Menschenkette – Ein literarischer Beitrag aus der 21. Ausgabe von Philtrat
Das Münchner Studentenmagazin Philtrat ist Gewinner des Pro Campus Presse Awards 2015 und damit das beste studentische Magazin Deutschlands. Bereits seit 21 Ausgaben schreiben die Studierenden hier über die Universität, Politik, Kultur, das Großstadtleben – und Literatur: Philtrat-Autor Ludwig Bader hat sich in einem Prosabeitrag mit dem Schwerpunktthema „Neuland“ auseinandergesetzt.
*
Menschenkette
Hier nicht, Kollege, sag ich, und schüttel den Finger und den Kopf, damit er‘s auch versteht. Der Jugo. Er ist für seinen Bruder eingesprungen, der hat ihn rauf geholt, weil der Bruder seinen Fuß unter einen Pfeiler gebracht hat, der noch am Kran gehangen ist. Und jetzt tät der Bier trinken auf der Arbeit. Später, sag ich und mach mit dem Finger einen Bogen, weil anders versteht er’s ja nicht. Das darf man ja nicht mehr bei uns.
Auf dem Bau soll der Vlatko, so heißt der Jugo, da unten schon gearbeitet haben, aber höchstens in den Ferien, mein ich. Der Chef soll zum Stefan gesagt haben, ja, dann nehmen wir den, so lang du ausfällst. Und jetzt ist der hier und versteht kein Deutsch. Aber auch gar nichts. Danke kann er sagen, und bitte. Das grad noch. Wir müssen es ihm beibringen, jedes Wort. Kreissäge, Kran, Stein, Verschalung. Pressplatte. Und er muss wiederholen. Prissplatz sagt der und so einen Schmarrn. Aber er lernt, da kannst du nichts sagen, er lernt. Ha. Mittlerweile sagt er sogar Kreiseegä, weil es ihm der Willi so vorgesagt hat. Kreiseegä.
Naja, auf jeden Fall dauert es echt lang, ihm alles zu zeigen, und zu sagen, wenn er was bringen soll. Irgendwer muss es ihm ja zeigen, wie so eine Verschalung geht, und ich kann nicht leugnen, dass ich dabei war. Auf so einer großen Baustelle, wenn du da was brauchst und der andere, der es verschlampt hat, kann kein Deutsch, das ist halt Scheiße. Aber wir lassen uns von sowas nicht rausbringen. Wir haben schon unseren Spaß, den lassen wir uns nicht nehmen. Wenn der Andi dann seinen Lautsprecher auspackt und die grusligsten Schlager über die Dächer jagt – manchmal wird’s dem Polier zu viel, aber heute nicht, und irgendwie sind wir gut drauf und dann singen wir mit dem Kaiser: „Warum hast du nicht nein gesagt?“
Mittags im Container packt der Vlatko seine Brotzeit aus, er hat sich wahrscheinlich von der Frau vom Stefan was geben lassen. Ziemlich gut schaut’s aus, und er hat’s in einen von den kleinen Bayernrucksäcken gepackt. Weißt schon, die dunkelblauen, die sie vor ein paar Jahren verkauft haben. Der Willi zeigt drauf und gibt ihm den Daumen nach oben. Da grinst der Vlatko. Lahm, sagt er. Good. Very good. Robben. Und kickt mit dem Fuß. Goal.
Drei, sag ich. Drei goals hat der Robben gemacht, und zeig‘s ihm und er nickt. Aber der Andi, mei der Andi! – der schaut bloß gelangweilt rüber. Ein Sechzgerfan ist der. Armer Kerl, ha? Auch die Sechzger haben ja noch Merchandise, als würd’s ihnen was bringen. Gestern erst seh ich einen, einen Alten, der vor dem Kaufland da hinten Drehorgel spielt, Jingle Bells und so ein Zeug, dem seine Frau während er spielt eine Sechzgermütze aufsetzt, so ein Nike-Dings, aber glücklich hat der dabei nicht ausgeschaut, nein wirklich nicht. Wie kann man dabei auch glücklich ausschauen!
Jedenfalls, zurück zum Vlatko. Der bekommt für seine Arbeit sicher keinen Pokal. Naja, Pokal kriegt ja keiner, aber der bestimmt nicht. Am Nachmittag gießen wir Beton in die Verschalungen aus Holz, Pressplatten und Latten, weißt, weil der Kran nicht hinkommt, die Betonpumpe aber schon, eine Innenmauer haben wir gegossen, und dann ist das nicht gescheit gemacht – und wer war’s natürlich? Auf jeden Fall hat der Willi recht geflucht, Scheißdreck und sowas gesagt und Jugoarbeit, und ist hin und hat sich dagegen gestemmt, aber die Masse hat er natürlich nicht halten können, die Platte ist einfach umgedrückt worden. Der Polier hat recht geplärrt, ist hin, der Vlatko natürlich auch, wir alle, und wir haben das Teil wieder hingestellt und vernagelt und den Beton vom Boden gekratzt und in Kübeln weggetragen. War eine greislige Arbeit. Alle warten natürlich drauf, dass der Polier was zu ihm sagt, und wie er es machen will, weil Deutsch versteht der Vlatko ja keins. Ich hab keine Angst, weil ich hab’s ihm ja bloß gezeigt.
Auf jeden Fall haben wir die Wand nochmal machen müssen, und auch diesmal sind irgendwie die Nägel nicht gescheit drin geblieben und wir natürlich alle hin – Hau ruck! – und halten das Ding, stemmen uns dagegen, bis der Andi noch mehr Nägel rein geschlagen hat und gebohrt und Schrauben rein und den Kompressor davor geschoben und anderes schweres Zeug und es endlich, endlich hält. Wir hätten nicht die Scheißplatte nochmal nehmen sollen.
Der Willi lacht und zeigt zum Vlatko: Team! Team Bayern! Und der Vlatko grinst. Es ist ein gutes Bild, das sag ich dir, gibt’s selten, wir alle zusammen und können nicht weg.
Da sagt der Andi: Die Bayern sind kein Team, das sind lauter Einzelspieler.
Komm, halt’s Maul, sagt der Polier.
Wir drücken noch eine Weile, aber irgendwie hat keiner mehr richtig Lust. Und dann wird’s fad, bis der Beton halbwegs fest ist.
Menschenkette – Ein literarischer Beitrag aus der 21. Ausgabe von Philtrat>
Das Münchner Studentenmagazin Philtrat ist Gewinner des Pro Campus Presse Awards 2015 und damit das beste studentische Magazin Deutschlands. Bereits seit 21 Ausgaben schreiben die Studierenden hier über die Universität, Politik, Kultur, das Großstadtleben – und Literatur: Philtrat-Autor Ludwig Bader hat sich in einem Prosabeitrag mit dem Schwerpunktthema „Neuland“ auseinandergesetzt.
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Menschenkette
Hier nicht, Kollege, sag ich, und schüttel den Finger und den Kopf, damit er‘s auch versteht. Der Jugo. Er ist für seinen Bruder eingesprungen, der hat ihn rauf geholt, weil der Bruder seinen Fuß unter einen Pfeiler gebracht hat, der noch am Kran gehangen ist. Und jetzt tät der Bier trinken auf der Arbeit. Später, sag ich und mach mit dem Finger einen Bogen, weil anders versteht er’s ja nicht. Das darf man ja nicht mehr bei uns.
Auf dem Bau soll der Vlatko, so heißt der Jugo, da unten schon gearbeitet haben, aber höchstens in den Ferien, mein ich. Der Chef soll zum Stefan gesagt haben, ja, dann nehmen wir den, so lang du ausfällst. Und jetzt ist der hier und versteht kein Deutsch. Aber auch gar nichts. Danke kann er sagen, und bitte. Das grad noch. Wir müssen es ihm beibringen, jedes Wort. Kreissäge, Kran, Stein, Verschalung. Pressplatte. Und er muss wiederholen. Prissplatz sagt der und so einen Schmarrn. Aber er lernt, da kannst du nichts sagen, er lernt. Ha. Mittlerweile sagt er sogar Kreiseegä, weil es ihm der Willi so vorgesagt hat. Kreiseegä.
Naja, auf jeden Fall dauert es echt lang, ihm alles zu zeigen, und zu sagen, wenn er was bringen soll. Irgendwer muss es ihm ja zeigen, wie so eine Verschalung geht, und ich kann nicht leugnen, dass ich dabei war. Auf so einer großen Baustelle, wenn du da was brauchst und der andere, der es verschlampt hat, kann kein Deutsch, das ist halt Scheiße. Aber wir lassen uns von sowas nicht rausbringen. Wir haben schon unseren Spaß, den lassen wir uns nicht nehmen. Wenn der Andi dann seinen Lautsprecher auspackt und die grusligsten Schlager über die Dächer jagt – manchmal wird’s dem Polier zu viel, aber heute nicht, und irgendwie sind wir gut drauf und dann singen wir mit dem Kaiser: „Warum hast du nicht nein gesagt?“
Mittags im Container packt der Vlatko seine Brotzeit aus, er hat sich wahrscheinlich von der Frau vom Stefan was geben lassen. Ziemlich gut schaut’s aus, und er hat’s in einen von den kleinen Bayernrucksäcken gepackt. Weißt schon, die dunkelblauen, die sie vor ein paar Jahren verkauft haben. Der Willi zeigt drauf und gibt ihm den Daumen nach oben. Da grinst der Vlatko. Lahm, sagt er. Good. Very good. Robben. Und kickt mit dem Fuß. Goal.
Drei, sag ich. Drei goals hat der Robben gemacht, und zeig‘s ihm und er nickt. Aber der Andi, mei der Andi! – der schaut bloß gelangweilt rüber. Ein Sechzgerfan ist der. Armer Kerl, ha? Auch die Sechzger haben ja noch Merchandise, als würd’s ihnen was bringen. Gestern erst seh ich einen, einen Alten, der vor dem Kaufland da hinten Drehorgel spielt, Jingle Bells und so ein Zeug, dem seine Frau während er spielt eine Sechzgermütze aufsetzt, so ein Nike-Dings, aber glücklich hat der dabei nicht ausgeschaut, nein wirklich nicht. Wie kann man dabei auch glücklich ausschauen!
Jedenfalls, zurück zum Vlatko. Der bekommt für seine Arbeit sicher keinen Pokal. Naja, Pokal kriegt ja keiner, aber der bestimmt nicht. Am Nachmittag gießen wir Beton in die Verschalungen aus Holz, Pressplatten und Latten, weißt, weil der Kran nicht hinkommt, die Betonpumpe aber schon, eine Innenmauer haben wir gegossen, und dann ist das nicht gescheit gemacht – und wer war’s natürlich? Auf jeden Fall hat der Willi recht geflucht, Scheißdreck und sowas gesagt und Jugoarbeit, und ist hin und hat sich dagegen gestemmt, aber die Masse hat er natürlich nicht halten können, die Platte ist einfach umgedrückt worden. Der Polier hat recht geplärrt, ist hin, der Vlatko natürlich auch, wir alle, und wir haben das Teil wieder hingestellt und vernagelt und den Beton vom Boden gekratzt und in Kübeln weggetragen. War eine greislige Arbeit. Alle warten natürlich drauf, dass der Polier was zu ihm sagt, und wie er es machen will, weil Deutsch versteht der Vlatko ja keins. Ich hab keine Angst, weil ich hab’s ihm ja bloß gezeigt.
Auf jeden Fall haben wir die Wand nochmal machen müssen, und auch diesmal sind irgendwie die Nägel nicht gescheit drin geblieben und wir natürlich alle hin – Hau ruck! – und halten das Ding, stemmen uns dagegen, bis der Andi noch mehr Nägel rein geschlagen hat und gebohrt und Schrauben rein und den Kompressor davor geschoben und anderes schweres Zeug und es endlich, endlich hält. Wir hätten nicht die Scheißplatte nochmal nehmen sollen.
Der Willi lacht und zeigt zum Vlatko: Team! Team Bayern! Und der Vlatko grinst. Es ist ein gutes Bild, das sag ich dir, gibt’s selten, wir alle zusammen und können nicht weg.
Da sagt der Andi: Die Bayern sind kein Team, das sind lauter Einzelspieler.
Komm, halt’s Maul, sagt der Polier.
Wir drücken noch eine Weile, aber irgendwie hat keiner mehr richtig Lust. Und dann wird’s fad, bis der Beton halbwegs fest ist.