal hilft es bei komplexen Fragen doch, bei sich selbst zu beginnen. Jeder von uns ist schon mal vor etwas geflohen. Wovor fliehen Sie?

Ich könnte sagen, dass ich vor meiner Herkunftsfamilie, der Stadt, dem Dorf, in dem ich aufwuchs, geflohen bin, aber das ist ja eine wie auch immer geartete freiwillige Sache. Ich möchte das nicht vergleichen mit dem, was die meisten Menschen, die jetzt flüchten, als Antrieb oder Grund haben für ihre Entscheidung. Dennoch, ich meine, dass man doch unbedingt fähig sein sollte zur Empathie; sich einfühlen können in die Not und das Schicksal eines anderen Menschen, das halte ich für eine ganz grundlegende Kompetenz.

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